JudikaturOLG Wien

19Bs234/25p – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
24. September 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Baumgartner als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Körber und Dr. Hornich, LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen § 107b Abs 1 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 11. September 2025, GZ **-18.3, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die über A* verhängteUntersuchungshaft wird aus den Haftgründen der Verdunkelungs-, Tatbegehungs- sowie Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit b, lit c und lit d StPO fortgesetzt.

Die Wirksamkeit dieses Beschlusses ist gemäß § 175 Abs 5 StPO nicht durch eine Haftfrist begrenzt.

Text

Begründung:

Mit Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 11. September 2025 wurde A* des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, wobei das Protokoll entgegen § 271 Abs 1 Z 7 StPO nicht den Urteilsspruch mit den in § 260 Abs 1 Z 1 StPO normierten Angaben enthält – siehe ON 18.6 S 25).

Dieses Urteil ist aufgrund der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 18.6 S 26) sowie jener der Staatsanwaltschaft wegen Strafe (ON 18.6 S 26) nicht rechtskräftig.

Nach Urteilsverkündung verhängte die Erstrichterin mit dem angefochtenen Beschluss (ON 18.6 S 26; ON 18.3) - dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechend (ON 18.6 S 22 und S 24) - die Untersuchungshaft über A* aus den Haftgründen der Verdunkelungs-, Tatbegehungs- sowie Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit b, lit c und lit d StPO.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die unmittelbar nach Entscheidungsverkündung erhobene und sogleich mündlich ausgeführte Beschwerde des Angeklagten (ON 18.6 S 26), die nicht berechtigt ist.

Im Falle eines – wenn auch nicht rechtskräftigen – Schuldspruchs in erster Instanz ist die Dringlichkeit des Tatverdachts bei Vorliegen eines schöffen- oder geschworenengerichtlichen Urteils nicht weiter fraglich, da im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren keine Neuerungen vorgebracht werden dürfen ( Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz ,WK StPO § 173 Rz 4; siehe auch RIS-Justiz RS0061112). Fallbezogen liegt jedoch ein vom Angeklagten umfassend bekämpftes Urteil eines Einzelrichters vor, dessen Tatsachengrundlagen im Wege der Berufung wegen Schuld ohne Bindung an das Neuerungsverbot angefochten werden können. Das Beschwerdegericht hat daher – wie auch sonst im Beschwerdeverfahren nach § 89 Abs 2b StPO reformatorisch (RIS-Justiz RS0116421) ohne Bindung an die erstgerichtlichen Sachverhaltsannahmen - die Dringlichkeit des Tatverdachts zu prüfen.

Dabei gilt: Die Untersuchungshaft darf nach § 173 Abs 1 StPO nur dann verhängt oder fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte einer bestimmten Tat dringend verdächtig, sohin mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter ist. Ein solcher Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. Dringender Tatverdacht ist mehr als eine bloße Vermutung und mehr als einfacher oder gewöhnlicher Verdacht ( Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz ,WK StPO § 173 Rz 3). Es genügt das Vorliegen von Indizien, die zwar nicht für sich allein, jedoch in ihrem Zusammenhang eine logisch und empirisch einwandfreie und tragfähige Begründung der Annahme der Täterschaft darstellen ( Mayerhofer/Salzmann , Strafprozessordnung 6§ 173 Rz 4) bzw die Kenntnis von Tatsachen, aus denen nach der Lebenserfahrung auf die Begehung eines Vergehens oder Verbrechens geschlossen werden kann. Ein Schuldbeweis ist nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0107304).

Vor diesem Hintergrund steht der Angeklagte – aufgrund reformatorischer Entscheidung durch das Beschwerdegericht (RIS-Justiz RS0116421, RS0120817) – im dringenden Verdacht, er habe ungefähr von Oktober 2024 bis 4. April 2025 in ** und ** eine längere Zeit hindurch dadurch fortgesetzt Gewalt gegen seine damalige Lebensgefährtin B* ausgeübt, dass er sie

I. wiederholt am Körper verletzte, indem er ihr mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, mit seinen Händen ihr Gesicht nahm und fest zusammendrückte und sie mit seinem Körper wegstieß, wodurch sie Hämatome erlitt;

II. regelmäßig mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, mit seinen Händen ihr Gesicht nahm und fest zusammendrückte und sie mit seinem Körper wegstieß, wodurch die Genannte jedoch keine Verletzungen erlitt;

III. regelmäßig mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er mehrmals sinngemäß drohte, dass er ihr noch mehr antun würde, wenn sie nicht schwanger wäre, dass er ihrer Familie etwas antun werde, dass er Leute kenne sowie am 4. April 2025, indem er zu ihr sagte: „Ich schwöre, ich bring dich um, bevor die Polizei kommt, liegst du schon“.

In subjektiver Hinsicht ist A* dringend verdächtig, er habe es zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden, gegen B* eine längere Zeit hindurch regelmäßig fortgesetzt Gewalt auszuüben. Bei den einzelnen Tathandlungen habe er darüber hinaus die Genannte am Körper verletzen sowie misshandeln wollen, wobei es für ihn erkennbar gewesen sei, dass dadurch Verletzungen entstehen können. Außerdem habe er seine ehemalige Lebensgefährtin gefährlich mit zumindest einer Körperverletzung bedrohen wollen, wobei es ihm gleichzeitig darauf angekommen sei, diese in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Der Angeklagte ist somit dringend verdächtig, das Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB begangen zu haben.

Dieser dringende Verdacht stützt sich in objektiver Hinsicht auf die polizeilichen Erhebungen (ON 2), die den Angeklagten im Sinne des dringenden Tatverdachts belastenden Angaben der Zeugin B* (ON 2.7, ON 9.1 S 2 ff und ON 18.6 S 17 ff) sowie die diese bekräftigenden Ton- und Videoaufnahmen (ON 5.2 und ON 5.3). In dem Video räumt der Angeklagte dezidiert ein, B* „ein paar ins Gesicht gehaut“ zu haben (ON 5.3). Die Tonaufzeichnung untermauert die von der Zeugin geschilderte Tatversion vom 4. April 2025; neben Beschimpfungen sind darin deutlich Schläge zu vernehmen (ON 5.2). Aus dem Akteninhalt ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Anschuldigungen gegen den Beschwerdeführer zu Unrecht erhoben wurden.

Die qualifizierte Verdachtslage im Hinblick auf die subjektive Tatseite ist aus dem beschriebenen objektiven Tathergang abzuleiten (vgl RIS-Justiz RS0098671, RS0116882).

All dem vermag der Angeklagte nur seine zunächst völlig (ON 2.5 [ident mit ON 2.6]), über Vorhalt der Ton- und Videoaufnahmen letztlich bis auf den Vorfall vom 4. April 2025 großteils leugnende Verantwortung (ON 18.6 S 1 ff) entgegenzuhalten. Angesichts der erheblichen Belastungen und seiner offenkundig hohen Gewaltbereitschaft, die aus dem einschlägig massiv getrübten Vorleben ersichtlich ist, gelingt es dem Beschwerdeführer damit aber nicht, den dringenden Tatverdacht zu entkräften.

Ausgehend von dieser qualifizierten Verdachtslage sind die Haftgründe der Verdunkelungs-, Tatbegehungs- sowie Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit b, lit c und lit d StPO zu bejahen.

Verdunkelungsgefahr ist dann gegeben, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, der Beschuldigte werde auf freiem Fuß versuchen, Zeugen, Sachverständige oder Mitbeschuldigte zu beeinflussen, die Spuren der Tat zu beseitigen oder sonst die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren (§ 173 Abs 2 Z 2 StPO). Dabei müssen konkrete Anhaltspunkte darauf hinweisen, dass ein Versuch, die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen, unternommen würde ( Mayerhofer/Salzmann, StPO 6 § 173 E 93). Unter Berücksichtigung des Kontaktversuchs des Angeklagten mit der Cousine des Tatopfers, bei dem er an diese – wie er selbst zugestand (ON 18.6 S 22) - appellierte, „B* ins Gewissen zu reden“ (siehe ON 18.5), besteht Verdunkelungsgefahr dahingehend, dass er erneut Zeugen zu beeinflussen und sonst die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren suchen würde. Dass die Belastungszeugin bereits vernommen wurde und ein nicht rechtskräftiges erstinstanzliches Urteil vorliegt, vermag daran nichts zu ändern, zumal dessen Tatsachengrundlagen aufgrund der Schuldberufung ohne Bindung an das Neuerungsverbot umfassend zu überprüfen sind und der Beschwerdeführer Beweisanträge auf Zeugenvernehmungen stellte, denen das Erstgericht aber nicht folgte (vgl dazu die Ansicht von Nimmervoll , Haftrecht³ Rz 526 ff, wonach Verdunkelungsgefahr aufgrund der Neuerungserlaubnis im Einzelrichterverfahren auch nach Fällung des Urteils erster Instanz sowie nach Vernehmung der Belastungszeugen möglich ist, weil diese ihre Aussagen ändern können).

Weiters ist der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr in Ausformung des § 173 Abs 2 Z 3 lit b und lit c StPO erfüllt. Die Variante des § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO verlangt neben einer Anlasstat und einer gegen dasselbe Rechtsgut gerichteten strafbaren Handlung mit nicht bloß leichten Folgen als Prognosetat als Zusatzerfordernis, dass der Beschuldigte entweder wegen einer solchen strafbaren Handlung bereits verurteilt worden ist, oder wegen wiederholter oder fortgesetzter strafbarer Handlungen im dringenden Tatverdacht steht ( Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz ,WK StPO § 173 Rz 45). Der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit c StPO erfordert eine Anlasstat und eine strafbare Handlung mit einer Strafdrohung von mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe als Prognosetat, die ebenso wie die ihm angelastete strafbare Handlung gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist, wie die Straftaten, deretwegen er bereits zwei Mal verurteilt worden ist.

Die Strafregisterauskunft des A* weist (unter Berücksichtigung der §§ 31 Abs 1, 40 StGB) neun einschlägige, jeweils gegen das Rechtsgut der körperlichen Integrität gerichtete Vorstrafen auf. Soweit hier relevant, musste er seit 2010 bereits acht Mal wegen (auch schwerer) Körperverletzung sowie Raufhandels abgestraft werden; es liegen beim Angeklagten die Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB vor. Dass ihn diese Verurteilungen ebenso wenig wie seine bisherigen mehrmaligen Hafterfahrungen zu einem rechtstreuen Wandel bewegen konnten, sondern er sich stets zu neuerlicher einschlägiger Delinquenz verstand, zuletzt (im Sinne eines dringenden Verdachts) im raschen Rückfall nach seiner Haftentlassung am 29. Mai 2024, verdeutlicht die erhebliche Rückfallneigung des Rechtsmittelwerbers. Unter Berücksichtigung dieses einschlägig massiv getrübten Vorlebens besteht die nahe Gefahr, der Angeklagte werde ungeachtet des gegen ihn wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat geführten Strafverfahrens auf freiem Fuß neuerlich eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen bzw mit einer Strafdrohung von mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm nun angelastete strafbare Handlung, deretwegen er bereits zwei Mal verurteilt worden ist.

Schließlich liegt auch Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit d StPO vor, zumal der Angeklagte bereits in der Vergangenheit gegenüber B* getätigte Drohungen mit Körperverletzungen in die Tat umsetzte. Davon ausgehend besteht die begründete Befürchtung, er werde die ihm zur Last gelegten Drohungen auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens wahrmachen.

Aufgrund der aus dem einschlägig massiv getrübten Vorleben zu erschließenden Beharrlichkeit des A* und der daraus ableitbaren geringen Hemmschwelle vor der Begehung von Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit erweisen sich die Haftgründe als so gewichtig, dass sie durch gelindere Mittel des § 173 Abs 5 StPO nicht substituiert werden können. Angesichts deren Intensität und der erheblichen kriminellen Energie des Beschwerdeführers, der sich bislang von sämtlichen staatlichen Reaktionen auf sein kriminelles Verhalten unbeeindruckt zeigte, ist die Erteilung von Weisungen samt Ablegung von Gelöbnissen und dergleichen nicht geeignet, die Haftzwecke auch nur annähernd zu substituieren.

Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft von nicht einmal zwei Wochen steht aufgrund der in erster Instanz – wenn auch nicht rechtskräftig – erfolgten Verurteilung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe zur Bedeutung der dem Rechtsmittelwerber angelasteten strafbaren Handlung nicht außer Verhältnis.

Der unbegründeten Beschwerde ist daher ein Erfolg zu versagen.

Ein Ausspruch über die Haftfrist hat mit Blick auf § 175 Abs 5 erster Halbsatz StPO zu entfallen.