JudikaturOLG Wien

10Rs106/24t – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
22. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Atria als Vorsitzenden, die Richterin Mag. Oberbauer und den Richter Mag. Schmoliner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Natascha Baumann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Schnaitt (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren **, **, vertreten durch die Urbanek Rudolph Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , **, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 9.10.2024, GZ ***, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Berufung selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

Text

Die am ** geborene Klägerin hat in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1.6.2023) keine 90 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben.

Mit Bescheid vom 14.9.2023 (Beilage ./A =./3) wies die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab und sprach aus, dass kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung sowie auf medizinische und berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.

Dagegen richtet sich die vorliegende Klage mit dem Antrag, der Klägerin ab 1.6.2023 eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß, in eventu Maßnahmen der „gesetzlichen“ Rehabilitation zu gewähren. Sie sei aufgrund physischer und psychischer Beeinträchtigungen, die auf eine Covid-19-Infektion im März 2022 zurückgingen, dauernd berufsunfähig, was ihr auch die sie behandelnden Ärzte bestätigt hätten.

Die Beklagtewandte ein, die Klägerin habe innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nicht in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit als Angestellte oder nach § 255 Abs 1 ASVG ausgeübt. Sie sei im Stande, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet werde und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten noch zugemutet werden könne, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das eine körperliche und geistig gesunde versicherte Person regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflege. Es bestehe daher weder Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension noch auf medizinische Rehabilitation.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Hauptbegehren auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension sowie das Eventualbegehren auf Gewährung von Maßnahmen der „gesetzlichen“ Rehabilitation ab.

Neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt traf es die auf den Urteilsseiten zwei bis fünf ersichtlichen Feststellungen, von denen zusammengefasst hervorgehoben wird:

Die Klägerin ist aufgrund ihres nicht wesentlich besserungsfähigen Gesundheitszustands ab Antragstellung zusammengefasst noch in der Lage, leichte und halbzeitig mittelschwere körperliche Arbeiten mit durchschnittlich geistigem und psychischem Anforderungsprofil zu den üblichen Arbeitszeiten ohne zusätzliche Pausen durchzuführen. Bei diesem Leistungskalkül sind ihr noch die Tätigkeiten einer Tagportierin, einer Verpackungs-, Einschlicht- und Sortierarbeiterin in Handels- und Produktionsbetrieben oder als Hilfsarbeiterin in der Werbemittelbranche und Adressverlagen ebenso möglich wie die Tätigkeit als Bürohilfskraft oder Informationsdienstangestellte in Handelsbetrieben.

Es besteht keine wechselseitige Leidensbeeinflussung und/oder –potenzierung. Die Anmarschwege sind nicht eingeschränkt. Nicht festgestellt werden kann, dass es in absehbarer Zeit zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands mit Auswirkung auf das Leistungskalkül oder zu leidensbedingten Krankenständen in einem Ausmaß von sieben oder mehr Wochen jährlich bei Kalkülseinhaltung kommt.

Rechtlich folgerte es, dass auf Basis der getroffenen Feststellungen und der der Klägerin noch zumutbaren Tätigkeiten keine Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs 2 ASVG vorliege. Die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeitspension nach § 273 Abs 1 ASVG lägen nicht vor, weil die Klägerin die darin geforderten 90 Pflichtversicherungsmonate in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nicht erreicht habe.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin wegen primärer und sekundärer Verfahrensmängel mit dem Antrag, das Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern, hilfsweise es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte erstattete keine Berufungsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Zur behaupteten (primären) Mangelhaftigkeit des Verfahrens:

1.1. Eine solche sieht die Klägerin dadurch verwirklicht, dass das Erstgericht die von ihr beantragten sachverständigen Zeugen Prof. Dr. B*, Dr. C* und Dr. D* nicht einvernommen habe. Deren Aussagen hätten ergeben, dass die Klägerin aufgrund der ausgeprägten ME-CFS mit POTS und PEM–Symptomatik nicht arbeitsfähig sei.

1.2. Medizinische Fachfragen sind im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nicht durch Parteien– oder Zeugenvernehmung, sondern durch medizinische Sachverständige zu klären ( Neumayr in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3§ 75 ASGG Rz 8 mwN). Auch durch die Vernehmung eines sachverständigen Zeugen kann ein Sachverständigengutachten nicht entkräftet werden (OLG Wien 10 Rs 158/02g = SVSlg 50.085; RS0040598). Allenfalls dann, wenn der beigezogene Sachverständige dies für notwendig erachtet, kann der behandelnde Arzt als Zeuge zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage einvernommen werden (OLG Wien 10 Rs 12/03p = SVSlg 50.105).

1.3. Vorliegend hat das Erstgericht Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Inneren Medizin sowie der Neurologie und Psychiatrie eingeholt. Den Sachverständigen standen auch die von der Klägerin vorgelegten Stellungnahmen der sie behandelnden Ärzte (Beilagen ./B, ./E und ./F) zur Verfügung, mit denen sie sich auch auseinandergesetzt haben (vgl Gutachtenserörterung ON 28.3, PS 2 f). Eine Notwendigkeit zur Einvernahme der behandelnden Ärzte sah keiner der Sachverständigen.

Ausgehend davon liegt im Unterbleiben ihrer Vernehmung als sachverständige Zeugen keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens.

2. Die Berufung macht auch eine sekundäre Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend, ohne jedoch auszuführen, worin diese liegen sollte oder welche Feststellungen das Erstgericht aufgrund einer vermeintlich unrichtigen Rechtsansicht zu treffen verabsäumt habe. Ein näheres Eingehen auf diesen Berufungsgrund ist dem Berufungsgericht daher nicht möglich.

3. Weitere Berufungsgründe werden nicht geltend gemacht. Mit dem Hinweis auf die zutreffende Rechtsansicht des Erstgerichts (§ 500a ZPO), nach der die Klägerin mangels ausreichender Pflichtversicherungsmonate keinen Berufsschutz nach § 273 Abs 1 ASVG genießt und daher gemäß Abs 2 der zitierten Bestimmung auf den gesamten Arbeitsmarkt verwiesen werden kann, hat es daher sein Bewenden.

4. Die Berufung musste daher insgesamt erfolglos bleiben.

5. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b) ASGG werden in der Berufung nicht vorgebracht und sind aus dem Akteninhalt nicht zu erkennen. Die Klägerin hat daher die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

6. Da auch in Sozialrechtssachen ein Mangel des Verfahrens erster Instanz, dessen Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden kann (RS0043061) und sich im Übrigen mit dieser Entscheidung keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO stellen, ist die ordentliche Revision nicht zulässig.