10R61/24z – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Atria als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Schober und die Richterin Mag.Dr. Vogler in der Rechtssache der klagenden Partei A* AG ** , **, vertreten durch die Maraszto Milisits Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei B* AG , **, vertreten durch die Anzböck Brait Rechtsanwälte GmbH in Tulln, wegen EUR 91.084 s.A., über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 30.9.2024, **-27, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.867,72 (darin EUR 644,62 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 1.11.2022 kam es am Bauhof der Stadtgemeinde** zu einem Großbrand, der in weiterer Folge auf das benachbarte historische Vereinsgebäude des VereinsC* übergriff und dort zu erheblichen Schäden führte. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt Betriebsversicherer des Vereins, wobei die Betriebsversicherung auch eine Feuerversicherung beinhaltete. Sie ersetzte dem Verein den durch den Brand entstandenen Schaden von EUR 91.084. Der Brand wurde ausgelöst von einem auf dem Bauhof der Stadtgemeinde** stehenden und bei der Beklagten versicherten Elektrofahrzeug der Marke **, das dort an der Ladestation angeschlossen war. Das Fahrzeug war mit einer zuletzt 2019 ausgetauschten Blausäurebatterie ausgestattet, die regulär während des Ladens, der Erhaltungsladung und des Überladens Knallgas aus allen Sekundärzellen und -batterien freisetzt. Zu der Entzündung des durch das Laden freigesetzten Knallgases kam es aufgrund einer der folgenden Ursachen:
1. Durch einen elektrischen Defekt der Ladeleitung, unabhängig vom oder infolge einer erhöhten Beanspruchung über die Einführung des Ladekabels über das geöffnete Fenster.
2. Durch einen elektrischen Defekt der Elektroinstallationen im Fahrzeug selbst, unabhängig von oder infolge einer Beschädigung durch Nagetiere.
3. Durch einen Defekt im Ladegerät infolge der fehlenden Abstimmung oder des fehlenden Austausches des Ladegerätes nach dem Batterietausch mit Kapazitätserhöhung.
4. Durch eine vermehrte Knallgasbildung infolge der Überladung der Batterien im Erhaltungsbetrieb aufgrund der fehlenden Abstimmung oder des fehlenden Austausches des Ladegeräts in Kombination mit einem der unter 1. bis 3. genannten Defekte.
Nicht festgestellt werden konnte, welche Ursache den Brand tatsächlich verursachte.
Die Klägerinbegehrt von der Beklagten die Zahlung von EUR 91.084 zuzüglich Zinsen mit dem wesentlichen Vorbringen, dass sie nach den Bestimmungen des KHVG sowie des EKHG für den entstandenen Schaden hafte. Das Laden der Batterie stehe in einem Gefährdungszusammenhang mit der Verwendung und dem Betrieb des Fahrzeugs.
Die Beklagtehielt dem im Wesentlichen entgegen, dass nicht klar sei, ob das Elektrofahrzeug tatsächlich vor dem Brand an der angrenzenden Ladestation angeschlossen gewesen sei. Selbst in diesem Fall würde sie für einen etwaigen Defekt in der Ladestation nicht haften; bestritten werde jedenfalls, dass sich das Elektrofahrzeug nach dem EKHG „in Betrieb“ befunden habe.
Mit dem nunmehr bekämpften Urteil wies das Erstgerichtdas Klagebegehren ab, wobei es von dem eingangs angeführten unstrittigen Sachverhalt ausging. Rechtlich folgerte es, dass nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs eine Selbstentzündung im Motorraum nicht im Zusammenhang mit der Teilnahme des Fahrzeugs am Verkehr stehe und daher der verkehrstechnischer Ansatz von Vornherein nicht greife. Der Halter hafte mangels Gefahrenzusammenhangs daher nicht nach § 1 EKHG für Schäden, die aus einer nicht durch den Fahrbetrieb verursachten Selbstentzündung des Kraftfahrzeugs resultieren. Das Höchstgericht habe sich mit der Frage, ob das auch für ein Elektrofahrzeug während des Ladevorganges gelte, bislang noch nicht auseinandergesetzt. Aus Sicht des Erstgerichts scheide der maschinentechnische Ansatz aus, weil dieser eine Gefahr voraussetze, die mit der motorbedingten Bewegung zusammenhänge. Ein Ladevorgang sei auch nicht mit dem Auftanken eines Fahrzeugs mit einem „Verbrennermotor“ zu vergleichen, dies schon aufgrund der ungleich längeren Dauer des Ladevorgangs. Das Aufladen eines Elektrofahrzeugs sei allerdings mit dem Ladevorgang anderer batterie- und akkubetriebener Elektroeinrichtungen, bei denen es ebenenfalls zu Brandentwicklungen kommen könne, vergleichbar. Bei einem solchen Ladevorgang verwirkliche sich gerade nicht die spezifische Gefahr eines mit Motorkraft fortbewegenden und am Verkehr teilnehmenden Fahrzeugs. Mangels Vorliegens des Tatbestandes „in Betrieb“ scheide eine Haftung nach dem EKHG aus. Mangels anderen Vorbringens war keine andere Haftungsgrundlage zu prüfen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1.Auch im Berufungsverfahren ist ausschließlich rechtlich strittig, ob ein auf eine Selbstentzündung zurückzuführender Schaden eines abgestellten Elektroautos als Unfall bei dessen Betrieb zu werten ist und daher nach § 1 EKHG die Haftung des Halters für die daraus verursachten Schäden begründet wird. Konkret, ob die Entzündung eines abgestellten Elektrokraftfahrzeugs, das an der Ladestation angeschlossen ist, einen Unfall beim Betrieb verwirklicht oder nicht.
Dazu trägt die Klägerin erneut vor, dass der Zustand der elektrischen Aufladung mit jenem der Betankung eines mit einem Verbrennungsmotor ausgestatteten Fahrzeugs gleichzuhalten sei. Dies deshalb, weil diese beiden Vorgänge in rechtlicher Hinsicht zur Gewährleistung der Mobilität des jeweiligen Fahrzeuges dienen. Beide Vorgänge seien zwingend notwendig, um die Fahrzeuge in einen fahrbereiten Betrieb zu versetzen. Es sei daher der Rechtssatz zu RS0058324 zugrunde zu legen, wonach ein Kraftfahrzeug auch während des Auftankens in Betrieb sei. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte das Erstgericht daher dem der Höhe nach außer Streit gestellten Klagebegehren Folge geben müssen.
2.Das Argument der Klägerin überzeugt vor dem Hintergrund der derzeitigen höchstgerichtlichen Judikatur nicht, sodass vorweg auf die zutreffende rechtliche Beurteilung des Erstgerichts verwiesen wird (§ 500a ZPO).
2.1Sowohl im erstgerichtlichen Verfahren als auch im Berufungsverfahren wurden und werden die zu diesem Themenkreis ergangenen einschlägigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu 2 Ob 188/16k und 2 Ob 179/19s angeführt, nur möchte die Klägerin für den konkreten Fall eine andere rechtliche Beurteilung des Gefahrenzusammenhangs, weil sie den Zustand der elektrischen Aufladung mit jenem der Betankung eines Fahrzeuges gleichsetzt. Vorab muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass ein aktiver elektrischer Aufladevorgang als Brandursache dem Sachverhalt so (eindeutig) nicht entnommen werden kann. Festgestellt wurde, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt des Brandes an der Ladestation angeschlossen war. Im Ergebnis dürfte das rechtlich aber keinen Unterschied machen.
2.2Der Oberste Gerichtshof hat in den oben zitierten Entscheidungen mangels eines Gefahrenzusammenhangs eine Haftung des Halters nach § 1 EKHG für Schäden abgelehnt, die sich aus einer nicht durch den Fahrbetrieb verursachten Selbstentzündung eines Kraftfahrzeugs ergeben haben. Auch wenn es in beiden Entscheidungen nicht um Elektroautos gegangen ist, die an der Ladestation angeschlossen waren, handelte es sich um durch technische Defekte im Motorraum ausgelöste Selbstentzündungen von auf privaten Grundstücken abgestellten Kraftfahrzeugen. Dabei hat sich das Höchstgericht ausführlich und unter ausdrücklicher Ablehnung der Judikatur des (deutschen) Bundesgerichtshofs (VI ZR 253/13 BGHZ 199, 377) zu vergleichbaren Fällen der Selbstentzündung von auf privaten Grundstücken abgestellten Kraftfahrzeugen auseinandergesetzt und wegen der Bedenken an einer Ausweitung der Gefährdungshaftung ausgesprochen, dass sich dabei nicht die spezifische Gefahr eines sich mit Motorkraft bewegenden oder in anderer Weise am Verkehr teilnehmenden Fahrzeugs verwirkliche, sondern die jeder energiebetriebenen Anlage innewohnende Gefahr, dass sich die Energie in einer nicht geplanten Weise in Wärme umsetze. Die analoge Bejahung einer Haftung nach dem EKHG werde abgelehnt, weil damit eine generelle Haftung für versagende Betriebseinrichtungen eingeführt werde, die nicht mehr an der spezifischen motor- oder verkehrstechnischen Gefährlichkeit eines Kraftfahrzeugs anknüpfe. Dies wäre von den dem EKHG zugrundeliegenden Wertungen nicht mehr gedeckt. Ein Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs liege daher nicht vor (2 Ob 188/16k; 2 Ob 55/17b).
In 2 Ob 179/19s hat sich der Oberste Gerichtshof neuerlich mit dieser Fragestellung auseinandergesetzt und festgehalten, dass das Unionsrecht diesem Ergebnis nicht entgegenstehe: Die RL 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht lege nur die Pflicht zur Deckung von Schadenersatzansprüchen durch die Haftpflichtversicherung fest und garantiere diese. Sie solle aber nicht die Haftpflichtregelungen der Mitgliedstaaten harmonisieren. Diesen stehe es beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nach wie vor frei, die Haftpflicht für Schäden aus Verkehrsunfällen mit Kraftfahrzeugen selbst zu regeln. Dabei sei zu beachten, dass die nationalen Vorschriften über den Ersatz von Verkehrsunfallschäden die Richtlinie nicht ihrer praktischen Wirksamkeit berauben dürfe. Das wäre etwa dann der Fall, wenn eine nationale Regelung bewirke, dass der Anspruch des Geschädigten auf Entschädigung aus der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung von Amts wegen ausgeschlossen oder unverhältnismäßig begrenzt werde.
Der EuGH habe bereits zu C-348/98 (Mendes Ferreira) klargestellt, dass die RL nicht die Art der zivilrechtlichen Haftung - Gefährdungs- oder Verschuldenshaftung - vorschreibe, die die Versicherung decken müsse.
Zu C-100/18 (Linea Directa) habe der EuGH ausgesprochen, dass ein Sachverhalt, in dem ein in einer Privatgarage eines Hauses abgestelltes Fahrzeug Feuer gefangen habe, durch das ein Brand, dessen Ursache beim Schaltkreis des Fahrzeugs gelegen sei, ausgelöst und das Haus beschädigt worden sei, unter den Begriff der "Verwendung eines Fahrzeugs" iSd Art 3 Abs 1 der genannten RL zu subsumieren sei, auch wenn das Fahrzeug seit mehr als 24 Stunden vor Brandentstehung nicht bewegt worden sei. Er habe auch klargestellt, dass der Begriff "Verwendung eines Fahrzeugs" iSd Art 3 Abs 1 der RL einen autonomen Begriff des Unionsrechts darstelle, dessen Auslegung nicht dem Ermessen der einzelnen MS überlassen sei (vgl Rn 32 der Entscheidung). Ein Abgehen oder eine Erweiterung der dargelegten Grundsätze zur Reichweite oder zur Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der RL sei nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs der Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen.
2.3Obwohl der EuGH zu C-100/18 ausgeführt hat, dass der Begriff der „Verwendung eines Fahrzeuges“ auch vorliege, wenn das Fahrzeug seit mehr als 24 Stunden vor Brandentstehung nicht bewegt worden sei, hielt der Oberste Gerichtshof im Ergebnis an seiner bisherigen Beurteilung, die bisherige Gefährdungshaftung des EKHG nicht weiter ausweiten zu wollen, fest. Dies mit der Begründung, dass der dem Geschädigten entstandene Schaden gemäß § 2 Abs 1 KHVG grundsätzlich in den Deckungsumfang der für das Kraftfahrzeug bestehenden Haftpflichtversicherung falle, jedoch durch den Ausschluss der Gefährdungshaftung nach dem EKHG das Unionsrecht nicht mit seiner praktischen Wirksamkeit beraubt werde, weil bei schuldhafter Verursachung durch versicherte Personen der Schaden von der Haftpflichtversicherung zu ersetzen wäre.
2.4 Eine andere Sachverhaltskonstellation liegt auch im konkreten Fall nicht vor, sodass es keine Veranlassung gibt, von der bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Durch den Anschluss an die Ladestation verwirklicht sich nicht die spezifische Gefahr eines sich mit Elektrokraft bewegenden oder in anderer Weise am Verkehr teilnehmenden Fahrzeugs, sondern die jeder energiebetriebenen Anlage innewohnenden Gefahr, dass sich Energie in eine nicht geplanten Weise in Wärme umsetzt. Daher ist auf Basis eines verkehrstechnischen Ansatzes der Gefahrenzusammenhang weiterhin abzulehnen, wenn bei einem abgestellten Elektrofahrzeug, das an die Ladestation angeschlossen ist, eine Selbstentzündung auftritt; es liegt kein Unfall „beim Betrieb“ vor. Die Argumentation von Reisinger(Glosse zu ZVR 2021/9), dass der Oberste Gerichtshof in 2 Ob 179/19s durch die unbewusste Verwendung der Übersetzerin des Terminus technicus von „use of vehicles“ mit „Verwendung eines Fahrzeuges“ fehlgeleitet worden sei, überzeugt in diesem Zusammenhang nicht.
Der Rechtssatz RS0058324 ist auf den konkreten Sachverhalt in dieser Form auch nicht übertragbar; diesem lag ein anderer, nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Im Verfahren 2 Ob 52/71 (2 Ob 53/71) ging es um die Haftung des Fahrzeughalters für das Verschulden eines Tankwarts, der nach dem Auftanken den Kofferraumdeckel nicht ordentlich verschloss, so dass sich dieser während der Fahrt öffnete und sich im Kausalzusammenhang damit ein Verkehrsunfall ereignete. Dabei ging es um die Beurteilung, ob ein haftungsbefreiendes unabwendbaren Ereignis für den Halter vorliegt. Dieses wurde verneint, weil das Auftanken im Zuge des Betriebs des Kraftfahrzeugs erfolgte und die mit dem Auftanken befasste Person mit Willen des Halters beim Betrieb iSd § 9 EKHG tätig war. Es kam für die Zurechnung des Handelns des Tankwarts nur darauf an, dass der Kofferraumdeckel zuletzt beim Auftanken geöffnet worden war und nicht ordentlich verschlossen wurde.
Im Ergebnis ist der Berufung der Erfolg zu versagen.
3.Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Die Frage, ob sich ein Elektrofahrzeug während des Aufladens der Batterie in Betrieb iSd § 1 EKHG befindet und dabei eine Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters besteht, wurde in der höchtgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht beantwortet. Die ordentliche Revision war daher zuzulassen (§ 502 Abs 1 ZPO)