33R56/25k – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien fasst als Rekursgericht *** in der Patentsache der Antragstellerin *** , wegen der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss der Technischen Abteilung des Patentamts vom 25.11.2024, SZ 30/2017, in nicht öffentlicher Sitzung den
Spruch
Beschlus s:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er wie folgt zu lauten hat:
„1. Der Antragstellerin wird unter der Nummer SZ 30/2017 ein ergänzendes Schutzzertifikat für das Erzeugnis Irinotecan-Sucrosofatsalz erteilt.
2. Dieses ergänzende Schutzzertifikat gilt ab dem 3.5.2025 bis zum Ablauf des 3.5.2030.“
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Text
B e g r ü n d u n g :
Die Antragstellerin ist Inhaberin des Europäischen Patents EP 1746976 B1, in Österreich E 860617, das am 2.5.2005 angemeldet wurde und dessen Wirksamkeit mit Ablauf des 2.5.2025 endete (in der Folge stets kurz: Grundpatent; Beilage ./1 zu ON 21). Die davon umfasste Erfindung wird ua folgendermaßen beschrieben (S 2 [0005]):
„The invention provides a composition comprising a liposome in a medium, wherein the liposome comprises 1,2-distearoyl-SN-phosphatidylcholine, cholesterol and N-(omega-methoxy-poly(ethylene glycol) oxycarbonyl)-1,2- distearoylphosphatidyl ethanolamine in the molar ratio 3:2:0,015, and entrapped inside the liposome are irinotecan and sucrose octasulfate.“
Mit Beschluss vom 14.10.2016 erteilte die Europäische Kommission unter der Registrierungsnummer EU/1/16/1130 die Genehmigung für das Inverkehrbringen von „Onivyde“, eines Arzneimittels gegen Krebs (in der Folge stets kurz: Zulassung; Beilage ./1 zu ON 1). Diese Entscheidung wurde der Zulassungswerberin am 18.10.2018 zugestellt. In ihrem Anhang A wird die qualitative und quantitative Zusammensetzung des genannten Arzneimittels unter Punkt 2. ua wie folgt beschrieben:
„1 ml Konzentrat enthält das Äquivalent von 5 mg Irinotecanhydrochlorid.3 H2O (als Irinotecan Sucrosofat-Salz in pegylierter liposomaler Formulierung) entsprechend 4,3 mg Irinotecan.“
Die Antragstellerin begehrte zuletzt die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für das Erzeugnis Irinotecan-Sucrosofatsalz. Begründend brachte sie im Wesentlichen vor, es handle sich um einen Wirkstoff und damit um ein „Erzeugnis“ iSd Art 1 lit b der Verordnung (EG) 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.5.2019 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (in der Folge stets kurz: SchZVO 2009), das durch das Grundpatent geschützt sei. Für dieses Erzeugnis sei die zuvor zitierte Genehmigung erteilt worden. Die Voraussetzungen für die angestrebte Erteilung seien deshalb erfüllt.
Mit dem nun angefochtenen Beschluss wies die Technische Abteilung diesen Antrag zurück. Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, bloß Irinotecan habe den Charakter eines Erzeugnisses iSd Art 1 lit b SchZVO 2009; für Sucrosofat und das Irinotecan-Sucrosofatsalz gelte das hingegen nicht, weil es sich bloß um Hilfsstoffe handle. Die von der Antragstellerin angestrebte Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats komme deshalb nicht in Betracht.
Dagegen wendet sich der vorliegende Rekurs der Antragstellerin, der sowohl eine Beweis- als auch eine Rechtsrüge enthält, mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung dahin abzuändern, dass das begehrte ergänzende Schutzzertifikat erteilt werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
1. Zur Beweisrüge:
1.1. Die Antragstellerin wendet sich in ihrer Beweisrüge – inhaltlich - gegen die Feststellungen, wonach Sucrosofat keine eigene pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung erziele. Sowohl Sucrosofat als auch die Sucrosofat/Irinotecan-Verbindung sei deshalb als Hilfsstoff einzustufen.
Stattdessen strebt die Antragstellerin die Ersatzkonstatierung an, dass das Irinotacan-Sucrosofatsalz eine eigene pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung aufweist.
1.2. Das Rekursgericht stellt dazu auf Basis der zur Verfügung stehenden Beweismittel kraft seiner - insb durch den mitwirkenden Laienrichter vermittelten – naturwissenschaftlichen Fachkunde die folgenden Erwägungen an:
Aus dem Grundpatent (siehe zB Beilage ./1 zu ON 21, Beispiel 15 [0114, S 29 f]) geht hervor, dass das Irinotecan-Sucrosofatsalz (Synonym: Irinotecan Sucrose Octasulfat) das Tumorwachstum besser und länger anhaltend unterdrückt als das Irinotecan-Polyphosphatsalz. Dieser Effekt geht auch aus der Zulassung (insb Beilage ./1 zu ON 1, Punkt 5., S 14 ff) hervor. Sucrosofat – das (Gegen-)Ion von Irinotecan - hat dabei nicht den Charakter eines Mittels, das die Wirksamkeit von Irinotecan bloß verstärken würde. Gleiches gilt für das Irinotecan-Sucrosofatsalz als Ganzes. Vielmehr ist das Irinotecan-Sucrosofatsalz - als Derivat von Irinotecan - als Substanz einzustufen, die in ihrer Gesamtheit eine eigene pharmakokinetische und damit pharmakologische Wirkung entfaltet, aufgrund derer sie dem Tumorwachstum besser und länger entgegenwirkt.
Die unter Punkt 1.1. zitierten und von der Antragstellerin angefochtenen Konstatierungen werden deshalb vom Rekursgericht nicht übernommen. An ihrer Stelle trifft das Rekursgericht – teils in Stattgebung der Beweisrüge, teils in Gestalt einer ergänzenden Präzisierung - die folgenden Feststellungen:
„Irinotecan-Sucrosofatsalz weist eine eigene pharmakologische Wirkung auf, indem es dem Tumorwachstum entgegenwirkt. Diese Wirkung wird durch das Irinotacan-Sucrosofatsalz als Ganzes erzielt; Sucrosofat fungiert dabei nicht als Mittel, das eine Wirkung des Irinotecan bloß verstärken würde.“
2. Zur Rechtsrüge:
2.1.Gemäß § 1 SchZG 1996 werden Schutzzertifikate, die in Österreich geltende Patente ergänzen, vom Österreichischen Patentamt nach Maßgabe von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft über die Schaffung ergänzender Schutzzertifikate erteilt.
Gemäß Art 3 SchZVO 2009 ist ein ergänzendes Schutzzertifikat zu erteilen, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung
- das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist (lit a);
- für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG bzw. der Richtlinie 2001/82/EG erteilt wurde (lit b);
- für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde (lit c); und
- die unter lit b erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist (lit d).
Die in lit c und d normierten Voraussetzungen gelten allerdings nicht in Österreich, weil der österreichische Gesetzgeber in § 3 Abs 1 SchZG 1996 von der in Art 10 Abs 5 SchZVO 2009 verankerten Ermächtigung Gebrauch gemacht hat, die Erteilung nicht (auch) von diesen beiden Bedingungen abhängig zu machen.
„Erzeugnis“ ist gemäß Art 1 lit b SchZVO 2009 der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels.
Als „Wirkstoff“ ist ein Stoff einzustufen, der eine eigene pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung ausübt (EuGH C-631/13, Forsgren , Rz 25).
Eine Kombination von zwei Stoffen, von denen einer ein „Wirkstoff“ im Sinne dieser Bestimmung ist, während der andere, ein Adjuvans (Hilfsstoff), es ermöglicht, diese arzneilichen Wirkungen zu verstärken, jedoch selbst keine eigene arzneiliche Wirkung hat, fällt nicht unter den Begriff „Wirkstoffzusammensetzung“ im Sinne dieser Bestimmung (EuGH C-210/13, Glaxosmithkline Biologicals SA).
2.2. Aus den vom Rekursgericht unter Punkt 1.2. getroffenen Feststellungen ergibt sich unter Anwendung der unter Punkt 2.1. dargestellten Grundsätze, dass das Irinotecan-Sucrosofatsalz aufgrund seiner pharmakologischen Wirkung als „Wirkstoff“ iSd Art 1 lit b SchZVO 2009 und damit als „Erzeugnis“ gemäß Art 3 lit a und b SchZVO 2009 einzustufen ist. Dieses Erzeugnis fällt in den Schutzbereich des verfahrensgegenständlichen Grundpatents. Darüber hinaus wurde für dieses Erzeugnis als Arzneimittel (nämlich für das Arzneimittel „Onivyde“) eine den europarechtlichen Vorgaben entsprechende Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt. Die in Art 3 lit a und b SchZVO 2009 normierten Voraussetzungen sind damit erfüllt. Der Antragstellerin wird deshalb das angestrebte ergänzende Schutzzertifikat in Stattgebung ihres Rekurses erteilt (Spruchpunkt 1.).
2.3. Die vom Rekursgericht festgesetzte Frist (Spruchpunkt 2.) ergibt sich aus Art 13 Abs 1 und 2 SchZVO 2009:
Zwischen der Einreichung der Anmeldung des Grundpatents (2.5.2005) und dem Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft (18.10.2016; siehe zur Maßgeblichkeit dieses Zustelldatums EuGH C-471/14 , Seattle Genetics Inc ) sind 11 Jahre, 5 Monate und 16 Tage verstrichen. Nach dem gebotenen Abzug von 5 Jahren verbleiben 6 Jahre, 5 Monate und 16 Tage. Ab dem Ablauf der gesetzlichen Laufzeit des Grundpatents (also beginnend mit 3.5.2025) gerechnet ergibt sich als vorläufiger Endzeitpunkt der 18.10.2031. Da die Laufzeit des Zertifikats höchstens 5 Jahre vom Zeitpunkt seines Wirksamwerdens (hier 3.5.2025) an beträgt, ist es aber nicht bis zu diesem Tag zu gewähren, sondern bis zum Ablauf des 3.5.2030 zu befristen.
3.Angesichts der hohen ökonomischen Bedeutung des Schutzes von Forschungsergebnissen, die im pharmazeutischen Bereich erzielt werden, ist gemäß § 59 Abs 2 AußStrG (iVm § 7 SchZG 1996 und § 139 PatG) auszusprechen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands EUR 30.000 übersteigt.
4.Der ordentliche Revisionsrekurs ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG (iVm § 7 SchZG 1996 und § 139 PatG) nicht zulässig.