JudikaturVfGH

E3690/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
24. Februar 2025
Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten an eine minderjährige Staatsangehörige von Somalia; mangelhafte Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen sowie den Länderberichten zur Situation alleinstehender Frauen und Mädchen

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Mutter der Beschwerdeführerin, eine subsidiär schutzberechtigte somalische Staatsangehörige, stellte am 14. August 2023 als gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Beschwerdeführerin für diese einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu den Fluchtgründen befragt gab die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin an, die Beschwerdeführerin sei beschnitten worden. Die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin fürchte, dass eine weitere ihrer Töchter, die bisher noch nicht beschnitten worden sei, im Falle einer Rückkehr nach Somalia beschnitten werde. Die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin sei ebenfalls beschnitten worden und leide noch heute darunter.

2. Mit Bescheid vom 20. Februar 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte der Beschwerdeführerin den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres (Spruchpunkt III.).

3. In ihrer gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobenen Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass ihr als jungem, alleinstehendem Mädchen ohne familiäre oder Clan Unterstützung die Gefahr drohe, ein Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.

4. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das Fluchtvorbringen als unglaubwürdig und stellt fest, dass keine Anhaltspunkte hervorgekommen seien, die auf eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführerin hindeuteten.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) behauptet wird. Die Beschwerdeführerin bringt vor, ihr drohe im Falle einer Rückkehr nach Somalia die Gefahr, erneut genitalverstümmelt zu werden. Der angefochtenen Entscheidung fehlten Feststellungen zu den entscheidenden Punkten. Die Beschwerdeführerin beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses.

6. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

7. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm ebenfalls von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Derartige Fehler, in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Die Beschwerdeführerin brachte in ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vor, dass sie im Fall einer Rückkehr nach Somalia als alleinstehende Frau geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sei. Ausgehend von den Länderberichten könne es in Somalia zu mehr als bloß einer Genitalverstümmelung kommen. Wie die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin in ihrer niederschriftlichen Einvernahme angegeben habe, gebe es keine Familienangehörigen, die sich bei einer Rückkehr um die Beschwerdeführerin kümmern und sie schützen könnten.

2.2. Trotz dieses Vorbringens setzt sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit der Frage der besonderen Gefährdung von alleinstehenden Frauen durch geschlechtsspezifische Gewalt in Somalia auseinander. Dies steht im Widerspruch zu den Länderberichten, in denen auf die besondere Vulnerabilität alleinstehender Frauen hingewiesen wird (vgl Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia, Version 6 vom 8. Jänner 2024: "Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das i. d. R. enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. […]"). Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt jegliche Feststellungen bzw Auseinandersetzungen zur Frage, ob die Beschwerdeführerin den Schutz von Familienangehörigen in Somalia in Anspruch nehmen und ob sie zu diesen zurückkehren könne, ohne einer Zwangsverheiratung, geschlechtsspezifischer Gewalt oder einer erneuten Genitalverstümmelung ausgesetzt zu sein (vgl VfGH 24.9.2018, E2684/2017, zur besonderen Bedeutung des familiären Schutzes). Das Bundesverwaltungsgericht stellt lediglich fest, dass "der konkrete innerfamiliäre Zusammenhalt […] vor der Ausreise […] derart gegeben [gewesen sei], dass diese [gemeint sind die Beschwerdeführerin und ihre Geschwister] ohne Eltern für ihren Lebensunterhalt aufgekommen […] [seien] und ihr Leben im Wesentlichen selbstständig führten, sodass letztlich im Entscheidungszeitpunkt keine Bedrohungssituation zu erkennen […] [gewesen sei]".

Dabei weicht das Bundesverwaltungsgericht ohne Begründung vom festgestellten Sachverhalt ab. Wie das Bundesverwaltungsgericht selbst festhält, brachten die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführerin vor, in Somalia keine Familie zu haben und ledig zu sein. Die Würdigung des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach ein "innerfamiliärer Zusammenhalt" bestehe und keine Bedrohungssituation vorliege, ist vor diesem Hintergrund nicht schlüssig. Eine nachvollziehbare und nachprüfbare Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführerin in Somalia als "alleinstehend" gilt und hinreichenden Schutz, etwa vor geschlechtsspezifischer Gewalt, finden könne, ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Es wäre die Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes gewesen, zu prüfen, ob die minderjährige Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Somalia, wie von ihrer gesetzlichen Vertreterin bzw von ihr selbst vorgebracht, als "alleinstehend" gilt oder ob sie Schutz durch – bejahendenfalls welche – Familienangehörige erfahren würde.

2.3. Indem das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der – besonders vulnerablen – alleinstehenden somalischen Frauen nicht beachtet und jegliche Ermittlungstätigkeit in diesem entscheidenden Punkt unterlässt, belastet es das angefochtene Erkenntnis mit Willkür.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe auch im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

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