E149/2021 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das angefochtene Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3008,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige und stammen aus Mossul. Sie gehören der Volksgruppe der Araber sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft an. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet. Sie sind die Eltern der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin. Die Einschreiter stellten am 17. August 2015 in Österreich Anträge auf internationalen Schutz. Sie hätten ihr Herkunftsland bereits im Mai 2014 verlassen, weil dem Erstbeschwerdeführer die Verfolgung durch die Terrormiliz Islamischer Staat (im Folgenden: IS) gedroht habe, da er sich geweigert habe, mit dieser zu kooperieren. Die Sicherheitslage im Irak sei katastrophal, da der Staat weder schutzfähig noch schutzwillig sei. Die Zweitbeschwerdeführerin leide zudem seit der Geburt ihrer Tochter an einer Herzinsuffizienz und müsse daher dauerhaft entsprechend medizinisch therapiert werden.
2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 3. April 2017 wurden die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) abgewiesen, Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
3. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 30. November 2020 als unbegründet ab.
Das Vorbringen der Beschwerdeführer sei unglaubwürdig, sodass nicht festgestellt werden habe können, dass ihnen im Herkunftsland eine asylrelevante Verfolgung drohe. Eine generelle und systematische Verfolgung sunnitischer Araber könne aus den Länderberichten ebenfalls nicht abgeleitet werden. Die in den "UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die vom Irak fliehen" vom Mai 2019 (im Folgenden: UNHCR-Erwägungen) genannten Personenprofile träfen auf die Beschwerdeführer nicht zu, sodass eine nähere Auseinandersetzung mit den dort angeführten Gefährdungslagen entbehrlich sei. Betreffend die vorgebrachte Gefährdung von vornehmlich männlichen Personen im kampffähigen Alter aus einem ehemals vom IS kontrollierten Gebiet mit sunnitisch-arabischer Identität führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Erstbeschwerdeführer den Irak bereits vor der Übernahme Mossuls durch den IS verlassen habe, sodass offenkundig sei, dass ihm schon mangels Präsenz eine Unterstützung des IS nicht möglich gewesen sei, weshalb kein erhöhtes Risikoprofil bestehe.
Die Sicherheitssituation in Mossul sei unbeständig, aber im Tagesverlauf relativ stabil. Sie könne sich zwar in der Stadt rasch verschlechtern, jedoch sei sie nicht dergestalt, dass jeder dorthin Zurückkehrende der realen Gefahr unterläge, einer Verletzung seiner durch Art2 oder 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt zu sein. Die Herkunftsregion sei über den Flughafen Erbil sicher erreichbar. Die Beschwerdeführer stammten aus dem Osten Mossuls, der weniger stark von der Zerstörung betroffen sei als der Westteil der Stadt und wo der Wiederaufbau schneller vorangehe und die Arbeitsmarktsituation besser sei. Wenngleich die Versorgungslage insgesamt keineswegs optimal sei, sei zu berücksichtigen, dass für die Familie auf Grund der universitären Ausbildung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin sowie der qualifizierten Berufserfahrung des Erstbeschwerdeführers eine ungleich bessere Rückkehrperspektive gegeben sei. Als Startkapital könne überdies eine finanzielle Rückkehrhilfe gewährt werden. Die Behandelbarkeit der Herzinsuffizienz der Zweitbeschwerdeführerin sei gewährleistet, da es sich beim Wirkstoff des von ihr angegebenen Medikaments um ein gängiges Präparat handle, von dessen Verfügbarkeit – trotz der angespannten medizinischen Versorgungslage – im Irak auszugehen sei. Im Übrigen sei die Erkrankung bereits vor ihrer Ausreise im Herkunftsstaat behandelt worden. Indem die Zweitbeschwerdeführerin nunmehr auf das Tragen des Kopftuches verzichte, werde dadurch noch nicht zum Ausdruck gebracht, dass sie eine westliche Lebensführung zum wesentlichen Bestandteil ihrer Identität gemacht habe. Im Hinblick auf die Drittbeschwerdeführerin stehe es den Eltern frei, ihrer Tochter auch im Herkunftsland die (Mit )Bestimmung über ihren Ehemann einzuräumen. Den Länderfeststellungen sei außerdem nicht zu entnehmen, dass die Drittbeschwerdeführerin im Rückkehrfall nur einen eingeschränkten Zugang zu Bildung haben werde.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG BGBl 390/1973, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesverwaltungsgericht habe es verabsäumt, ua im Hinblick auf die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage, insbesondere mit Blick auf die Situation von Kindern in Mossul, sowie die "verwestlichte" Wertehaltung der Zweitbeschwerdeführerin und die Behandlungsmöglichkeiten ihrer Erkrankung im Herkunftsstaat, erforderliche Ermittlungsschritte zu setzen und seine Ausführungen mit den entsprechenden Länderberichten in Bezug zu setzen.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtspre-chung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht vertritt in seinem Erkenntnis die Ansicht, dass die in den UNHCR-Erwägungen genannten Personenprofile auf die Beschwerdeführer nicht zuträfen, sodass eine nähere Auseinandersetzung mit den dort angeführten Gefährdungslagen entbehrlich sei. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führt es aus, dass der Erstbeschwerdeführer den Irak bereits vor der Übernahme Mossuls durch den IS verlassen habe, weshalb schon mangels seiner Präsenz eine Unterstützung des IS in Mossul nicht möglich gewesen sei. Ein erhöhtes Risikoprofil sei daher nicht gegeben.
Die UNHCR-Erwägungen führen aus, dass
"Personen mit überwiegend sunnitisch-arabischer Identität und zwar vornehmlich aber nicht ausschließlich Männer und Jungen im kampffähigen Alter aus Gebieten, die zuvor von ISIS besetzt waren, […] Berichten zufolge kollektiv verdächtigt [werden], mit ISIS verbunden zu sein oder ISIS zu unterstützen […] . Seit 2014 waren Zivilisten dieses Profils regelmäßig verschiedenen Vergeltungsmaßnahmen in Form von Gewaltanwendung und Missbrauch durch staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, unter anderem während Militäreinsätzen gegen ISIS, während und nach der Flucht aus durch ISIS besetzten Gebieten, nach der Wiedereroberung dieser Gebiete und während anhaltender Sicherheitseinsätze gegen Überreste von ISIS.
Im Allgemeinen sind Strafverfahren gegen Personen, für die ein begründeter Verdacht hinsichtlich der Begehung von Straftaten besteht, vollkommen rechtmäßig, jedoch müssen diese den jeweiligen Gesetzen entsprechen und die Voraussetzungen für ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren erfüllen. Jedoch stellen Beobachter fest, dass die ISF, damit verbundene Kräfte und die kurdischen Sicherheitskräfte Personen regelmäßig auf der Basis weitläufiger, diskriminierender und sich häufig überschneidender Kriterien eine Verbindung zu ISIS unterstellen. Zu diesen Kriterien gehören […] :
die religiöse und ethnische Zugehörigkeit (sunnitische Araber oder Turkmenen […] ),
Geschlecht und Alter (Männer und Jungen im kampffähigen Alter),
familiärer Hintergrund und Stammeszugehörigkeit, einschließlich des Herkunftsortes und/oder
Wohnsitz in einem ehemals von ISIS besetzten Gebiet im Zeitraum der Besetzung durch ISIS.
Gegen Personen dieser Profile wird regelmäßig der Verdacht der Verwicklung mit ISIS erhoben und zwar unabhängig von der Art dieser Beteiligung – also unabhängig davon, ob diese freiwillig oder erzwungen, ziviler oder militärischer Natur war […] . Es wird berichtet, dass Personen dieser Profile auf Basis fragwürdiger Beweise verhaftet werden, zB aufgrund von Aussagen geheimer Informanten oder weil sie auf 'Fahndungslisten' stehen, die von verschiedenen Sicherheitsakteuren geführt werden. […] " (UNHCR-Erwägungen, 69 f.).
Familien mit tatsächlicher oder vermeintlicher Verbindung zu IS-Mitgliedern seien regelmäßig einer Vielzahl an Strafmaßnahmen ausgesetzt. Dazu gehörten Drohungen, Belästigungen, körperliche Angriffe sowie Zerstörung, Niederbrennen, Plünderung und Beschlagnahmung von Häusern. Ihnen drohe außerdem soziale Ausgrenzung sowie das Abschneiden von grundlegenden Versorgungsdienstleistungen wie Strom und Wasser (UNHCR-Erwägungen, 72 f.). UNHCR vertritt daher die Auffassung, dass arabisch-sunnitische Männer und Jungen im kampffähigen Alter, die in einem vom IS kontrollierten Gebiet bzw in einem Gebiet mit aktueller IS-Präsenz wohnhaft waren, sowie Frauen und Kinder, die auf Grund ihrer Verwandtschafts- oder Stammesbeziehungen mit einem tatsächlichen oder vermeintlichen IS-Mitglied in Verbindung gebracht werden, wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen würden (UNHCR-Erwägungen, 77; vgl zur Indizwirkung der UNHCR-Erwägungen VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 13.2.2020, Ra 2019/19/0245).
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt zur Ansicht, dass die Abwesenheit des Erstbeschwerdeführers im Irak bei der Eroberung Mossuls durch den IS seiner Zugehörigkeit zum Risikoprofil sunnitisch-arabischer Männer im kampffähigen Alter aus einem ehemals oder aktuell vom IS besetzten Gebiet schadet, da so bereits mangels zeitlicher Kohärenz eine Unterstützung des IS ausgeschlossen werden könne. In den zitierten UNHCR Erwägungen wird allerdings ausgeführt, dass die tatsächliche Verbindung zum IS nicht entscheidend sei, sondern in stigmatisierender Weise auf äußerliche Merkmale abgestellt werde. Personen einer bestimmten religiösen und ethnischen Herkunft (sunnitische Araber) sowie eines bestimmten Geschlechts und Alters (Männer im kampffähigen Alter) mit Wohnsitz in einem ehemals vom IS besetzten Gebiet würden kollektiv verdächtigt, den IS zu unterstützen und seien alleine auf Grund dieser Eigenschaften Vergeltungsmaßnahmen (nicht )staatlicher Akteure ausgesetzt, unabhängig davon, ob ihnen eine tatsächliche Verbindung mit dem IS nachgewiesen werden könne. Eine derartige Gefahr bestehe auch für Frauen und Kinder mit Verbindungen zu tatsächlichen oder vermeintlichen IS Mitgliedern. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich daher substantiiert mit der Zugehörigkeit des Erstbeschwerdeführers zur Risikogruppe der sunnitischen Araber im kampffähigen Alter aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet sowie der Zugehörigkeit der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen zur ebenfalls bedrohten Personengruppe der Frauen und Kinder mit Verbindungen zu einem tatsächlichen oder vermeintlichen IS Mitglied und den daraus resultierenden Gefährdungslagen auseinandersetzen müssen und bleibt in der Folge eine plausible Begründung seiner rechtlichen Beurteilung schuldig (vgl VfGH 26.6.2019, E5061/2018 ua).
Da das Risikoprofil sunnitisch-arabischer Männer auf die religiöse und ethnische Zugehörigkeit einer Person abstellt, betrifft die fehlende Auseinandersetzung des Bundesverwaltungsgerichtes im Hinblick auf den Erstbeschwerdeführer die Entscheidung zum Status des Asylberechtigten (vgl VfGH 24.9.2018, E3537/2017 mwN). Der Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend die übrigen Einschreiterinnen durch (vgl VfSlg 19.855/2014), sodass das Erkenntnis auch betreffend die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin zur Gänze aufzuheben ist.
2.2. Des Weiteren hat das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten Willkür geübt:
Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
2.2.1. Die im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichte geben darüber Auskunft, dass viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen eingeführt hätten, darunter ua Bürgschaftsanforderungen sowie teilweise vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen seien, insbesondere sunnitische Araber. Der offizielle Wohnort werde durch eine Aufenthaltskarte ausgewiesen; bei einer Rückkehr in die Heimatregion müsse eine solche vorgelegt bzw allenfalls neu beschafft werden. Sicherheitskräfte setzten Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschrieben, aus ethno-konfessionellen Gründen selektiv um, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken. Checkpoints innerhalb des Landes unterlägen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen, und der IS richte falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw Angriffe zu verüben (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung vom 17.3.2020, 23 f.).
Das Bundesverwaltungsgericht stellt zwar fest, dass die Herkunftsregion der Beschwerdeführer über den Flughafen Erbil erreichbar sei, lässt jedoch eine Auseinandersetzung mit der Gefährdung sunnitischer Araber, die aus ehemaligen Hochburgen des IS stammen und kollektiv verdächtigt werden, mit dem IS verbunden zu sein oder diesen zu unterstützen, beim Passieren von Checkpoints bzw Kontrollpunkten auf den Straßen von Erbil nach Mossul vermissen (vgl hiezu VwGH 22.2.2021, Ra 2020/18/0516). Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich damit auseinandersetzen müssen, ob vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte die Einreise für die Beschwerdeführer in ihre Heimat überhaupt möglich ist (vgl zur notwendigen Auseinandersetzung mit der sicheren Erreichbarkeit des Herkunftsortes bzw der innerstaatlichen Fluchtalternative VfGH jeweils 11.6.2018, E2776/2017; E4317/2017).
2.2.2. Dem – dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegten – Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 17. März 2020 ist zu entnehmen, dass Kinder im Irak weiterhin Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen und in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage sowie durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen seien. Über ein Viertel aller Kinder lebe in Armut. Gewalt gegen Kinder bleibe ein großes Problem, der Verkauf irakischer Kinder durch Menschenhändlernetze zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung und Prostitution inbegriffen. Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen, sei im gesamten Land vorgekommen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung vom 17.3.2020, 117 ff.).
Bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob sie unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage zu deren Beurteilung einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Art1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung der Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (vgl zB VfGH 26.2.2019, E3837/2018 ua; 13.3.2019, E1480/2018 ua; 26.6.2019, E2838/2018 ua; 28.11.2019, E2526/2019 ua; 7.10.2019, E1524/2020 ua; 8.6.2020, E3524/2019 ua).
Im Rahmen der Prüfung des Status der subsidiär Schutzberechtigten beschränkt sich das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die minderjährige Drittbeschwerdeführerin auf die Erörterung der Bildungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat. Festgehalten wird zudem, dass es den Eltern der Drittbeschwerdeführerin im Übrigen freistehe, ihrer Tochter im Herkunftsland die (Mit )Bestimmung über ihren Ehemann einzuräumen. Diesen Ausführungen kann nicht entnommen werden, dass sich das Bundesverwaltungsgericht konkret mit der aus den im Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichten hervorgehenden Lebenssituation von Kindern im Irak und der Frage, ob der zum Zeitpunkt der Entscheidung rund neuneinhalb Jahre alten Drittbeschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht, substantiiert auseinandergesetzt hat (s zur gebotenen Auseinandersetzung mit den getroffenen Feststellungen VfGH jeweils 11.6.2018, E4469/2017 ua; E1815/2018; 25.9.2018, E1764/2018 ua; 11.12.2018, E2025/2018 ua). Die angefochtene Entscheidung ist daher hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Drittbeschwerdeführerin begründungslos ergangen.
2.2.3. Da das Bundesverwaltungsgericht somit eine konkrete Auseinandersetzung mit der Möglichkeit der sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsregion der Beschwerdeführer vermissen lässt und eine eingehende Beschäftigung mit jenen Passagen der zitierten Länderberichte, die Auskünfte über die Sicherheits- und Versorgungssituation der vulnerablen Personengruppe der Kinder im Irak geben, unterlässt, belastet es sein Erkenntnis auch aus diesen Gründen mit Willkür.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 501,40 enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.