1R84/25t – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Weixelbraun als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. a Klenk und Mag. a Viktorin in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A* B* und 2. C* B* , beide **, beide vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wider die beklagte Partei D* AG , **, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen EUR 39.750 samt Zinsen, hier wegen Unterbrechung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 5.5.2025, **-81, in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit EUR 2.426,84 (darin enthalten EUR 404,47 USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung
Die Kläger erwarben am 31.3.2017 bei einer Autohändlerin in ** einen PKW ** ( PKW ) als Neuwagen um einen Kaufpreis von EUR 45.000. Im PKW ist ein von der Beklagten entwickelter 2.0 Liter TDI-Motor inklusive SCR-Katalysator des Typs ** (EU 6b) verbaut. Das im PKW vorhandene, von leitenden Mitarbeitern der Beklagten entwickelte und installierte Emissionskontrollsystem besteht aus einer temperaturgesteuerten Abgasrückführung und einem System der aktiven Abgasnachbehandlung (SCR-System). Konkret sind im PKW ein Hochdruck-AGR-Ventil, ein Niederdruck-AGR-Ventil, ein AGR-Kühler, ein AGR-Rohr, ein Oxidationskatalysator, ein SCR-Katalysator und ein Dieselpartikelfilter verbaut.
Die Kläger begehren die Rückzahlung des Kaufpreises von (zuletzt) EUR 39.750 (bereits unter Anrechnung eines Benützungsentgelts von EUR 5.250) samt 4 % Zinsen ab Klagszustellung Zug um Zug gegen Übergabe des PKW.
Die Beklagte hafte nach §§ 874, 1295 Abs 2 iVm 1323 ABGB sowie § 2 UWG, § 37c KartG iVm § 1311 ABGB als Entwicklerin des Antriebs des PKW für die darin verbauten unzulässigen Abschalteinrichtungen. Sie werde nicht als Fahrzeugherstellerin in Anspruch genommen. Im PKW sei ein „Thermofenster“ verbaut, aufgrund dessen die Abgasrückführung lediglich in einem Temperaturbereich von + 15 Grad Celsius bis + 33 Grad Celsius voll funktionsfähig sei. Daneben werde die Adblue-Einspritzung außerhalb dieses Temperaturbereichs und bei einer Fahrgeschwindigkeit über 120 km/h unzulässig reduziert/abgeschaltet. Weiters sei im PKW auch die unzulässige „Taxifunktion“ verbaut, die eine reduzierte Wirksamkeit der Abgasrückführung im Falle eines Betriebs im Leerlauf von 900 Sekunden (15 Minuten) bewirke. Schließlich sei auch eine „Höhenabschaltung“ vorhanden, die ca über 1.000 Höhenmeter die Wirksamkeit der Abgasrückführung reduziere, ohne technisch notwendig zu sein, um vor plötzlich auftretenden unmittelbaren Motorschäden zu schützen. Die Kläger seien irrtümlich davon ausgegangen, dass der PKW die entsprechende Abgasnorm 6 vollständig erfülle und die EG-Typengenehmigung nicht durch unzulässige Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerung erschlichen worden sei. Hätten die Kläger bereits im Kaufzeitpunkt gewusst, dass der PKW von der Beklagten manipuliert worden sei und er dem Zustand nach nicht typengenehmigungsfähig sei, hätten sie ihn nicht erworben. Die Beklagte sei in Kenntnis über die Manipulationen gewesen, habe diese vorsätzlich getätigt und diesen Umstand bewusst verschwiegen, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Der PKW sei von keinem Rückruf betroffen; er sei technisch sicher, fahrbereit und könne uneingeschränkt im Straßenverkehr benützt werden. Die EG-Typengenehmigung und die EU6-Zulassung seien weiterhin aufrecht. Der diesbezügliche Bescheid des KBA als Typengenehmigungsbehörde entfalte Bindungswirkung. Beim PKW erfolge nur bei Außentemperaturen unterhalb von - 24 Grad Celsius und oberhalb von + 70 Grad Celsius keine Abgasrückführung. Innerhalb des „Thermofensters“ komme es dagegen zu keiner schrittweisen Reduktion der Abgasrückführungsrate. Ein „Thermofenster“, das bei solchen (praktisch nicht vorkommenden) Extremtemperaturen, und damit außerhalb der bei „normalem Fahrbetrieb vernünftigerweise zu erwartenden Bedingungen“ im Sinne von Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG aktiv sei, erfülle schon nicht den Tatbestand einer Abschalteinrichtung. Abgesehen davon wäre eine solche Abschalteinrichtung zulässig, weil sie dazu diene, den Motor vor plötzlich auftretenden Schäden, die zu einer konkreten Gefahr während des Betriebs des Fahrzeugs führen könnten, zu schützen. Sollte das „Thermofenster“ dennoch eine unzulässige Abschalteinrichtung sein, wäre die Beklagte diesbezüglich einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlegen, weil auch das KBA stets von der Zulässigkeit des „Thermofensters“ ausgegangen sei. Eine „Taxifunktion“ sei im PKW nicht hinterlegt. Bei Betrieb in höherem Gelände könne zwar aufgrund des sinkenden Umgebungsdrucks eine Anpassung der AGR erfolgen. Entgegen der klägerischen Behauptung finde aber auch bei einem Umgebungsdruck, der auf 1.000 Meter Höhe herrsche, keine völlige Abrampung oder Ausschaltung der Abgasrückführung statt. Diese Reaktion der Motorsteuerung auf die Veränderung des Umgebungsdrucks sei keine unzulässige Abschalteinrichtung; diese sei aber jedenfalls aus Gründen des Motorschutzes und des sicheren Fahrzeugbetriebs erforderlich. Auch wenn eine reduzierte AGR-Rate (kurzzeitig) zu höheren No x -Rohemissionen führe, können diese jedoch durch das vorhandene Abgasnachbehandlungssystem vollständig ausgeglichen werden. Es werde daher bestritten, dass sich durch eine bei gewissen Temperaturen, Umgebungsdrücken oder SCR-Katalysatortemperaturen reduzierte AGR-Rate die No x -Emission erhöhe. Ein relevanter Irrtum der Kläger werde ebenso bestritten wie eine (arglistige) Veranlassung eines solchen durch die Beklagte. Es bestünde kein Schaden; der PKW entspreche dem vertraglich Geschuldeten. Eine Rückabwicklung des Kaufvertrags gegenüber der Beklagten als nicht am Kauf beteiligter Person komme nicht in Betracht.
Im ersten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger Folge, hob die Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück (1 R 2/23f).
Im zweiten Rechtsgang verpflichtete das Erstgericht die Beklagte zur ungeteilten Hand zur Zahlung von EUR 33.307,50 samt Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des PKW und wies das Mehrbegehren ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob die Entscheidung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück (1 R 195/24i). Dem Erstgericht wurde insbesondere aufgetragen, im fortgesetzten Verfahren – gegebenenfalls nach Verfahrensergänzung – ergänzende Feststellungen zum Vorliegen der „Taxifunktion“ und der „Höhenabschaltung“ zu treffen, aufgrund derer beurteilt werden könne, ob damit eine Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG vorliege. Unter Bedachtnahme auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, wonach für die Prüfung des Vorliegens einer Abschalteinrichtung auf das „Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit“ abzustellen sei, seien – soweit derartige „Konstruktionsteile“ vorlägen – auch in Bezug auf die „Taxifunktion“ und die „Höhenabschaltung“ entsprechende Feststellungen zu treffen, inwiefern eine durch deren Aktivierung bedingte Erhöhung des No x -Ausstoßes durch den Einsatz des Abgasnachbehandlungssystems kompensiert werde, um im Sinne der genannten Legaldefinition der Abschalteinrichtung beurteilen zu können, ob die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems insgesamt (dh unter Einschluss der Abgasnachbehandlung) verringert werde. Werde dies bejaht, liege es an der Beklagten, einen Ausnahmetatbestand nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu beweisen (vgl Pkt 2.3.7; 2.5.2 der Berufungsentscheidung ).
Mit Eingabe vom 7.3.2025 (ON 77) regten die Klägerdie Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung des EuGH über die vom Obersten Gerichtshof zu 7 Ob 163/24g initiierte Vorabentscheidung zur Auslegung der Definition der Abschalteinrichtung iZm dem Gesamtsystem (Frage 1), zur Behauptungslast iZm dem Gesamtsystem (Frage 2) und zur Frage, ob die Grenzwerte auch im realen Fahrbetrieb einzuhalten seien (Frage 3), an.
Die Beklagtesprach sich gegen die Unterbrechung aus. Für die Beurteilung der Präjudizialität der in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 7 Ob 163/24g dem EuGH vorgelegten Fragen sei die konkrete Ausgestaltung der im Klagsfahrzeug verbauten technischen Einrichtungen und deren Auswirkungen auf die Emissionsgrenzwerte im Realbetrieb maßgeblich. Nachdem der Sachverhalt auch diesbezüglich strittig sei, bedürfe es der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Erst dann könne beurteilt werden, ob von einem vergleichbaren Sachverhalt auszugehen sei, der es zweckmäßig erscheinen ließe, das gegenständliche Verfahren zu unterbrechen.
Mit dem angefochtenen Beschluss(ON 81) unterbrach das Erstgericht das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über die vom Obersten Gerichtshof am 19.2.2025 zu 7 Ob 163/24g und am 27.2.2025 zu 8 Ob 99/24b gestellten Anträge auf Vorabentscheidung.
Begründend verwies es auf die zu 7 Ob 163/24g und 8 Ob 99/24b vorgelegten Fragen zur Vorabentscheidung (S 2-5 der Beschlussausfertigung), worauf verwiesen wird. Das vorliegende Verfahren betreffe einen vergleichbaren Sachverhalt, weshalb diese Fragestellungen auch für die Beurteilung des im vorliegenden Fall geltend gemachten Schadenersatzanspruchs – insbesondere im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast, des Zusammenspiels mehrerer bei der Abgasreduktion eingesetzter Komponenten sowie der „Höhenabschaltung“ und „Taxifunktion“ – relevant seien.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.
Die Kläger beantragen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1.Die Beklagte argumentiert im Wesentlichen, eine Unterbrechung nach § 190 ZPO sei nicht angezeigt, weil für die Beurteilung der Präjudizialität die konkrete Ausgestaltung der im Klagsfahrzeug verbauten technischen Einrichtungen und deren Auswirkungen auf die Emissionsgrenzwerte im Realbetrieb maßgeblich sei. Da der Sachverhalt in diesem Punkt höchst strittig sei, bedürfe es nicht nur zwingend der Einholung eines Sachverständigengutachtens, sondern auch belastbarer und nachvollziehbarer Feststellungen des Erstgerichts. Erst auf dieser Grundlage wäre zu beurteilen, ob von einem vergleichbaren Sachverhalt auszugehen sei, der es zweckmäßig erscheinen ließe, das gegenständliche Verfahren zu unterbrechen.
2.Diese Ausführungen überzeugen nicht. Sowohl im vorliegenden Verfahren als auch in jenen zu 7 Ob 163/24g und 8 Ob 99/24b geht es um die Beurteilung des von der Beklagten behaupteten „Gesamtsystems“ zur Abgasreduktion und dessen Wirksamkeit. Wenngleich im hier zu beurteilenden Fall der Umstand, dass das im PKW vorhandene „Thermofenster“ keine Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG darstellt, ein abschließend erledigter Streitpunkt ist, gilt es nach wie vor die entscheidungswesentliche Frage zu klären, ob zwei weitere (unzulässige) Abschalteinrichtungen, nämlich eine „Taxifunktion“ und eine „Höhenabschaltung“, vorliegen und wen die - auch hier strittige - Behauptungs und Beweislast dafür trifft, dass es in einem Dieselmotor ein Zusammenwirken einzelner Komponenten des Emissionskontrollsystems gibt, das zu einem unveränderten Funktionieren des Gesamtsystems führt.
Die Beantwortung der in den Verfahren zu 7 Ob 163/24g und 8 Ob 99/24b an den EuGH herangetragenen Vorlagefragen (die sich im zuletzt genannten Verfahren explizit auf die auch hier in Frage stehende „ Höhenschaltung “ [eine Reduktion der AGR-Rate in einer Betriebshöhe von über 1.000 Metern über dem Meeresspiegel] und „ Taxischaltung “ [eine Reduktion der AGR-Rate bei einem Betrieb im Leerlauf über einen Zeitraum von mehr als 15 Minuten] beziehen) ist daher auch hier für die Beurteilung der Behauptungs und Beweislast für ein Funktionieren des Emissionskontrollsystems „in seiner Gesamtheit“ relevant.
3.Der Oberste Gerichtshof geht von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus und wendet diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall an (RS0110583; vgl RS0109951 [T8]). Wenn dieselben Erwägungen betreffend Auslegungszweifel gemeinschaftsrelevanter Vorschriften auch für eine andere Rechtssache gelten, kann es daher zweckmäßig und geboten sein, mit der Entscheidung bis zu jener des EuGH über ein bereits gestelltes Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten.
4. Dem Erstgericht ist daher darin zuzustimmen, dass es zweckmäßig und geboten ist, mit der Entscheidung bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die bereits gestellten Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das gegenständliche Verfahren zu unterbrechen.
5. Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens im Zwischenstreit beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 2 ZPO.