JudikaturOLG Wien

6R18/25y – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Wirtschaftsrecht
26. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie die Richter Dr. Pscheidl und Mag. Jelinek in der Rechtssache der Antragstellerin Österreichische Gesundheitskasse , **, wider die Antragsgegnerin A* GmbH , **, Schweiz, wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 8.1.2025, ***, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Mit einem am 26.11.2024 beim Erstgericht eingelangten Antrag begehrte die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK; Antragstellerin) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A* GmbH (Antragsgegnerin). Diese schulde ihr laut dem beiliegenden Rückstandsausweis EUR 14.619,95 an Beiträgen für die Monate April bis Oktober 2024 zuzüglich Verzugszinsen. Die Zahlungsunfähigkeit ergebe sich aus dem Zeitraum der rückständigen Beiträge sowie aus dem gegen sie am Bezirksgericht Innere Stadt Wien zu ** geführten Exekutionsverfahren.

Zur Zuständigkeit brachte die Antragstellerin vor, die Antragsgegnerin betreibe eine Niederlassung in ** und die Verbindlichkeit beziehe sich auf diese Niederlassung.

Abfragen wegen Vorverfahren (ON 2.1), im Firmenbuch (ON 2.2), in der Liste der Vermögensverzeichnisse (ON 2.4), im Grundbuch (ON 2.5) sowie wegen offenkundiger Zahlungsfähigkeit (ON 2.6) blieben ergebnislos.

Eine Abfrage im Verfahrensregister ergab das von der Antragstellerin angeführte Exekutionsverfahren als einziges aktuell anhängiges Verfahren gegen die Antragsgegnerin. Sechs weitere von der Antragstellerin seit 2023 angestrengte Exekutionsverfahren waren zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung bereits eingestellt (ON 2.3).

Mit Beschluss vom 2.12.2024 trug das Erstgericht der Antragstellerin auf, bis 15.12.2024 die Adresse der ausländischen Gesellschaft im Ausland bekanntzugeben und zu bescheinigen, dass es in Österreich eine Niederlassung gibt.

Die Antragstellerin gab am 6.12.2024 die Adresse in der Schweiz bekannt und teilte weiters mit, dass am 16.5.2024 ein Vollzugsbericht mit Vollzahlung zum Exekutionsverfahren ** unter der Adresse ** vorliege. An dieser Anschrift befinde sich die Niederlassung.

Mit weiterem Beschluss vom 9.12.2024 trug das Erstgericht die Verbesserung durch Vorlage von Bescheinigungsmitteln für das Bestehen einer Niederlassung auf.

Die Antragstellerin legte hierzu am 8.1.2025 ein Schreiben an die Antragsgegnerin vom 25.1.2024 samt Übernahmeschein vom 30.1.2024 vor.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Begründend führte es aus, dass ein Partikularverfahren nach der EuInsVO nicht eröffnet werden könne, weil die Schweiz kein EU-Mitglied sei. Vermögen der Schuldnerin im Inland sei nicht behauptet worden. Die Vorlage eines „Zustellzettels“ könne das Betreiben einer Niederlassung nicht ausreichend bescheinigen.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragstellerin mit dem Antrag auf Abänderung in eine Stattgebung des Insolvenzeröffnungsantrags.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Sinne seines impliziten Aufhebungsbegehrens berechtigt.

1. Die Antragstellerin bringt vor, die Antragsgegnerin habe zur Beitragskontonummer ** seit 1.2.2017 ein Beitragskonto. Seit diesem Zeitpunkt seien Dienstnehmer zur Sozialversicherung gemeldet und die Beiträge bis März 2024 auch bezahlt. Es seien weiterhin Dienstnehmer zur Sozialversicherung gemeldet, sodass der Rückstand auf EUR 18.363,21 angestiegen sei. Vermutlich würden auch die Ansprüche der Dienstnehmer bezahlt. Zum Exekutionsverfahren ** des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien sei Vollzahlung geleistet worden. Zu ** finde am 5.2.2025 ein Versteigerungstermin statt. Es sei somit Vermögen im Inland behauptet.

2. Bevor das Insolvenzgericht beurteilt, ob der Antragsteller die Insolvenzvoraussetzungen im Insolvenzeröffnungsantrag im erforderlichen Maß dargelegt hat, hat es die internationale und die örtliche Zuständigkeit nach § 63 IO zu prüfen. Erst wenn Anhaltspunkte für seine örtliche Zuständigkeit bestehen, kommt eine inhaltliche Entscheidung über den Insolvenzeröffnungsantrag in Betracht ( Mohr , IO 11 § 70 E 112).

3. Nach § 63 IO ist für das Insolvenzverfahren der Gerichtshof erster Instanz zuständig, in dessen Sprengel der Schuldner sein Unternehmen betreibt oder mangels eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wenn der Schuldner im Inland weder ein Unternehmen betreibt noch hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist subsidiär gemäß § 63 Abs 2 IO jener Gerichtshof erster Instanz zuständig, in dessen Sprengel sich eine Niederlassung, mangels einer solchen Vermögen des Schuldners befindet.

3.1. Nach hM ist der Begriff der Niederlassung in § 63 Abs 2 IO in einem besonderen, sehr weiten und über § 87 JN hinausgehenden Sinn zu verstehen. Nicht maßgeblich ist die Registrierung der Niederlassung ( Schneider in Konecny , InsG § 63 IO Rz 117; Schumacher in KLS 2 § 63 IO Rz 24 f).

Bei Prüfung der internationalen Zuständigkeit aufgrund einer Niederlassung in Österreich ist auf die Legaldefinition der Niederlassung in Art 2 Z 10 EuInsVO abzustellen ( Schumacher in KLS 2 § 63 IO Rz 28) bzw diese als Interpretationsmaßstab heranzuziehen ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, InsR 4 § 63 KO Rz 32).

Danach ist eine Niederlassung jeder Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt. Der Begriff der Niederlassung ist weit auszulegen. Die Tätigkeit kann sowohl kommerzieller, industrieller als auch freiberuflicher Art sein, sie muss aber auf einen Erwerbszweck gerichtet sein. Maßgeblich dabei ist eine Tätigkeit zum Markt hin; sie muss also nach außen gerichtet sein (vgl Schneider in Konecny , InsG § 63 IO Rz 118 f mwN).

3.2. Als letztes Anknüpfungskriterium zur Bestimmung der Zuständigkeit kommt Vermögen des Schuldners in Betracht. Beim Anknüpfungskriterium des Vermögens ist der Vermögensbegriff des § 99 JN maßgeblich, insbesondere auch in der Frage der Belegenheit der Vermögensgegenstände ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, InsR 4 § 63 KO Rz 34; Mohr , IO 11 § 63 E 50; aA Schneider in Konecny , InsG § 63 IO Rz 122). Für die Zuständigkeitsbegründung aufgrund Vermögens kommen alle Güter und Rechte, die wirtschaftlich verwertbar sind, in Betracht, einschließlich Forderungen ( Schneider in Konecny , InsG § 63 IO Rz 123; RS0046756). Dazu regelt § 99 Abs 2 JN im Einzelnen, welcher Ort als Ort des Vermögens anzusehen ist. Bei Forderungen richtet sich die Zuständigkeit primär nach dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt bzw dem satzungsmäßigen Sitz des Drittschuldners, in Ermangelung eines solchen im Inland nach dem Ort, an dem sich die für diese Forderung zur Sicherheit haftende Sache befindet ( Simotta in Fasching/Konecny, ZPG 3 § 99 JN Rz 80; Mayr in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 99 JN Rz 4).

Schumacher (in Bartsch/Pollak/Buchegger 4 , § 63 KO Rz 35) vertritt, dass zumindest das Vorliegen von kostendeckendem Vermögen notwendig sei, um diese Zuständigkeit zu begründen. Die Zuständigkeitsprüfung solle in diesem Fall mit der Prüfung der Kostendeckung zusammenfallen.

Schneider (in Konecny , InsG § 63 IO Rz 127) argumentiert, dass erst wenn die Zuständigkeit bejaht worden sei, das angerufene Gericht eine Entscheidung „in der Sache“ fällen dürfe, in concreto über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dieser Grundsatz müsse auch beim Vermögensgerichtsstand beachtet werden. In einem ersten Schritt habe das angerufene Gericht zu prüfen, ob überhaupt Vermögen vorliege. An eine bestimmte Mindestgrenze sei es dabei grundsätzlich nicht gebunden, es habe lediglich zu beurteilen, ob wirtschaftlich verwertbare Güter oder Rechte vorliegen.

Das Rekursgericht hat sich zu 6 R 250/23p der Ansicht Schneiders angeschlossen.

4. Der einen Insolvenzeröffnungsantrag stellende Gläubiger hat in seinem Antrag auch jenen Sachverhalt anzugeben, aus dem sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt ( Schneider in Konecny, InsG § 63 IO Rz 129; Mohr, IO 11 § 63 E 7; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, InsR 4 § 63 KO Rz 39).

Das angerufene Gericht hat die die Zuständigkeit bestimmenden Verhältnisse von Amts wegen zu prüfen. Es ist dabei an die Angaben des antragstellenden Gläubigers nicht gebunden (RS0051651 [T3]); vielmehr hat es gemäß § 41 Abs 3 JN iVm § 252 IO und § 254 Abs 5 IO die für die Zuständigkeit maßgebenden Verhältnisse von Amts wegen zu untersuchen und zu diesem Zweck von den Beteiligten alle nötigen Aufklärungen zu fordern; es hat ein unbeschränktes materielles Prüfungsrecht. Die Zuständigkeitsprüfung erfolgt daher nicht bloß aufgrund der Angaben im Insolvenzantrag, sondern auch aufgrund amtswegiger Erhebungen und Nachprüfungen ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, InsR 4 § 63 KO Rz 39 mwN; Mohr , IO 11 § 63 E 10 mwN; Mayr in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 41 JN Rz 7; Schneider in Konecny , InsG § 63 IO Rz 130 ff).

Die Intensität der gerichtlichen Nachprüfung richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls: Sie kann zB bei einem widersprechenden Vorbringen oder sonst aus dem Vorbringen sich ergebenden besonderen Bedenken eingreifen bzw sich verstärken.

Derartige Prüfungsschritte könnten zB eine Sozialversicherungsabfrage oder eine Anfrage bei der Gewerbebehörde wie auch die Aufforderung zu entsprechenden Aufklärungen an die Beteiligten sein. Die Notwendigkeit der raschen und ökonomischen Durchführung des Insolvenzeröffnungsverfahrens erlaubt allerdings keine uferlose Nachforschung. Ebenso wenig sind Formalitäten eines Beweisverfahrens einzuhalten, sodass zB telefonische Anfragen bei Behörden oder Auskunftspersonen möglich sind ( Schumacher in KLS 2 § 63 IO Rz 39).

5. Die Antragstellerin legte eine Zustellbescheinigung über ein Schreiben vor, das von einer Arbeitnehmerin unterfertigt wurde. Weiters behauptete sie Zahlungen im Rahmen der von ihr angestrengten Exekutionsverfahren sowie eine Pfändung. Diese Zahlungen könnten – jedenfalls einzelne davon - Anfechtungsansprüche begründen, die wiederum, da sie an die Antragstellerin geleistet wurden, ein Vermögen im Inland darstellen würden.

Erhebungen des Rekursgerichts (§ 254 Abs 5 IO; RS0064997, RS0065221) ergaben, dass beim Vollzug zu ** am 5.12.2024 jemand für die verpflichtende Partei an der von der Antragstellerin angeführten Anschrift anwesend war und es zu einer Pfändung kam.

Bei der im gegenständlichen Sachverhalt gegebenen Informationslage kann nicht ohne weitere Erhebungen davon ausgegangen werden, dass tatsächlich keiner der Anknüpfungspunkte des § 63 IO erfüllt ist.

Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die sich aufgrund der Angaben der Antragstellerin ergebenden erforderlichen weiteren Erhebungsschritte zu setzen und insbesondere mit Hilfe des Gerichtsvollziehers abzuklären haben, ob eine Niederlassung an der angegeben Anschrift besteht bzw ob Vermögen vorhanden ist.

Sofern sich dabei eine Niederlassung oder zumindest Vermögen – wenn auch allenfalls in einem geringeren Ausmaß als EUR 4.000 - ergeben sollte, wird es in einem weiteren Schritt die Eröffnungsvoraussetzungen zu prüfen haben.