18Bs182/25h – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Frohner als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Lehr und Mag. Primer als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A*wegen vorläufigen Absehens vom Strafvollzug wegen Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbotes nach § 133a StVG über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 3. Juni 2025, GZ **-11, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehobenund zum Hälftestichtag am 30. Juli 2025 vom weiteren Vollzug der über A* verhängten Freiheitsstrafen gemäß § 133a Abs 1 StVG wegen Aufenthaltsverbotes vorläufig abgesehen .
Text
Begründung:
Der am ** geborene ungarische Staatsangehörige A* verbüßt in der Justizanstalt ** eine über ihn mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. Dezember 2024 (Rechtskraft), AZ **, wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 Abs 1 erster Fall StGB und dreier weiterer Vergehen verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten.
Die zeitlichen Voraussetzungen einer bedingten Entlassung gemäß § 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 1 StVG werden ab 30. Juli 2025 vorliegen, jene nach 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 2 StVG ab 30. Oktober 2025.
Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Vollzugsgericht – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Krems an der Donau (ON 1.3) - den Antrag des Strafgefangenen auf vorläufiges Absehen vom Strafvollzug gemäß § 133a StVG (ON 2) zum Hälftestichtag aus generalpräventiven Erwägungen ab (ON 11).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene, jedoch unausgeführt gebliebene Beschwerde des A* (ON 12), der Berechtigung zukommt.
Hat ein Verurteilter die Hälfte der Strafzeit, mindestens aber drei Monate verbüßt, so ist nach § 133a Abs 1 StVG vom weiteren Vollzug der Strafe vorläufig abzusehen, wenn gegen ihn ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot besteht (Z 1), er sich bereit erklärt, seiner Ausreiseverpflichtung in den Herkunftsstaat unverzüglich nachzukommen und zu erwarten ist, dass er dieser Verpflichtung auch nachkommen wird (Z 2) und der Ausreise keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen (Z 3). Hat ein Verurteilter die Hälfte, aber noch nicht zwei Drittel einer Freiheitsstrafe verbüßt, so ist trotz Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 solange nicht vorläufig vom weiteren Vollzug der Strafe abzusehen, als es im Hinblick auf die Schwere der Tat ausnahmsweise des weiteren Vollzugs bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (Abs 2 leg.cit).
In Bezug auf den Strafgefangenen besteht ein auf zehn Jahre befristetes rechtskräftiges Aufenthaltsverbot verbot (ON 7), er erklärte sich auch bereit, seiner Ausreiseverpflichtung umgehend nachzukommen (ON 2); Anhaltspunkte dafür, dass er dieser Verpflichtung nicht nachkommen werde, liegen nicht vor. Auch stehen der Ausreise des Beschwerdeführers nach dem Akteninhalt weder tatsächliche noch rechtliche Hindernisse entgegen.
Der Anlassverurteilung liegt zugrunde, dass A* in **
l./ fremde bewegliche Sachen gewerbsmäßig nachstehenden Verfügungsberechtigten mit dem Vorsatz sich oder ritte durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern wegzunehmen versucht (§ 15 StGB)
1./ am 30. September 2024 Verfügungsberechtigten der Firma B* 9 Flaschen Whiskey im Gesamtwert von EUR 180,41, wobei es nur deshalb beim Versuch (§ 15 StGB) blieb, weil er von dem Mitarbeiter C* beobachtet und angehalten werden konnte;
2./ am 15. Oktober 2024 dem D* dessen E-Bike im Wert von ca. EUR 3.500,- indem er an dem im Vorgarten abgestellten E-Bike hantierte, wobei es nur deshalb beim Versuch (§ 15 StGB) blieb, weil er von D* dabei beobachtet werden konnte und dieser ihn darauf ansprach;
3./ am 30. Oktober 2024 Verfügungsberechtigten der Firma E* sechs Flaschen Wodka im Gesamtwert von EUR 227,40, indem er diese in seinem Rucksack versteckte und ohne zu bezahlenden Kassabereich passierte, wobei es nur deshalb beim Versuch (§ 15 StGB) blieb, weil er vom Mitarbeiter F* beobachtet und angehalten werden konnte;
II./ am 30. Oktober 2024 fremde Sachen beschädigt und zwar das Türblatt der Türe der Aufenthaltszelle im PAZ **,indem er so fest gegen die Türe schlug, dass das untere Scharnier abriss;
III./ am 15. Oktober 2024 einen anderen am Körperverletzt, indem er D*, welcher ihn auf die unter Punkt I./2./angeführte Handlung ansprach, viermal in die Arme biss, wodurch dieser oberflächliche Bisswunden erlitt;
IV./ am 15. Oktober 2024 D* und G* gefährlich mit der Zufügung zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, indemer sich auf seiner Flucht im Anschluss an die unter Punkt I./2./ angeführte Handlung umdrehte und zu beiden sagte „ I will kill you “;
Das vom Erstgericht angenommene Versagungskriterium generalpräventiver Bedenken kann fallbezogen nicht begründet werden:
Das zu prüfende Kriterium der Tatschwere ist aufgrund des Ausnahmecharakters restriktiv auszulegen (vgl Birklbauer, SbgK § 46 Rz 73) und stellt auf den sozialen Störwert (die kriminelle Bedeutung [RIS-Justiz RS0091863]) einer Tat ab, der durch Handlungs- und Erfolgsunwert determiniert wird. Die Verweigerung des vorläufigen Absehens vom Strafvollzug wegen Einreiseverbots oder Aufenthaltsverbots aus generalpräventiven, sich aus der Schwere der Taten ergebenden Gründen setzt gewichtige Umstände voraus, welche sich aus Sicht der Allgemeinheit von den regelmäßig vorkommenden Begleiterscheinungen strafbaren Verhaltens auffallend abheben. Dabei ist nicht nur der bloße Abschreckungseffekt bei potentiellen Tätern, sondern (im Sinne positiver Generalprävention) auch das Interesse an der Festigung genereller Normtreue in der Bevölkerung zu beachten. Diese Aspekte generalpräventiver Natur müssen aus der Schwere der Taten ableitbar sein ( Jerabek/Ropper, WK² StGB § 46 Rz 16; Pieber, WK² StVG § 133a Rz 18). Bezugspunkt der generalpräventiven Erforderlichkeitsprüfung ist somit nicht nur die auf die Anlasstaten angewendete rechtliche Kategorie, sondern es sind auch die konkreten tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen.
Mit Normierung eines Strafrahmens der dem Strafvollzug zugrunde liegenden strafsatzbestimmenden Verurteilung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe (§ 130 Abs 1 StGB) bringt der Gesetzgeber zunächst eine Vorbewertung zum Ausdruck, wonach das Vergehen des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs 1 StGB für sich genommen keinen auffallend hohen sozialen Störwert aufweist. Dies gilt umso mehr für die ihm zur Last liegenden, mit geringerer Strafdrohung versehenen, Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB. Hinzu kommt, dass in casu zwar drei (allerdings im Versuchsstadium verbliebene) Diebstahls-Tatangriffe vorliegen, die (beabsichtigte) Schadenshöhe - bis auf den versuchten Diebstahl des E-Bike - sehr überschaubar war. Begleitumstände, die diese Taten aus Sicht der Allgemeinheit von regelmäßig vorkommenden einfachen (Laden)Diebstählen deutlich und auffallend abheben und nach den oben dargelegten Kriterien insgesamt eine Schwere der Tat begründen würden, die im Sinne des § 133a StVG aus generalpräventiven Gründen ausnahmsweise den Vollzug über die Hälfte der Strafzeit hinaus notwendig erscheinen lassen, um potenzielle Nachahmungstäter aus dem Verkehrskreis des Verurteilten von der Begehung gleichartiger strafbarer Handlungen abzuhalten und die generelle Normtreue zu festigen, vermag der Beschwerdesenat nicht zu erkennen. Spezialpräventive Gesichtspunkte haben außer Betracht zu bleiben.
Da die Formalvoraussetzungen des § 133a Abs 1 StVG vorliegen und die der Anlassverurteilung zugrundeliegenden Taten den in Abs 2 leg cit genannten Schweregrad, der den vorläufigen weiteren Vollzug unumgänglich erscheinen lässt, nicht erreichen, war der angefochtene Beschluss aufzuheben und vom weiteren Vollzug der über A* verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 133a StVG wegen Aufenthaltsverbotes nach Verbüßung der Hälfte der Strafzeit vorläufig abzusehen.