10Bs202/25i – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Henhofer als Vorsitzende und Mag. Höpfl sowie den Richter Mag. Graf in der Strafsache gegen A* wegen Widerrufs der bedingten Strafnachsicht über dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 18. Juli 2025, Hv1*-379 und Hv2*-279, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist des § 88 Abs 1 StPO wird abgewiesen.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung:
Mit dem angefochtenen Beschluss wurden gemäß § 55 StGB iVm § 495 StPO die A* mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 4. Oktober 2024, Hv1*, hinsichtlich einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten und die mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 25. Oktober 2025, Hv2*, hinsichtlich einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten gewährten bedingten Strafnachsichten widerrufen (ON 379 in Hv1*; ON 279 in Hv2*). Diese Entscheidung wurde dem Verurteilten am 22. Juli 2025 eigenhändig zugestellt (ON 379.1 in Hv1*; ON 279.1 in Hv2*).
Am 25. August 2025 sprach der Genannte bei der zuständigen Richterin vor und gab an, den Beschluss nicht aufmerksam gelesen zu haben. Er sei deshalb lediglich vom Widerruf betreffend der zweimonatigen Haftstrafe ausgegangen. Er wurde zu dieser Gelegenheit über die Rechtskraft der Entscheidung und die Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsantrags belehrt (ON 1.217 in Hv1*; ON 1.143 in Hv2*).
Mit am 28. August 2025 bei Gericht eingelangter Eingabe beantragt der Verurteilte nunmehr inhaltlich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, dass er den Widerruf weiterer zwölf Monate nicht erfasst habe und ein Verteidiger bei der Anhörung nicht anwesend gewesen sei (ON 390 in Hv1*; ON 284 in Hv2*).
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist Verfahrensbeteiligten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter anderem gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung oder Erhebung eines Rechtsmittels zu bewilligen, wenn nachgewiesen wird, dass es aufgrund eines unvorhersehbaren und unabwendbaren Ereignisses unmöglich war, die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.
Unvorhersehbar ist ein Ereignis, wenn sein Eintritt für den Betroffenen aus dessen subjektiver Perspektive nicht zu erwarten war. Unabwendbarkeit liegt vor, wenn sich ein Ereignis nach den objektiven Verhältnissen auch für eine normative Vergleichsfigur nicht verhindern lässt. Auch bei einem Versehen bloß minderen Grades, das heißt bei leichter („normaler“) Fahrlässigkeit, ist die Wiedereinsetzung möglich. Ein Versehen bloß minderen Grades liegt vor bei einem Fehler, der auch einem sorgfältigen Menschen gelegentlich unterlaufen kann. Die gesetzliche Anordnung des § 364 StPO bedeutet daher im Ergebnis, dass erst bei grober Fahrlässigkeit die Wiedereinsetzung ausscheidet. Grobe Fahrlässigkeit liegt bei einem Fehler vor, den eine ordentliche (Vergleichs-)Person keinesfalls begehen würde (vgl Lewisch, WK StPO § 364 Rz 18 ff).
Richtig ist, dass der (am ** geborene, daher noch jugendliche) Verurteilte bei seiner Anhörung zum möglichen Widerruf am 11. Juli 2025 nicht durch einen Verteidiger vertreten war. Die Ladung an die gesetzliche Vertreterin wurde von dieser- wie auch der Beschluss über den Widerruf der Strafnachsichten - nicht behoben. Dem Protokoll über die Anhörung ist zu entnehmen, dass sich der Verurteilte in seiner Äußerung ausdrücklich auf den drohenden Widerruf von vierzehn Monaten bezog und angab, diesfalls fast drei Jahre zu „sitzen“, obwohl er noch keine achtzehn Jahre alt sei. Er beantragte ein Absehen vom Widerruf der beiden in Rede stehenden bedingten Strafnachsichten (S 1 in ON 375 in Hv1*; S 1 in ON 275 in Hv2* ).
Zwar ist im Ermittlungsverfahren die Unterstützung eines Jugendlichen durch einen Rechtsbeistand noch vor der Befragung durch die Polizei oder Strafverfolgungs- und Justizbehörden vorgesehen (§§ 37 Abs 1, 39 JGG), doch gilt dies nur bis zur endgültigen Klärung der Frage, ob die beschuldigte Person eine Straftat begangen hat, gegebenenfalls bis zu einer Entscheidung im dazugehörigen Rechtsmittelverfahren. Außerhalb des Erkenntnisverfahrens liegende Verfahren werden davon nicht erfasst. Demgemäß besteht bei diesen Verfahren auch keine auf das JGG bezogene notwendige Verteidigung (vgl Schroll/Oshidari , WK 2JGG § 39 Rz 1).
Im Ergebnis stellt vorliegend das achtlose Lesen der Widerrufsentscheidung keine entschuldbare Fehlleistung leichteren Grades, sondern vielmehr eine auffallende Sorglosigkeit dar. Diese kann auch nicht durch Gegebenheiten bei der Anhörung am 11. Juli 2025 entschuldigt werden, wurde der Beschluss doch erst danach gefasst und zugestellt.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung war daher abzuweisen, folglich die damit verbundene Beschwerde gegen den Beschluss vom 18. Juli 2025 wegen Ablauf der Beschwerdefrist zurückzuweisen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).