E3751/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak und gegen die Festsetzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt und Beschwerde
1. Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er stammt aus der Stadt Al Fallujah im Gouvernement Al Anbar und stellte am 12. Februar 2016 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 17. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) ab; ferner erteilte es einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.), setzte eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 25. August 2021 als unbegründet ab. Zur Begründung der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak führte es ab Seite 69 wörtlich Folgendes aus:
"Das BVwG verkennt die angespannte allgemeine Sicherheitslage und die schwierige und komplexe politische Situation im Irak nicht, vor allem im Zusammenhang mit schiitischen Milizen, deren teils kriminellen Machenschaften und deren angespanntes Verhältnis zu den amerikanischen Truppen. Dennoch ist hervorzuheben, dass die Sicherheitslage im Großraum Al Anbar, dem Herkunftsgebiet des BF, sich als überwiegend stabil erweist und Anhaltspunkte darauf, dass Zivilpersonen allein durch deren Anwesenheit im besagten Gebiet mit einer hohen Wahrscheinlichkeit willkürlicher Gewalt ausgesetzt wären, nicht festgestellt werden können. Es kommt zwar immer wieder zu Anschlägen und Kampfhandlungen im Rahmen der Bekämpfung des 'IS' im Herkunftsgebiet des BF, jedoch lassen Anzahl und Häufigkeit der Vorfälle keinesfalls auf ein systematisches Versagen der herkunftsstaatlichen Sicherheitseinrichtungen und/oder auf eine unmittelbare und allgegenwärtige Betroffenheit aller in Al Anbar aufhältigen Personen schließen. Vielmehr nehmen die Anzahl der Anschläge stetig ab und konzentriert sich das Vorgehen des 'IS' überwiegend auf den Norden des Irak. Letztlich leben weiterhin Angehörige des BF im Herkunftsstaat und wurde vom BF nicht substantiiert vorgebracht, dass diese existenziellen Problemen im Herkunftsstaat ausgesetzt wären. Darüber hinaus liegen beim BF – wie bereits oben ausgeführt – keine Gründe vor, die ihn als besonders vulnerabel ausweisen.
Letztlich zählt der BF nicht zu einer Risikopersonengruppe (siehe §2 COVID 19-Risikogruppe-Verordnung) sodass er im Falle seiner Rückkehr auch keinem erhöhten Risiko – bei Einhaltung allgemeiner Hygienestandards, Sozialregeln und Schutzmaßnahmen in Form von vermehrtem Händewaschen oder -desinfizieren, Abstand halten und Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes – an COVID 19 zu erkranken bzw einen schwerwiegenden Krankheitsverlauf aufzuweisen, unterliegt.
Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellte (vgl VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor. Wenn auch die Lebensmittelversorgung im Herkunftsstaat des BF problembehaftet ist und die Infrastruktur im Herkunftsgebiet des BF aufgrund der Kämpfe gegen den 'IS' in Mitleidenschaft gezogen wurde, so kann den Länderfeststellungen entnommen werden, dass Wiederaufbaumaßnahmen von Seiten des Staates Irak in Angriff genommen wurden, die Landwirtschaft und Wirtschaft sich wieder erholen, ein staatliches Versorgungsprogramm besteht, die Versorgungslage sich regional unterschiedlich zeigt und insbesondere der Süden des Irak mit entsprechenden Problemen zu kämpfen hat. Letztlich war zu berücksichtigen, dass der BF nicht dargelegt hat, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf dessen individuelle Situation auswirkte, insbesondere inwieweit er durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre."
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
II. Erwägungen
Die Beschwerde ist zulässig.
A. Soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak sowie die Festsetzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundes-verfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivor-bringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-achtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:
2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab-gewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
2.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung insbesondere mit Verweis auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers und die allgemeine Sicherheitslage davon aus, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in die Heimatprovinz Al Anbar (das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative wurde nicht geprüft) keine reale Gefahr einer Verletzung seiner gemäß Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe.
Dabei lässt das Bundesverwaltungsgericht allerdings die sunnitisch-arabische Identität des Beschwerdeführers und den Umstand, dass dieser aus einem Gebiet stammt, das zuvor vom IS besetzt war, unberücksichtigt. Laut UNHCR werden "Personen mit überwiegend sunnitisch-arabischer Identität und zwar vornehmlich […] Männer und Jungen im kampffähigen Alter aus Gebieten, die zuvor von ISIS besetzt waren, […] Berichten zufolge kollektiv verdächtigt, mit ISIS verbunden zu sein oder ISIS zu unterstützen" (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, vom Mai 2019, S 69) und weisen daher ein besonderes Risikoprofil auf (siehe VfGH 7.10.2021, E2372/2021).
2.3. Diesem Umstand kommt auch für die Beurteilung der sicheren Erreichbarkeit der Region maßgebliche Bedeutung zu, in die der Beschwerdeführer zurückkehren soll (vgl VfGH 8.6.2021, E149/2021 ua; siehe auch VwGH 22.2.2021, Ra 2020/18/0516).
2.4. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich deshalb unter Berücksichtigung der Länderinformationen damit auseinandersetzen müssen, ob es dem Beschwerdeführer als sunnitischem Araber aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet überhaupt möglich ist, seinen Herkunftsort Al Fallujah im Gouvernement Al Anbar sicher zu erreichen, und wenn ja, auf welchem Weg. Diesbezügliche Feststellungen lassen sich dem angefochtenen Erkenntnis aber nicht entnehmen.
2.5. Indem es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen hat, sich unter Berücksichtigung der Länderinformationen und des besonderen Risikoprofiles des Beschwerdeführers mit der sicheren Erreichbarkeit der Herkunftsregion auseinanderzusetzen, hat es sein Erkenntnis – soweit es sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daran anknüpfend auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, auf die Zu-lässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht – mit objektiver Willkür belastet und ist insoweit aufzuheben.
B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers zu Recht als nicht glaubhaft erachtet hat, nicht anzustellen.
3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde – soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – abzusehen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak unter Setzung einer 14 tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese insoweit dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art144 Abs3 B VG zur Entscheidung abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z1 und Z4 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.