JudikaturOLG Wien

9Rs23/25f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
27. März 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Pöhlmann als Vorsitzenden, die Richterinnen Mag. Oberbauer und Mag. Dr. Vogler sowie die fachkundigen Laienrichter Wolfgang Handlbichler und Christian Reichenauer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Mag. B*, Arbeiterkammer **, **, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Friedrich Hillegeist Straße 1, 1021 Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 15.10.2024, ** 21, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben und das angefochtene Urteil mit der Maßgabe bestätigt, dass es um folgende Aussprüche zu ergänzen ist:

„Vorübergehende Invalidität im Ausmaß von mindestens sechs Monaten liegt nicht vor. Es besteht kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung.

Es besteht kein Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation.

Es besteht kein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation.“

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 15.2.2024 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 28.6.2023 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab, weil Berufsunfähigkeit nicht dauerhaft vorliege. Sie sprach aus, dass vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von mindestens sechs Monaten ebenfalls nicht vorliege und weder ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung, noch ein Anspruch auf medizinische oder berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem wesentlichen Vorbringen, die Klägerin sei aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes als berufsunfähig zu qualifizieren.

Die Beklagtebestreitet das Klagebegehren und beantragt Klagsabweisung. Sie wendet im Wesentlichen ein, die Klägerin habe innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nicht in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit als Angestellte oder nach § 255 Abs 1 ASVG ausgeübt. Sie sei imstande, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet werde und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten noch zugemutet werden könne, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das eine körperlich und geistig gesunde versicherte Person regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflege.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin ab 1.7.2023 eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab.

Es legte seiner Entscheidung nachstehenden Sachverhalt zugrunde:

„Die am ** geborene Klägerin hat die Handelsakademie abgeschlossen und den Beruf der Rechtsanwaltsassistentin überwiegend ausgeübt.

Von 01.08.2008 bis 07.08.2008 war die Klägerin bei C* tätig. Danach arbeitete sie im Zeitraum von 08.09.2008 bis 18.03.2009 bei D*. Von 08.08.2012 bis 09.08.2012 war sie bei E* GmbH sowie vom 07.09.2012 bis 02.10.2012 bei F* beschäftigt. Vom 03.12.2012 war die Klägerin bis 18.12.2012 für G* tätig. Von 03.02.2014 bis 21.02.2014 arbeitete sie bei h* GmbH. In den Zeiträumen von 07.04.2014 bis 06.08.2014 sowie von 01.10.2014 bis 30.01.2015 war sie für I* GmbH tätig. Von 13.07.2015 bis 15.11.2015 arbeitete sie bei J*. In der Zeit von 01.01.2016 bis 30.09.2016 war sie bei K* GmbH beschäftigt. In den Zeiten von 21.03.2017 bis 24.03.2017 war sie für L* OG und von 11.07.2017 bis 31.01.2018 für M* tätig. Von 18.04.2018 bis 31.07.2018 war sie bei N* OG und von 10.09.2018 bis 21.09.2018 bei O* angestellt. Von 01.10.2018 bis 19.10.2018 arbeitete sie bei P*. In der Zeit von 11.06.2019 bis 31.07.2019 war sie für Q* und am 23.09.2019 für R* GmbH tätig. Von 17.02.2020 bis 22.07.2020 war sie bei S* GmbH ** angestellt. Von 01.09.2020 bis 28.09.2020 war sie bei T* beschäftigt. Von 07.04.2021 bis 24.03.2021 arbeitete sie bei U* von 16.08.2021 bis 08.09.2021 bei V* GmbH. Von 09.12.2021 bis 30.06.2021 war sie für W* GmbH tätig und von 02.11.2022 bis 11.04.2023 bei X* GmbH.

In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag, das ist der Zeitraum 01.07.2008 bis 30.06.2023 hat die Klägerin sohin nicht in zumindest 90 Beitragsmonaten zur Pflichtversicherung nach dem ASVG eine Erwerbstätigkeit als Angestellte oder in einem erlernten oder angelernten Beruf ausgeübt.

Die Klägerin ist nur mehr geeignet für leichte und nur halbzeitig mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen, mit Tätigkeiten, für die eine Team und Kommunikationsfähigkeit für Arbeiten in kleineren Gruppen ausreicht sowie mit Arbeiten mit leichtem geistigen Anforderungsprofil mit leichter psychischer Belastung sowie mit Arbeiten bei durchschnittlichem bis lediglich viertelzeitig überdurchschnittlichem Zeitdruck, zu den üblichen Arbeitszeiten und -pausen.

Mengenleistungs- und Aufsichtstätigkeiten sind aus nervenärztlicher Sicht möglich.

Die Fingerfertigkeit ist ungestört und auch der Weg zur Arbeit ist uneingeschränkt.

Der Klägerin ist die Tätigkeit als Rechtsanwaltsassistentin nicht weiter zumutbar, da das vorliegende medizinische Leistungskalkül hierbei überschritten wird. Unter Berücksichtigung des massiv eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls der Klägerin, insbesondere in Hinblick auf die Zeitdruck-Einschränkung auf Arbeiten bei durchschnittlichem bis viertelzeitig überdurchschnittlichem Zeitdruck, können für diese keinerlei Berufstätigkeiten im Angestelltensegment, wertigkeitsmäßig eingestuft in Beschäftigungsgruppe 2 bis 3 des Kollektivvertrages für Lehrlinge und Angestellte in Handelsbetrieben (alt), namhaft gemacht werden. Im Bereich kaufmännisch administrativer Tätigkeiten kommt es im Bürobetrieb berufstypisch zu Arbeiten mit durchschnittlichem sowie terminbedingt zu zumindest fallweise (eindrittelzeitig) besonderem Zeitdruck, sodass derzeit keinerlei kalkülsgemäße Angestellten-Berufstätigkeiten für die Klägerin namhaft gemacht werden können.

Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entsprechen jedoch weiterhin lediglich bei Nichtvorliegen von Berufsschutz rein fachbezogen gemäß § 273 Abs 2 ASVG dem medizinischen Leistungskalkül der Klägerin Berufstätigkeiten wie bspw als Reinigungskraft oder Abwäscherin. Bei dieser Hilfsarbeitertätigkeit [...] ist deren Aufgabengebiet auf Reinigungstätigkeiten eingeschränkt. Die angeführten Tätigkeiten stellen sich [als] leichte bis drittelzeitig mittelschwere körperliche Arbeiten im Stehen und Gehen, mit Tätigkeiten, für die eine Team- und Kommunikationsfähigkeit für Arbeiten in kleineren Gruppen ausreicht, mit Arbeiten mit einfachem geistigen Anforderungsprofil mit einfacher psychischer Belastung, mit Arbeiten bei durchschnittlichem Zeitdruck, zu den üblichen Arbeitszeiten und -pausen, dar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind die angeführten Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden. Freie Arbeitsplätze sind dabei nicht berücksichtigt.“

Rechtlich folgerte das Erstgericht nach Wiedergabe des § 273 Abs 1 ASVG zusammengefasst, die Klägerin sei in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag 1.7.2023 nicht in zumindest 90 Versicherungsmonaten in einer qualizifierten Erwerbstätigkeit tätig gewesen, sodass kein Berufsschutz bestehe und als Verweisungsfeld der gesamte Arbeitsmarkt infrage komme. Da die Klägerin nach dem festgestellten Leistungskalkül noch in der Lage sei, die mit über 100 Dienstposten ausgestatteten Verweisungstätigkeiten durchzuführen, sei sie auch nicht invalid im Sinne des § 255 ASVG.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund der „unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beurteilung“ mit dem auf Klagsstattgebung gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beteiligte sich nicht am Berufungsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Die Klägerin führt in ihrer Rechtsrüge aus, das Erstgericht habe den Beobachtungszeitraum fälschlicherweise mit 1.8.2023 (gemeint wohl 1.8.2008) angesetzt. Unbeachtet sei geblieben, dass die Klägerin von 6/2010 bis 6/2012 eine Berufsunfähigkeitspension und von 12/2009 bis (richtig) 01/2010 Übergangsgeld bezogen habe. Diese Zeiten würden den Rahmenzeitraum erstrecken, sodass dieser mit 1.4.2006 (25 Monate Pensionsbezug und 2 Monate Bezug von Übergangsgeld) zu laufen beginne. Aus der Beilage ./F gehe hervor, dass die Klägerin vom 28.1.2002 bis 31.10.2007 als Rechtsanwaltssekretärin beschäftigt gewesen sei. Die Versicherungsmonate vom 1.4.2006 bis 31.10.2007 stellten bei richtiger rechtlicher Beurteilung Beitragsmonate der Ausübung einer qualifizierten Tätigkeit als Rechtsanwaltssekretärin dar. Es lägen sohin im Beobachtungszeitraum zumindest 90 Monate einer qualifizierten Tätigkeit vor, weshalb der Klägerin Berufsunfähigkeitspension oder Rehabilitationsgeld zustehe.

1.Gemäß § 273 Abs 1 ASVG gilt die versicherte Person als berufsunfähig, deren Arbeitsfähigkeit infolge eines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden versicherten Person von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit als Angestellte oder nach § 255 Abs 1 ausgeübt wurde. § 255 Abs 2 dritter und vierter Satz sowie Abs 2a sind anzuwenden.

Vorliegend ist der Stichtag der 1.7.2023 (§ 223 Abs 1 Z 2 u . Abs 2 ASVG), der Beobachtungszeitraum reicht sohin vom 1.7.2008 bis 1.7.2023.

Gemäß § 273 Abs 1 ASVG iVm § 255 Abs 2 letzter Satz ASVG verlängert sich der Rahmenzeitraum um Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a (Wochengeld), lit d (Präsenzdienst), lit e (Zivildienst) und lit g (Zeiten der Kindererziehung) ASVG, um Monate des Bezugs von Übergangsgeld nach § 306 sowie um höchstens 60 Monate des Bezugs von Rehabilitationsgeld nach § 143a und von Umschulungsgeld nach § 39b AlVG, wenn solche Zeiten in die letzten 15 Jahre vor dem Stichtag fallen.

Zutreffend führt die Klägerin aus, dass auch Zeiten des Pensionsbezuges den Rahmenzeitraum verlängern (vgl 10 Obs 12/14h; Sonntag in Sonntag, ASVG 15§ 255 ASVG Rz 73 mwN).

2.Nach dem verdichteten Versicherungsverlauf Beilage ./8, dessen Inhalt nicht bestritten wurde (S 2 im Protokoll vom 15.10.2024) und der Entscheidung des Berufungsgerichts ohne weiteres zugrunde gelegt werden kann (RS0121557 [insb T3]) bezog die Klägerin im Beobachtungszeitraum 1.7.2008 bis 1.7.2023 zwei Monate Übergangsgeld (12.2009 bis 01.2010) und 25 Monate Berufsunfähigkeitspension (06.2010 bis 06.2012).

Diese 27 Monate erstrecken den Beobachtungszeitraum auf 1.4.2006 bis 1.7.2023, wie die Klägerin in ihrer Rechtsmittelschrift zutreffend darlegt.

3.Es ist daher zu prüfen, wie viele Beitragsmonate nach § 273 ASVG iVm § 255 Abs 2 ASVG die Klägerin in diesem erstreckten, maßgeblichen Beobachtungszeitraum erwarb, wobei unter Beitragsmonate im Sinne der zitierten Bestimmungen weder Zeiten nach § 8 Abs 2 Z 2 lit a bis lit g ASVG fallen (RS0125347), noch solche der Urlaubsersatzleistung (vgl Sonntag , aaO Rz 75).

4. Nach dem verdichteten Versicherungsverlauf hat die Klägerin in dem vom Erstgericht angenommenen Beobachtungszeitraum (1.7.2008 bis 1.7.2023) 66 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund ihrer qualizifizierten Tätigkeit erworben (vgl auch die Auflistung auf S 5 der UA), was von der Klägerin in ihrem Rechtsmittel auch nicht in Frage gestellt wird.

Hinzu kommen infolge der Erstreckung des Rahmenzeitraums auf den 1.4.2006 19 qualifizierte Versicherungsmonate vom 1.4.2006 bis 31.10.2007. In diesem Zeitraum hat die Klägerin laut der Beilage ./F, die ebenfalls als unstrittig der Entscheidung zugrunde gelegt werden kann, als Angestellte in einer Rechtsanwaltskanzlei gearbeitet und (auch nach dem verdichtetem Versicherungsauszug) qualifizierte Beitragsmonate erworben.

5. Zusammengefassthat die Klägerin im (korrigierten) Rahmenzeitraum 1.4.2006 bis 1.7.2023 sohin 85 qualifizierte Beitragsmonate erworben, weshalb die Voraussetzungen des § 273 Abs 1 ASVG nach wie vor nicht erfüllt sind. Das Erstgericht hat den Berufschutz der Klägerin im Ergebnis zu Recht verneint. Dass der Klägerin eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar ist, wird in ihrem Rechtsmittel nicht moniert.

Der unberechtigten Berufung war sohin ein Erfolg zu versagen und das Ersturteil mit der Maßgabe zu bestätigen, dass es im Sinne der Wiederholung des angefochtenen Bescheids ( Neumayr in ZellKomm 3§ 71 ASGG Rz 2 mwN) zu ergänzen war.

6. Eine Kostenentscheidung konnte mangels Verzeichnung derselben entfallen.

7.Die ordentliche Revision ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG nicht zulässig.