3R54/25w – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Resetarits und die Kommerzialrätin Mag. a Rodrix in der Rechtssache der klagenden Partei Kammer für Arbeiter und Angestellte für A* , **, vertreten durch Dr. in Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei B* GmbH , FN **, **, vertreten durch VÖLK Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Widerruf (Streitwert EUR 35.000,--), über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse EUR 1.000,--) gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 9. September 2024, **-16.5, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit EUR 587,09 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten EUR 97,85 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt nicht EUR 5.000,--.
Die Revision ist jedenfalls unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist eine Körperschaft öffentliches Rechts und mit der Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in A* betraut. Von 10. bis 23. April 2024 fand die Wahl der Vollversammlungen der Kammer für Arbeiter und Angestellte für A* 2024 statt. Die Durchführung dieser Wahl ist in der Arbeiterkammer Wahlordnung näher geregelt.
Die Beklagte ist die Medieninhaberin der Website C*. Dort verbreitete sie seit 3. April 2024 unter der Überschrift: „„Löchriges“ Wahlgeheimnis und Ex-Chef einer Imam-Schule auf Liste sechs“ folgenden Artikel:
„Ein „löchriges“ Wahlgeheimnis und zwei türkische Listen begleiten die Arbeiterkammer-Wahl vom 10. bis 23. April in A*.
Kuvert verrät Unternehmen
Ungewöhnlich ist jedenfalls, dass die Wahlkarte nicht anonym zurückgeschickt werden kann, sondern aufgrund des Kuverts ersichtlich ist, von welchem Betrieb die Stimme kommt. Einzige Möglichkeit, diesem „löchrigen“ Wahlgeheimnis zu entgehen, wäre, die Stimme persönlich in einem der öffentlichen Wahllokale abzugeben. Dazu brauchen sie einen amtlichen Lichtbildausweis, die Mitnahme der Wahlkarte ist nicht erforderlich.“
Die Klägerin begehrt, die Beklagte zu verpflichten, es zu unterlassen, die wörtlichen und/oder sinngemäßen Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten, die Briefwahl bei den Wahlen der Kammer für Arbeiter und Angestellte für A* sei nicht anonym und/oder das Wahlgeheimnis sei löchrig. Weiters solle die Beklagte schuldig erkannt werden, die Behauptung, die Briefwahl bei den Wahlen der Kammer für Arbeiter und Angestellte für A* sei nicht anonym und/oder das Wahlgeheimnis sei löchrig, als unwahr zu widerrufen und einen entsprechenden (im Urteilsbegehren präzise formulierten) Widerruf im elektronischen Medium „C*“ auf der Startseite im ohne Scrollen sichtbaren Bereich durchgehend für die Dauer von drei Monaten zu veröffentlichen.
In ihrer Klage vom 22. April 2024 brachte die Klägerin vor, der beanstandete Beitrag auf C* sei nach wie vor abrufbar. Der Bedeutungsinhalt des Beitrags sei, dass bei der Arbeiterkammerwahl in A* das Wahlgeheimnis nicht gewährleistet sei und dass nur durch eine persönliche Stimmabgabe in einem öffentlichen Wahllokal die Wahrung des Wahlgeheimnisses sichergestellt werden könne. Diese Behauptung sei eine unwahre Tatsachenbehauptung, die sowohl ehrenbeleidigend als auch kreditschädigend sei. Der Klägerin stehe nicht nur ein Anspruch auf Unterlassung zu, sondern auch ein Recht auf Widerruf. Die Beklagte habe zumindest fahrlässig gehandelt, weil sie der Klägerin gar keine Möglichkeit zu Stellungnahme gegeben habe.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Auf den Rücksendekuverts sei, anders als in anderen Wahlordnungen vorgesehen, der Betrieb des Wählenden aufgedruckt; dies lasse eindeutig Rückschlüsse auf das Wahlverhalten zu. Selbst wann man annehmen wollte, dass die Beklagte mit der beanstandeten Äußerung Tatsachen verbreitet habe, sei diese Äußerung im Kern wahr gewesen. Außerdem handle es sich bei der beanstandeten Aussage im Zweifel um ein Werturteil. Bei einem Werturteil bestehe aber kein Anspruch auf Widerruf, ebenso auch dann nicht, wenn die beanstandete Äußerung bloß eine Ehrenbeleidigung und keine Kreditschädigung sei.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem gesamten Klagebegehren Folge. Es stellte den auf den Seiten 2 und 4 bis 6 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Sachverhalt fest, worauf verwiesen wird. In seiner rechtlichen Beurteilung kam das Erstgericht zum Ergebnis, die Äußerung der Beklagten erwecke in ihrem Gesamtzusammenhang den Eindruck, die Klägerin verletze durch eine unübliche Vorgangsweise bei der Briefwahl bei der Arbeiterkammerwahl das Wahlgeheimnis, dem könne nur durch eine persönliche Stimmabgabe im Wahllokal begegnet werden. Diese Behauptung sei aber in ihrem Tatsachenkern falsch, weil das Wahlgeheimnis nicht verletzt werde und die Abwicklung nicht unüblich sei. Diese im Tatsachenkern und im Gesamteindruck unwahren Äußerungen seien sowohl ehrenbeleidigend als auch kreditschädigend. Die Beklagte habe sich zumindest fahrlässig verhalten, weil sie der Klägerin keine Möglichkeit zu Stellungnahme gegeben und die verfügbaren Informationen entweder nicht eingeholt oder ignoriert habe. Damit stehe der Klägerin nicht bloß ein Unterlassungsanspruch zu, sondern auch ein Anspruch auf Widerruf, und zwar wie beantragt in einer gleich wirksamen Form im selben Medium.
Gegen die stattgebende Entscheidung bloß bezüglich des Widerrufs und der Veröffentlichung des Widerrufs richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und das gesamte Widerrufsbegehren der Klägerin abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Die Beklagte meint in ihrer Rechtsrüge, die Rechtsprechung trage seit den frühen 2000ender Jahren den Vorgaben des EGMR Rechnung. Obwohl sie am Begriff der „konkludenten Tatsachenbehauptung“ weiter festhalte werden diese jetzt als Werturteile der Bestimmung des § 1330 Abs 1 ABGB unterstellt. In der beanstandeten Veröffentlichung werde aus der wahren Tatsache, dass auf dem Rücksendekuvert der Betrieb des Wahlberechtigten aufgedruckt sei, gefolgert, dass die Wahlkarte nicht anonym zurückgesandt werden könne. Dies wird dahingehend bewertet, dass das Wahlgeheimnis bei der Arbeiterkammerwahl „löchrig“ sei. Dabei handle es sich um eine konkludente Tatsachenbehauptung, die als Werturteil hätte eingeordnet hätte müssen.
2.1Damit wird angesprochen, dass ein Anspruch auf Widerruf nach § 1330 Abs 2 ABGB voraussetzt, dass unwahre Tatsachen verbreitet wurden, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen gefährden, und dass der dafür Verantwortliche die Unwahrheit der verbreiteten Tatsachen kannte oder kennen musste. Ein Anspruch auf Widerruf kann daher nicht bestehen, wenn die beanstandete Äußerung gar keine Tatsachenbehauptung, sondern bloß ein Werturteil ist, aber auch dann nicht, wenn es sich dabei um eine Ehrenbeleidigung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB und nicht um eine Gefährdung der wirtschaftlichen Stellung im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB handelt.
2.2Dabei ist der Bedeutungsinhalt der Äußerung nach dem Verständnis eines durchschnittlich qualifizierten Erklärungsempfängers auszulegen (RS0115084). Deshalb kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob Tatsachen verbreitet wurden oder nicht, immer auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung an. Maßgeblich ist das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers und nicht der subjektive Wille des Erklärenden (RS0031883). Das führt dazu, dass ein und dieselbe Äußerung je nach dem Zusammenhang, in dem sie gemacht wird, unter den Begriff der Tatsachenbehauptung oder unter den des reinen Werturteils fallen kann. Entscheidend ist, wie die Äußerung von einem nicht unerheblichen Teil der Empfänger verstanden wird (RS0031815).
3. Der von der Klägerin beanstandete Artikel ist sehr kurz, er umfasst gerade einmal zehn Zeilen. Darin wird zweimal ausgeführt, dass das Kuvert das Unternehmen verrät bzw. (ausführlicher) dass die Wahlkarte nicht anonym zurückgeschickt werden kann, sondern aufgrund des Kuverts ersichtlich sei, von welchem Betrieb die Stimme komme, was jedenfalls ungewöhnlich sei. Insgesamt dreimal ist ausdrücklich von einem „löchrigen“ Wahlgeheimnis die Rede. Abschließend wird im Artikel erklärt, die einzige Möglichkeit, diesem „löchrigen“ Wahlgeheimnis zu entgehen, wäre, die Stimme persönlich in einem der öffentlichen Wahllokale abzugeben, wofür man einen amtlichen Lichtbildausweis brauche, die Wahlkarte aber nicht mitnehmen müsse.
Der unbefangene Leser muss den Beitrag so verstehen, dass die Wahlkarte nicht anonym zurückgeschickt werden kann, weil auf den Kuverts ersichtlich sei, von welchem Betrieb die Stimme komme, und dass deshalb – wenn auf diese Weise und nicht persönlich in einem der öffentlichen Wahllokale gewählt wird – das Wahlgeheimnis nicht voll gewahrt ist. Der durchschnittliche bzw. zumindest ein keineswegs unerheblicher Teil der Leser wird die wiederholte Behauptung eines „löchrigen“ Wahlgeheimnisses so verstehen, dass bei der Arbeiterkammerwahl in A* das Wahlgeheimnis nicht vollständig und ausreichend gewahrt ist. Dabei handelt es sich nach dem Verständnis des Durchschnittslesers nicht bloß um eine Wertung des Verfassers des Artikels, zumal darin auch überhaupt nicht erklärt wird, warum das Wahlgeheimnis nicht gewahrt sein soll, bloß weil auf dem Rücksendekuvert der Betrieb des Wählers steht. Das Erstgericht hat die beanstandete Äußerung daher zu Recht als Tatsachenbehauptung und nicht bloß als Werturteil qualifiziert.
4. Die Beklagte meint auch noch, die vom Erstgericht ihr auferlegte Form der Veröffentlichung des Widerrufs sei überschießend. Eine Veröffentlichungsdauer von 14 Tagen hätten ausgereicht, um eine effektive Aufklärung des durchschnittlich interessierten Medienkonsumenten zu gewährleisten. Auch die Anordnung, den Widerruf auf der Startseite im ohne Scrollen sichtbaren Bereich zu veröffentlichen, widerspreche dem Äquivalenzgrundsatz, zumal nicht festgestellt sei, dass auch die ursprüngliche rufschädigende Äußerung so platziert gewesen sei.
5.1 Grundsätzlich gilt, dass der Widerruf in einer Weise erfolgen soll, die ebenso wirksam ist wie die Verbreitung der Falschbehauptung. Die Art der Veröffentlichung muss somit in einem angemessenen Verhältnis zur Wirkung des Verstoßes stehen ( Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek , Kommentar 4§ 1330 ABGB Rz 55). Der Zweck der Urteilsveröffentlichung ist, unlautere Wettbewerbshandlungen in der Öffentlichkeit aufzudecken und die beteiligten Verkehrskreise über die wahre Sachlage aufzuklären. Der entstandene Schaden soll gutgemacht und der Verletzte soll vor weiteren Nachteilen bewahrt werden. Demgemäß ist im Fall der Urteilsveröffentlichung im Internet bei der Bemessung des Zeitraums auf den Zeitabstand Bedacht zu nehmen, in dem ein durchschnittlicher, am Inhalt der Seite interessierter Internetnutzer diese Webseite aufsucht (4 Ob 64/23z).
5.2 Die Anordnung, dass der Widerruf auf der Startseite der Website im ohne Scrollen sichtbaren Bereich veröffentlicht werden muss, entspricht diesem Zweck der Urteilsveröffentlichung, hätte die Beklagte doch andernfalls ganz leicht die Möglichkeit (wie die Klägerin in ihrer Berufungsbeantwortung richtig darstellt), den Widerruf durch das Posten weiterer neuer Beiträge auf ihrer Website zu verstecken. Jemand, der die Website C* nur kurz besucht, würde den Widerruf dann gar nicht bemerken.
Die Klägerin hat in ihrer Klage vorgebracht, dass der von ihr beanstandete Beitrag bereits länger als zwei Wochen auf C* veröffentlicht war. Im Verfahren erster Instanz hat die Beklagte keinen Einwand gegen die von der Klägerin begehrte Veröffentlichungsdauer erhoben; auch gegen die Veröffentlichung immer auf der Startseite hat sie sich im Verfahren erster Instanz nicht ausgesprochen. Nach Ansicht des Berufungsgerichts wäre es schon Sache der Beklagten gewesen, zu behaupten und allenfalls auch nachzuweisen, dass ihre Leser ihre Website in deutlich kürzeren Zeitabständen besuchen. Ohne eine derartige Behauptung und einen entsprechenden Nachweis kann davon keineswegs ausgegangen werden, zumal die Beklagte ihre Artikel offenbar auch länger als bloß vierzehn Tage auf ihre Website stellt.
Somit ist auch dieser Einwand der Beklagten nicht berechtigt, ihrer Berufung ist daher keine Folge zu geben.
6.Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO; die Bemessungsgrundlage im Berufungsverfahren beträgt allerdings nur EUR 1.000,--.
Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstandes folgt der Bewertung durch die Klägerin. Gemäß § 502 Abs 2 ZPO ist die Revision jedenfalls unzulässig.