JudikaturVfGH

E2770/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
24. Februar 2025
Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander mangels Anwesenheit eines - ordnungsgemäß geladenen - Rechtsberaters (der BBU GmbH) bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz betreffend eine Staatsangehörige der Türkei

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskos-ten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin ist türkische Staatsangehörige und reiste erstmals im März 2007 nach Österreich ein. Das Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, stellte ihr zunächst eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende, gültig vom 24. Jänner 2011 bis 22. Jänner 2012 aus. Dieser Aufenthaltstitel wurde letztmalig bis zum 12. Jänner 2014 verlängert. Ein Antrag auf weitere Verlängerung wurde am 22. Juni 2015 abgewiesen.

2. Im Zuge einer Personenkontrolle am 11. November 2023 stellten Organe der Landespolizeidirektion Wien fest, dass sich die Beschwerdeführerin bereits seit 22. Juni 2015 ohne Aufenthaltstitel in Österreich aufgehalten hatte. In der Folge verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Mandatsbescheid vom 11. November 2023 Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Abschiebung.

3. In der Schubhaft stellte die Beschwerdeführerin am 13. November 2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu den Fluchtgründen gab sie zusammengefasst an, dass sie bis zum Jahr 2015 ein Studentenvisum gehabt habe, welches sie nach Beziehungsproblemen nicht mehr verlängert habe. Seitdem befinde sie sich in tiefen Depressionen und habe mehrere Online Therapien absolviert. Sie habe Angst um ihr Leben, weil ihr Ex-Freund in der Türkei sie bis nach Österreich verfolgen würde.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12. Jänner 2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen und der Status einer Asylberechtigten nicht zuerkannt, der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Türkei zulässig sei und eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

5. Gegen den Bescheid erhob die Beschwerdeführerin, vertreten durch den Verein "Asyl in Not", Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte darin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

6. In weiterer Folge teilte die rechtliche Vertretung der Beschwerdeführerin dem Bundesverwaltungsgericht die Auflösung der Vollmacht mit Eingabe vom 21. Februar 2023 mit. In der Folge beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den 17. April 2024 an, zu der die Beschwerdeführerin Mitte März 2024 geladen wurde. Mit Eingabe vom 3. April 2024 übermittelte die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU GmbH) die Vollmachtsbekanntgabe.

7. Gleichzeitig mit der Vollmachtsbekanntgabe ersuchte die BBU GmbH, die Verhandlung auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen, weil der Rechtsberatung der BBU GmbH eine Teilnahme an der Verhandlung aus Kapazitätsgründen nicht möglich sei. Im Falle der Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Rechtsvertreterin lasse sich die BBU GmbH für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung entschuldigen. Die BBU GmbH beantragte gleichzeitig die Gewährung einer 14 tägigen Stellungnahmefrist im Anschluss an die Durchführung der mündlichen Verhandlung.

8. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. April 2024 wurde der BBU GmbH mitgeteilt, dass eine Vertagung der mündlichen Verhandlung auf Grund des "straffen Verhandlungskalenders" der Richterin sowie der "Überlastung bei Türkeiverfahren" nicht möglich sei.

9. Am 17. April 2024 gab die Beschwerdeführerin vor Verhandlungsbeginn telefonisch beim Bundesverwaltungsgericht bekannt, dass sie krankheitsbedingt nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen könne. Ergänzend legte die BBU GmbH am selben Tag eine mit 16. April 2024 datierte ärztliche Krankmeldung der Beschwerdeführerin vor, in der die Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin wegen einer Gastroenteritis attestiert wurde.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte die anberaumte Verhandlung daraufhin in Abwesenheit der Beschwerdeführerin sowie deren Rechtsvertretung durch, wobei in der Niederschrift vermerkt wurde, dass die Beschwerdeführerin "nicht erschienen" und die BBU GmbH "unentschuldigt nicht erschienen" sei.

11. Nach Ende der mündlichen Verhandlung – zu der weder die Beschwerdeführerin, noch die BBU GmbH noch die belangte Behörde erschienen waren – verkündete das Bundesverwaltungsgericht das nunmehr, in schriftlicher Ausfertigung, angefochtene Erkenntnis, mit dem die Beschwerde der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen wurde.

Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin unglaubwürdig sei und sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass die örtlichen Sicherheitskräfte des Herkunftsstaates der Beschwerdeführerin gegenüber nicht schutzfähig oder schutzwillig gewesen wären. Ebenso drohe der Beschwerdeführerin durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat keine Verletzung in ihren Rechten nach Art2 und 3 EMRK. Schließlich sei nach einer Interessensabwägung im Sinne des §9 BFAVG davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet ihr persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege und daher die Rückkehrentscheidung keine Verletzung des Art8 EMRK bewirke.

12. Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorlie-gende, auf Art144 BVG gestützte Beschwerde. Sie stützt sich im Wesentlichen darauf, dass das angefochtene Erkenntnis willkürlich ergangen sei und die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletze. Außerdem werde die Beschwerdeführerin in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung (Folter) unterworfen zu werden (Art3 EMRK), auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) und auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) verletzt. Die Beschwerdeführerin beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses.

13. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ebenso wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ab.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Der Verfassungsgerichtshof erachtet verwaltungsgerichtliche Entscheidungen bei von Amts wegen beigegebenen Rechtsberatern, die zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht erscheinen, in ständiger Rechtsprechung als willkürlich, wenn die mündliche Verhandlung durchgeführt wird, ohne dass der Beschwerdeführer über die Möglichkeit der Ladung der Rechtsberaterin in Kenntnis gesetzt wird oder dahingehend befragt wird, ob er sein Vertretungsverhältnis aufrechterhält (VfGH 24.2.2020, E2425/2019; 22.9.2021, E2594/2021; 3.10.2024, E2472/2024; 3.10.2024 E2483/2024; 26.11.2024, E2258/2024).

3.2. Dies gilt umso mehr, wenn – wie im vorliegenden Fall – die erkennende Richterin die mündliche Verhandlung in Abwesenheit sowohl der Beschwerdeführerin als auch ihrer Rechtsvertretung durchführt und damit die Vertagungsbitte ebenso wie die Krankmeldung der Beschwerdeführerin völlig ignoriert.

3.3. Schon aus diesem Grund liegt eine willkürliche Handhabung des Verfahrensrechts vor (vgl VfGH 26.11.2024, E2258/2024, mwN).

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,–.