9Bs195/25b – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Dr. Engljähringer als Vorsitzende und die Richterin Mag. Kuranda sowie den Richter Mag. Huemer-Steiner in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen das Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts Wels vom 29. Juli 2025, Hv*-13, nach der in Anwesenheit des Ersten Oberstaatsanwalts Mag. Winkler, LL.M. sowie der Angeklagten A* durchgeführten Berufungsverhandlung am 1. Oktober 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die ** geborene A* von dem wider sie erhobenen Strafantrag, sie habe am 3. Juni 2025 in B*
I. als Zeugin in einem Ermittlungsverfahren nach der StPO vor der Kriminalpolizei bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache falsch ausgesagt, indem sie gegenüber Beamten der PI B* angab, dass sie im C* Bargeld in Höhe von EUR 80,00 liegen lassen habe, welches wohl von einem Herrn mit Schnurrbart danach an sich genommen worden war, und
II. durch die unter Punkt I. angeführte strafbare Handlung einer Behörde die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung wissentlich vorgetäuscht,
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen Nichtigkeit und Schuld angemeldete, in der Folge unter gleichzeitiger Zurückziehung der Berufung wegen Nichtigkeit fristgerecht ausgeführte Berufung der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Schuld, mit der sie primär einen Schuldspruch wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB sowie des Vergehens der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs 1 StGB und die Verhängung einer tat- und schuldangemessenen Strafe, in eventu die Aufhebung des angefochtenen Urteils zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung durch das Erstgericht anstrebt (ON 14). Die Angeklagte trat der Berufung der Staatsanwaltschaft entgegen und beantragte die Bestätigung des Ersturteils.
Nach den entscheidungswesentlichen Feststellungen des Erstgerichts kaufte die Angeklagte am 3. Juni 2025 in B* in der C*-D* um etwa 14.25 Uhr ein und bezahlte nur einen geringen Rechnungsbetrag mit Kleingeld. Sie legte dabei kein Papiergeld auf dem Förderband ab. Unmittelbar hinter ihr an der Kassa befand sich kein weiterer Kunde. Am 3. Juni 2025 um etwa 14.30 Uhr suchte die Angeklagte persönlich die PI B* auf und zeigte dort einen mutmaßlichen Diebstahl an. Diesbezüglich gab sie (zusammengefasst) an, dass sie in der C*-D* in B* an der Kassa EUR 80,00 versehentlich liegen gelassen habe, sie habe das Geld (50-, 20- und 10-Euro-Note) auf das Förderband bei der Kassa gelegt und dort liegen gelassen. Hinter ihr sei ein Mann gestanden. Sie habe das Geld am Förderband vergessen, habe daraufhin die Filiale verlassen und erst dann bemerkt, dass sie das Papiergeld liegen gelassen habe. Als sie retour in die Filiale gegangen sei und den Kassier diesbezüglich gefragt habe, habe dieser ihr nicht helfen wollen. Weiters gab sie an, dass sie die Vermutung habe, dass einer der beiden Herrn die EUR 80,00 gestohlen habe.
Nicht festgestellt werden konnte, dass es die Angeklagte im Ermittlungsverfahren nach der StPO vor der Kriminalpolizei als Zeugin bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, falsch auszusagen, indem sie gegenüber Beamten der PI B* angab, dass sie im C*-D* Bargeld in Höhe von EUR 80,00 liegen gelassen habe, welches wohl von einem der Herren an sich genommen worden sei. Auch konnte nicht festgestellt werden, dass sie es bei den beschriebenen Tathandlungen ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, dass sie durch ihre zeugenschaftlichen Angaben bei der Polizei die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung wissentlich vortäuschte (US 2f).
Beweiswürdigend hielt das Erstgericht fest, dass aus den zweifelsfreien Überwachungsvideos vom Tattag (in der C*-D* B*) ersichtlich sei, dass die Angeklagte aus ihrer Hosentasche offenbar Münzgeld holte und damit ihre kleine Rechnung bezahlte, hinter ihr allerdings keine andere Person stand. Aufgrund des überaus glaubwürdigen und verlässlichen Eindrucks, den die Angeklagte bei ihrer leugnenden Verantwortung trotz Kenntnis des ihren Angaben entgegenstehenden Inhalts der Überwachungsvideos bei Gericht hinterließ, sei die subjektive Tatseite im Zweifel nicht erweislich und davon auszugehen, dass sich die Angeklagte geirrt habe (US 3f).
Der Berufung, mit der die Staatsanwaltschaft die Negativfeststellungen zur subjektiven Tatseite bekämpft, kommt keine Berechtigung zu.
Rechtliche Beurteilung
Voranzustellen ist, dass das Wesen der freien Beweiswürdigung iSd § 258 Abs 2 StPO die Tatrichter verpflichtet, Beweisergebnisse in ihrem Zusammenhang zu würdigen, durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ergänzen und ihre Überzeugung frei von jeder Beweisregel auf in diesen Prämissen wurzelnde denkrichtige Schlüsse zu stützen (RIS-Justiz RS0098314). Die Bewertung hat unter Beachtung der Gesetze folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungswissens zu erfolgen. Nicht nur logisch zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse berechtigen das Gericht zu Tatsachenfeststellungen (vgl RIS-Justiz RS0098362; Lendl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 258 Rz 25f). Bei Würdigung der Angaben von Personen, die das Gericht selbst vernommen hat, ist oft der persönliche Eindruck der erkennenden Richter entscheidend. Dieser unmittelbare, persönliche Eindruck, der sich auch auf das Auftreten, die Sprache, die Ausdrucksweise und die Bewegungen einer Person stützen kann, lässt sich nicht immer erschöpfend in Worte kleiden und muss darum im Urteil nicht in allen Einzelheiten dargelegt und wiedergegeben werden ( Lendl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 258 Rz 27). Den Vorschriften der §§ 258, 270 Abs 2 Z 5 StPO genügt hier regelmäßig die Urteilsfeststellung, das Gericht habe die Überzeugung von der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit einer bestimmten Aussage aufgrund seines persönlichen Eindrucks gewonnen (RIS-Justiz RS0098413).
Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts und die darauf gegründeten (Negativ-)Feststellungen und Schlussfolgerungen zu erwecken. Das Erstgericht hat unter Berücksichtigung der Verfahrensergebnisse plausibel dargelegt, warum es nicht davon ausgeht, dass die Angeklagte mit den inkriminierten Angaben vor der Polizei in Kauf genommen und sich damit abgefunden habe, einerseits eine unrichtige Aussage zu tätigen, anderseits bewusst eine mit Strafe bedrohte Handlung, nämlich das Vergehen der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 StGB bzw das Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB wissentlich vorzutäuschen. Zutreffend hebt das Erstgericht bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben der Angeklagten ihr Aussageverhalten sowohl vor der Polizei als auch vor Gericht hervor. Obwohl auf den sichergestellten Überwachungsvideos (bei Betrachtung ohne verzögerte Wiedergabegeschwindigkeit) nicht erkennbar ist, dass die Angeklagte Papiergeld auf das Förderband gelegt hätte, und während des Bezahlvorgangs kein anderer Kunde hinter ihr im Kassenbereich aufhältig war, blieb A* bei ihren Angaben, sicher zu sein, dass sie Banknoten am Förderband abgelegt habe. Nur zu ihren Ausführungen betreffend den von ihr beschriebenen zweiten Kunden räumte sie ein, dass dieser möglicherweise erst dann im Kassenbereich war, als sie ins Geschäft zurückkehrte, um eben das vermeintlich liegengelassene Geld zu suchen (ON 12, 3: „…den habe ich erst danach gesehen“).
Die Ausführungen der Berufungswerberin zum Motiv der Angeklagten für eine wissentlich unrichtige Diebstahlsanzeige, weil diese sich nämlich über den Kassier/Filialleiter des C*- D* geärgert habe, überzeugen nicht. Nach den Angaben der Angeklagten anlässlich ihrer Anzeigenerstattung ging diese offenbar davon aus, dass im Kassenbereich der Filiale eine Videoüberwachung besteht, führte sie doch den Ärger über den Filialleiter im Wesentlichen darauf zurück, dass dieser verweigerte, die Videoüberwachung einzusehen, vielmehr A* aus der Filiale schickte (ON 2.3, 4). Die Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung in dem Wissen, dass der mutmaßliche Tatort videoüberwacht ist, ist nicht plausibel. Die nur wenige Minuten nach ihrem Einkauf getätigte Anzeige bei der Polizei legt vielmehr den Schluss nahe, dass A* mit der Unterstützung von Polizeibeamten jene Hilfe erreichen wollte, die ihr der Filialleiter nicht gewährte, wie dies die Angeklagte auch in der Hauptverhandlung ausführte (ON 12, 3). Tatsächlich suchten die Beamten der PI B* im Anschluss an die Anzeigenerstattung die C*-D* Filiale auf und sichteten die Videoüberwachung (ON 2.2, 2).
In jenem Licht könnte im Übrigen – entgegen den Berufungsausführungen – die subjektive Tatseite auch nicht unbedenklich aus dem objektiven Tatgeschehen abgeleitet werden. Denn gemessen am Akteninhalt ist fallkonkret schon eine objektiv wahrheitswidrige Aussage der A* bei ihrer Einvernahme vor der Polizei kaum indiziert. Zwar trifft zu, dass die Angeklagte, wie in dem Überwachungsvideo ON 5.2 ab Sekunde 36 ersichtlich, ihre Einkäufe offenbar mit Münzgeld bezahlte, das sie vorher aus ihrer rechten Hosentasche entnahm (Sekunde 22). Bei genauerem Hinsehen (verzögerte Wiedergabegeschwindigkeit) ist aber außerdem erkennbar, dass die Angeklagte unmittelbar nach dem Bezahlvorgang mit ihrer Geldtasche (am Förderband, teilweise verdeckt durch einen Aufsteller) hantierte und daraus etwas auf das Rollband der Kasse legte (Sekunde 51 im Überwachungsvideo ON 5.2). Das Folgegeschehen bleibt jedoch im Dunkeln, weil die entscheidende Videoaufnahme ON 5.2 endet, noch bevor die Angeklagte ihre Einkäufe (diese befinden sich im Video ON 5.2 Minute 1.06 noch immer am Ende des Kassenbandes) verstaute. Eine zweckdienliche Einvernahme des Kassiers war unterblieben (ON 2.2, 3; ON 2.4, 1 f); ebenso wenig findet sich – insoweit konträr zu den ausdrücklichen Urteilserwägungen – eine Videoaufzeichnung über eine Situation, in der „die Angeklagte die Filiale verlässt und unmittelbar darauf wieder kommt und ein Gespräch mit dem Kassier beginnt ...“ (US 3).
Dem Berufungsvorbringen, es sei auf dem Video (ON 5.2 Sekunde 15 bis 31) die Herausnahme und die anschließende erneute Versorgung von Banknoten in der rechten Hosentasche der Angeklagten erkennbar, bleibt überdies zu erwidern, dass aufgrund der schlechten Qualität dieses Beweismittels jene hellen Papiere, die die Angeklagte aus ihrer Hosentasche holte und anschließend wieder einsteckte, nicht zweifelsfrei als Banknoten identifiziert werden können. Es ist daher die Einlassung der Angeklagten, es habe sich dabei um eine Rechnung gehandelt (ON 12, 3), keineswegs von der Hand zu weisen. Der Umstand, dass die Angeklagte anschließend mit ihrer Geldtasche hantierte, legt vielmehr nahe, dass sie ihre Banknoten darin verstaut hatte.
Wie oben bereits dargelegt, scheitert freilich ein Erfolg der Berufung schon allein an der durchaus nachvollziehbaren, unbedenklichen beweiswürdigenden Auseinandersetzung des Erstgerichts mit den Angaben der Angeklagten zu deren subjektiver Tatseite.