JudikaturOLG Wien

7Rs28/25a – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
28. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richterin Mag. Derbolav Arztmann, den Richter Mag. Zechmeister sowie die fachkundigen Laienrichter Ing. Mag. Michael Burger und Anneliese Schippani in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , Angestellte, **, vertreten durch die BLS Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, **, wegen Kostenerstattung (Berufungsinteresse: EUR 5.133,50), über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 8. November 2024, ** 46, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

Text

Vorauszuschicken ist, dass das Berufungsgericht die Rechtsmittelgründe für nicht stichhältig hingegen die damit bekämpften Entscheidungsgründe des Erstgerichts für zutreffend erachtet. Es kann daher mit einer kurzen Begründung das Auslangen gefunden werden (§ 500a ZPO).

Mit dem angefochtenen Urteil erkannte das Erstgericht die beklagte Partei schuldig, für den Aufenthalt im Spital des Dr. B* in C* sowie diesbezügliche Anästhesieleistungen am 2.2.2022 einen weiteren Pflegekostenzuschuss von EUR 348,29 unter Abzug der Ambulanzpauschale in Höhe von EUR 69,49 zu bezahlen.

Das Mehrbegehren, für weitere ärztliche Leistungen und Spitalsaufenthalt in C* entstandene Kosten der Klägerin Kostenersatz über die bereits geleisteten EUR 421,31 hinaus zumindest aber EUR 11.551,23 samt 4 % Zinsen zu zahlen, wies das Erstgericht ab.

Auf den diesbezüglich detaillierten Urteilsspruch des Erstgerichts kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.

Seiner Entscheidung legte das Erstgericht die auf den Urteilsseiten 4 bis 8 wiedergegebenen Feststellungen zugrunde, auf die verwiesen und aus denen als für das Berufungsverfahren besonders wesentlich hervorgehoben wird:

Die Klägerin leidet seit 2014 an einem Engwinkelglaukom. Das linke Auge musste seit 2016 immer wieder erfolglos operiert, revidiert und mit Tropfen therapiert werden. Nach den Operationen kam es zu Druckschwankungen, sodass der Augendruck manchmal zu niedrig war und dann wieder zu hoch. Durch die genetisch bedingte starke Vernarbungstendenz bei der Klägerin musste das Auge immer wieder von den Vernarbungen gelöst (Needling) werden. Es entwickelte sich bei ihr ein therapieresistentes bzw dekompensiertes Endwinkelglaukom. Bei einem solchen Glaukom droht die Erblindung des Auges, da der zu hohe Augeninnendruck zu einem Absterben der Nervenfasern im Auge führt.

Im Oktober 2021 zeigte sich eine deutliche Progression des Gesichtsfeldausfalls im Vergleich zu den Vorbefunden […] eine möglichst rasche Stabilisierung und konstante Senkung des Augeninnendrucks war dringend erforderlich, um der drohenden Erblindung zu entgehen. […] Die Klägerin wurde schließlich an Prof. Dr. B* verwiesen, der ihr das PAUL Glaukomimplantat (PGI) am 3.11.2021 in das linke Auge einsetzte. Eine Bewilligung der Behandlung bzw eine Zusicherung der Kostenübernahme durch die beklagte Partei lag nicht vor. Das Implantat wird in Österreich nicht eingesetzt.

Der Einsatz des PGI Implantats war für das medizinisch außerordentlich komplizierte Auge der Klägerin ex ante die erfolgversprechendste Option.

Im Februar 2022 kam es bei der Klägerin zu einer postoperativen Komplikation. Prof. Dr. B* musste daraufhin am 2.2.2022 einen, medizinisch eine weitere Anstaltspflege (in C*) erforderlich machenden operativen Eingriff vornehmen.

Der Augendruck ist seit der Operation durch Prof. Dr. B* stabil.

Die Klägerin bezahlte im Zusammenhang mit der in C* durchgeführten Augenoperation Behandlungskosten in Höhe von insgesamt EUR 12.320,83.

Die beklagte Partei erstattete der Klägerin insgesamt EUR 490,80.

Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Bei den Leistungen der Krankenversicherung unterscheide das Gesetz zwischen der Krankenbehandlung (§§ 133ff ASVG), wozu auch die ärztliche Hilfe zähle (§ 133 Abs 1 Z 1 ASVG) und der Anstaltspflege (§ 144ff ASVG). Die Leistung „ärztliche Hilfe“ könne als Maßnahme der Krankenbehandlung nur durch niedergelassene Ärzte oder durch Krankenanstalten (Ambulatorien) erbracht werden. Die Unterscheidung zwischen Krankenbehandlung und Anstaltspflege setzte sich auch in den Regelungen über die Kostenerstattung fort, die Kostenerstattung für die Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe) sei im § 131 ASVG geregelt, jene für die Anstaltspflege im § 150 ASVG.

Gemäß § 150 Abs 1 ASVG habe der Versicherungsträger dem Versicherten einen Pflegekostenzuschuss zu leisten, wenn die Anstaltspflege notwendig gewesen sei und für die Gewährung der Anstaltspflege durch den Versicherungsträger nicht habe Vorsorge getroffen werden können, weil landesgesundheitsfondsfinanzierte Krankenanstalten oder Krankenanstalten nach § 149 Abs 3 nicht zur Verfügung stehen und Verträge gemäß § 149 nicht zustande kommen oder der Erkrankte in einer Krankenanstalt mit der keine vertragliche Regelung gemäß § 149 bestehe, ohne Einweisung durch den Versicherungsträger untergebracht worden sei (Z 2).

Nach § 131a ASVG habe der Versicherungsträger, wenn Vertragsärzte infolge des Fehlens einer Regelung durch Verträge (§ 338) nicht zur Verfügung stünden oder nicht anwendbar seien (§ 342b Abs 4) der Versicherten für die außerhalb einer eigenen Einrichtung in Anspruch genommene Behandlung eine Kostenerstattung in der Höhe des Betrags zu leisten, der vor Eintritt des vertragslosen Zustands bei Inanspruchnahme eines Wahlarztes oder einer WahlGruppenpraxis zu leisten gewesen wäre. Der Versicherungsträger könne diese Kostenerstattung durch die Satzung unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnisse der Versicherten erhöhen. Nach § 131b Abs 1 ASVG sei, wenn andere Vertragspartner infolge des Fehlens von Verträgen nicht zur Verfügung stünden, § 131a entsprechend anzuwenden.

Gemäß § 41 Abs 1 Satzung der ÖGK 2020 erbringe die Österreichische Gesundheitskasse, wenn die Versicherte notwendige Anstaltspflege in einer Krankenanstalt stationär in Anspruch genommen habe, die nicht über Landesfonds finanziert werde und mit der keine vertragliche Regelung bestehe, einen Pflegekostenzuschuss in Höhe des Pauschalbetrags von EUR 309, (2021) sowie EUR 348,29 (2022) pro Tag in einer Krankenanstalt. Dies gelte nach § 41 Abs 4 entsprechend auch für die Anstaltspflege in einer ausländischen Krankenanstalt, sofern die österreichische Gesundheitskasse keine volle Übernahme der Kosten im Voraus zugesichert habe.

Aufgrund des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union mit 1.2.2020 kämen die Rechtsvorschriften der EU für Leistungen nach dem 31. Dezember 2020 nicht mehr zur Anwendung. Die von der Klägerin vorgebrachte Verfassungswidrigkeit sei nicht überzeugend. Eine Vollübernahme der Kosten im Ausland sei grundsätzlich nicht vorgesehen.

Der Krankenversicherungsträger habe bei der Festsetzung der Höhe der Zuschüsse in der Satzung auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnisse der Versicherten Bedacht zu nehmen. Der damit eingeräumte weitere Gestaltungsspielraum stelle keine formalgesetzliche Delegation dar und mache das Gesetz nicht verfassungswidrig. Die Versicherten hätten zwar Anspruch auf eine ausreichende Vorsorge, der Krankenversicherungsträger sei aber nicht verpflichtet, dem Versicherten alle denkbaren und medizinisch möglichen Leistungen als Sachleistungen zu erbringen. Daher sei es nach der Rechtsprechung auch zulässig und verfassungsrechtlich unbedenklich, bei Fehlen (gesamt)vertraglicher Regelungen nicht die tatsächlich entstandenen Behandlungskosten bzw die Marktpreise, sondern nur einen teilweisen Ersatz als Kostenzuschuss in der Satzung vorzusehen.

Die Klägerin habe Anstaltspflege im D* sowie auch (ambulante) Leistungen in der C* E* in Anspruch genommen. Weil diese keine Vertragspartner der beklagten Parteien seien, sei der Klägerin für den Eingriff am 3.11.2021 (in Form einer tagesklinischen Leistung) der satzungsgemäße Pflegekostenzuschuss gemäß § 41 Abs 1 der Satzung der ÖGK 2020 in Höhe von EUR 309,(pro Tag) gewährt worden. Darüber hinaus habe sie von der beklagten Partei einen Ambulanzkostenzuschuss unter Berufung auf § 131b Abs 1 ASVG iVm § 42 Abs 1 der Satzung der ÖGK 2020 für die Leistung (Kontrolle) vom 1.11.2021 in der Höhe von EUR 61,65, für die Nachkontrolle vom 9.11.2021 in Höhe von EUR 50,66 und die Operation am 2.2.2022 in Höhe von EUR 69,49 erhalten. Da letztgenannter Termin allerdings eine weitere Anstaltspflege für einen Tag erfordert habe, stehe der Klägerin ein weiterer Pflegekostenzuschuss in Höhe von EUR 348,29 (2022) zu. Ein darüber hinausgehender Kostenersatz sei nicht vorgesehen. Für Leistungen nach den Sozialversicherungsgesetzen gebührten keine Zinsen.

Gegen dieses Urteil richtet sich im Anfechtungsumfang des klagsabweisenden Teils des Spruchs insoweit als von jedem dort bezeichneten Geldbetrag die Klagsabweisung 50 % übersteige die Berufung des Klägers wegen unrichtiger Beurteilung mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil im Sinne der Berufungsausführungen Seite 4 letzter Absatz bis S 5 drittvorletzter Absatz (Punkte a bis i sowie Kostenersatz) abzuändern.

Zudem regt die Berufungswerberin die Antragstellung des OLG Wien an den VfGH auf Aufhebung der Satzung der Beklagten, nämlich § 41 Abs 1 der Satzung der ÖGK 2020, § 42 Abs 1 der Satzung der ÖGK 2020 gemäß Art 139 Abs 1 Z 1 B VG wegen Gesetzeswidrigkeit an.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

In ihrer ausschließlich erhobenen Rechtsrüge verweist die Rechtsmittelwerberin darauf, dass die Behandlung in C* notwendig gewesen sei, um eine Erblindung an ihrem linken Auge zu vermeiden.

Im Berufungsverfahren erhebe die Klägerin keinen Anspruch mehr auf vollständigen Kostenersatz der klagsgegenständlichen Heilbehandlungen. Die Klägerin erachte die vom Erstgericht eingenommene Rechtsansicht, wonach der Versicherungsträger die Kostenerstattung gemäß § 131a, 131b ASVG durch die Satzung unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten festzulegen habe, grundsätzlich für zutreffend.

Die Rechtsmittelwerberin kritisiert jedoch, dass der Kostenersatz in unfairer Weise zu ihren Lasten festgelegt worden sei; sie habe bereits im erstinstanzlichen Verfahren auf die herrschende Judikatur verwiesen. Dem Krankenversicherungsträger stehe nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zwar ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Eine Verletzung dieses Spielraums sei jedoch etwa dann vorzuwerfen, wenn er bei guter allgemeiner Finanzlage offensichtlich unzureichende Mittel für eine Zuschussregelung vorsehe, ohne plausible Gründe dafür dartun zu können. Ein Kostenzuschuss in Höhe von 13 % der tatsächlich aufgewendeten Kosten sei als zu gering anzusehen. Der Kostenzuschuss dürfe nicht bloß ein geringfügiger, wirtschaftlich kaum ins Gewicht fallender Ersatz sein. Genau dies sei hier der Fall: Nach der erstinstanzlichen Entscheidung erhalte die Klägerin etwa 5,7 % derjenigen Kosten, die sie habe verauslagen müssen, um einen zur Vermeidung ihrer Erblindung erforderlichen Noteingriff zu finanzieren. Von einem fairen Ausgleich zwischen den Finanzierungsbedürfnissen der Beklagten einerseits und den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Versicherten andererseits könne keine Rede sein.

Neben der immensen finanziellen Belastung des Versicherten müsse auch berücksichtigt werden, dass wenn sich die Rechtsmittelwerberin nicht in C* hätte behandeln lassen, es zu keiner vollständigen Abheilung ihrer Erkrankung gekommen wäre und sie weitere Behandlungen in Österreich hätte in Anspruch nehmen müssen.

Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte das Erstgericht Kostenersatz im Ausmaß von mehr als 50 % der verauslagten Leistungen zuzüglich der bereits von der Beklagten erstatteten und erstinstanzlich zuerkannten Leistungen zuzuerkennen gehabt.

Diesen Ausführungen vermag sich das Berufungsgericht nicht anzuschließen.

Die von der Rechtsmittelwerberin zitierte Judikatur des Obersten Gerichtshofs sowie des VfGH bezieht sich auf Hauskrankenpflege und Fälle in denen von den Versicherten teilweise mehrere hunderttausend Euro für Pflegeleistungen bezahlt worden waren.

Auch das Argument, dass der Kostenersatz in unfairer Weise zu Lasten der Rechtsmittelwerberin festgelegt worden sei, ist nicht nachvollziehbar. Eine besondere Bedürftigkeit ihrerseits wurde nicht dargelegt; hingegen ist (gerichts)notorisch, dass sich die ÖGK in einer extrem schlechten Wirtschaftslage befindet.

Diesbezüglich verweist die beklagte Partei in ihrer Berufungsbeantwortung auch auf die Berechnung des Pflegekostenzuschusses für Anstaltspflege sowie des Ambulanzkostenzuschusses für ambulante Leistungen und den sich daraus ergebenden zutreffenden Prozentsatz des Kostenersatzes.

Insgesamt kann daher auf die zutreffende rechtliche Beurteilung des Erstgerichts verwiesen werden.

Das Berufungsgericht sieht sich auch nicht veranlasst, der Anregung der Berufungswerberin auf Normenkontrolle zu folgen.

Der Berufung war daher nicht Folge zu geben.

Ein Kostenzuspruch gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG scheitert schon daran, dass Billigkeitsgründe weder vorgebracht wurden noch sich aus der Aktenlage ergeben.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil Fragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zur Beurteilung standen.