WII1/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Dem Antrag des Gemeinderates der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald wird stattgegeben. ***** ****** wird seines Mandates als Mitglied des Gemeinderates der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald für verlustig erklärt.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Am 25. Jänner 2015 fanden in Niederösterreich allgemeine Gemeinderatswahlen statt. Dabei erhielt unter anderem ***** ****** ein Mandat im Gemeinderat der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald. In der ersten Sitzung des Gemeinderates am 19. Februar 2015, zu der alle gewählten Bewerber ordnungsgemäß geladen und erschienen waren, führte der Altersvorsitzende gemäß §96 Abs4 NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl 1000-0 (WV), idF LGBl 1000-23, bis zur Annahme der Wahl durch den neu gewählten Bürgermeister den Vorsitz. Entsprechend den Vorgaben des §97 Abs2 NÖ Gemeindeordnung 1973 las er den Bewerbern folgende Gelöbnisformel vor:
"Ich gelobe, die Bundes- und Landesverfassung und alle übrigen Gesetze der Republik Österreich und des Landes Niederösterreich gewissenhaft zu beachten, meine Aufgabe unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, das Amtsgeheimnis zu wahren und das Wohl der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern."
2. Der Altersvorsitzende legte das Gelöbnis vor dem neu gewählten Gemeinderat ab; anschließend leisteten die gewählten Bewerber das Gelöbnis, wobei der gewählte Bewerber ***** ****** dem Gelöbnis die in der Niederschrift zur konstituierenden Sitzung und im Sitzungsprotokoll dieser Sitzung sowie im Aktenvermerk des Altersvorsitzenden dokumentierte Wortfolge "wenn es dem Sinn des Lebens und der Sittlichkeit nicht widerspricht" anschloss.
3. Nach Aufforderung durch den Altersvorsitzenden wiederholte der gewählte Bewerber ***** ****** den Zusatz des Gelöbnisses sinngemäß, woraufhin ihn der Altersvorsitzende mit dem Hinweis, dass ein unter Bedingungen oder mit Zusätzen geleistetes Gelöbnis gemäß §97 Abs4 NÖ Gemeindeordnung 1973 als verweigert gelte, aufforderte, den Sitzungssaal zu verlassen.
4. In der Gemeinderatssitzung vom 19. März 2015 wurden dieser Vorfall und die weitere Vorgehensweise besprochen. Anschließend beschloss der Gemeinderat der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald einstimmig die Antragstellung gemäß Art141 Abs1 litc B VG beim Verfassungsgerichtshof.
5. In dem am 22. April 2015 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Antrag wird insbesondere ausgeführt, dass der gewählte Bewerber ***** ****** nach Beendigung des Wahlverfahrens zum Gemeinderat und Kundmachung des Wahlergebnisses ein Mandat im Gemeinderat der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald bedingt zugewiesen bekommen habe, zumal ein Bewerber gemäß §110 Abs2 litc NÖ Gemeindeordnung 1973 das Mandat wieder verlieren könne, wenn er sich weigere, das Gelöbnis in der vorgesehenen Weise oder überhaupt zu leisten. Im Gegensatz zu allen anderen gewählten Bewerbern habe der gewählte Bewerber ***** ****** sein Gelöbnis nicht in der gesetzlich vorgesehenen Weise, sondern mit der von ihm selbst gewählten Formulierung geleistet. Nach dem eindeutigen Wortlaut des §97 Abs4 NÖ Gemeindeordnung 1973 gelte ein Gelöbnis mit Bedingungen oder mit Zusätzen als verweigert. Der gewählte Bewerber ***** ****** habe ein Gelöbnis unter einer unzulässigen Bedingung abgegeben und die Absicht zum Ausdruck gebracht, nur dann sein Gelöbnis ablegen zu wollen, wenn diese Bedingung erfüllt werde. Selbst wenn die gewählte Formulierung nicht als Bedingung zu sehen wäre, habe er sein Gelöbnis dennoch mit einem Zusatz geleistet. Gemäß §97 Abs4 NÖ Gemeindeordnung 1973 gelte auch ein Gelöbnis mit Zusätzen als verweigert. Eine – zulässige – religiöse Beteuerung stelle die Formulierung nicht dar. Nach §110 Abs2 litc NÖ Gemeindeordnung 1973 sei ein Grund für einen Mandatsverlust unter anderem die Weigerung eines Mitgliedes des Gemeinderates, das Gelöbnis in der vorgesehenen Weise oder überhaupt zu leisten. Angesichts des einstimmigen Beschlusses des Gemeinderates über die Antragstellung gemäß Art141 Abs1 litc B VG werde daher der Antrag gestellt, der Verfassungsgerichtshof möge ***** ****** seines Mandates im Gemeinderat der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald für verlustig erklären.
6. Dieser Antrag des Gemeinderates der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald wurde dem Antragsgegner vom Verfassungsgerichtshof mit dem Bemerken übermittelt, dass es ihm freistehe, binnen drei Wochen eine Gegenäußerung zu erstatten. Von dieser Möglichkeit hat der Antragsgegner nicht Gebrauch gemacht.
II. Rechtslage
Die maßgeblichen Bestimmungen der NÖ Gemeindeordnung 1973 (NÖ GO 1973), LGBl 1000-0 (WV), idF LGBl 1000-23, lauten auszugsweise:
"Konstituierung des Gemeinderates
§96
Erste Sitzung
(1) Die erste Sitzung des Gemeinderates muß spätestens vier Wochen nach dem ungenützten Ablauf der Frist zur Anfechtung der Wahl stattfinden. Wurde die Wahl angefochten, muß die erste Sitzung binnen vier Wochen nach Zustellung der Entscheidung der Landes-Hauptwahlbehörde stattfinden, sofern nicht die Gemeinderatswahl zur Gänze oder teilweise wiederholt werden muß.
(2) Zur ersten Sitzung werden die gewählten Bewerber vom bisherigen Bürgermeister (seinem Stellvertreter) eingeladen. Wenn das nicht möglich ist, erfolgt die Einladung durch das an Jahren älteste Mitglied des neugewählten Gemeinderates (Altersvorsitzender). Im Falle einer Säumnis erfolgt die Einladung durch die Aufsichtsbehörde.
(3) Wurde die Neuwahl des Gemeinderates wegen einer Gebietsänderung durchgeführt, muß der Bürgermeister jener Gemeinde, deren Gemeindewahlbehörde die Neuwahl durchgeführt hat, den Gemeinderat einberufen.
(4) Den Vorsitz in der ersten Sitzung des Gemeinderates führt bis zur Annahme der Wahl durch den neugewählten Bürgermeister der Altersvorsitzende.
(5) In der konstituierenden Gemeinderatssitzung können nur Wahlen, Bestellungen, sowie Entsendungen durchgeführt und die hiefür notwendigen Beschlüsse gefaßt werden.
§97
Gelöbnis
(1) Vor der Wahl des Bürgermeisters muß jeder gewählte Bewerber vor dem Altersvorsitzenden ein Gelöbnis ablegen. Wenn in der ersten Sitzung des Gemeinderates weniger als zwei Drittel aller Mitglieder des Gemeinderates anwesend sind, ist die Angelobung zu Beginn der neuerlichen Sitzung (§98 Abs1) vorzunehmen.
(2) Das Gelöbnis lautet:
'Ich gelobe, die Bundes- und Landesverfassung und alle übrigen Gesetze der Republik Österreich und des Landes Niederösterreich gewissenhaft zu beachten, meine Aufgabe unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen, das Amtsgeheimnis zu wahren und das Wohl der Gemeinde ....... nach bestem Wissen und Gewissen zu fördern.'
(3) Der Altersvorsitzende muß das Gelöbnis als erster vor dem neugewählten Gemeinderat ablegen. Später eintretende Ersatzmitglieder leisten das Gelöbnis dem Bürgermeister.
(4) Ein Gelöbnis unter Bedingungen oder mit Zusätzen gilt als verweigert. Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig. Die Verweigerung des Gelöbnisses muß im Sitzungsprotokoll vermerkt werden. Wird das Gelöbnis verweigert, darf der Betreffende der Sitzung als Teilnehmer nicht mehr beiwohnen.
[…]
§110
Mandatsverzicht und Mandatsverlust als Gemeinderat
[…]
(2) Gründe für einen Mandatsverlust sind:
a) die Weigerung des Mitgliedes des Gemeinderates, das Mandat auszuüben;
b) der Eintritt oder das Bekanntwerden eines Umstandes, der ursprünglich die Wahl des Mitgliedes des Gemeinderates gehindert hätte;
c) die Weigerung, das Gelöbnis in der vorgesehenen Weise oder überhaupt zu leisten.
Als Weigerung gemäß lit.a gilt ein dreimaliges, aufeinanderfolgendes unentschuldigtes Fernbleiben von ordnungsgemäß einberufenen Sitzungen des Gemeinderates. Der Bürgermeister muß das bereits zweimal unentschuldigt ferngebliebene Mitglied des Gemeinderates bei der Einberufung zur dritten Gemeinderatssitzung schriftlich und nachweislich auffordern, seiner Teilnahmepflicht nachzukommen. Wenn das Gemeinderatsmitglied unbekannten Aufenthaltes ist, wird die Aufforderung durch eine Kundmachung an der Amtstafel und in den Amtlichen Nachrichten der NÖ Landesregierung ersetzt.
(3) Tritt einer der im Abs2 vorgesehenen Fälle ein, so hat der Bürgermeister dies dem Gemeinderat bekannt zu geben, der mit einfacher Mehrheit über den im Artikel 141 Abs.1 lit.c B VG vorgesehenen Antrag beschließt. Wird ein solcher Beschluß vom Gemeinderat gefasst, so hat der Bürgermeister den Antrag namens des Gemeinderates beim Verfassungsgerichtshof einzubringen.
[…]"
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Gemäß Art141 Abs1 erster Satz litc B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof – soweit einfachgesetzlich nicht eine Entscheidung durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht vorgesehen ist (vgl. Art141 Abs1 erster Satz litg B VG) – "auf Antrag eines allgemeinen Vertretungskörpers auf Mandatsverlust eines seiner Mitglieder". Ein solcher Antrag kann "auf einen gesetzlich vorgesehenen Grund für den Verlust der Mitgliedschaft in einem allgemeinen Vertretungskörper" gegründet werden (Art141 Abs1 zweiter Satz B VG). Von dieser Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes erfasst ist unter anderem die Entscheidung über den Verlust des Mandates als Mitglied eines Gemeinderates (vgl. zB VfSlg 15.950/2000, 18.497/2008), der in Art117 Abs1 lita B VG als "allgemeiner Vertretungskörper" definiert wird. Eine bestimmte Frist für die Einbringung eines Antrages auf Verlustigerklärung eines Mandates gemäß Art141 Abs1 litc B VG ist nicht vorgesehen; vielmehr kann der Vertretungskörper "jederzeit beim Verfassungsgerichtshof den Antrag stellen, ein Mitglied des Vertretungskörpers aus einem gesetzlich vorgesehenen Grund seines Mandates für verlustig zu erklären" (§71 Abs1 VfGG).
1.2. Gemäß §110 Abs3 NÖ Gemeindeordnung 1973 hat der Bürgermeister dem Gemeinderat bekannt zu geben, wenn einer der in §110 Abs2 leg.cit. angeführten Gründe für den Verlust des Mandates als Mitglied des Gemeinderates einer niederösterreichischen Gemeinde eintritt. Der Gemeinderat hat hierauf mit einfacher Mehrheit über eine Antragstellung gemäß Art141 Abs1 litc B VG zu beschließen. Wird ein solcher Beschluss gefasst, hat der Bürgermeister namens des Gemeinderates einen entsprechenden Antrag beim Verfassungsgerichtshof einzubringen (vgl. auch §71 Abs1 letzter Satz VfGG). Eine Entscheidung durch eine Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht über den Mandatsverlust ist nach der NÖ Gemeindeordnung 1973 dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht vorgelagert.
1.3. Der vorliegende, vom Bürgermeister der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald als Vertreter des Gemeinderates eingebrachte Antrag ist von einem entsprechenden Beschluss des Gemeinderates gedeckt. In der – ordnungsgemäß einberufenen – Gemeinderatssitzung am 19. März 2015 hat der Bürgermeister den Gemeinderat über das Vorliegen eines gesetzlich vorgesehenen Grundes für den Verlust des Mandates des ***** ****** als Mitglied des Gemeinderates informiert. Der Gemeinderat hat in der Folge bei Anwesenheit von mehr als zwei Drittel der Gemeinderatsmitglieder einstimmig dem Antrag des Bürgermeisters, beim Verfassungsgerichtshof die Verlustigerklärung des Mandates des ***** ****** zu beantragen, zugestimmt.
1.4. Der Antrag des Gemeinderates der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald ist sohin zulässig.
2. In der Sache
2.1. Die Gründe für die Verlustigerklärung eines Mandates in einem Verfahren gemäß Art141 Abs1 litc B VG ergeben sich aus den für den jeweiligen Vertretungskörper einschlägigen Bestimmungen, insbesondere aus den Geschäftsordnungsgesetzen der allgemeinen Vertretungskörper und den Wahlordnungen. Hinsichtlich der Verlustigerklärung eines Mandates als Mitglied eines Gemeinderates in einer niederösterreichischen Gemeinde finden sich die maßgeblichen Verlustgründe in §110 Abs2 NÖ Gemeindeordnung 1973. Liegt einer der gesetzlich vorgesehenen, strikt nach ihrem Wortlaut zu interpretierenden (vgl. zu Mandatsverlustverfahren zuletzt VfGH 11.3.2015, WII1/2014; allgemein zur strikten Auslegung nach dem Wortlaut von wahlrechtlichen Bestimmungen vgl. zB VfGH 27.2.2014, WI5/2013; VfSlg 19.246/2010, 19.734/2013) Gründe vor, hat der Verfassungsgerichtshof nach entsprechender Antragstellung unmittelbar den Ausspruch über die Verlustigerklärung des Mandates vorzunehmen.
2.2. Gemäß §110 Abs2 litc NÖ Gemeindeordnung 1973 stellt die Weigerung, das Gelöbnis in der vorgesehenen Weise oder überhaupt zu leisten, einen Grund für einen Mandatsverlust dar.
2.2.1. Die Ablegung des Gelöbnisses ist in der ersten Sitzung des Gemeinderates vorgesehen. Ablauf und Form sind in §97 NÖ Gemeindeordnung 1973 näher geregelt. Dabei sind sowohl eine bestimmte zeitliche Einordnung und Abfolge als auch ein konkreter Wortlaut (vgl. §97 Abs2 NÖ Gemeindeordnung 1973) vorgesehen. Die Schlussfolgerung, dass das jeweils abgelegte Gelöbnis exakt dem vorgegebenen Wortlaut zu entsprechen hat, ergibt sich eindeutig aus der Regelung des §97 Abs4 NÖ Gemeindeordnung 1973, wonach ein "Gelöbnis unter Bedingungen oder mit Zusätzen […] als verweigert" gilt und lediglich die Beifügung einer religiösen Beteuerung zulässig ist. Wird der vorgesehene Wortlaut nicht eingehalten bzw. werden dem Gelöbnis Bedingungen oder Zusätze beigefügt, wurde das Gelöbnis somit nicht in der – in §97 NÖ Gemeindeordnung 1973 – vorgesehenen Weise geleistet (zum Erfordernis, die gesetzlichen Formvorschriften bei der Ablegung des Gelöbnisses genau einzuhalten, vgl. VfSlg 3441/1958).
2.2.2. Wie sich aus dem dem Antrag des Gemeinderates der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald beigefügten Sitzungsprotokoll und der Niederschrift über die Wahlen in der konstituierenden Sitzung sowie aus dem Aktenvermerk des Altersvorsitzenden zweifelsfrei und unwidersprochen ergibt, hat der gewählte Bewerber ***** ****** bei der Angelobung in der ersten Sitzung des Gemeinderates dem Gelöbnis die Wortfolge "wenn es dem Sinn des Lebens und der Sittlichkeit nicht widerspricht" und damit eine unzulässige Bedingung angefügt.
2.3. Damit ist der Grund für den Mandatsverlust gemäß §110 Abs2 litc NÖ Gemeindeordnung 1973 erfüllt.
IV. Ergebnis
1. Dem Antrag des Gemeinderates der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald wird daher stattgegeben. ***** ****** wird seines Mandates als Mitglied des Gemeinderates der Gemeinde St. Leonhard am Hornerwald für verlustig erklärt.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.