23Bs265/25a – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Aichinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Pasching und den Richter Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des A*in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 1. September 2025, GZ **-105, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Mit rechtskräftigem Urteil vom 25. November 2024 (ON 26.5) wurde die strafrechtliche Unterbringung des am ** geborenen österreichischen Staatsbürgers A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet, weil dieser am 25. Oktober 2023 in ** unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung und eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), nämlich einer paranoiden Schizophrenie, Dr. B* als behandelnden Arzt und somit eine Person, die in einem gesetzlich geregelten Gesundheitsbereich tätig ist, während oder wegen der Ausübung seiner Tätigkeit am Körper zu verletzen versucht hat, indem er diesem unangekündigt einen Faustschlag versetzte, wodurch der Genannte Schmerzen erlitt, sohin eine mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohte Tat begangen hat, die ihm, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als Vergehen der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 und Abs 3 Z 2 StGB zuzurechnen gewesen wäre, wobei nach Person und Zustand des A* sowie nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten war, dass er sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung weitere mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, und zwar insbesondere (aus dem Gesamtzusammenhang erkennbar: an sich) schwere Körperverletzungen (sohin gegen Leib und Leben gerichtete mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlungen), begehen werde.
In einem wurde vom Vollzug der strafrechtlichen Unterbringung gemäß § 434g Abs 5 StPO iVm § 157a Abs 1 StVG unter Festsetzung einer fünfjährigen Probezeit (§ 157a Abs 4 StVG) vorläufig unter folgenden Bedingungen (§ 157c StVG) abgesehen, nämlich
„- Wohnungsnahme bei einer Einrichtung zum betreuten Wohnen wie C* GmbH oder gleichwertig;
- Regelmäßige psychiatrische Behandlung bei D*, **, oder in der E*;
- Fortführung der psychopharmakologischen Therapie, möglichst als Depotmedikation und Psychotherapie;
- Einmonatliche Durchführung von Blutspiegelkontrollen der Psychopharmaka zur Sicherstellung der Einnahme;
- Beschäftigung im Beschäftigungsprojekt der C* GmbH oder gleichwertig;
- Einmonatliche Berichte darüber an das Gericht“.
Am 24. Jänner 2025 (ON 35.1) teilte die Klinik F* sodann mit, dass der Betroffene am 20. Jänner 2025 mit „einem psychotischen Zustandsbild bei Medikamentenkarenz mit fehlender Krankheitseinsicht“ stationär aufgenommen worden sei. Die Erwachsenenvertreterin und das Ambulatorium G* hätten demnach mitgeteilt, dass der Betroffene „keine der vorgeschriebenen Weisungen eingehalten“ und „nach der Entlassung des letzten stationären Aufenthalts am 24.11.2024 keine Medikamente mehr eingenommen“ habe.
Am 4. Februar 2025 wurde A* sodann wieder in einem nicht psychotischen, freundlichen Zustand mit erhaltener Impulskontrolle „in die Wohnung seines Vaters entlassen“ (ON 42) und – über Anregung der Klinik F* (ON 40) - mit Beschluss vom 14. Februar 2025 (ON 43) Bewährungshilfe angeordnet.
Nachdem sich der Zustand des Betroffenen (in Folge regelmäßiger Verabreichung einer Depotmedikation) durchwegs stabilisiert hatte und er bei H* (idF H*) Aufenthalt nahm (vgl ON 54.2, ON 56.1, ON 59.3, ON 69.2, ON 71.2, ON 77.1, ON 78.1), teilte die E* am 11. Juni 2025 und 14. Juli 2025 mit, dass die „medikamentöse Compliance […] aktuell gerade noch erhalten“ erscheine, der Betroffene der Depotmedikation aber „sehr ablehnend“ gegenüberstehe (ON 80.2, ON 84.1).
Am 12. August 2025 übermittelte sodann H* einen „Akutbericht“ (ON 94.1), demzufolge der Betroffene „unangemeldet das Haus verlassen“ und bereits am Vorabend psychotisch gewirkt habe. Laut weiteren Berichten des angeführten Vereins vom 13. und 14. August 2025 (ON 95.1, ON 96.1) sei der Betroffene dann wieder in die Einrichtung zurückgekehrt, wobei er im Rahmen einer beabsichtigten Spitalsaufnahme „offen von Suizidgedanken und psychotischen Inhalten“ erzählt habe, in weiterer Folge positiv auf Opiate getestet worden sei und letztlich die Einrichtung wieder verlassen habe. Er zeige demnach keine Kooperationsbereitschaft und entziehe sich dem Betreuungssetting zur Gänze. Laut weiterer Mitteilung von H* vom 18. August 2025 (ON 97.2) sei dem Betroffenen am 15. August 2025 eine „Depotspritze“ verabreicht worden, er befinde sich demnach „auf dem Weg der Besserung“ und wirke „ruhiger und auch kooperativer“.
Mit Eingabe vom 28. August 2025 (ON 103.2) ersuchte die E* sodann „aufgrund der fehlenden Therapieadhärenz, der unerlaubten Einnahme von psychotropen Substanzen, des Nicht-Verstehen-Wollen bzw. -Könnens der Bedeutung von Weisungen sowie des Nichteinhaltens der vorgegebenen Termine und der deutlichen Verschlechterung der Psychopathologie“ um eine Krisenintervention. Dies unter Hinweis darauf, dass ein am 13. August 2025 durchgeführter Drogenharntest ein „Opiat positives Ergebnis“ gezeigt und der Betroffene, der seit 15. August 2025 wieder eine Depotmedikation erhalten, die letzten beiden Kontrolltermine am 25. und 27. August 2025 nicht eingehalten habe.
Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 105) ordnete der Vorsitzende des Schöffengerichts daraufhin gemäß § 157k Abs 1 Z 2 StVG die Festnahme des A* an. Dies mit der wesentlichen Begründung, der Genannte entziehe sich der behandelnden Einrichtung, es fehle „derzeit offensichtlich neuerlich an der sozialen Kontrolle, welche ihn zur Behandlung aber auch zur Drogenabstinenz“ anhalte, weshalb (auch unter Berücksichtigung des einweisungsrelevanten Gutachtens) konkret zu befürchten sei, er werde auf freiem Fuß belassen „zeitnahe eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen – etwa ähnlich der seinerzeitigen Anlasstat, also Ag[g]ressionshandlungen (wie Faustschläge ins Gesicht, welche auch schwere Verletzungen zur Folge haben können) gegen andere ohne Anlass – begehen“.
Die angeführte Anordnung wurde am 2. September 2025 um 10.00 Uhr vollzogen (ON 109.2) und der Betroffene am selben Tag um 13.30 Uhr in die Justizanstalt Wien-Josefstadt eingeliefert (ON 110.2).
Gegen den Beschluss auf Anordnung der Festnahme (ON 105) richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Betroffenen (ON 116), in welcher er vorbringt, „keine Opiate […] eingenommen“ zu haben und „ungerecht eingesperrt“ zu sein.
Rechtliche Beurteilung
Dieser kommt keine Berechtigung zu.
Voranzustellen ist, dass sich die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer – wie vorliegendenfalls – bereits vollzogenen Maßnahme durch das Beschwerdegericht auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Erstgericht zu beziehen hat („ex-ante“ Perspektive; vgl Tipold, WK-StPO § 89 Rz 8/1 mwN). Über die Zulässigkeit der (weiteren) Anhaltung hat vorliegendenfalls hingegen über Antrag des Betroffenen der Vorsitzende des erkennenden Gerichts zu entscheiden (§ 157k Abs 2 letzter Halbsatz StVG; Pieber,WK² StVG § 157k Rz 7).
Gemäß § 157k Abs 1 Z 2 StVG kann der Betroffene auf Anordnung des erkennenden Gerichts festgenommen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen für eine Krisenintervention (§ 157g StVG) oder für einen Widerruf des vorläufigen Absehens vom Vollzug (§ 157f StVG) vorliegen und die Begehung mit gerichtlicher Strafe bedrohter Handlungen mit schweren Folgen unmittelbar bevorstehe.
Das Gericht hat das vorläufige Absehen vom Vollzug zu widerrufen und die strafrechtliche Unterbringung vollziehen zu lassen, wenn die festgesetzten Bedingungen in erheblichem Maße nicht eingehalten werden oder sich – insbesondere weil sich der Gesundheitszustand des Betroffenen verschlechtert hat – als unzureichend erweisen und auch durch eine Änderung und Ergänzung der Bedingungen (§ 157b Abs 3 StVG) nicht erreicht werden kann, dass außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zeitraums der Gefahr, derentwegen die strafrechtliche Unterbringung angeordnet wurde, hinreichend entgegengewirkt wird (§ 157f StVG). Anstelle eines Widerrufs hat das Gericht das vorläufige Absehen vom Vollzug (§ 157a StVG) für eine Dauer von höchstens drei Monaten auszusetzen und die strafrechtliche Unterbringung vorübergehend in Vollzug zu setzen, wenn angenommen werden kann, dass durch die Behandlung und Betreuung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum, in einer öffentlichen Krankenanstalt für Psychiatrie oder in einer öffentlichen Krankenanstalt mit einer Abteilung für Psychiatrie während dieser Zeit der Zustand des Betroffenen so weit gebessert werden kann, dass eine Fortsetzung des vorläufigen Absehens vom Vollzug wieder möglich ist (§ 157g Abs 1 StVG).
Fallbezogen war zum Zeitpunkt der erstgerichtlichen Beschlussfassung aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Krisenintervention (§ 157g StVG) oder einen Widerruf des vorläufigen Absehens vom Vollzug (§ 157f StVG) vorliegen. Denn ausgehend von den Ausführungen im mit 28. August 2025 datierten Kurzbrief der E* (ON 103.2) nahm der Betroffene zuletzt nicht nur Kontrolltermine nicht wahr, sondern auch unerlaubte psychotrope Substanzen ein. Bereits vor Verabreichung der letzten Depotmedikation hatte er der betreuenden Einrichtung gegenüber zudem keine Kooperationsbereitschaft gezeigt und sich dem „Betreuungssetting zur Gänze“ entzogen (ON 96.1). Somit hat er aber insgesamt die festgesetzten Bedingungen in erheblichem Maße nicht eingehalten. Aufgrund der überdies deutlichen Verschlechterung der Psychopathologie, somit des Gesundheitszustandes des Betroffenen, erweisen sich die festgesetzten Bedingungen zudem als unzureichend, wobei zum maßgeblichen Zeitpunkt ausgehend von den (im angeführten Kurzbrief der E* geschilderten) Gesamtumständen auch durch eine Änderung und Ergänzung der Bedingungen nicht hätte erreicht werden können, dass außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums der Gefahr, derentwegen die strafrechtliche Unterbringung angeordnet wurde, hinreichend entgegengewirkt wird.
Laut dem nachvollziehbaren einweisungsrelevanten psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Univ. Doz. Dr. I* bestehe beim Betroffenen eine schwere und nachhaltige psychische Störung in Form einer paranoiden Schizophrenie, wobei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten sei, dass dieser in absehbarer Zeit unter dem Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen, insbesondere schwere Körperverletzungen, begehen werde (ON 7.2 S 11). Dies insbesondere dann, „wenn er die Medikation nicht hat“ (ON 26.4 S 5), wobei der Betroffene „ein geeignetes Setting mit Menschen“ benötige, „die seine Medikation überprüfen“ (ON 26.4 S 6). Davon ausgehend und unter Berücksichtigung der Anlasstat (Faustschlag ins Gesicht) war aber insbesondere vor dem Hintergrund der zuletzt fehlenden Therapieadhärenz zum Zeitpunkt der erstgerichtlichen Beschlussfassung begründet anzunehmen, dass die Begehung mit gerichtlicher Strafe bedrohter Handlungen mit schweren Folgen, nämlich an sich schwerer Körperverletzungen und auch absichtlich schwerer Körperverletzungen, unmittelbar bevorstehe.
Wenn der Betroffene alldem (alleine) entgegenhält, „keine Opiate […] eingenommen“ zu haben, ist er einerseits auf das Ergebnis des Drogenharntests vom 13. August 2025 zu verweisen (ON 103.2), andererseits aber auch darauf, dass - auch wenn sein Vorbringen zutreffen würde - dies nichts an seiner zuletzt fehlenden Therapieadhärenz und der Verschlechterung der Psychopathologie ändern würde.
Da somit zum Zeitpunkt der erstgerichtlichen Beschlussfassung die Voraussetzungen des § 157k Abs 1 Z 2 StVG vorlagen, war der gegen den der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beschluss gerichteten Beschwerde ein Erfolg zu versagen.