JudikaturOLG Linz

12Rs78/25i – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
25. August 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende sowie Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*, geboren am **, **, **straße **, vertreten durch Hosp Hegen Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1100 Wien, Wienerbergstraße 11, vertreten durch ihre Angestellte Dr. B*, Landesstelle **, wegen Dauerrente nach dem Heeresentschädigungsgesetz, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Juli 2025, Cgs1*-6, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kostenersatzantrag wird zurückgewiesen.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung:

Der Kläger bezieht aufgrund einer Dienstbeschädigung eine Dauerrente von 40 % nach dem Heeresentschädigungsgesetz. Mit Bescheid vom 26. März 2025, dem Kläger zugestellt am 27. März 2025, wurde die Erhöhung dieser Rente abgelehnt.

Am 1. April 2025 kontaktierte der Kläger telefonisch den Klagevertreter, um sich rechtlich zu erkundigen. Der Kläger konnte sein eigentliches Anliegen nicht klar kommunizieren, sodass für den Klagevertreter nicht ersichtlich war, worum es bei dieser Anfrage ging. Da eine telefonische Auskunft mangels Kenntnis der Unterlagen nicht möglich war, wurde der Kläger ersucht, zur weiteren Beurteilung, ob das Mandat übernommen werden kann bzw welche weiteren Schritte notwendig wären, die ihm zugestellten Unterlagen per E-Mail zu übermitteln. Der Rechtsanwalt gab dem Kläger die E-Mail-Adresse der Kanzlei telefonisch bekannt. Eine konkrete Mandatserteilung erfolgte in dem Telefonat vom 1. April 2025 nicht. Es handelte sich um den erstmaligen Kontakt des Klägers zur Kanzlei des Klagevertreters.

Der Kläger sandte noch am 1. April 2024 den Bescheid an die von ihm notierte E-Mail-Adresse und ging davon aus, dass alles Weitere erledigt wird. Als er am 4. Juni 2025 erneut den Klagevertreter kontaktierte, erfuhr er, dass die Kanzlei nie Unterlagen von ihm erhalten hatte. Bei einer Nachschau konnte der Klagevertreter kein eingegangenes E-Mail finden, auch nicht im Spam-Ordner oder der E-Mail-Archivierung. Das E-Mail des Klägers vom 1. April 2025 wurde der Kanzlei nie zugestellt.

Mit E-Mail vom 4. Juni 2025 leitete der Kläger dem Klagevertreter ein am 1. April 2025 um 14.36 Uhr versandtes E-Mail weiter, in dem der Kläger die Polizzennummer seiner Rechtsschutzversicherung bei der C* bekanntgab und mitteilte, dass er wie telefonisch besprochen die Unterlagen übersende. Nicht ersichtlich ist, an welche Adresse dieses E-Mail versandt wurde. Der Kläger hatte keine Übermittlungsbestätigung oder dergleichen in seinem E-Mail-Account eingestellt und erhielt keine Fehlermeldung.

Der Kläger ging bis zum 4. Juni 2025 davon aus, dass sein E-Mail den Klagevertreter erreicht hatte, und dieser ging davon aus, dass sich die telefonische erstmalige Anfrage des Klägers erledigt hatte, zumal es regelmäßig vorkommt, dass neue Mandanten anrufen, sich dann aber doch gegen eine Mandatserteilung entscheiden (zB weil eine andere Vertretung beauftragt wird). Da dem Klagevertreter am 1. April 2025 noch nicht genau bekannt war, worum es konkret bei dieser Erstanfrage ging, konnten in der Kanzlei auch keine Fristvormerke erfolgen.

Der Kläger war in den beim Landesgericht Salzburg als ASG geführten Verfahren Cgs2* und Cgs3* ebenfalls gegen die Beklagte durch die Arbeiterkammer D* und nachfolgend durch eine andere Rechtsanwaltskanzlei vertreten.

Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2025 beantragte der Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagsfrist und erhob zugleich Klage. Der Umstand, dass das E-Mail des Klägers die von ihm kontaktierte Rechtsvertretung zur weiteren Prüfung seines Anliegens nicht erreicht habe und der Kläger daher der irrigen Annahme gewesen sei, es würden alle notwendigen Vorkehrungen getroffen, sei für ihn ein unerwartetes und unabwendbares Ereignis. Ein technischer Fehler oder das Vertippen bei der E-Mail-Adresse des zu beauftragenden Rechtsanwalts stelle nur ein geringes Verschulden dar.

Die Beklagtebeantragte, den Wiedereinsetzungsantrag abzuweisen, da keine Restitution zu gewähren sei, wenn der Einschreiter seinem Anwalt den Auftrag zu spät erteile. Es wäre am Kläger gelegen, bis zum Ablauf der Klagsfrist am 24. April 2025 für ein aufrechtes Mandatsverhältnis zu sorgen. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis daran gehindert gewesen sei, rechtzeitig eine Klage beim Landesgericht Salzburg als ASG einzubringen.

Das Erstgericht wies – ausgehend von dem vom Kläger behaupteten Sachverhalt – den Wiedereinsetzungsantrag ab und die Bescheidklage als verspätet zurück. Es führte rechtlich zusammengefasst aus, unter der Annahme, dass dem Kläger beim Eingeben der telefonisch bekannt gegebenen E-Mail-Adresse ein Fehler unterlaufen sei oder ein anderer technischer Übermittlungsfehler vorgelegen habe, sei für den Standpunkt des Klägers nichts gewonnen. Er habe den Bescheid nachweislich persönlich ausgehändigt erhalten und aufgrund der Rechtsmittelbelehrung wissen müssen, dass eine Klage binnen vier Wochen ab Zustellung zu erheben sei. Der Kläger sei auch keine ganz unerfahrene Partei, habe er doch schon früher Sozialgerichtsverfahren in D* geführt. Da mit dem Telefonat vom 1. April 2025 keine verbindliche Mandatserteilung verbunden gewesen sei, hätte der Kläger vor Ablauf der Klagsfrist mit dem Klagevertreter Kontakt aufnehmen müssen. Die Versäumung der Klagsfrist hätte durch ein dem Kläger zumutbares Verhalten abgewendet werden können. Dass der Kläger den Klagevertreter erst mehr als zwei Monate nach dem Absenden des fraglichen E-Mails wieder kontaktiert habe, stelle eine auffallende Sorglosigkeit dar, die die Bewilligung der Wiedereinsetzung hindere. Für nach Ablauf der Klagsfrist erhobene Klagen sei der Rechtsweg unzulässig und daher sei die Klage zurückzuweisen.

Diese Entscheidung bekämpft der Kläger mit seinem rechtzeitigen Rekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt die Abänderung in eine Stattgabe seines Wiedereinsetzungsantrags. Dem Erstgericht möge die Forstsetzung des Verfahrens aufgetragen werden.

Die Beklagte strebt mit ihrer Rekursbeantwortung an, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Rekurs, über den gemäß § 11a Abs 2 ASGG durch einen Dreiersenat entschieden werden kann, ist nicht berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

1Gemäß § 146 Abs 1 ZPO ist einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis unter anderem an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Ein Verschulden an der Versäumung hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

2.1 Unabwendbar ist ein Ereignis, wenn sein Eintritt durch die Partei, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah, nicht verhindert werden konnte (objektiver Maßstab). Fälle höherer Gewalt wie Naturkatastrophen fallen darunter, wobei die meisten unabwendbaren Ereignisse auch unvorhergesehen sein werden ( Deixler-Hübner in Fasching/Konecny³§ 146 ZPO Rz 7).

Unvorhergesehen ist ein Ereignis, wenn die Partei den Eintritt des Ereignisses nicht miteingerechnet hat und sie dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die ihr oder ihrem Vertreter persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht (subjektiver Maßstab) nicht erwarten konnte (RIS-Justiz RS0036738). Da es auf die subjektiven Verhältnisse der Partei ankommt, ist der Begriff „unvorhergesehen“ durch den Begriff „unverschuldet“ zu ergänzen. Die Partei oder ihr Vertreter müssen alle zumutbaren Maßnahmen treffen, um eine Prozesshandlung fristgerecht vorzunehmen. Nur ein minderer Grad des Versehens hindert die Wiedereinsetzung nicht ( Deixler-Hübner in Fasching/Konecny³§ 146 ZPO Rz 6).

2.2 Ein Versehen minderen Grades ist jenes Verschulden, welches das Maß der groben Fahrlässigkeit noch nicht erreicht, aber mehr als eine entschuldbare Fehlleistung darstellt. Ein minderer Grad des Versehens entspricht der leichten Fahrlässigkeit im allgemeinen Schadenersatzrecht und liegt dann vor, wenn der Fehler auch einem sorgfältigen Menschen gelegentlich unterläuft ( Deixler-Hübner in Fasching/Konecny³§ 146 ZPO Rz 54 f). Ein bloß minderer Grad des Versehens liegt nicht mehr vor, wenn die Partei die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihr zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (RIS-Justiz RS0036800) und naheliegende Überlegungen nicht anstellt oder etwas unbeachtet lässt, was leicht einleuchten hätte müssen ( Gitschthaler in Rechberger/Klicka 5§ 146 ZPO Rz 7; RIS-Justiz RS0036795).

3 Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, ihm sei kein Verschulden an der Fristversäumung anzulasten, da er den Bescheid unverzüglich an die bekannt gegebene Adresse gesandt und keine Fehlermeldung erhalten habe. Er habe berechtigt von einer erfolgreichen Übermittlung und verbindlichen Mandatserteilung ausgehen können, da von ihm als juristischen Laien nicht zu verlangen sei, dass er zwischen Erstkontakt und Auftrag differenzieren könne.

4 Fest steht, dass das E-Mail mit dem Bescheid am 1. April 2025 und auch danach nicht in der Kanzlei des Klagevertreters einlangte. Selbst wenn man aber zugrunde legen würde, dass der Kläger die Adresse richtig eingegeben hat und er nicht mit einem technischen Übermittlungsfehler rechnen musste, bleibt immer noch der Umstand, dass bei dem der Übersendung der Unterlagen vorangehenden Telefonat keine Mandatserteilung erfolgte, sondern seitens des Klagevertreters klar kommuniziert wurde, dass er Unterlagen benötige, um die Übernahme des Mandats und die erforderlichen Schritte beurteilen zu können.

4.1Wie vom Erstgericht zutreffend dargelegt hat (§ 500a ZPO), ist es auffallend sorglos, dass der Kläger sich angesichts dieses Erstkontakts zwei Monate lang nicht mehr beim Klagevertreter meldete. Der Kläger musste aufgrund der Rechtsmittelbelehrung und der Vorverfahren wissen, dass Bescheidklagen fristgebunden sind, und hätte daher bei Aufwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt mit dem bislang noch nie für ihn eingeschrittenen Klagevertreter rechtzeitig Kontakt aufnehmen müssen, um abzuklären, ob er das Mandat annimmt. Es bedarf keiner juristischen Kenntnisse, um zu wissen, dass es für das Tätigwerden eines Rechtsanwalts einer Beauftragung bedarf.

4.2Diesen Überlegungen entsprechend wurde in der Rechtsprechung die Wiedereinsetzung abgelehnt, wenn der zu Vertretende blind darauf vertraute, der bislang in einem anderen Verfahren beauftragte Rechtsanwalt werde sich auch um die neue Rechtssache kümmern (OGH 7 Ob 30/24y). Dasselbe gilt für die bloße Übermittlung eines Bescheids ohne entsprechenden Auftrag an den Rechtsanwalt, ein Rechtsmittel zu erheben (VwGH 99/14/0002) bzw bei unbescheinigter Bescheidübermittlung ohne Nachfrage, ob die Sendung angekommen ist, und ohne Abklärung der Bereitschaft, das Mandat zu übernehmen (VwGH 90/06/0191).

4.3 Die lapidare Bekanntgabe der Polizzennummer der Rechtsschutzversicherung ersetzt eine Auftragserteilung nicht, folgt doch daraus bestenfalls der Wunsch des Klägers, der Rechtsvertreter möge – sollte er das Mandat übernehmen wollen – abklären, ob eine Deckungszusage besteht. Selbst eine allfällige Zusage der Tragung der Prozesskosten durch die Versicherung würde eine Vereinbarung über die Übernahme der Vertretung nicht ersetzen.

5 Ein plötzliches und unvorhersehbares Ereignis, das den Kläger daran hinderte, rechtzeitig für die Einbringung der Klage zu sorgen, ist daher nicht ersichtlich. Zu Recht hat das Erstgericht den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Bescheidklage abgewiesen.

6Der Kläger hat die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens gemäß § 154 ZPO – unabhängig vom Rekurserfolg - jedenfalls selbst zu tragen.

7Da das Erstgericht die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags sogleich mit der Zurückweisung der verspäteten Klage verbunden hat, ist der Revisionsrekurs nicht gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig. Vielmehr ist auszusprechen, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels einer über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage gemäß § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig ist (vgl Musger in Fasching/Konecny³§ 528 ZPO Rz 61; vgl OGH 1 Ob 35/05m).