JudikaturOLG Wien

9Rs15/25d – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
25. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Pöhlmann als Vorsitzenden, die Richterin Mag.Dr. Vogler und den Richter Mag. Falmbigl sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Barbara Holzer und Mag. Reinhold Wipfel in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Dr. Stephan Riel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, **, wegen Invaliditätspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 11.9.2024, **-28, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 2.5.2023 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 4.10.2022 auf Gewährung einer Invaliditätspension ab und sprach aus, dass auch vorübergehende Invalidität im Ausmaß von mindestens sechs Monaten nicht vorliege und kein Anspruch auf Rehabilitatsionsgeld, medizinische und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.

Dagegen richtet sich die Klage mit dem wesentlichen Vorbringen, aufgrund seines Gesundheitszustands sei der Kläger nicht mehr imstande, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Beklagteentgegnete, der Kläger sei im Beobachtungszeitraum des § 255 Abs 2 ASVG nicht überwiegend in erlernten oder angelernten Berufen tätig gewesen. Er sei in der Lage, eine auf dem Arbeitsmarkt bewertete, zumutbare Tätigkeit auszuüben.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das auf Gewährung der Invaliditätspension gerichtete Hauptbegehren sowie die auf Gewährung von Rehabilitatisons- bzw Umschulungsgeld und Rehabilitationsmaßnahmen gerichteten Eventualbegehren ab.

Es traf die auf den S 2 und 3 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird. Für die Zwecke des Berufungsverfahrens ist daraus hervorzuheben:

[...] Zum Berufsverlauf/Versicherungsverlauf :

Insgesamt hat der Kläger zum Stichtag 388 Versicherungsmonate, davon 196 Beitragsmonate der Pflichtversicherung Teilversicherung (APG), 192 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben (verdichteter Versicherungsverlauf).

Von 05.2018 bis 06.2019 hat er 14 Monate Rehabilitationsgeld bezogen. Im Beobachtungszeitraum (letzten 15 Jahren vor dem Stichtag unter Berücksichtigung neutraler Zeiten) hat der Kläger nicht mindestens 90 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben. Zuletzt war der Kläger als Kommissionierer bei Essen auf Rädern tätig; dabei musste er die entsprechenden Mahlzeiten in der richtigen Reihenfolge auf die Zustellfahrzeuge aufladen.

Medizinisches Leistungskalkül:

Der Kläger ist nur noch in der Lage, leichte und fallweise mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen sowie fallweise im Stehen und fallweise im Gehen, ohne Arbeiten in exponierten Lagen, ohne Arbeiten an gefährdenden Maschinen bzw. fallweise mit Arbeiten in allgemeinexponierten Lagen, ohne Arbeiten in dauernder extremer Hitze, ohne Arbeiten in dauernder extremer Kälte, ohne Arbeiten in Nässe, ohne Arbeiten in Zugluft, ohne feinstmotorische Arbeiten rechts, ohne typische Tastaturarbeiten im 10-Finger-System mit der rechten Hand, eingeschränkt mit Tisch- und Verpackungsarbeiten mit der rechten Hand, mit Arbeiten, für die eine durchschnittliche psychische Beanspruchbarkeit ausreicht, mit Arbeiten bei durchschnittlichem bis fallweise besonderem Zeitdruck, ohne Nacht- und Schichtarbeiten, zu den üblichen Arbeitszeiten und –pausen, auszuüben.

Die Anmarschwege sind gewährleistet. Der Weg zur Arbeit ist nicht eingeschränkt. [...]

Tagportiere:

Die Berufsträger (Hilfskräfte) beaufsichtigen im Tagdienst am Eingang von Verwaltungsgebäuden, Produktionsbetrieben, etc. den Fahrzeug- und Personenverkehr. Sie stehen den Besuchern und Angestellten für Informationen zur Verfügung, beantworten telefonische Anfragen und stellen Telefonverbindungen mit der zuständigen Abteilung her. In ihren Tätigkeitsbereich fallen auch die Kontrolle von Lieferscheinen, die Entgegennahme einzelner Poststücke sowie die Ausstellung von Besucherscheinen. Nach Dienstschluss übergeben sie die Portierloge entweder an den Nachtportier oder sorgen für die Versperrung der Gebäude.

Anforderungsprofil: Die angeführten Tätigkeiten sind leichte körperliche Arbeiten im Sitzen sowie nicht mehr als fallweise im Stehen und nicht mehr als fallweise im Gehen, ohne Arbeiten in exponierten Lagen, ohne Arbeiten an gefährdenden Maschinen bzw. ohne Arbeiten in allgemeinexponierten Lagen, ohne Arbeiten in dauernder extremer Hitze, ohne Arbeiten in dauernder extremer Kälte, ohne Arbeiten in Nässe, ohne Arbeiten in Zugluft, ohne feinstmotorische Arbeiten rechts, ohne typische Tastaturarbeiten im 10-Finger-System mit der rechten Hand, ohne Tisch- und Verpackungsarbeiten mit der rechten Hand, mit Arbeiten, für die eine leichte psychische Beanspruchbarkeit ausreicht, mit Arbeiten bei durchschnittlichem Zeitdruck ohne Nacht- und Schichtarbeiten, zu den üblichen Arbeitszeiten und –pausen.

Rechtlichbeurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass die Invalidität des Klägers nach § 255 Abs 3 ASVG zu prüfen sei, weil der Kläger im Beobachtungszeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nicht in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit in erlernten oder angelernten Berufen ausgeübt habe. Der Kläger könne auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden. Da ihm mit seinem Restleistungskalkül noch Tätigkeiten als Tagportier möglich seien, liege weder vorübergehende noch dauernde Invalidität vor, sodass das Klagebegehren und das Eventualbegehren abzuweisen seien.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern, hilfsweise es aufzuheben.

Die Beklagte hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. In ihrer einzig erhobenen Rechtsrüge führt der Kläger aus, die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, dass mit dem medizinischen Restleistungskalkül des Klägers noch die Tätigkeit als Tagportier möglich sei, sei unrichtig. Es lägen keine Feststellungen vor, wonach eine derartige Tätigkeit dem Kläger zumutbar sein solle.

Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden:

1.2.Bei Prüfung eines Pensionsanspruches wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ist insbesondere in Fällen des § 255 Abs 3 ASVG vorerst ein medizinisches Leistungskalkül zu erheben. Sodann ist unter Bedachtnahme auf die Ergebnisse dieses Leistungskalküls das Verweisungsfeld zu prüfen und es sind die damit verbundenen Anforderungen in möglichst detaillierter Form festzustellen. Durch Vergleich des medizinischen Leistungskalküls mit den Feststellungen über die physischen und psychischen Anforderungen, die die Verweisungstätigkeiten stellen, ist sodann die Frage zu lösen, ob der Kläger zur Verrichtung der in Frage kommenden Verweisungstätigkeiten in der Lage ist (RS0084413 [T3]; Sonntag in Sonntag, ASVG 15 § 255 Rz 3).

Das Erstgericht hat sowohl das medizinische Leistungskalkül des Klägers als auch die mit dem Verweisungsberuf des Tagportiers verbundenen Anforderungen (Anforderungsprofil) detailliert und in vergleichbarer Form festgestellt. Auf dieser Tatsachengrundlage ergibt der für die rechtliche Beurteilung vorzunehmende Vergleich eindeutig, dass das Anforderungsprofil das medizinische Restleistungskalkül des Klägers nicht übersteigt. Nähere Ausführungen, warum dies der Fall sein sollte, enthält auch die Berufung nicht. Der Schluss des Erstgerichts, der Kläger sei infolge seines körperlichen und geistigen Zustands noch imstande, die Tätigkeit eines Tagportiers auszuüben, ist daher nicht zu beanstanden.

1.2.Die in § 255 Abs 3 ASVG enthaltene Zumutbarkeitsformel soll die Verweisung auf Tätigkeiten verhindern, zu denen der Versicherte zwar imstande wäre, die ihm aber unter billiger Berücksichtigung der von ihm - nicht nur während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag - ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr zumutbar wären. Damit soll vor allem ausgeschlossen werden, dass ein Versicherter auf Tätigkeiten verwiesen wird, die einen höheren Bildungsgrad oder eine unzumutbare längere Anlernung oder Umschulung voraussetzen. Es soll verhindert werden, dass sich der Versicherte höher qualifizierte Berufe oder gar selbständige Erwerbstätigkeiten entgegenhalten lassen muss, die er bei seinem Gesundheitszustand noch ausüben könnte, obwohl hierfür eine grundlegende Umschulung nötig wäre, die er oft gar nicht absolvieren könnte (RS0084991).

Dass es sich beim Beruf eines Tagportiers weder um einen (nach dem erforderlichen Bilgungsgrad) höher qualifizierten Beruf handelt noch eine längere Anlernung erforderlich ist, ergibt sich einerseits aus den Feststellungen zu den Aufgaben eines Tagportiers und kann andererseits im sozialgerichtlichen Verfahren als offenkundig vorausgesetzt werden (vgl RS0040179, RS0084528).

1.3. Die Zumutbarkeitsprüfung im Einzelfall stellt auch ein Korrektiv dar, das eine Berücksichtigung verschiedener vom gesundheitlichen Befinden unabhängiger Umstände erlaubt ( Sonntag in Sonntag, ASVG 15§ 255 Rz 127a). Unter diesem Aspekt kann etwa geprüft werden, ob einem ursprünglich vollzeitig Beschäftigten, der nur mehr Teilzeitarbeit verrichten kann, zur Erreichung eines entsprechenden Arbeitsplatzes eine Wohnsitzverlegung oder Wochenpendeln zumutbar ist (vgl 10 ObS 72/10a, RS0085027).

Für die Unzumutbarkeit einer Tätigkeit als Tagportier in diesem Sinn liegen im Fall des Klägers keinerlei Anhaltspunkte vor. Das Erstgericht musste daher in dieser Hinsicht keine Beweisaufnahme durchführen und keine Feststellungen treffen (vgl RS0086455).

2. Insgesamt war der Berufung somit nicht Folge zu geben.

Die Voraussetzungen für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG sind nicht erfüllt.

Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war nicht zu beurteilen.