33R140/24m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat *** in der Patentrechtssache der Antragstellerin A *** , wegen Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss der Technischen Abteilung des Patentamts vom 15.4.2024, SZ 31/2016-12, in nichtöffentlicher Sitzung den
Spruch
Beschluss
gefasst:
Das Rekursverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Nejvyšší správní soud (Tschechische Republik) vom 18.6.2024, C-456/24, Halozyme , unterbrochen und nur auf Antrag fortgesetzt.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Begründung
Text
Die Antragstellerin beantragte am 6.7.2016 die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats (in der Folge: „ESZ“) für das Erzeugnis „ Rituximab und rekombinante humane Hyaluronidase “ auf der Basis des am 6.1.2016 veröffentlichten Grundpatents zu Patentnummer E 768 928 (EP 2 405 015) mit dem Titel „Lösliches Hyaluronidaseglykoprotein (sHASEGP), Verfahren zu dessen Herstellung, Verwendungen und pharmazeutische Zusammensetzungen, die dieses umfassen“. Im Grundpatent wird bei der pharmazeutischen Zusammensetzung auf einen als Antikörper oder Gentherapie-Vektor näher spezifizierten, jedoch nicht namentlich individualisierten Anti-Krebs-Wirkstoff abgestellt.
Das Erzeugnis ist eine Kombination des Wirkstoffs „Rituximab“ mit rekombinanter humaner Hyaluronidase, entsprechend dem Arzneimittel „MabThera 1.400 mg Lösung zur subkutanen Injektion“, und dient der Bekämpfung von Tumoren. Die Genehmigung für das Inverkehrbringen in Österreich („Marktzulassung“) zur Nummer EU/1/98/067 erfolgte mit der Entscheidung der Europäischen Kommission K (2014) 2048 vom 21.3.2014. Darin wurde auf den Beschluss der Europäischen Kommission K (1998) 1464 vom 2.6.1998 über die Erteilung der Zulassung des den Wirkstoff „Rituximab“ enthaltenden Humanarzneimittels „MABTHERA-Rituximab“ Bezug genommen.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies die Technische Abteilung die Schutzzertifikatsanmeldung aus dem Grund des § 2 Abs 2 SchZG 1996 zurück. Der Erzeugnisbestandteil „rekombinante humane Hyaluronidase“ (=„rHuPH20“) sei kein Wirkstoff im Sinne des Art 1 lit b VO [EG] Nr 469/2009 („ESZ-VO“) und werde im Genehmigungsverfahren nur unter den „sonstigen Bestandteilen“ aufgelistet. Der ausgewiesene Wirkstoff im Sinne des ESZ-VO sei nur „Rituximab“. Dieser werde aber nicht vom Grundpatent geschützt; zudem sei für ihn – ohne den Bestandteil „rekombinante humane Hyaluronidase“ – bereits am 2.6.1998 die erste Genehmigung erteilt worden; die vorgelegte Entscheidung der Europäischen Kommission vom 21.3.2014 sei nur eine Änderung des Beschlusses über die Erteilung der Zulassung und damit keine Erstgenehmigung. Der Begriff „Erzeugnis“ solle – entsprechend dem Urteil des EuGH, C 673/18, Santen, und der gebotenen engen Auslegung – unter Bezugnahme auf einen Wirkstoff oder eine Wirkstoffzusammensetzung und nicht unter Bezugnahme auf die therapeutische Verwendung eines durch das Grundpatent geschützten Wirkstoffs oder einer durch dieses Patent geschützten Wirkstoffzusammensetzung definiert werden. Die Schutzzertifikatsanmeldung entspreche nicht den Bedingungen des Art 3 lit b ESZ VO, erkennbar auch nicht jenen des Art 3 lit a ESZ-VO (der angefochtene Beschluss weist – ohne Anführung eines Datums – auf die „in der Verfügung genannten Gründe“ hin und damit auch auf die amtliche Verfügung vom 6.2.2024).
Dagegen wendet sich der Rekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das ESZ zu erteilen. Im Hinblick auf das im Spruch genannte, beim EuGH zu C 456/24 anhängige Vorabentscheidungsersuchen wird aber auch sinngemäß die Unterbrechung des Rekursverfahrens beantragt.
Rechtliche Beurteilung
Das Rekursverfahren ist im Sinne dieses Antrags zu unterbrechen.
1.1 Die dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegende Rechtssache betrifft ebenfalls die Eignung von „rekombinanter humaner Hyaluronidase“ als Wirkstoff im Sinne des Art 1 lit b ESZ-VO. Die Antragstellerin beantragte dort auf Grundlage des Patents CZ/EP 2163643, das denselben Titel wie im vorliegenden Fall trägt, die Erteilung eines ESZ für ein Erzeugnis, das als Arzneimittel HERCEPTIN ZUR SUBKUTANEN ANWENDUNG (in der Folge: „Herceptin SC“) vermarktet wird. Dabei handle es sich um eine Zusammensetzung aus „Trastuzumab“ und „rekombinanter humaner Hyaluronidase (rHuPH20)“. Trastuzumab falle unter die Kategorie der monoklonalen Antikörper und werde zur Behandlung von Brustkrebs verwendet. Der Stoff „rHuPH20“, seine Herstellung und seine arzneiliche Verwendung in Kombination mit verschiedenen Wirkstoffkategorien, die nach Art und Funktion bestimmt seien, seien Gegenstand der Erfindung gewesen, auf die sich das Patent beziehe. Die Vorinstanzen lehnten die Erteilung des ESZ unter anderem deshalb ab, weil Trastuzumab in den Patentansprüchen nicht erwähnt werde, der Stoff „rHuPH20“ in der Entscheidung über die Zulassung des Arzneimittels Herceptin SC nur als Hilfsstoff angeführt sei und die Möglichkeit einer eigenen krebshemmenden Wirkung von „rHuPH20“ nicht dokumentiert, „rHuPH20“ damit auch kein Wirkstoff sei; dass „rHuPH20“ in Kombination mit Trastuzumab eine eigene pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung bei der Behandlung von Brustkrebs habe, sei nicht eindeutig belegt worden (vgl Zusammenfassung des Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art 98 Abs 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs).
1.2 Das vorlegende Gericht will mit seinen ersten drei Vorlagefragen wissen, ob bereits die bloße Einstufung eines Stoffes (dort „rHuPH20“) in die Kategorie der Hilfsstoffe in der Entscheidung über die Zulassung eines Arzneimittels die Eignung als Wirkstoff im Sinne des Art 1 lit b ESZ-VO ausschließe oder ob auch in diesem Fall weiter zu prüfen sei, ob der Stoff eine eigene pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung habe, bejahendenfalls, auf welcher Grundlage und zu welchem Zeitpunkt. Die vierte Vorlagefrage betrifft die Auslegung des Begriffs der eigenen arzneilichen Wirkung, also der eigenen pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Wirkung, die unter die in der Entscheidung über die Zulassung genannte medizinische Indikation falle, wie sie der Gerichtshof für die Zwecke der Definition des Begriffs „Wirkstoff“ im Sinne des Art 1 lit b ESZ-VO verwende. Die fünfte und die sechste Vorlagefrage sind auf die Auslegung von Art 3 lit a ESZ-VO gerichtet. Werde „rHuPH20“ als Wirkstoff betrachtet, stelle sich nach Ansicht des vorliegenden Gerichts die Frage, ob seine Kombination mit Trastuzumab unter den Schutz des Grundpatents falle (vgl Zusammenfassung des Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art 98 Abs 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs).
2. Diese Fragestellungen sind auch für den vorliegenden Fall maßgeblich. Die Antragstellerin beruft sich – zwar nicht in Kombination mit „Trastuzumab“, jedoch mit dem ebenfalls zur Krebsbehandlung verwendeten „Rituximab“ – auch hier auf die Wirkstoffeigenschaft der „rekombinanten humanen Hyaluronidase (rHuPH20)“ im Sinne des Art 1 lit b ESZ-VO, insbesondere dahingehend, dass dieser Stoff eine eigene metabolische und pharmakologische Wirkung habe; der Wirkstoff „Rituximab“ sei durch die Spezifizierungen eines Anti-Krebs-Wirkstoffs im Grundpatent für eine Fachperson zum Prioritätsdatum ausreichend nahegelegt gewesen und damit vom Schutz des Grundpatents umfasst. Die Technische Abteilung widerspricht – ähnlich wie die Vorinstanzen im genannten Vorabentscheidungsverfahren – diesen Argumenten, verweist auf die Entscheidung der Kommission vom 21.3.2014, in der „rekombinante humane Hyaluronidase (rHuPH20)“ nur als sonstiger Bestandteil ausgewiesen sei, und erachtet diese Entscheidung auch nicht als geeignete Erstgenehmigung für das Erzeugnis im Sinne des Art 3 lit b ESZ-VO. Damit bleibe „Rituximab“ als einziger Wirkstoff im Sinne des Art 1 lit b ESZ-VO übrig, der allerdings nicht vom Grundpatent geschützt werde.
3. Alle nationalen Gerichte haben von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden. Ein späteres Verfahren, das – wie das vorliegende Verfahren im Verhältnis zum Verfahren des Nejvyšší správní soud – dieselbe Rechtsfrage betrifft, ist daher nach ständiger Rechtsprechung des OGH aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RS0110583; 10 ObS 147/16i; 4 Ob 175/16p [beide betreffen Anfragen an den EuGH aus den Niederlanden]; vgl auch OLG Wien 133 R 91/17f), wobei dazu ein Recht, aber keine Verpflichtung besteht (RS0114648; 4 Ob 5/17i [dort auch Fortsetzung nur auf Antrag; siehe dazu auch § 26 Abs 3 AußStrG]). Wenn dieselben Auslegungszweifel betreffend gemeinschaftsrelevanter Vorschriften auch für andere Rechtssachen gelten, ist es nach ständiger Rechtsprechung aber zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung bis zu jener des EuGH über ein bereits gestelltes Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das Verfahren zu unterbrechen (RS0110583).
Aus den angeführten Gründen ist daher auch das vorliegende Rekursverfahren zu unterbrechen.
4. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwarf und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist, ist der Revisionsrekurs nicht zulässig. Dass ein solcher Beschluss selbständig – mit Revisionsrekurs (vgl 1 Ob 148/11p; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth,AußStrG I 2§ 26 Rz 55) - anfechtbar ist, ergibt sich aus § 26 Abs 4 AußStrG (vgl auch RS0130774).
In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2
AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000 übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung von ergänzenden Schutzzertifikaten im Wirtschaftsleben gegeben.