Spruch
W155 2269297-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. KRASA über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (in Folge: Bf) stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab er an, dass er am XXXX , Syrien geboren worden sei. Er sei Moslem und gehöre der Volksgruppe der Araber an. Er sei verheiratet, habe keine Schule besucht und zuletzt als Arbeiter gearbeitet.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, wies er darauf hin, dass in Syrien Krieg herrsche. Es gebe keine Sicherheit und keine Zukunft. Aus diesem Grund habe er sein Heimatland verlassen. Ansonsten habe er keine weiteren Fluchtgründe. Im Falle der Rückkehr in seine Heimat habe er Angst vor dem Krieg.
Am XXXX wurde der Bf von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren: belangte Behörde) und in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch niederschriftlich einvernommen.
Befragt, ob der Bf in seinem Heimatland Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen gehabt habe, gab er an, dass er aufgrund der revolutionären Geschehnisse fünf Jahre und sieben Monate im Gefängnis gewesen sei. Zudem habe er wegen des Wehrdienstes Probleme mit den Sicherheitsstellen. Er habe Syrien verlassen, als noch ein Gerichtsverfahren gegen ihn geführt worden sei. Der Grund seien die Demonstrationen und die Forderungen des Volkes, dass das syrische Regime geändert gehöre. Nachgefragt, habe er selbst nicht an politischen Demonstrationen teilgenommen, sondern hätten sich alle Menschen gegen das Regime gewehrt und seien auf die Straße gegangen. Er habe ungefähr einmal, im Jahr 2011, an Demonstrationen teilgenommen. Der Grund für die Inhaftierung sei gewesen, dass man ihm Demonstrationen gegen das Regime vorgeworfen habe. In der Zeit zwischen 2015 und 2016 sei er mehrmals dem Richter vorgeführt worden und 2017 sei er zum Luftwaffengeheimdienst überstellt worden. 2017 seien sie vom Gefängnis zu einer anderen Sicherheitsbehörde gebracht worden. Dort seien sie nochmals zweieinhalb Jahre gewesen. Nachgefragt, sei er konkret von XXXX bis zum XXXX im Gefängnis gewesen. Aufgrund der nationalen Aussöhnungen vom Regime seien reihenweise Inhaftierte freigelassen worden. Er sei dabei auch an die Reihe gekommen. Der Bf erklärte, dass er während eines laufenden Gerichtsverfahrens freigelassen worden sei, das bedeute aber nicht, dass er nicht später noch in einer Gerichtsverhandlung verurteilt werden könne.
Zu seinen Flucht- und Asylgründen führte er aus, dass zwei seiner Kinder, sein Neffe und auch ein Kind aus Homs gestorben wären. Sie hätten gespielt. Im Land gebe es den IS und alle möglichen Fraktionen. Es gebe in Syrien keinen Rechtsstaat mehr. Als eine Bombe explodiert sei, wären seine beiden Kinder, sein Neffe und das Kind aus Homs gestorben. Sie seien deshalb hierhergekommen, weil sie für sich und ihre Kinder Sicherheit suchen. Sie würden den Krieg nicht wollen. Dies seien auch die „Sachen“, warum man überhaupt um Asyl ansuche und weshalb man auch Asyl bekomme. Niemand wisse, wer die Bomben geworfen habe. Wann der Vorfall gewesen sei, wisse er auch nicht, weil er zu diesem Zeitpunkt noch im Gefängnis gewesen sei. Er glaube, dass es im Jahr 2018 gewesen sei.
Er habe den Wehrdienst, im Jahr 2007 beendet. Es sei ihm ein Einberufungsbefehl zum Reservedienst nach Hause zugestellt worden. Er habe ihn aber nicht persönlich entgegengenommen, weil er damals noch im Gefängnis gewesen sei. Er habe damals aber zum Reservedienst müssen. Die Verständigung bzw. Benachrichtigung zur Einberufung zum Wehrdienst für alle Burschen sei zwischen 2016 und 2017 ins Dorf gekommen.
Im Falle der Rückkehr nach Syrien habe er auf jeden Fall Angst vor dem Tod. Das gesamte syrische Volk wolle Freiheit bzw. Meinungsfreiheit und ein besseres Leben. Aus diesen Gründen würden sie vom syrischen Regime beschuldigt werden, gegen das Regime zu sein.
Mit dem im Spruch genannten Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Bf auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr (Spruchpunkt III.).
Der Bf erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheids fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, dass er bis 2021 im Dorf XXXX , im Gouvernement XXXX gelebt habe und sich das Gebiet hauptsächlich unter Kontrolle des syrischen Regimes befinde. Der Bf habe in seiner Heimatregion XXXX im Jahr 2011 an einer Demonstration teilgenommen. Aufgrund der Teilnahme an einer regimekritischen Demonstration sei der Bf vom militärischen Sicherheitsdienst aufgefordert worden, sich bei ihm zu melden. Der Bf habe dies wiederholt abgelehnt und sei im Jahr 2013 an einem Checkpoint aufgegriffen und inhaftiert worden. Der Bf habe fünf Jahre und sieben Monate in verschiedenen Gefängnissen in Syrien verbracht. Der Bf sei im Mai 2019 entlassen, jedoch noch nicht offiziell von einem Gericht verurteilt worden. Nach seiner Entlassung 2019 habe sich der Bf wegen der Angst vor einer erneuten Inhaftierung aufgrund seiner Teilnahme an einer regimekritischen Demonstration und somit oppositioneller Gesinnung versteckt gehalten. Darüber hinaus brachte der Bf vor, dass er von 2005 bis 2007 seinen Wehrdienst in Syrien absolviert habe und Rekrut gewesen sei. Da sich die Lage in seiner Heimatregion XXXX verschlimmert habe und der Bf Angst vor einer Einberufung zum Reservedienst gehabt habe, sei er illegal aus Syrien geflüchtet. Der Bf sei aufgrund seines Alters Reservist und drohe ihm im Falle einer Rückkehr unter anderem der Einzug als Reservist in den syrischen Bürgerkrieg. Zudem werde ihm bereits aufgrund der Abstammung aus XXXX zumindest eine oppositionelle Einstellung vom syrischen Regime unterstellt.
Mit Schreiben vom XXXX legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den dazugehörigen Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
Mit Schreiben vom XXXX gab die belangte Behörde bekannt, dass eine Teilnahme eines informierten Vertreters an der anberaumten mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Zudem wurde die Abweisung der Beschwerde beantragt und um Übersendung des Verhandlungsprotokolls ersucht.
Mit Stellungnahme vom XXXX beantragte der Bf eine Frist zur Vorlage eines Gutachtens (AKH Wien) zum Beweis der erlittenen Folter durch den syrischen Staat in Haft und der erlittenen Vorverfolgung. In eventu wurde die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem medizinischen Fachbereich der Forensik gestellt. Dies zum Nachweis dafür, dass die vom Bf erlittenen Verletzungen auf die während der Inhaftierung gerichteten Folterhandlungen zurückgeführt werden können. Die Relevanz ergebe sich aus der Beachtlichkeit der Vorverfolgung. Zudem brachte der Bf vor, dass er in Österreich ebenso eine Möglichkeit gefunden habe seine oppositionelle Gesinnung zum Ausdruck zu bringen und im Oktober 2023 an einer Demonstration in Österreich teilgenommen habe.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine mündliche Verhandlung durch.
Mit Dokumentenvorlage vom XXXX übermittelte der Bf dem Bundesverwaltungsgericht Kopien von Fotos, die ihn als Teilnehmer an einer Kundgebung in Wien zeigen würden.
Mit Parteiengehör vom XXXX wurde dem Bf und der belangten Behörde die „Kurzinformation der Staatendokumentation Syrien Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht“ vom Bundesverwaltungsgericht übermittelt und wurde die Möglichkeit eingeräumt, binnen zehn Tage zum beigeschlossenen aktuellen Lagebild der Staatendokumentation schriftlich Stellung zu nehmen.
In der Stellungnahme vom XXXX brachte der Bf im Wesentlichen vor, dass noch nicht abschätzbar sei, wie sich die Lage in Syrien weiterhin entwickeln werde und es zurzeit an einer wesentlichen Grundlage für die Entscheidung fehle. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass der Bf der HTS (bzw. der ehemaligen Al-Nusra) oppositionell gegenübergestellt sei. Seines Erachtens nach handle es sich bei der HTS um eine Terrororganisation und wie auch in der Vergangenheit gegen das syrische Regime, würde sich der Bf an Demonstrationen gegen die HTS beteiligen. Darüber hinaus wurde auf das UNHCR-Positionspapier zu Rückführungen nach Syrien vom 16.12.2024 verwiesen, worin alle Staaten von UNHCR dazu aufgerufen worden seien, weiterhin keine zwangsweisen Rückführungen nach Syrien durchzuführen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Bf führt die im Spruch genannten Personalien. Er ist syrischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Araber an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Arabisch.
Der Bf wurde im Gouvernement XXXX , im Dorf XXXX geboren und wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern auf. Der Bf besuchte acht Jahre lang die Schule. Der Bf arbeitete als Hirte in der Region von XXXX .
Der Bf behauptet mit XXXX – seiner Tante mütterlicherseits – verheiratet zu sein und eine Tochter und zwei Söhne zu haben. Diese würden gemeinsam mit den Eltern des Bf, seinen drei Brüdern und zwei Schwestern im Dorf XXXX leben. Eine Schwester des Bf wohnt in XXXX und eine Schwester XXXX Stadt.
Der Herkunftsort des Bf steht unter Kontrolle der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS).
Der Bf ist in Österreich subsidiär schutzberechtigt.
Der Bf ist gesund.
Der Bf ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Bf hat den syrischen Wehrdienst des ehemaligen syrischen Regimes im Zeitraum von 2005 bis 2007 abgeleistet. Alle Soldaten des ehemaligen syrischen Assad-Militärs wurden aktuell vom syrischen Armeekommando außer Dienst gestellt. Eine Verfolgung des Bf durch das gestürzte syrische Regime aufgrund einer allenfalls unterstellten oppositionellen Gesinnung oder sonstigen Gründen ist somit ausgeschlossen.
Dem Bf droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgungsgefahr durch die HTS. Der Bf hat keine von diesen als oppositionell eingestuften Handlungen gesetzt. Weder der Bf noch seine Familienmitglieder werden von den HTS-Milizen als politische Gegner angesehen. Ihm droht bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Lebensgefahr bzw. ein Eingriff in seine körperliche Integrität.
Der Bf ist im Herkunftsstaat nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgung aufgrund seiner ethnischen, religiösen oder staatsbürgerlichen Zugehörigkeit, wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung bedroht.
1.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat
Die Länderfeststellungen zur Lage in Syrien basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 27.03.2024 (LIB),
- Kurzinformation der Staatendokumentation Syrien Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht (Datum der Veröffentlichung: 10.12.2024)
- EUAA, Country Guidance: Syrien vom April 2024 und
- EUAA-Bericht: Targeting of Individuals vom September 2022.
Gemäß Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Syrien vom 27.03.2024 (Version 11) ist daher festzustellen:
[…]
Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungs-feindlich)
Letzte Änderung 2024-03-13 15:02
Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als „shabiha“ bekannt) (USDOS 29.7.2022). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (FIS 14.12.2018). Oft werden die Kämpfer mit dem Versprechen, dass sie in der Nähe ihrer lokalen Gemeinde ihren Einsatz verrichten können und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen und damit die Wehrpflicht umgehen könnten, angeworben. In der Realität werden diese Milizen aber trotzdem an die Front geschickt, wenn die SAA Verstärkung braucht bzw. müssen die Männer oft nach erfolgtem Einsatz in einer Miliz trotzdem noch ihrer offiziellen Wehrpflicht nachkommen (EUAA 10.2023). In manchen Fällen aber führte der Einsatz bei einer Miliz tatsächlich dazu, der offiziellen Wehrpflicht zu entgehen, bzw. profitierten einige Kämpfer in regierungsnahen Milizen von den letzten Amnestien, sodass sie nach ihrem Einsatz in der Miliz nur mehr die sechsmonatige Grundausbildung absolvieren mussten um ihrer offiziellen Wehrpflicht nachzugehen, berichtet eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums (NMFA 8.2023).
Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian NationalArmy) und HTS (Hay’at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer „regulären Armee“ zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten „HTS-Wehrpflicht“ in ldlib liebäugelte, damit dem „Staatsvolk“ von ldlib eine „staatliche“ Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).
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Ethnische und religiöse Minderheiten
Letzte Änderung 2023-07-17 13:20
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Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit in den demografischen Daten. Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74 % der Bevölkerung stellen, wobei diese sich aus AraberInnen, KurdInnen, TscherkessInnen, TschetschenInnen und einigen TurkmenInnen zusammensetzen. Andere muslimische Gruppen, einschließlich AlawitInnen, IsmailitInnen und (Zwölfer) SchiitInnen machen zusammen 13 % aus, die DrusInnen 3 %. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10 %, wobei laut Berichten davon auszugehen ist, dass ihre Zahl mit geschätzten 2,5 % nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 JesidInnen (USDOS 2.6.2022).
Die alawitische Gemeinschaft [Anm.: zu der Bashar al-Assad gehört] genießt in Relation zu ihrem Bevölkerungsanteil weiterhin einen privilegierten politischen Status, auch durch die Dominanz in den Führungspositionen im Militär sowie den Sicherheits- und Geheimdiensten, wobei auch bei Alawiten gilt, dass, so wie bei Angehörigen den anderen Religionsgemeinschaften, nur diejenigen, welche zum inneren Machtzirkel um Bashar al-Assad gehören, politischen Einfluss besitzen. Auch einige Sunniten gehören zur politischen Elite (USDOS 2.6.2022). Familien und Netzwerke mit Verbindungen zur herrschenden Elite werden in Rechtsangelegenheiten bevorzugt behandelt und sind disproportional oft AlawitInnen, während AlawitInnen ohne solche Verbindungen weniger wahrscheinlich von solchen Vorteilen profitieren. Die bewaffnete Opposition ist hingegen in der überwältigenden Mehrheit arabisch-sunnitisch, und Mitglieder dieser Bevölkerungsgruppe sind wahrscheinlich Diskriminierung durch den Staat ausgesetzt, wenn sie nicht enge Verbindungen zum Regime genießen (FH 9.3.2023).
Daher lässt sich die konfessionalistische Dimension des Regimes besser als ein alawitischdominiertes säkulares Regime beschreiben, das auf Loyalitäten basierend auf regionale, tribale und familiäre Verbindungen sowie auf gesellschaftliche Kohäsion (’asabiya) aufbaut. Diese Kohäsion bezieht sich auf ein Gefühl der Gruppenzugehörigkeit einer beschränkten Zahl an AlawitInnen aus der alawitischen Gemeinschaft, aber nicht auf die Religionsgemeinschaft als Ganzes. Als Folge der konfessionellen Polarisierung, die durch das Regime selbst gefördert wurde, wie auch durch seine islamistischen und jihadistischen Feinde, waren viele AlawitInnen gezwungen, sich aus Angst vor sunnitisch-arabischen Vergeltungsschlägen auf die Seite des Regimes zu stellen (Al-Majalla 15.3.2023).
In einer Diktatur wie in Syrien kommt die Repression überall in den Gebieten unter der Kontrolle des Regimes zur Anwendung - auch in den ländlichen Gebieten mit alawitischer Bevölkerungsmehrheit. AlawitInnen unter Oppositionsverdacht werden im Allgemeinen inhaftiert, schwer unter Druck gesetzt oder getötet. Alawitische OpponentInnen der Assad-Herrschaft [Anm.: seit 1970] waren gelegentlich in einer schlimmeren Lage als sunnitische Oppositionelle, weil sie potenziell eine größere Bedrohung durch ihre Zugehörigkeit zur alawitischen Gemeinschaft darstellen (Al-Majalla 15.3.2023). So werden Berichten zufolge auch weiterhin alawitische oppositionelle AktivistInnen Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter und Mord durch die Regierung. AlawitInnen werden zudem aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen (USDOS 30.3.2023).
Im Zuge des Bürgerkriegs kam es zu verschiedenen konfessionalistischen Exzessen, welche die Möglichkeiten für eine Versöhnung zwischen den Kriegsparteien untergraben. Es gab Berichte über Massaker, konfessionalistische Säuberungsaktionen wie auch Entführungen und sexuelle Gewalt gegen AlawitInnen und ChristInnen und umgekehrt von Angehörigen der alawitischen Glaubensgemeinschaft gegen Mitglieder der sunnitschen Bevölkerungsgruppe (Al-Majalla 15.3.2023).
Religiöse bzw. interkonfessionelle Faktoren spielen auf allen Seiten des Konfliktes eine Rolle, doch fließen auch andere Faktoren im Kampf um die politische Vormachtstellung mit ein. Die Gewalt seitens des Regimes gegen Oppositionsgruppen aber auch Zivilisten weist sowohl konfessionelle Elemente als auch Elemente ohne konfessionellen Bezug auf. Beobachtern zufolge ist die Vorgehensweise der Regierung gegen Oppositionsgruppen, welche die Vormachtstellung der Regimes bedrohen, nicht in erster Linie konfessionell motiviert, doch zeigt sie konfessionelle Auswirkungen (USDOS 10.6.2020). So versucht die syrische Regierung, konfessionell motivierte Unterstützung zu gewinnen, indem sie sich als Beschützerin der religiösen Minderheiten vor Angriffen von gewalttätigen sunnitisch-extremistischen Gruppen darstellt. Manche Rebellengruppen bezeichnen sich in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Muslime und haben Beobachtern zufolge eine fast ausschließlich sunnitische Unterstützerbasis (USDOS 2.6.2022). Der Einsatz von schiitischen Kämpfern durch den Iran, z. B. aus Afghanistan, um gegen die mehrheitlich sunnitische Opposition vorzugehen, verstärkt zusätzlich die konfessionellen Spannungen. Laut Experten stellen die Regierung und ihre Verbündeten Russland und Iran die bewaffnete Opposition und oppositionelle Protestierende sowie humanitäre Hilfsorganisationen auch als konfessionalistisch motiviert dar, indem sie diese mit extremistischen islamistischen Gruppen und Terroristen in Zusammenhang bringen, welche die religiösen Minderheiten sowie die säkulare Regierung eliminieren wollen (USDOS 10.6.2020).
Im Allgemeinen bestehen in Gebieten, die unter Regierungskontrolle stehen, keine Hindernisse für religiöse Minderheiten, insbesondere nicht für Christen. Schätzungen zufolge leben nur mehr 3 % (vor dem Konflikt über 10 %) Christen im Land; viele sind seit Ausbruch des Konflikts geflohen – ihre Rückkehr scheint unwahrscheinlich. In Rebellengebieten, die von sunnitischen Fraktionen kontrolliert werden, ist die Religionsausübung zwar möglich, aber nur sehr eingeschränkt. Zusätzlich erschwert wird die Situation der Christen dadurch, dass sie als regierungsnahe wahrgenommen werden. Sowohl aufseiten der regierungstreuen als auch aufseiten der Opposition sind alle religiösen Gruppen vertreten. Aufgrund ihrer starken Dominanz in der Regierung und im Sicherheitsapparat werden Alawiten aber grundsätzlich als regierungstreu wahrgenommen, während sich viele Sunniten (sie bilden die Mehrheit der Bevölkerung, vor Beginn des Konflikts waren es 72 %) in der (auch bewaffneten) Opposition finden. Aufgrund dieser Zugehörigkeit zur Opposition ist die Mehrheit der politischen Gefangenen und Verschwundenen sunnitisch. Bei der militärischen Rückeroberung der syrischen Armee von Gebieten wie Homs oder OstGhouta wurden sunnitisch dominierte Viertel stark in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch wurden viele Sunniten aus diesen Gebieten vertrieben und faktisch ein demografischer Wandel dieser Gebiete herbeigeführt. Die wirtschaftliche Implosion und die damit verbundene Verarmung weiter Teile der Bevölkerung unterminieren auch die Loyalitäten von als regimenah geltenden Bevölkerungsgruppen, inklusive der Alawiten (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Die Situation von Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheiten ist von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich und hängt insbesondere von den Akteuren ab, die das Gebiet kontrollieren, von den Ansichten und Wahrnehmungen dieser Akteure gegenüber Angehörigen anderer religiöser und ethnischer Minderheitengruppen sowie von den spezifischen Konfliktentwicklungen in diesen Gebieten (UNHCR 3.2021). Im Zuge des Konflikts wurden Mitglieder religiöser Minderheiten wie auch SunnitInnen Ziel von verschiedenen Gruppen, welche von der UNO, den USA und anderen als Terrorgruppen eingestuft worden waren - darunter auch HTS, in Form von Morden, Entführungen, physischen Misshandlungen und Haft. Tausende tote und verschwundene ZivilistInnen waren die Folge (USDOS 2.6.2022).
Die syrische Regierung, kurdische Truppen, von der Türkei unterstützte oppositionelle Milizen und islamistisch-extremistische Gruppen haben alle versucht, die ethnische Zusammensetzung ihrer Gebiete zu verändern. Sie haben ZivilistInnen gezwungen, bei ihrer jeweiligen religiösen oder ethnischen Gemeinschaft Zuflucht zu suchen, was zu demografischen Änderungen durch den Bürgerkrieg beiträgt (FH 9.3.2023).
Die sunnitisch-arabische Zivilbevölkerung traf die Hauptlast der Angriffe der alawitisch-geführten Regierung und ihrer Milizen. Von 2018 bis 2019 vertrieb das Regime 900.000 ZivilistInnen meist sunnitische AraberInnen - aus den zurückeroberten Oppositionsgebieten durch Bombardierungen und Belagerungen in die Provinz Idlib (FH 9.3.2023).
Ende 2019 führte das türkische Militär eine Offensive in Nordost-Syrien durch, um eine Pufferzone zur Zurückdrängung seiner kurdischen Gegner aus dem Gebiet zu schaffen [siehe auch die jeweiligen relevanten Unterkapitel im Kapitel Sicherheitslage] (FH 9.3.2023). Mitglieder religiöser und ethnischer Minderheiten, besonders vertriebene KurdInnen, JesidInnen und ChristInnen, z. B. in der Stadt Afrin, berichteten von Menschenrechtsverletzungen und Marginalisierung (USDOS 2.6.2023). Von der Türkei unterstützte Milizen wurden in Folge beschuldigt, Grundstücke und Häuser zu enteignen (FH 9.3.2023). Sie begingen u. a. auch Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Vergewaltigung und Plünderungen von Privatbesitz - besonders in kurdischen Gebieten - wie auch Vandalenakte gegen jesidische religiöse Stätten. Bezüglich in und um Afrin werden zusätzlich besonders auch Tötungen und willkürliche Verhaftungen von ZivilistInnen genannt. Besonders oft waren JesidInnen Ziel der Taten. Weiterhin werden von pro-türkischen Milizen verschleppte jesidische Frauen vermisst. Berichten zufolge leben in Afrin nur mehr 5.000 JesidInnen, während vor der türkischen Invasion von 2018 25.000 JesidInnen in 22 Dörfern ansässig waren (USDOS 2.6.2022).
Sunnitisch-islamistische und jihadistische Gruppen verfolgen oft religiöse Minderheiten und Muslime, welche sie der Pietätlosigkeit oder der Apostasie beschuldigen (FH 9.3.2023). Verschiedene islamistische Gruppen in Idlib legen Medienberichten zufolge ChristInnen die Anwendung der Scharia auf wie auch die Jizya, eine Steuer für Nicht-Muslime, um sie dazu zu zwingen, ihre Häuser zu verlassen. Die HTS verstärkte demnach den Druck auf ChristInnen in Idlib durch solche Restriktionen wie auch durch eine Erhöhung von Mieten von Häusern und Geschäften, weil die HTS den Immobilienbesitz von ChristInnen als Kriegsbeute ansieht. Die HTS beging zudem weitere Arten von Misshandlungen/Machtmissbrauch (’abuses’) auf Basis der konfessionellen Identität der Betroffenen (USDOS 12.5.2021). Für das Jahr 2021 werden weiterhin solche Restriktionen der HTS gegen ChristInnen in Idlib Stadt berichtet. Es wurde bekannt, dass HTS im Zeitraum Ende 2018 bis Ende 2019 Hunderte Immobilien, darunter mindestens 550 Häuser und Geschäfte in der Provinz Idlib, die vertriebenen ChristInnen gehörten, beschlagnahmt hatte (USDOS 2.6.2022).
Das Schicksal von 8,648 Personen, die vom IS seit 2014 verschleppt wurden, bleibt unbekannt (USDOS 2.6.2022). Nach Schätzung der Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic der Vereinten Nationen tötete oder entführte der sogenannte Islamische Staat (IS) allein mehr als 9.000 JesidInnen. Die UNO bewertete dies als „Kampagne des Genozids“ (USDOS 10.6.2020), wobei der IS ab 2014 ungefähr 6.000 großteils jesidische, aber auch christliche und turkmenische Frauen und Mädchen im Irak verschleppte (USDOS 10.6.2020). Diese wurden nach Syrien gebracht und als Sexsklavinnen verkauft, in nominelle Heiraten mit IS-Kämpfern gezwungen oder dienten als ’Geschenke’ für IS-Kommandanten. Von diesen Frauen und Kindern ist weiterhin der Verbleib von 2.763 Menschen unbekannt (USDOS 2.6.2022).
Trotz der territorialen Niederlage des IS berichteten Medien und NGOs, dass seine extremistische Ideologie weiterhin stark im Land präsent ist (USDOS 12.5.2021). Im Jahr 2022 nahmen gewalttätige Übergriffe durch IS-Überreste zu. Menschenrechtsorganisation berichten, dass diese häufig Zivilisten, Personen, welche der Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften verdächtig sind, und Gruppen, die vom IS als Apostaten gesehen werden, ins Visier nehmen (USDOS 2.6.2022). Siehe dazu auch das Kapitel Sicherheitslage.
Kurdische Milizen werden beschuldigt, arabische und turkmenische Gemeinschaften vertrieben zu haben (FH 9.3.2023). Im Jahr 2021 vertrieben christlichen Anführern zufolge türkische Bombardierungen in Nordost-Syrien ChristInnen und andere Minderheiten aus Tel Tamer und umgebenden Dörfern südöstlich des Gebiets der türkischen Militäroperation ’Friedensquelle’ (siehe auch Kapitel Sicherheitslage) (USDOS 2.6.2022).
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Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation zu Syrien „Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al Assad flieht“ vom 10.12.2024
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Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).
Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ezZour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).
Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch فجر الجرية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).
[…]
2. Die Akteure
Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).
Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).
Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).
Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).
• Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im PostAssad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).
Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).
• National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).
• Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).
• Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).
• Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).
• Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).
• Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).
• Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).
3. Aktuelle Lageentwicklung
Sicherheitslage:
Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien.
Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).
Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).
Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).
Sozio-Ökonomische Lage:
Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).
Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).
Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024). Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).
[…]
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, in aktuelle Länderinformationen und durch Einvernahme des Bf in der mündlichen Verhandlung.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität des Bf ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Bf gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Bf im Asylverfahren.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Bf, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Syrien, seiner Schulausbildung, seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Bf zu zweifeln. Konkrete Feststellungen zu seiner Frau und seinen Kindern konnten mangels Nachweisen nicht getroffen werden.
Die Feststellung, dass sich der Herkunftsort des Bf unter Kontrolle der HTS befindet, ergibt sich aus einem Einblick in die Landeskarte „Live Universal Awareness Map, Map of Syrian Civil War“ (abrufbar unter syria.liveuamap.com).
Die Feststellung, dass der Bf subsidiär schutzberechtigt ist, ergibt sich aus den vorgelegten Verfahrensakten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Bf bei der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung (Einvernahme BFA, AS 59; VHS, S. 3) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Bf ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Zur vorgebrachten Verfolgung durch das syrische Regime:
Die Feststellung, dass der Bf den syrischen Wehrdienst des ehemaligen syrischen Regimes im Zeitraum von 2005 bis 2007 abgeleistet hat, ergibt sich aus seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben im Rahmen des Verfahrens (Einvernahme BFA, AS 63; VHS, S. 19).
Aus den herangezogenen Länderberichten und der medialen Berichterstattung ergibt sich, dass das syrische Regime am 08.12.2024 gestürzt wurde und Staatspräsident Baschar al Assad Syrien Richtung Russland verlassen hat. Oppositionelle Kräfte und kurdische Kämpfer kontrollieren nun Syrien. Da das syrische Assad-Regime die Kontrolle über Syrien verloren hat, ist es diesem faktisch nicht mehr möglich, den Bf zu verfolgen. Aus diesem Grund kann auch dahingestellt bleiben, ob der Bf vom ehemaligen syrischen Regime wegen (einer) Demonstrationsteilnahme jemals inhaftiert worden ist.
Dementsprechend wurden die Erwägungen des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, jüngst durch eine Position zur Rückkehr ersetzt, die ausdrücklich festhält, dass Risiken in Bezug auf die Verfolgung durch die ehemalige Regierung aufgehört haben (vgl. UNHCR-Position zur Rückkehr in die Arabische Republik Syrien vom Dezember 2024).
Das gesamte Vorbringen des Bf in Bezug auf die Befürchtung einer möglichen Verfolgung durch das syrische Regime (wegen einer angeblichen Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen bzw. deren Organisation und der Befürchtung des Einzuges zum Reservedienst des syrischen Regimes) geht daher ins Leere, da das syrische Regime aufgehört hat zu existieren und daher keine Verfolgung durch dieses mehr vorliegen kann.
Der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass der Bf seine oppositionelle politische Gesinnung gegenüber der syrischen Regierung widersprüchlich und daher nicht glaubwürdig und nachvollziehbar dargelegte. [Zum Beispiel verneinte er in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde zunächst die Teilnahme an politischen Demonstrationen, gab aber nachfolgend an, einmal an einer Demonstration teilgenommen (AS 60) zu haben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht steigerte er sein Vorbringen und führte aus, dass seine gesamte Familie (ua. seine Brüder und der Bf) von Anfang an die syrische Revolution unterstützt habe. Er habe auch Menschen zur Teilnahme ermutigt (VHS S. 21). Widersprüchlich dazu führte er in derselben Verhandlung wieder aus, dass er nur an einer Demonstration teilgenommen habe bzw. diese Demonstrationen nur organisiert und nicht teilgenommen habe und sich nicht genau erinnern könne wann (VHS S. 12 f). Der Bf verwickelte sich in Widersprüche beim Versuch ein asylrelevantes Vorbringen zu konstruieren].
Soweit der Bf mit Stellungnahme vom XXXX (OZ 14) erstmalig im Verfahren vorgebracht hat, dass er der HTS oppositionell gegenübergestellt sei, ist darauf hinzuweisen, dass dem Vorbringen des Bf keine maßgebliche verinnerlichte Einstellung gegen die HTS oder sonstige oppositionelle Gruppierungen, die ihn möglicherweise in das Visier der HTS bringen würde, entnommen werden konnte. Der Bf ist damit jedenfalls keine politisch gegen die HTS exponierte Person. Es ist insgesamt nicht davon auszugehen, dass der Bf oder seine Familienmitglieder von der HTS als politischer Gegner wahrgenommen werden. Hinweise, dass der Bf jemals mit der HTS Probleme hatte, kamen nicht hervor. Dem Bf droht daher im Fall einer Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die HTS.
Es finden sich folglich keine ausreichend validen Belege dafür, dass der Bf mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit konkret gefährdet ist, in das Blickfeld einer der Konfliktparteien in Syrien zu geraten und von diesen wegen einer ihm zugeschriebenen oppositionellen Gesinnung persönlich verfolgt zu werden.
Abschließend ist festzuhalten, dass im gesamten Verfahren keine belastbaren Hinweise hervorgekommen sind, die auf eine verfahrensrelevante Verfolgungsgefahr des Bf im Herkunftsstaat aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung hindeuten.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Dabei ist insbesondere auf die mediale Berichterstattung und die Kurzinformationen der Staatendokumentation zu Syrien „Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al Assad flieht“ vom 10.12.2024 hinzuweisen, welche auf öffentlich zugänglichen Medienberichten aufbaut und daher der Entscheidung zugrunde gelegt werden konnte. Im vorliegenden Fall besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Bf, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).
Wie sich aus den obigen Feststellungen und der zugehörigen Beweiswürdigung ergibt, ist es dem Bf im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht gelungen, eine aktuelle, konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr maßgeblicher Intensität und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund eines Konventionsgrundes im Sinne der GFK für den Fall seiner Rückkehr in seine Herkunftsregion in Syrien darzutun bzw. glaubhaft zu machen.
Zur behaupteten Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund einer Rekrutierung zum Reservedienst des syrischen Militärs bzw. einer angeblichen Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen:
Wie festgestellt, geht vom mittlerweile gestürzten syrischen Regime keine Verfolgung mehr aus. Dies entspricht auch der aktuellen Position des UNHCR, die ausdrücklich festhält, dass Risiken in Bezug auf die Verfolgung durch die frühere Regierung aufgehört haben (vgl. UNHCR-Position vom 16.12.2024). Dem Vorbringen bezüglich einer möglichen Verfolgung durch das syrische Regime ist damit die Grundlage entzogen.
Auch eine Verfolgung des Bf durch das syrische Regime, aufgrund seiner Ausreise aus Syrien, seiner Asylantragstellung im Ausland ist aufgrund des Sturzes des syrischen Regimes faktisch nicht mehr möglich.
Die Aufforderung im aktuellen Positionspapier des UNHCR vom Dezember 2024, wonach negative Entscheidungen über die Zuerkennung des internationalen Schutzstatus angesichts der rasch ändernden Dynamiken und sich entwickelnden Situation in Syrien solange ausgesetzt werden sollten, bis sich die Situation stabilisiert hat und verlässliche Informationen über die Sicherheit und Menschenrechtssituation verfügbar sind, ist im vorliegenden Fall insofern nicht maßgeblich, als dem Bf bereits subsidiärer Schutz gewährt wurde und die von ihm vorgebrachte Verfolgungsgefahr durch das syrische Regime beendet ist. Dafür, dass konkret dem Bf durch „andere Risiken“, die – in absehbarer Zeit – „fortbestehen oder deutlicher werden können“ über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hinaus in asylrelevanter Weise betroffen sein könnte, gibt es – wie aus der Beweiswürdigung hervorgeht – keinerlei Anhaltspunkte.
Betreffend die Erreichbarkeit der Herkunftsregion des Bf ist auf folgendes klarstellend hinzuweisen: Der VwGH hat jüngst klargestellt, dass die Frage einer asylrelevanten Verfolgung schon im Zuge des für eine Rückkehr erforderlichen Grenzübertritts nicht außer Acht gelassen werden kann (VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108). Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs hat das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob die Herkunftsregion für den Bf erreichbar ist, ohne dass ihm am Weg dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung iSd § 3 AsylG 2005 droht (zuletzt VfGH 05.10.2023, E 1178/2023 und E 872/2023; 29.06.2023, E3450/2022, VfGH 07.10.2021, E3022/2020; VfGH 08.06.2021, E149/2021).
Da im vorliegenden Fall weder eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung durch das syrische Regime noch durch nichtstaatliche Akteure, wie Kurden, HTS oder FSA, die Teile des syrischen Staatsgebietes kontrollieren, festgestellt werden konnte und somit in Bezug auf das gesamte syrische Staatsgebiet keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd § 3 AsylG 2005 vorliegt, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Heimatregion des Bf für ihn erreichbar ist, ohne dass ihm am Weg dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (vgl. VfGH 29.06.2023, E3450/2022; VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108).
Zudem lässt sich aus der allgemeinen Lage in Syrien konkret für den Bf kein Status eines Asylberechtigten ableiten. Der Bürgerkriegszustand betrifft nicht speziell den Bf, sondern die gesamte syrische Bevölkerung in gleicher Weise und ist daher nicht asylrelevant. Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. etwa VwGH vom 14.03.1995, Zl. 94/20/0798 sowie VwGH vom 17.06.1993, Zl. 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. zB VwGH vom 09.05.1996, Zl. 95/20/0161; vom 30.04.1997, Zl. 95/01/0529, sowie vom 08.09.1999, Zl. 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung – zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen wäre.
Im gegenständlichen Fall sind somit die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine "begründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, nicht gegeben. Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.
Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
Zu B)
Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.