11R95/25h – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien erkennt als Berufungs- gericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Primus als Vorsitzende sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Mag. Fidler und den Richter des Oberlandesgerichts Dr. Futterknecht, LL.M., BSc, in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, Angestellte, **, vertreten durch die Gottgeisl Leinsmer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei B* Limited, **, Malta, vertreten durch die CERHA HEMPEL Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 19.200 s.A., über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 29. April 2025, GZ ** 13, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.220,42 (darin EUR 370,07 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte hat ihren Sitz in Malta. Sie bot auf der von ihr betriebenen Homepage ** in Österreich Online-Glücksspiele an, obwohl sie über keine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz verfügte.
Die in Österreich wohnhafte Klägerin führte (als Verbraucherin) bei der Beklagten ein Spielerkonto; im Zeitraum vom 3.12.2022 bis 9.3.2023 spielte die Klägerin auf der Homepage der Beklagten Online-Glücksspiele und erlitt dabei einen Verlust von saldiert EUR 19.200.
Der Klägerin begehrte die Rückzahlung ihrer Spielverluste. Dazu brachte sie im Wesentlichen vor, die ihren Verlusten zugrunde liegenden Glücksspiele seien – mangels Konzession der Beklagten - verboten gewesen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung dieses Begehrens. Dazu brachte sie - soweit für das Berufungsverfahren bedeutsam - vor, das österreichische Glücksspielrecht verstoße in seinen für dieses Verfahren maßgeblichen Bestimmungen gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht. Die den Verlusten der Klägerin zugrunde liegenden Glücksspiele seien daher erlaubt gewesen.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Es traf die auf den Seiten 3 und 4 der Urteilsausfertigung wiedergegebenen Feststellungen. Auf Basis des - eingangs gekürzt wiedergegebenen - Sachverhalts, erwog es rechtlich, dass die Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielrechts vom Obersten Gerichtshof in nunmehr ständiger Rechtsprechung bejaht werde. Die Klägerin könne daher den Verlustbetrag von der Beklagten zurückfordern.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Überdies wird die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens angeregt.
Die Klägerin beantragt der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
I. Zur Verfahrensrüge:
I.1. Die Beklagte moniert als Verfahrensmangel, das Erstgericht habe das beantragte Sachverständigengutachten aus dem Bereich Marktforschung und Marketing nicht eingeholt. Damit hätte unter Beweis gestellt werden können, dass die von den Konzessionsinhabern betriebene Werbung nicht maßvoll oder darauf beschränkt sei, Verbraucher zu den kontrollierten Spielernetzwerken zu lenken, gezielt vulnerable Gruppen anspreche, Glücksspiel verharmlose und ein positives Image verleihe, Gewinne verführerisch in Aussicht stelle, die Anziehungskraft durch zugkräftige Botschaften erhöhe und jene Personen zur aktiven Teilnahme am Glücksspiel anrege, die bis dato nicht gespielt hätten (Berufung ON 14, S 13).
I.2.Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO kann nur vorliegen, wenn das Erstgericht infolge der Verletzung einer Verfahrensvorschrift andere, als die vom Beweisführer behaupteten Tatsachen festgestellt hat ( Pimmer in Fasching/Konecny 3IV/1 § 496 ZPO, Rz 57). Der Rechtsmittelwerber hat nachvollziehbar auszuführen, zu welchen für ihn günstigen Tatsachenfeststellungen das Erstgericht gelangt wäre, wenn es das Verfahren unter Beachtung der angeblich verletzten Verfahrensvorschriften durchgeführt hätte (RIS-Justiz RS0043039; Pimmer aaO § 496 Rz 37). Hat das Erstgericht infolge seiner Rechtsansicht, wie vorliegend, aber zu einem bestimmten Vorbringen der Parteien keine Feststellungen getroffen, ist dies als sekundärer Feststellungsmangel im Rahmen der Rechtsrüge geltend zu machen (vgl Pimmer aaO § 496 Rz 50ff).
I.3. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt daher nicht vor. Auf die Frage, ob in Zusammenhang mit der Beurteilung der Kohärenz des österreichischen Glücksspielmonopols sekundäre Feststellungsmängel vorliegen, wird im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge näher eingegangen.
II. Zur Rechtsrüge:
II.1. In ihrer Rechtsrüge moniert die Beklagte im Wesentlichen, das Erstgericht habe die Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols unrichtig beurteilt. Der vom Erstgericht vorgenommene Verweis auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte sei unzulänglich, da sich die maßgeblichen Verhältnisse geändert hätten. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte das Erstgericht zum Schluss kommen müssen, dass aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit des Verbots der zwischen den Parteien bestehende Glücksspielvertrag weder unerlaubt noch unwirksam sei und daher keine Rechtsgrundlage für den Ersatzanspruch der Klägerin bestehe.
II.2.Dem ist entgegenzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festhält, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre - auch im hier relevanten Zeitraum - nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (vgl etwa 6 Ob 157/24t; 7 Ob 16/25s; zuletzt 6 Ob 70/25z, jeweils mwN). Die Beurteilung des Erstgerichts entspricht dieser Rechtsprechung.
II.3.Entgegen der Argumentation der Berufung hat sich der Oberste Gerichtshof mehrfach mit den hier von der Beklagten vorgebrachten Argumenten, die Konzessionsinhaberinnen würden exzessive Werbemaßnahmen betreiben und ausweiten, Glücksspiel verharmlosen und ihm ein positives Image verleihen oder Personen zur Teilnahme anregen, die bisher nicht gespielt haben, auseinandergesetzt und begründet, wieso eine Politik der kontrollierten Expansion von Glücksspielen mit dem Ziel, Spieler zu schützen und Straftaten im Zusammenhang mit verbotenen Spielen zu bekämpfen, im Einklang steht (vgl schon 1 Ob 229/20p; 8 Ob 129/23p mwN).
Die Berufungswerberin zeigt nicht nachvollziehbar auf, inwiefern sich durch Feststellungen zum Wachstum des Glücksspielmarkts, zur Ausweitung der Geschäftstätigkeit und des Angebots der Konzessionsinhaber, zu den Werbemaßnahmen der Konzessionsinhaber, zur steigenden Kriminalität im Zusammenhang mit Glücksspiel und zur Kontrolle des Spielerschutzes ergeben würde, dass die Ausgestaltung des österreichischen Glücksspielrechts nicht geeignet wäre, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern, die Spieler zu schützen und der Kriminalität vorzubeugen.
Davon ausgehend liegen auch keine sekundären Feststellungsmängel vor.
II.4.Dass Online-Sportwetten und Online-Glücksspiele nicht gleich behandelt werden, steht der Unionsrechtskonformität des Glücksspielmonopols als solches nach der auf Rechtsprechung des EuGH (vgl etwa EuGH C-46/08, Carmen Media, Rn 63) fußenden Judikatur des VwGH nicht entgegen, ebenso wenig die unterschiedliche Regulierung des Spielautomatenbereichs (Ra 2018/17/0048 Rn 88 ff, 41 ff).Eine Gleichbehandlung von Glücksspielen online und offline ist nach der Rechtsprechung des EuGH nicht in vollem Umfang geboten, weil das Anbieten von Glücksspielen über das Internet von Besonderheiten geprägt ist (EuGH C-46/08, Rn 101 ff mwN; vgl auch 3 Ob 72/21s; RS0129268 [T6, T8]).
II.5. Dass nach der Rechtsprechung des EuGH die tatsächlichen Auswirkungen des Monopols von den nationalen Gerichten "dynamisch“ zu beurteilen sind, erfordert keine gleichsam ständige Neubeurteilung der Auswirkungen in jedem einzelnen Fall. Es darf bloß nicht statisch auf den Zeitpunkt der Erlassung der Regelung abgestellt werden (C-464/15, Admiral).
II.6. Aus der in der Berufung aufgezeigten Mehrfachfunktion des BMF als Eigentümervertreter eines Glücksspielunternehmens und dessen Aufsichtsbehörde lässt sich nicht ableiten, dass das österreichische System nicht geeignet wäre, die Verwirklichung des Ziels, Spieler zu schützen und Straftaten in Zusammenhang mit verbotenen Spielen zu bekämpfen (vgl EuGH C-390/12, Pfleger, Rn 42), oder die Verwirklichung des genannten Ziels verhindere. Der bloße Umstand, dass die Bundesregierung eine Umstrukturierung des Glücksspielwesens plane, lässt nicht den Schluss zu, dass das derzeitige System nicht wirklich dem Ziel des Spielerschutzes oder der Kriminalitätsbekämpfung diene und nicht dem Anliegen entspreche, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen.
Das Berufungsgericht sieht daher auch keinen Anlass, der Anregung der Beklagten näherzutreten, dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob Rechtsvorschriften, nach denen das Recht zur Durchführung von Glücksspielen ausschließlich dem Staat vorbehalten ist, und die Aufsicht über die staatlich konzessionierten Glücksspielunternehmen und die Kontrolle von Werbemaßnahmen dieser Glücksspielunternehmen von einer weisungsunterworfenen Dienststelle einer Regierungsbehörde ausgeübt werden, wenn gleichzeitig der Staat Eigentümer dieser Glücksspielunternehmen ist und die Vertretung des Eigentümers durch dieselbe Regierungsbehörde erfolgt, die für ihre Aufsicht zuständig ist, Art 49 und/oder Art 56 AEUV entgegenstehen.
II.7. Damit werden von der Berufung keine entscheidungswesentlichen Umstände aufgezeigt, die sich seit der Beurteilung der Kohärenz des österreichischen Glücksspielrechts durch die höchstgerichtliche Rechtsprechung geändert hätten. Das Berufungsgericht sieht daher keinen Grund, von der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abzugehen, wonach abschließend geklärt ist, dass das im Glücksspielgesetz normierte Monopol- und Konzessionssystem in allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspricht.
Der Berufung war daher nicht Folge zu geben.
III.Die Entscheidung über die Berufungsbeantwortungskosten beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
IV.Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision nicht zuzulassen.