JudikaturVfGH

E149/2021 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
08. Juni 2021

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gelangt zur Ansicht, dass die Abwesenheit des Erstbeschwerdeführers im Irak bei der Eroberung Mossuls durch den IS seiner Zugehörigkeit zum Risikoprofil sunnitisch-arabischer Männer im kampffähigen Alter aus einem ehemals oder aktuell vom IS besetzten Gebiet schadet, da bereits mangels zeitlicher Kohärenz eine Unterstützung des IS ausgeschlossen werden könne. In den zitierten UNHCR-Erwägungen wird allerdings ausgeführt, dass die tatsächliche Verbindung zum IS nicht entscheidend sei, sondern in stigmatisierender Weise auf äußerliche Merkmale abgestellt werde. Personen einer bestimmten religiösen und ethnischen Herkunft (sunnitische Araber) sowie eines bestimmten Geschlechts und Alters (Männer im kampffähigen Alter) mit Wohnsitz in einem ehemals vom IS besetzten Gebiet würden kollektiv verdächtigt, den IS zu unterstützen und seien alleine auf Grund dieser Eigenschaften Vergeltungsmaßnahmen (nicht-)staatlicher Akteure ausgesetzt, unabhängig davon, ob ihnen eine tatsächliche Verbindung mit dem IS nachgewiesen werden könne. Eine derartige Gefahr bestehe auch für Frauen und Kinder mit Verbindungen zu tatsächlichen oder vermeintlichen IS-Mitgliedern. Das BVwG hätte sich daher substantiiert mit der Zugehörigkeit des Erstbeschwerdeführers zur Risikogruppe der sunnitischen Araber im kampffähigen Alter aus einem ehemals vom IS besetzten Gebiet sowie der Zugehörigkeit der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen zur ebenfalls bedrohten Personengruppe der Frauen und Kinder mit Verbindungen zu einem tatsächlichen oder vermeintlichen IS-Mitglied und den daraus resultierenden Gefährdungslagen auseinandersetzen müssen und bleibt in der Folge eine plausible Begründung seiner rechtlichen Beurteilung schuldig.

Da das Risikoprofil sunnitisch-arabischer Männer auf die religiöse und ethnische Zugehörigkeit einer Person abstellt, betrifft die fehlende Auseinandersetzung des BVwG im Hinblick auf den Erstbeschwerdeführer die Entscheidung zum Status des Asylberechtigten. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend die übrigen Einschreiterinnen durch, sodass das Erkenntnis auch betreffend die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin zur Gänze aufzuheben ist.

Das BVwG hat Weiters auch hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten Willkür geübt:

Das BVwG stellt zwar fest, dass die Herkunftsregion der Beschwerdeführer über den Flughafen Erbil erreichbar sei, hätte sich jedoch damit auseinandersetzen müssen, ob vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte die Einreise für die Beschwerdeführer in ihre Heimat überhaupt möglich ist.

Im Rahmen der Prüfung des Status der subsidiär Schutzberechtigten beschränkt sich das BVwG in Bezug auf die minderjährige Drittbeschwerdeführerin auf die Erörterung der Bildungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat. Festgehalten wird zudem, dass es den Eltern der Drittbeschwerdeführerin im Übrigen freistehe, ihrer Tochter im Herkunftsland die (Mit-)Bestimmung über ihren Ehemann einzuräumen. Diesen Ausführungen kann nicht entnommen werden, dass sich das BVwG konkret mit der aus den im Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichten hervorgehenden Lebenssituation von Kindern im Irak und der Frage, ob der zum Zeitpunkt der Entscheidung rund neuneinhalb Jahre alten Drittbeschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht, substantiiert auseinandergesetzt hat. Die angefochtene Entscheidung ist daher hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Drittbeschwerdeführerin begründungslos ergangen.

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