JudikaturOLG Wien

2R31/25f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
21. März 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Hofmann als Vorsitzenden sowie die Richterin MMag. Pichler und den Richter MMag. Popelka in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wider die beklagte Partei B* S.p.A. , **, Italien, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen € 13.350 samt Anhang, über den Kostenrekurs der klagenden Partei (Rekursinteresse - richtig - EUR 17.860,45) gegen die Kostenentscheidung im Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 25. Jänner 2025, **-70, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben. Die angefochtene Kostenentscheidung wird dahin abgeändert, dass sie (einschließlich des im Urteilspunkt 1. enthaltenen rechtskräftigen Zuspruchs) insgesamt lautet:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 16.187,70 (darin EUR 1.226,35 USt und EUR 8.829,60 Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen “.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 402,43 (darin EUR 67,07 USt) bestimmten Kosten des Rekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Der Kläger hat im Jahr 2013 ein neues Wohnmobil von einem Dritten gekauft. Die Beklagte ist Herstellerin des Basisfahrzeugs. Es hat einen Dieselmotor mit unzulässiger Abschalteinrichtung.

Mit seiner Mitte 2022 eingebrachten Klage begehrte er Zahlung von EUR 26.700, nämlich Schadenersatz von 30 % des überhöhten Kaufpreises von EUR 89.000; weiters erhob er ein - mit EUR 2.000 bewertetes - Begehren auf Feststellung der Haftung für jeden ihm aus diesem Kauf zukünftig entstehenden Schaden.

Im ersten Rechtsgang - nach Schluss der Verhandlung am 27.6.2023 (ON 30) - kam es (insoweit berufungsgerichtlich bestätigt [ON 43.2]) zur rechtskräftigen Abweisung des Feststellungsbegehrens zur Gänze und des Zahlungsbegehrens zur Hälfte, also im Umfang von EUR 13.350.

Mit dem nunmehrigen - in der Hauptsache rechtskräftigen - Urteil des zweiten Rechtsgangs über das verbliebene Zahlungsbegehren erkannte das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von EUR 8.900 schuldig und wies das Mehrbegehren von EUR 4.450 ab. Mit seiner (nur vom Kläger angefochtenen) Kostenentscheidung verhielt es in Punkt 1. die Beklagte zum Kostenersatz von EUR 6.303,83 und in Punkt 3. den Kläger zum Kostenersatz in Höhe von 3.062,20. Dem liegen (erkennbar gemäß § 43 Abs 1 ZPO) Obsiegens-/Unterliegensverhältnisse im ersten Verfahrensabschnitt von rund 31 : 69 zulasten des Klägers bzw im zweiten Abschnitt von 2 : 1 zu seinen Gunsten zugrunde.

Dagegen richtet sich der Kostenrekurs des Klägers (erkennbar wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung) mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass (insgesamt) ihm die Beklagte Prozesskosten von EUR 21.102,08 (darin EUR 1.601,68 USt und EUR 11.492 Barauslagen) zu ersetzen habe.

Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist teilweise berechtigt.

1. Anwendung des § 43 Abs 2 ZPO

Der Rekurswerber meint, gemäß § 43 Abs 2 ZPO gebühre ihm voller Kostenersatz auf Basis des Ersiegten, und zwar mangels erkennbarer offenbarer Überklagung unter Hinweis auf 10 Ob 46/23x sowie auf EuGH-Judikatur, wonach kostenrechtliche Verfahrensmodalitäten den Verbraucher von der Rechtsdurchsetzung nicht abschrecken dürften. Hiezu ist auszuführen:

1.1. Gemäß § 43 Abs 2 ZPO kommt das Kostenprivileg (soweit hier relevant) zur Anwendung, wenn der Betrag der erhobenen Forderung von der Feststellung durch richterliches Ermessen oder durch Sachverständige abhängt.

Hinsichtlich des Zahlungsbegehrens ist dies zweifellos erfüllt. Zum Ausmaß einer noch unschädlichen Überklagung kann eine Faustregel, etwa dass ein Unterliegen mit mehr als 50 % die Anwendung des § 43 Abs 2 ZPO ausschließen würde, nicht aufgestellt werden; vielmehr sind immer die Umstände des einzelnen Falles bei der Beurteilung einer Überklagung zu berücksichtigen (M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 § 43 ZPO Rz 19).

Vorliegend hat der Kläger - gemessen am Zahlungsbegehren des ersten Rechtsgangs von EUR 26.700 - letztlich mit EUR 8.900 und demnach mit 1/3 obsiegt.

Der OGH bejahte (wie der Rekurs zutreffend aufzeigt) in einem ganz ähnlichen Parallelfall (Klage auf 30 % des Kaufpreises; Zuspruch von EUR 1.699/Abweisung von EUR 3.398 = Obsiegen mit 1/3) die Anwendbarkeit des Kostenprivilegs nach § 43 Abs 2 ZPO mit der Begründung, dass das (überwiegende) Unterliegen für die (dortige) Klägerin erst aufgrund der nach Einbringung der Revision veröffentlichten Rechtsprechung [Anm des Rekursgerichtes: wohl gemeint 10 Ob 27/23b, wie in Rz 17 zitiert] bekannt sein konnte und die Überklagung – auch angesichts entsprechender Zusprüche durch erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen – noch nicht als erkennbare und offenbare Überforderung außerhalb jeder vernünftigen Überlegung qualifiziert werden musste (10 Ob 46/23x [26]).

Dem ist auch vorliegend zu folgen: Die Veröffentlichung jener zitierten maßgebliche Entscheidung 10 Ob 27/23b im RIS erfolgte per 06.10.2023, also erst Monate nach dem Verhandlungsschluss im ersten Rechtsgang vom 27.6.2023. Jedenfalls betreffend den ersten Rechtsgang ist daher auch bei den vorliegenden besonderen Umständen der Schadensbezifferung infolge Ankaufs eines KFZ mit unzulässiger Abschalteinrichtung von einer noch zu tolerierenden Überklagung auszugehen.

1.2. Das Feststellungsbegehren scheiterte allerdings am Fehlen in Betracht kommender künftiger Schäden, etwa weil das Risiko eines künftigen Zulassungsentzugs bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließt (OLG Wien, * [= ON 43.2.] mwN). Das Unterliegen beruhte somit auf einer Fehleinklagung aus rechtlichen Gründen mangels Anspruchsgrundlage nach § 228 ZPO. Schon deshalb scheidet eine Heranziehung des Kostenprivilegs insoweit aus. Die Streitfrage, wie sich - im Falle eines Schmerzengeldbegehrens - das Unterliegen mit einem zusätzlich erhobenen Feststellungsbegehren (zur Haftung für künftige Verletzungsfolgen) in Hinblick darauf beurteilt, dass beide Aspekte vom einzuholenden medizinischen Sachverständigengutachten abhängen (zum Meinungsstreit vgl Fucik in Rechberger/Konecny 5 § 43 ZPO Rz 11), kann daher vorliegend offen bleiben; der Kläger unterlag mit dem Feststellungsbegehren aus rechtlichen Gründen und nicht in Abhängigkeit von einer Schadensbeurteilung des Sachverständigen.

Dieses Unterliegen mit dem Feststellungsbegehren, also mit einem Streitwert von EUR 2.000, ist infolge Heranziehung des § 43 Abs 2 ZPO am obsiegten Betrag von EUR 8.900 zu messen, errechnet sich daher mit rund 20 % (2.000 von 10.900 = Zahlungsbegehren auf Basis des ersiegten Betrags + Streitwert des Feststellungsbegehrens) und ist somit auch nicht geringfügig.

2. Für den ersten Rechtsgang führt die daraus folgende kombinierte Heranziehung der Abs 1 und 2 des § 43 ZPO (vgl Fucik aaO Rz 15) zum Obsiegen des Klägers mit rund 80 % (EUR 8.900 von EUR 10.900) und damit zu seinem Anspruch auf 60 % seiner Kosten bei einer Bemessungsgrundlage von EUR 10.900 bzw auf 80 % seiner privilegierten Barauslagen.

An Sachverständigenkosten sind (amtswegig aufzugreifen) in diesem Abschnitt allerdings nur EUR 3.720 aufgelaufen.

3. Im zweiten Rechtsgang streitgegenständlich war nur noch ein Zahlungsbegehren von EUR 13.350. Dem Kläger kommt für sein nunmehriges - primär von richterlichem Ermessen nach § 273 ZPO abhängiges - deutlich überwiegendes Obsiegen (mit EUR 8.900 = zu 2/3) das Kostenprivileg des § 43 Abs 2 ZPO jedenfalls zugute. Die inzwischen veröffentlichte „Prozent-Spannen-Judikatur“ im Sinne 10 Ob 27/23b steht dem nicht entgegen, bestand in Hinblick auf die 15 %-ige Obergrenze doch durchaus eine volle Obsiegens-Chance (15 % von 89.000 = 13.350). Dem Kläger gebühren daher - im Sinne seines Rekurses - volle Kosten auf Basis des Ersiegten.

An Sachverständigenkosten sind (amtswegig aufzugreifen) in diesem Abschnitt allerdings nur EUR 5.220 aufgelaufen.

4. Zu den Kosteneinwendungen (ON 71) iVm S 5 f der Rekursbeantwortung:

4.1. Die Schriftsätze vom 17.3.2023 (ON 25) und 30.8.2024 (ON 57) betreffend Anträge auf Gutachtenserörterung unterliegen nur der TP2 (7 Ob 12/21x, 2 Ob 201/99v; zur grundsätzlichen Ablehnung der TP3 vgl Obermaier, Kostenhandbuch 4 Rz 3.65). Eine allfällige ausnahmsweise Honorierung nach TP3 aus dem Gesichtspunkt eines „aufgetragenen Fragenkatalogs“ (so zB 2 Ob 82/23g) scheidet vorliegend aus, weil den - soweit vom Erstgericht überhaupt zugelassenen (vgl Beschluss ON 59) - bloßen Einzelfragen die Qualität eines höherwertigen „Fragenkatalogs“ jedenfalls fehlte.

4.2. Den Schriftsatz vom 7.6.2024 (ON 46), eingebracht nach Zustellung der berufungsgerichtlichen Entscheidung des ersten Rechtsgangs (ON 43), erachtet die Beklagte als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig, weil das darin enthaltene Vorbringen ohne Weiteres auch in der (nächsten) Tagsatzung vom 24.06.2024 habe erstattet werden können und müssen.

Allerdings erfolgte der Schriftsatz über erstgerichtlichen Auftrag vom 8.4.2024 (ON 44), allfällige Anträge im Zusammenhang mit der sie treffenden Beweispflicht unter Berücksichtigung des bereits eingeholten (Akten-)Gutachtens zu stellen. Er diente demnach - zur effizienten Durchführung der nächsten Tagsatzung gerichtlich angeregt - durchaus der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und war daher mangels Stichhaltigkeit der Einwendungen wie verzeichnet zu honorieren.

4.3. Die Vertagungsbitte (ON 65) resultiert - wie schon das Erstgericht zutreffend erkannt hat - aus der Sphäre des Klägers und ist daher nicht zu honorieren (§ 48 ZPO).

5. Dies hatte zur spruchgemäßen teilweisen Stattgebung des Rekurses zu führen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 43 Abs 1 ZPO. Das im Rekurs errechnete Rekursinteresse vermindert sich um den in Urteilspunkt 1. ohnehin erfolgten rechtskräftigen Teilzuspruch. Anhand des Rekurserfolgs von demnach (bereinigt nur) EUR 12.946,07 ist der Rekurswerber zu rund 70 % durchgedrungen, sodass ihm 40 % der Rekurskosten zustehen. Zu kürzen war allerdings der verzeichnete Zuschlag für das angeregte EuGH-Vorabentscheidungsersuchen, weil es an einer eingehenden rechtlichen Begründung iS Pkt 5. der Anmerkungen zu TP3 dafür fehlt, warum - über die bloße Wiedergabe ohnehin bereits ergangener einschlägiger EuGH-Judikatur hinausgehend und ungeachtet der höchstgerichtlich ohnehin bereits vorgezeichneten Anwendbarkeit des klägerfreundlichen Kostenprivilegs nach § 43 Abs 2 ZPO - eine weitere Vorabentscheidung erforderlich sei.

Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.