JudikaturVfGH

E2258/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
26. November 2024
Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander mangels Anwesenheit eines Rechtsberaters (der BBU) bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung im Verfahren betreffend die Nichtzuerkennung des Asylstatus an einen Staatsangehörigen von Syrien

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden. Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und stellte am 5. Juli 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Den Antrag begründete er im Wesentlichen damit, dass er in Syrien zum Militär einrücken müsse, jedoch weder eine Waffe tragen noch das Blut von unschuldigen Menschen an seinen Händen kleben haben wolle; im Falle einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben, weil er sofort zwangsrekrutiert werde und – entgegen seiner Überzeugung – unschuldige Menschen töten müsse.

2. Mit Bescheid vom 25. Oktober 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Zugleich erkannte es ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

3. Mit Verfahrensanordnung vom 11. November 2023 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer amtswegig die Bundesagentur für Betreuungs und Unterstützungsleistungen GmbH (in der Folge: BBU GmbH) als Rechtsberaterin zur Seite. In dieser Verfahrensanordnung informierte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Beschwerdeführer über sein Recht, sich durch die Rechtsberaterin im Beschwerdeverfahren, einschließlich der mündlichen Verhandlung, vertreten zu lassen.

4. Der Beschwerdeführer bevollmächtigte in der Folge die BBU GmbH, ihn im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zu vertreten. Durch seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin erhob er am 5. Dezember 2023 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25. Oktober 2023.

5. Mit Schreiben vom 26. März 2024, der BBU GmbH zugestellt am 28. März 2024, brachte das Bundesverwaltungsgericht der BBU GmbH als Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers die Ladung zur mündlichen Verhandlung – anberaumt für den 29. April 2024, 8:00 Uhr – zur Kenntnis. Der Ladung war folgender Hinweis angeschlossen: "Als Verfahrenspartei steht es Ihnen frei, gemeinsam mit Ihrer Vertreterin oder Ihrem Vertreter zu erscheinen." Eine gesonderte Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung an den Beschwerdeführer erfolgte nicht.

6. Mit Schriftsatz vom 18. April 2024 stellte die BBU GmbH eine Vertagungsbitte, die sie im Wesentlichen damit begründete, dass der Beschwerdeführer die BBU GmbH um Vertretung in der mündlichen Verhandlung ersucht habe, es ihr jedoch nicht möglich sei, dem Ersuchen zu entsprechen und eine Teilnahme an der ausgeschriebenen Verhandlung als Rechtsvertretung zu gewährleisten. Zudem wies die BBU GmbH darauf hin, dass in Verfahren, in denen bereits zuvor aus denselben Gründen eine Vertagungsbitte eingebracht worden sei, eine prioritäre Zuteilung innerhalb der Rechtsberatung der BBU GmbH erfolge und kein weiteres solches Ersuchen um Vertagung ergehen werde. Für den Fall der Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Rechtsvertretung ersuchte die BBU GmbH, das Nichterscheinen aus den dargelegten Gründen zu entschuldigen. Gleichzeitig beantragte die BBU GmbH die Gewährung einer 14 tägigen Stellungnahmefrist im Anschluss an die mündliche Verhandlung.

7. Am 29. April 2024 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Abwesenheit der dem Beschwerdeführer amtswegig beigegebenen Rechtsvertretung durch. Obwohl der Beschwerdeführer unmittelbar nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung sogar zu erkennen gab, dass er eine Rechtsvertretung für die mündliche Verhandlung hätte haben wollen, aber keine erhalten habe, erkundigte sich die erkennende Richterin nicht, ob der Beschwerdeführer damit einverstanden war, ohne seine amtswegig beigegebene Rechtsvertretung zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, und prüfte nicht, ob der Vertagungsbitte stattzugeben ist. Die von der BBU GmbH beantragte Frist zur Einbringung einer Stellungnahme wurde vom Bundesverwaltungsgericht nicht gewährt.

8. Mit Erkenntnis vom 10. Mai 2024 wies das Bundesverwaltungsgericht die vom Beschwerdeführer ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25. Oktober 2023 erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

9. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

10. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

11. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat keine Äußerung erstattet.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung seit VfSlg 11.196/1986 zum rechtsstaatlichen Prinzip festhält (vgl VfSlg 12.409/1990, 12.683/1991, 13.003/1992, 13.182/1992, 13.305/1992, 13.493/1993, 14.374/1995, 14.548/1996, 14.765/1997, 15.218/1998, 16.245/2001), müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Der Verfassungsgerichtshof hat vor diesem Hintergrund wiederholt die Auffassung vertreten, dass das Verfahren zur Gewährung von Asyl Besonderheiten aufweist, die ein Abweichen von den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes erforderlich machen können (vgl VfSlg 13.831/1994, 13.834/1994, 13.838/1994, 15.218/1998). Im Erkenntnis VfSlg 15.218/1998 hat er ua auch darauf hingewiesen, dass dem rechtsschutzsuchenden Asylwerber neben dem sprachlichen grundsätzlich auch das rechtliche Verständnis der Entscheidung ermöglicht werden muss und es ihm demnach möglich sein muss, sich "der Hilfe einer fachkundigen (wenngleich nicht notwendigerweise rechtskundigen) Person als Beistand" zu bedienen (vgl auch VfSlg 18.809/2009).

In seinem Erkenntnis VfSlg 19.490/2011 hat der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung (VfSlg 15.218/1998, 18.809/2009, 18.847/2009, 19.188/2010) zur Frage des Rechtsschutzes von Asylwerbern im Asylverfahren durch den damaligen Asylgerichtshof im Hinblick auf den damals in §66 AsylG 2005 (nunmehr §§48 bis 52 BFA VG) normierten Rechtsberater ausgesprochen, dass es auf Grund des spezifischen Rechtsschutzbedürfnisses von Asylwerbern Sache des (damaligen) Asylgerichtshofes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater auch tatsächlich in Anspruch genommen werden kann, wenn der Asylwerber ein solches Begehren stellt oder aufrecht hält. In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VwSlg 19.370 A/2016 judiziert, dass es auf Grund der aus dem rechtsstaatlichen Prinzip einerseits und den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften andererseits resultierenden Verfahrensgarantien auch Sache des Verwaltungsgerichtes ist, dafür Sorge zu tragen, dass das einem Asylwerber zustehende Recht auf einen Rechtsberater tatsächlich in Anspruch genommen werden kann.

3.2. In der Niederschrift der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29. April 2024 wird die BBU GmbH als Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ausgewiesen, wobei vermerkt ist, dass eine Vertretung entschuldigt nicht erschienen sei. Die erkennende Richterin hat den Beschwerdeführer angesichts der Abwesenheit seiner Rechtsvertretung nicht ausdrücklich dahingehend befragt, ob die mündliche Verhandlung ohne die amtswegig zur Verfügung gestellte Rechtsvertretung durchgeführt werden kann, wiewohl der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich angesprochen hat, dass er eine Rechtsvertretung hätte haben wollen, dies aber abgelehnt worden sei, und dass die BBU GmbH ihn verständigt habe, nicht kommen zu können. Das Bundesverwaltungsgericht hat sohin in Kauf genommen, dass der Beschwerdeführer während der gesamten Verhandlung nicht vertreten war, anstatt ihn (zumindest) über die Möglichkeit der Beiziehung der Rechtsvertretung in Kenntnis zu setzen. Es finden sich lediglich die Hinweise, dass die erkennende Richterin "nach Aufruf der Sache die Identität und Stellung der Anwesenden sowie etwaige Vertretungsbefugnisse" geprüft habe, dass die Parteien des Verfahrens und die sonstigen Anwesenden zur Verhandlung rechtzeitig geladen worden seien und dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl schriftlich von einer Teilnahme Abstand genommen sowie auch die BBU GmbH das Fernbleiben einer Vertretung entschuldigt habe. Hinweise dahingehend, dass die erkennende Richterin den Beschwerdeführer über sein Recht informiert hat, gemeinsam mit seiner Rechtsvertretung an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, und er keinen Einwand gegen die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit seiner Rechtsvertretung hatte, finden sich nicht. Es ist jedoch Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes, sich dieser Tatsache durch Belehrung und Nachfrage zu vergewissern (vgl VfGH 3.10.2024, E2125/2024; 3.10.2024, E2483/2024; 3.10.2024, E2472/2024).

Da das Bundesverwaltungsgericht dies unterlassen hat, liegt eine willkürliche Handhabung des Verfahrensrechtes vor (vgl – jeweils mwN – VfGH 3.10.2024, E2125/2024; 3.10.2024, E2483/2024; 3.10.2024, E2472/2024).

3.3. Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes ist überdies – wie der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen jeweils vom 3. Oktober 2024, E2483/2024 und E2472/2024, festgehalten hat –, sich der Tatsache zu vergewissern, dass die Parteien und deren Vertreter (mit einer ausreichenden Vorbereitungszeit) an der mündlichen Verhandlung teilnehmen können. Stellt die BBU GmbH als amtswegig zur Seite gestellte Rechtsberaterin – wie im Beschwerdefall getan – eine Vertagungsbitte, hat das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob der Vertagungsbitte stattzugeben ist (vgl VwGH 19.10.1970, 751/70; 16.12.1993, 90/06/0185; 25.10.2000, 99/06/0063). Dass das Bundesverwaltungsgericht dies unterlassen hat, stellt ebenfalls eine willkürliche Handhabung des Verfahrensrechtes dar.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.