12Rs72/25g – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichterinnen Mag. Birgit Paumgartner (Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Christina Teuchtmann (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **, vertreten durch Mag. Gerhard Eigner, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch ihren Angestellten Mag. B*, Landesstelle **, wegen Invaliditätspension , über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 25. Juni 2025, Cgs*-24, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 14. Mai 2024 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Invaliditätspension an die Klägerin ab und verneinte auch einen Anspruch auf Rehabilitationsgeld sowie medizinische und berufliche Rehabilitationsmaßnahmen.
Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrte die Klägerin die Gewährung der Pensionsleistung ab 1. März 2024, in eventu von Rehabilitationsgeld und Rehabilitationsmaßnahmen und machte geltend, insbesondere infolge ihrer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, ihrer psychotischen Störung nach Substanzgebrauch sowie ihrer orthopädischen Leiden auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr einsetzbar zu sein. Jedenfalls habe sie während ihrer stationären Entzugstherapie Anspruch auf Rehabilitationsgeld.
Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wandte ein, die Klägerin könne noch die Hälfte des Entgelts eines gesunden Versicherten verdienen. Auf die Entscheidung 10 ObS 21/11b werde verwiesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zu dem im Berufungsverfahren strittigen Punkt, inwieweit die Langzeittherapie bei der Krankenstandsprognose zu berücksichtigen ist, traf das Erstgericht zusammengefasst folgende Sachverhaltsfeststellungen:
Die Klägerin ist zumindest seit 1. März 2024 in der Lage, bei einem durchschnittlichen Zeitdruck Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen zu verrichten und dabei dauernd bis 5 kg zu tragen und bis 10 kg zu heben sowie drittelzeitg bis 10 kg zu heben und bis 15 kg zu tragen. Nach einer Stunde muss die Körperhaltung für fünf Minuten gewechselt werden. Die Klägerin kann noch 20 Stunden pro Woche, aufgeteilt auf fünf Arbeitstage zu je vier Stunden, ohne zusätzlichen Arbeitspausen arbeiten und den Anmarschweg zur Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigen. Krankenstände sind im Ausmaß von drei Wochen im Jahr zu erwarten, wobei aus neurologisch-psychiatrischer Sicht bei einer Therapie eine Besserung des Gesundheitszustandes möglich wäre. Die Klägerin kann mit diesem Leistungskalkül noch eine Vielzahl von Arbeiten verrichten, wie etwa Tischmontagearbeiten, Verpackungsarbeiten oder eine Tätigkeit als Bürobotin.
Dieses Leistungskalkül besteht seit Antragstellung und gilt unabhängig von einer Entwöhnungstherapie. Die Klägerin befindet sich seit 2. Dezember 2024 im C* in ** zur stationären Langzeittherapie. Die Therapie ist bis 1. Dezember 2025 vorgesehen.
In seiner rechtlichen Beurteilung gelangte das Erstgericht zu dem Schluss, dass bei der Klägerin trotz der Suchttherapie von voraussichtlich zwölf Monaten weder eine dauernde noch eine vorübergehende Invalidität vorliege. Ausgehend von der bestehenden Arbeitsfähigkeit diene die Therapie als vorbeugende Maßnahme. Wenn dafür die Arbeitsleistung unterbrochen werden müsse, sei das arbeitsrechtlich ein Krankenstand oder einem solchen gleich zu halten. Zeiten einmaliger Krankenstände seien aber nicht in die zu erwartende Krankenstandsdauer einzubeziehen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die rechtzeitige, unbeantwortet gebliebene Berufung der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung in eine Klagsstattgabe hinsichtlich des Rehabilitationsgelds. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu erledigende Berufung ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1 Die Klägerin vermisst unter Berufung auf die Angaben des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen Feststellungen dazu, dass die stationäre Langzeittherapie vom Krankenhaus verordnet worden und mit den ihr grundsätzlich möglichen 20 Wochenstunden nicht vereinbar sei. Rechtlich hätte das Erstgericht infolgedessen zu einem medizinisch indizierten Krankenstand und zu einer vorübergehenden, sechs Monate übersteigenden Arbeitsunfähigkeit sowie einem Anspruch auf Rehabilitationsgeld gelangen müssen.
2.1Eine Invalidität der Versicherten nach der für die Klägerin maßgebenden Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG liegt vor, wenn die Versicherte infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustands nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.
2.2Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat die Klägerin gemäß § 255b ASVG, wenn vorübergehende Invalidität voraussichtlich im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt und die Voraussetzungen nach § 254 Abs 1 Z 2 bis 4 ASVG – kein Anspruch auf berufliche Rehabilitation oder Alterspension und Erfüllung der Wartezeit – erfüllt sind.
2.3 Streitpunkt ist nunmehr, ob durch die einjährige Langzeittherapie eine vorübergehende Invalidität der Klägerin von zumindest sechs Monaten vorliegt.
3.1In der Entscheidung 10 ObS 21/11b betreffend eine insgesamt sechs Monate und einen Tag dauernde stationäre Psychotherapie für Suchtkranke verneinte der Oberste Gerichtshof einen Anspruch auf eine (nach der damaligen Rechtslage befristete) Invaliditätspension im Wesentlichen mit der Begründung, der damalige Kläger wäre auch während des stationären Aufenthalts in der Lage gewesen, die näher angeführten Verweisungsberufe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten und sei daher nicht invalid iSd § 255 Abs 3 ASVG gewesen. Der erkennende Senat verwies in dieser Entscheidung [Pkt 2.2] darauf, dass eine „Arbeitsunfähigkeit“ iSd § 120 Abs 1 Z 2 ASVG, also wenn der Versicherte infolge einer Krankheit nicht oder doch nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, in der Lage ist, seine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit zu verrichten (vgl RIS-Justiz RS0106774), nicht gleichbedeutend mit dem Bestehen einer Invalidität iSd § 255 Abs 3 ASVG ist.
Da der damalige Kläger außerhalb der Entzugstherapie arbeitsfähig war, lehnte der Oberste Gerichtshof die Berücksichtigung des durch die stationäre Entzugstherapie bedingten einmaligen Krankenstands bei der zu erwartenden Krankenstandsprognose ab [Pkt 3.2].
3.2Auf diese Rechtsprechung greift das Höchstgericht auch in der Entscheidung 10 ObS 43/13s im Fall einer einjährigen Hepatitis C-Therapie zurück und verlangt nähere Feststellungen dazu, ob unter der bisher festgestellten „Arbeitsunfähigkeit“ der dortigen Klägerin während der Therapiedauer (nur) eine „Arbeitsunfähigkeit“ der Klägerin iSd § 120 Abs 1 Z 2 ASVG („Krankenstand“) oder (auch) eine darüber hinausgehende Invalidität der Klägerin iSd § 255 Abs 3 ASVG zu verstehen ist, bei der die Klägerin auch nicht mehr in der Lage wäre, zumindest halbtägig leichte Arbeiten zu verrichten und damit die gesetzliche Lohnhälfte iSd § 255 Abs 3 ASVG zu erzielen. Sollte bei der Klägerin während der unbestritten medizinisch indizierten einjährigen Hepatitis C-Therapie eine Invalidität iSd § 255 Abs 3 ASVG vorliegen, werde ihr für die Dauer dieser Therapie (nach der damaligen Rechtslage) eine zeitlich befristete Invaliditätspension zuzuerkennen sein [Pkt 4].
Auch in dieser Entscheidung wies der Oberste Gerichtshof auf seine Judikatur hin, wonach Zeiten von „einmaligen“, wenn auch länger dauernden Krankenständen im Regelfall nicht in die zu erwartende Krankenstandsdauer einbezogen werden [Pkt 5].
5 Mit dieser oberstgerichtlichen Judikatur, auf die sich die Beklagte bereits in erster Instanz berufen hat, setzt sich die Klägerin in ihrer Berufung nicht auseinander.
5.1Das ab dem Stichtag festgestellte Leistungskalkül – einschließlich der unabhängig von der Therapiedauer zugrunde zu legenden Krankenstandsprognose von drei Wochen – schließt die Klägerin nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt aus. Sie kann im Ausmaß von 20 Wochenstunden noch eine Reihe von Tätigkeiten ausüben. Dass sich dieses Leistungskalkül durch die stationäre Entwöhnungstherapie nicht ändert, steht nicht nur unbekämpft fest, sondern ist auch evident. Damit ist aber klargestellt, dass während der einjährigen Therapie keine vorübergehende Invalidität iSd § 255b ASVG vorliegt.
5.2 Ebenso evident ist, dass sich eine solche stationäre Langzeittherapie nicht mit einer Arbeitstätigkeit – auch nicht mit einer Teilzeittätigkeit – vereinbaren lässt. Das bestreitet die Beklagte auch gar nicht. Allerdings kommt es darauf nicht an, wie die vorstehenden Ausführungen zeigen. Demnach liegt kein sekundärer Feststellungsmangel vor.
Eine „faktische“ Arbeitsunfähigkeit während der Therapie, mag sie auch medizinisch indiziert sein, ist nicht gleichzusetzen mit einem (vorübergehenden) Ausschluss vom Arbeitsmarkt iSd § 255 Abs 3 ASVG.
5.3 Zutreffend hat das Erstgericht daher nicht nur einen Anspruch der Klägerin auf Invaliditätspension, sondern auch einen solchen auf Rehabilitationsgeld verneint. Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.
6Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Ein Kostenersatz nach Billigkeit erfordert sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens als auch berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Weder wird zu diesen Kriterien ein Vorbringen erstattet noch ergeben sich Anhaltspunkte aus dem Akt.
6Die ordentliche Revision ist nicht zuzulassen, da keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zur Lösung anstehen. Wie sich vom Leistungskalkül unabhängige Langzeittherapien auf die Beurteilung der (vorübergehenden) Invalidität auswirken, ergibt sich bereits aus der zitierten oberstgerichtlichen Rechtsprechung.