12Rs103/24i – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Dr. Dieter Weiß und Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Bernhard Kreutzer, MBA (Kreis der Arbeitgeber) und Martin Gstöttner (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, geboren am **, Pensionistin, **, **, vertreten durch die Ganzert Partner Rechtsanwälte OG in Wels, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen , 1050 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch ihre Angestellte Mag. B*, Landesstelle **, wegen Angehörigenbonus , über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. August 2024, Cgs*-8, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Das Berufungsverfahren wird fortgesetzt.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Die Klägerin pflegt ihre Mutter, welche Pflegegeld zumindest der Stufe 4 bezieht, in häuslicher Umgebung seit mindestens einem Jahr überwiegend. Das monatliche Pensionseinkommen der Klägerin übersteigt unstrittig EUR 1.500,00 netto.
Mit Bescheid vom 28. März 2024 lehnte die Beklagte wegen dieses Einkommens den Antrag der Klägerin vom 26. März 2024 auf Gewährung eines Angehörigenbonus ab.
In der dagegen erhobenen, auf dessen Leistung für den Zeitraum ab 1. April 2024 gerichteten Klageberief sich die Klägerin auf eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Art 7 B-VG durch die unterschiedlichen Voraussetzungen für den Angehörigenbonus nach § 21g und § 21h BPGG.
Die Beklagte hielt dem entgegen, unterschiedliche Bezugsberechtigte rechtfertigten unterschiedliche Zugangsbestimmungen. Weiterversicherte bezögen pflegebedingt keine sonstigen Leistungen und bedürften der Unterstützung.
Mit Urteilvom 12. August 2024 wies das Erstgericht die Bescheidklage unter Hinweis auf das Überschreiten der in § 21h BPGG normierten Einkommensgrenze von EUR 1.500,00 ab. Es sei aufgrund der unterschiedlichen Lebenssachverhalte keine unsachliche Differenzierung ersichtlich.
Dagegen erhob die Klägerin Berufung aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung in eine Klagsstattgabe, in eventu auf Aufhebung und Zurückverweisung an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung.
1Gleichzeitig stellte die Klägerin beim Verfassungsgerichtshof zu G 165/2024 einen auf Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG gestützten Antrag, Teile des § 21h BPGG als verfassungswidrig aufzuheben.
Aufgrund dieses Antrags wurde mit dem Berufungsverfahren gemäß § 62a Abs 6 VfGG innegehalten. Nach Ablehnung der Behandlung des Gesetzesprüfungsantrags mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg durch den Verfassungsgerichtshof ist das Verfahren gemäß § 528b Abs 3 fortzusetzen.
2Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft und die Sozialversicherungsanstalt der Bauern wurden mit 1. Jänner 2020 zur Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen zusammengeführt (§ 47 Abs 1 SVSG). Dem entsprechend stammt der bekämpfte Bescheid von der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (Blg ./A) und auch die Klagebeantwortung wurde von der SVS erstattet (ON 2).
Die Bezeichnung der Beklagten ist daher von Amts wegen von Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft auf Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen zu berichtigen (§ 235 Abs 5 ZPO).
3Die unbeantwortet gebliebene, gemäß § 480 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu erledigende Berufung ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
3.1Das BPGG unterscheidet beim Angehörigenbonus zwei Fallgruppen von Anspruchsberechtigten, nämlich nahe Angehörige, die in der Pensionsversicherung selbst- oder weiterversichert sind (§ 21g BPGG), und sonstige nahe Angehörige (§ 21h BPGG).
Nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 21g BPGG zählen Pensionistinnen und Pensionisten, da Bezieher einer monatlich wiederkehrenden Geldleistung aus einer eigenen Pensionsversicherung nach § 18b Abs 1a ASVG seit 1. Jänner 2023 von der Selbstversicherung für Zeiten der Pflege eines nahen Angehörigen ausgeschlossen sind ( Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld 5 Rz 12.189).
Die Voraussetzungen für einen Angehörigenbonus nach § 21h BPGG sind allerdings strenger. Die in der Pensionsversicherung nicht selbst- oder weiterversicherten nahen Angehörigen müssen kumulativ schon vor Beginn des Anspruchs den zu pflegenden Angehörigen seit mindestens einem Jahr überwiegend gepflegt haben und ihr monatliches Netto-Jahreseinkommen darf in dem der Antragstellung vorangehenden Kalenderjahr monatlich EUR 1.500,00 nicht überstiegen haben.
3.2Die Klägerin überschreitet unstrittig die Einkommensgrenze des § 21h Abs 2 Z 2 BPGG, erachtet aber die Differenzierung gegenüber den selbst- und weiterversicherten pflegenden Angehörigen für sachlich nicht gerechtfertigt. Zweck des Angehörigenbonus sei nach der Abschaffung des Pflegeregresses in Einrichtungen der stationären Langzeitpflege, die Pflege daheim besonders zu unterstützen. Die zusätzliche Einkommensgrenze führe zu einem unsachlichen Ausschluss von Personengruppen, die in gleicher Weise durch Pflege eines nahen Angehörigen zur Sicherung unseres Pflegesystems einen Beitrag leisteten. Während die beitragsfrei Selbstversicherten nach § 18b ASVG zusätzlich zum Angehörigenbonus einen Nettoverdienst bis zur Höchstbeitragsgrundlage erzielen könnten, sei – willkürlich anmutend – Nicht-Selbstversicherten dieser Bonus bei einem Einkommen über EUR 1.500,00 verwehrt. Unabhängig von der Frage der Verfassungsmäßigkeit sei jedenfalls eine verfassungskonforme Auslegung geboten.
3.3Der in Art 7 B-VG normierte Gleichheitsgrundsatz verbietet willkürliche, unsachliche Differenzierungen auf den Gebieten der Normsetzung und des Normvollzugs. Der Gleichheitsgrundsatz wird vom Gesetzgeber verletzt, wenn er Gleiches ungleich behandelt (RIS-Justiz RS0053981 ). Dem Gesetzgeber steht aber ein Gestaltungsspielraum verfassungsrechtlich insoweit zu, als er in seinen rechtspolitischen und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen frei ist. Es ist ihm nicht verwehrt, seine jeweiligen rechtspolitischen Vorstellungen im Rahmen vertretbarer Zielsetzungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verwirklichen. Nicht jede subjektiv als ungerecht empfundene einfachgesetzliche Regelung verletzt den Gleichheitssatz (RIS-Justiz RS0053889 , insb [T10, T12]).
3.4Die Differenzierung zwischen selbst- und weiterversicherten pflegenden nahen Angehörigen (§ 21g BPGG) einerseits und sonstigen pflegenden nahen Angehörigen (§ 21h BPGG) andererseits hat beim Verfassungsgerichtshof mit Blick auf Art 7 B-VG keine Bedenken erweckt. In seinem Beschluss vom 16. Juni 2025, G 165/2024-9, verweist er vielmehr auf den weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Beurteilung sozialer Bedarfslagen und bei der Ausgestaltung der an diese Bedarfslagen anknüpfenden sozialen Maßnahmen.
§ 21h BPGG verstößt daher weder gegen den Gleichheitsgrundsatz noch besteht Anlass zu einer – aufgrund des eindeutigen Wortlauts ohnehin unzulässigen – verfassungskonformen Auslegung. Ist die Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung bereits vom Verfassungsgerichtshof geprüft und von ihm ausdrücklich verneint worden, kann sich der am Verfahren vor dem VfGH Beteiligte nicht mehr auf seine abweichende Rechtsauffassung berufen (RIS-Justiz RS0077771 [T26]).
3.5 Das Ersturteil ist daher zu bestätigen. Der Klägerin steht kein Angehörigenbonus zu.
4Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Ein Kostenzuspruch nach Billigkeit trotz Unterliegens kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse weder behauptet wurden noch sich aus dem Akteninhalt ergeben ( Neumayr in ZellKomm 3§ 77 ASGG Rz 13).
5Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen, da die Frage der Verfassungskonformität des § 21h BPGG als einzige relevante Rechtsfrage bereits vom Verfassungsgerichtshof bejaht wurde.