31Bs299/24h – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Im Namen der Republik
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A*wegen § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 25. Oktober 2024, GZ **-50.2, nach der unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Dr. Schwab, im Beisein der Richter Mag. Weber LL.M. und Mag. Spreitzer LL.M. als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Elisabeth Gretzmacher MAS LL.M. sowie in Anwesenheit des Angeklagten A* und seines Verteidigers Mag. Sascha Flatz durchgeführten Berufungsverhandlung am 21. März 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird Folgegegeben und die verhängte Freiheitsstrafe auf drei Jahre erhöht, die Anwendung des § 43a Abs 3 StGB wird ausgeschaltet.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen unbekämpft gebliebenen Teilfreispruch und unbekämpft gebliebene Privatbeteiligtenzusprüche enthaltenden Urteil wurde der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I.) und der Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 erster Fall StGB (II.) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 201 Abs 1 StGB unter aktenkonformer Vorhaftanrechnung zu einer Freiheitsstrafe von 32 Monaten verurteilt, wobei ein Teil der Strafe in der Dauer von 22 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren gemäß § 43a Abs 3 StGB bedingt nachgesehen wurde.
Mit gleichzeitig gefasstem Beschluss wurde dem Angeklagten gemäß „§§ 50, 51 Abs 1 und 3 StGB“ die Weisung erteilt, sich zur Deliktsaufarbeitung in eine psychotherapeutische Behandlung zu begeben (ON 51).
Nach dem Inhalt des Schuldspruches hat A* in **
I./ am 2. März 2024 B* C* mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie in einer Club-WC-Kabine am Rücken nach vorne stieß, ihren Rock hoch und die Strumpfhose nach unten schob, die Genannte, die deutlich mitteilte, keinen Geschlechtsverkehr mit ihm vollziehen zu wollen, durchgängig fest am rechten Oberarm ergriff, sie mit dem Rücken gegen die WC-Wand drückte und mit seinem Körper den Weg Richtung WC-Türe versperrte, sie im Bereich der Brüste und im Vaginalbereich berührte und mit zumindest einem seiner Finger vaginal penetrierte;
II./ mit nachgenannten Personen gegen deren Willen den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vorgenommen, und zwar
A./ am 23. Juli 2023 mit D* E*, indem er, nachdem die beiden zweimalig einvernehmlichen Vaginalverkehr miteinander vollzogen und D* E* währenddessen mehrmals explizit den Vollzug von Analverkehr abgelehnt hatte, als diese am Bauch lag, ohne Anwendung von Gewalt mit seinem Penis in sie anal eingedrungen ist, wobei diese den Analverkehr über sich ergehen ließ;
B./ zu einem nicht mehr konkret feststellbaren Zeitpunkt im Herbst 2022 mit F* G*, indem er, nachdem die Genannte erkennbar den Vollzug von Analverkehr abgelehnt hatte, diesen ohne Anwendung von Gewalt dennoch vollzog, wobei F* G* dies über sich ergehen ließ.
Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, als mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel und die teilweise reumütig geständige Verantwortung.
Die von C* erlittenen Verletzungen und der Bruch des Vertrauensverhältnisses wurden im Rahmen der allgemein im Sinn des § 32 Abs 2 und 3 StGB anzustellenden Erwägungen als aggravierend berücksichtigt, demgegenüber war der Umstand, dass die Vergewaltigung ohne massive Gewalteinwirkung verübt wurde, mildernd. Bei der Bewertung des Handlungs- und Gesinnungsunwerts wurde vom erkennenden Senat zu Gunsten des Angeklagten auch berücksichtigt, dass es sich „um situative Geschehen mit Personen, die bereits intime Beziehungen miteinander pflegten, handelte“, sämtliche Vorfälle in der Clubszene und im Zusammenhang mit die Hemmschwelle herabsetzenden Rauschmitteln erfolgt waren sowie die mediale Vorverurteilung. Geringe Tatfolgen ergaben sich für das Erstgericht auch daraus, dass H* und G* auch nach den Tathandlungen noch Kontakt zum Angeklagten hatten (US 31 ff).
Gegen dieses Urteil richtete sich die rechtzeitig angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der Staatsanwaltschaft (ON 50.1, 57), wobei nach Zurückziehung der Nichtigkeitsbeschwerde (ON 58) nunmehr über die zu ON 59 ausgeführte Berufung zu entscheiden ist, mit der die Staatsanwaltschaft eine Erhöhung der Sanktion und die Ausschaltung der Anwendung des § 43a Abs 3 StGB anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
Der Berufung kann Berechtigung nicht abgesprochen werden.
Zunächst sind die vom Erstgericht angenommenen Strafzumessungsgründe zum Nachteil des Angeklagten dahin zu ergänzen, als gemäß § 33 Abs 1 Z 1 StGB nicht nur das Zusammentreffen von einem Verbrechen und zwei Vergehen als erschwerend zu werten sind, sondern - angesichts der Tatbegehung über einen Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren - auch der lange Tatzeitraum ( Riffel in Höpfel/Ratz, WK 2StGB § 33 Rz 4; RIS-Justiz RS0096654).
Hingegen lagen die Voraussetzungen des Milderungsgrundes des § 34 Abs 1 Z 17 StGB nicht vor, weil dazu ein reumütiges Geständnis oder ein wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung erfolgen muss. Erstere Variante muss dabei gerade auch die subjektive Tatseite umfassen und von innerer Umkehr getragen sein, kommt es hier doch vor allem auf die spezialpräventive Perspektive an ( Riffel aaO § 34 Rz 38). Das – soweit überhaupt abgelegte – Geständnis trug aber nicht wesentlich zur Wahrheitsfindung bei und erfolgte erst im Laufe der Hauptverhandlung über Druck der schwerwiegend belastenden Beweismittel, nämlich nach der Aussage der Zeugin C* in der Hauptverhandlung, ohne eine innere Umkehr zum Ausdruck zu bringen (ON 50.1, 2 ff und ON 50.1, 9 f). Die mangelnde innere Umkehr kam – trotz teilweiser Schadensgutmachung bereits in der Hauptverhandlung (ON 50.1, 3) und der Teilanerkenntnisse der privatrechtlich geltend gemachten Ansprüche (ON 50.1, 53) – vor allem durch seine weiterhin stark abschwächenden Angaben zum Ausdruck, nämlich der Vorfall mit C* habe - entgegen deren Angaben und den Urteilsfeststellungen (ON 47.1, 48 ff sowie US 5 f und US 13 f)- nur wenige Sekunden gedauert, „sie“ hätten es sein lassen, nachdem sie gesagt habe „hör auf“ und er habe nur aufgrund des Drogenkonsums die Kontrolle verloren.
Im Rahmen des allgemeinen Strafzumessungserwägungen im Sinne des § 32 Abs 2 und 3 StGB war zudem nicht nur der gegenüber C* erfolgte Vertrauensbruch als aggravierend zu werten, sondern auch jener gegenüber G* (vgl US 8 f).
Entgegen der Annahme des Erstgerichts manifestiert sich im von hinten ausgeführten Stoß, der Gegenwehr des Opfers und der mehrere Minuten andauernden Fixierung (US 7) eine nicht unbeträchtliche Gewaltanwendung, die von einem hohen Gesinnungs- und Handlungsunwert des Angeklagten zeugt. Dagegen konnte aus den Umständen, dass G* und E* auch nach dem jeweiligen Vorfall noch Kontakt zum Angeklagten hatten, die involvierten Personen bereits intime Beziehungen miteinander pflegten (US 31 f), die Tathandlungen im Zusammenhang mit der Clubszene und dem Konsum von die allgemeine Hemmschwelle herabsetzenden Rauschmitteln standen (US 33 f) keine Rückschlüsse auf einen geringen Handlungs- und Erfolgsunwert gezogen werden, zumal die Opfer jeweils klar und deutlich zum Ausdruck brachten, mit den Handlungen des Angeklagten nicht einverstanden zu sein.
Soweit bei der Strafbemessung vom Erstgericht auf Rauschmittel Bezug genommen wird (US 33 ff) ist festzuhalten, dass ein selbstverschuldeter, durch den Genuss berauschender Mittel hervorgerufener, die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließender Rauschzustand nur ausnahmsweise mildernd sein kann, nämlich nur dann, wenn der Vorwurf, dass sich der Täter in einen solchen Zustand versetzt hat, die durch den Rauschzustand bewirkte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit nicht aufwiegt (RIS-Justiz RS0091056), wovon angesichts der vom Angeklagten selbst eingeräumten Erfahrung im Umgang mit berauschenden Mitteln und der bewussten Einnahme der Mittel nicht auszugehen war. Drogenkonsum wird grundsätzlich im Hinblick auf dessen grundsätzliche Strafbarkeit als vorwerfbar iSd § 35 StGB gewertet (Riffel aaO § 35 Rz 4).
Zusätzlich mildernd ist aber die an die Privatbeteiligten I* und G* geleisteten vollständigen Schadensgutmachungen in Höhe von insgesamt 3.500 Euro und 500 EUro (ON 50.1, 3 und ON 62 sowie in der Berufungsverhandlung vorgelegte Überweisungsbestätigung; vgl Riffel aaO § 34 Rz 34). Entgegen dem missverständlichen Rechtssatz RISJustiz RS0091323, wonach der Milderungsgrund des § 34 (nunmehr Abs 1) Z 14 StGB ausschließlich auf Vermögensdelikte, nicht aber auf Sexualdelikte zugeschnitten sei, ist auch die Schadensgutmachung als Milderungsgrund zu berücksichtigen (vgl etwa 12 Os 118/05b; die einzigen Entscheidungen des genannten Rechtssatzes 14 Os 53/91 und 15 Os 59/91 beziehen sich ausschließlich auf den hier nicht relevanten ersten Fall des § 34 Abs 1 Z 14 StGB; auch das Zitat in Fabrizy/Michel Kwapinski/Oshidari StGB 14 § 34 Rz 13 verweist bloß auf die Entscheidung 14 Os 53/91). Auch im Sinne der durch den Gesetzgeber immer stärkeren Beachtung der Viktimologie (siehe dazu Riffel aaO § 32 Rz 39) ist eine solche Schadensgutmachung zu berücksichtigen.
Soweit die Staatsanwaltschaft geltend macht, dass der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StGB entgegen der Urteilsannahme nicht vorläge, weil der sich aus dem Akt ergebende Drogenkonsum den ordentlichen Lebenswandel ausschließt (RIS-Justiz RS0091464), ist sie damit nicht im Recht. Der genannten Milderungsgrund wird zwar nicht allein schon durch Unbescholtenheit begründet, sondern setzt auch voraus, dass die Tat mit dem sonstigen Verhalten des Täters in auffallendem Widerspruch steht. Ein ordentlicher Lebenswandel kann demnach trotz geringfügiger, nicht auf gleicher schädlicher Neigung begründeter Vorstrafe vorliegen, durch asoziale Lebensweise aber ungeachtet allfälliger Unbescholtenheit ausgeschlossen sein ( RiffelaaO § 34 Rz 6). Da dem Angeklagten – der bis zur Inhaftierung sozial und beruflich in die Gesellschaft integriert war - strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung zur Last gelegt werden, nicht aber Verstöße nach dem SMG, stehen die Taten mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch (auch aus den dem von der Staatsanwaltschaft zitierten Rechtssatz zugrunde liegende Entscheidungen leitet sich das zu keiner Verurteilung führende, § 34 Abs 1 Z 2 StGB ausschließende Vortatverhalten immer aus einer gleichgelagerten schädlichen Neigung ab). Weiters ergeben sich aus dem Akt keine Hinweise, dass der Angeklagte berauschende Mittel im Zusammenhang mit der Tatbegehung gezielt einsetzte, weshalb das Vorliegen des § 34 Abs 1 Z 2 StGB zurecht bejaht wurde.
Bei objektiver Abwägung der zum Nach- und Vorteil des Angeklagten geänderten Strafzumessungslage und der allgemein im Sinn des § 32 Abs 2 und 3 StGB anzustellenden Erwägungen erweist sich aber – auch bei gebührender Berücksichtigung des bisher ordentlichen Lebenswandels des Angeklagten und der erfolgten Schadensgutmachung – die vom Erstgericht bei einem Strafrahmen von zwei bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe im unteren Bereich ausgemessene Sanktion als zu mild bemessen, um dem Angeklagten das Unrecht des von ihm gesetzten Verhaltens aufzuzeigen und um ihn von weiteren strafbaren Handlungen, insbesondere gleichgelagerter Natur, abzuhalten. Die Strafe war daher in Stattgebung der Berufung der Anklagebehörde auf das spruchgemäße Ausmaß zu erhöhen. Mit der neubemessenen Sanktion wird auch den – bei wiederholten Tathandlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung jedenfalls gegebenen - gewichtigen generalpräventiven Aspekten (RIS-Justiz RS0090600) entsprechend Rechnung getragen.
Die Anwendung des § 43a Abs 4 StGB, dessen Anwendung auf extreme Ausnahmefälle beschränkt ist (RIS-Justiz RS0092050), war angesichts des langen Tatzeitraums und der wiederholten Delinquenz schon aus spezialpräventiven Erwägungen ausgeschlossen.
Der Beschluss ON 51 ist mit dieser Entscheidung gegenstandslos.