JudikaturOLG Linz

7Bs67/25i – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
02. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Mag. Hemetsberger als Vorsitzende, Dr. Ganglberger-Roitinger und den Richter Mag. Grosser in der Strafsache gegen A* B*wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des B* gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz vom 14. Mai 2025, Hv*-86, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft Linz vom 17. Oktober 2024, den A* B* mit Beschluss vom 8. Jänner 2024 gemäß § 39 Abs 1 SMG gewährten Strafaufschub zu widerrufen, abgewiesen wird.

Text

BEGRÜNDUNG:

Mit Urteil des Landesgerichts Linz vom 27. April 2023 wurde der am ** geborene A* B* als Rückfallstäter (§ 39 Abs 1a StGB) wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG, nach § 27 Abs 2a SMG, nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG, nach § 27 Abs 1 Z 1 siebter Fall SMG, nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG sowie nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG, außerdem wegen eines Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt (ON 22).

Nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens, wonach bei B* eine behandlungsbedürftige Abhängigkeit jedenfalls von Cannabis bestehe und zunächst eine stationäre abstinenzorientierte Therapier in der Dauer von sechs Monaten erforderlich und nicht aussichtslos sei (ON 28), wurde ihm mit Beschluss vom 8. Jänner (richtig [vgl auch das Datum der elektronischen Signatur]:) 2024 Strafaufschub nach § 39 Abs 1 Z 1 SMG bis zum 10. Juli 2025 mit den Auflagen gewährt, sich unter Nachweispflicht zunächst einer solchen Therapie und im Anschluss daran einer ambulanten gesundheitsbezogenen Maßnahme zu unterziehen (ON 35).

Nunmehr wurde nach wiederholtem Therapieabbruch – über Antrag der Staatsanwaltschaft (ON 1.51, ON 1.60) – mit Beschluss vom 14. Mai 2025 dieser Strafaufschub aus dem Grund des § 39 Abs 4 Z 1 SMG widerrufen (ON 86).

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des B*, mit der er unter Hinweis auf eine bevorstehende (neuerliche) Aufnahme in einer stationären Therapieeinrichtung die Aufhebung des Beschlusses anstrebt (ON 88).

Die Oberstaatsanwaltschaft hat sich dazu nicht geäußert.

Hält man sich die Chronologie der Ereignisse seit Gewährung des Strafaufschubs vor Auge, war die angefochtene Entscheidung im Zeitpunkt der Beschlussfassung jedenfalls rechtsrichtig.

Rechtliche Beurteilung

Den ersten Versuch einer stationären Therapie begann der Beschwerdeführer am 10. Jänner 2024 in einer Therapiestation der C* gemeinnützige GmbH (ON 36). Bereits am 8. Februar 2024 musste sein Aufenthalt dort jedoch suspendiert werden (ON 41). Seit 22. Februar 2024 befand er sich dann im ambulanter Vorbetreuung bei der "D* E*-F*" G*, H* I* J*- I* K* E* (L*) GmbH (ON 43). Nach einer längeren Verwaltungsstrafhaft bis 7. Juli 2024 (vgl ON 44) wurde er dort am 16. Juli 2024 in die stationäre Therapie übernommen (ON 45). Allerdings musste diese am 23. August 2024 schon wieder aus disziplinären Gründen beendet werden (ON 48). Ein weiterer Versuch dauerte überhaupt nur von 5. bis 6. September 2024, als der Beschwerdeführer aufgrund des Konsums verbotener Substanzen auf dem Gelände der Einrichtung, von Handgreiflichkeiten gegenüber Mitpatienten und der Nichteinhaltung der Hausregeln aus disziplinären Gründen die Einrichtung verlassen musste (ON 48). Seinen nächsten Anlauf zu einer stationären Entwöhnungstherapie startete er am 2. Oktober 2024 erneut bei der C* gemeinnützige GmbH (ON 55). Mit 15. Oktober 2024 fand dieser jedoch schon wieder ein Ende (ON 59). Damals konnte er sich kaum in die Strukturen der Einrichtung einfinden, zeigte er sich ambivalent im Umgang mit den Betreuern und Mitpatienten sowie in Hinblick auf die Therapie- und Abstinenzmotivation durchwegs unmotiviert. Wiederholte schwere Verstöße gegen die Brandschutzordnung und weitere Therapieregeln führten schließlich zur Auflösung des Therapievertrags seitens der Einrichtung (ON 63). Ab 2. Jänner 2025 versuchte sich der Beschwerdeführer dann in der M* N* O*, P* I* Q* (ON 71), wo er sich allerdings von Beginn nicht recht in die rigiden Strukturen einzufinden vermochte (ON 72) und bereits am 4. Jänner 2025 (ON 73) nach zweimaligem Betreten mit verbotenen Substanzen entlassen wurde (ON 77).

Rechtlich gilt: Zufolge Abs 4 Z 1 des § 39 SMG ist ein nach dieser Bestimmung gewährter Strafaufschub zu widerrufen und die Strafe zu vollziehen, wenn der Verurteilte sich einer gesundheitsbezogenen Maßnahme, zu der er sich gemäß Abs 1 Z 1 leg cit bereit erklärt hat, nicht unterzieht oder es unterlässt, sich ihr weiterhin zu unterziehen, und der Vollzug der Freiheitsstrafe geboten erscheint, um den Verurteilten von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Davon erfasst sind demgemäß Fälle, in denen der Verurteilte die gesundheitsbezogene Maßnahme nicht beginnt oder sie – nachdem er die Behandlung zumindest begonnen hat – dauerhaft abbricht ( Matzka/Zeder/Rüdisser, SMG³ § 39 Rz 34). Beide Varianten, vor allem aber (weil hier der Betroffene seine grundsätzliche Therapiewilligkeit bereits demonstriert hat) der Therapieabbruch, erfordern eine gewisse Beharrlichkeit der Verweigerung ( Oshidari in Hinterhofer, SMG² § 39 Rz 46; vgl auch ErläutRV 110 BlgNR 20. GP 58). Vereinzelte Unterbrechungen der Therapie und Rückfälle in Form neuerlichen Suchtmittelgebrauchs sind dagegen für Suchtkranke geradezu typisch und müssen in Maßen – wie bei anderen chronischen Erkrankungen – toleriert werden ( Schwaighoferin WK-StGB² § 39 SMG Rz 41). Auch ein Wechsel der therapeutischen Einrichtung führt nicht per se zum Widerruf; der Verurteilte kann ja gar nicht verpflichtet werden, die gesundheitsbezogene Maßnahme in einer bestimmten Einrichtung zu absolvieren (vgl § 39 Abs 2 erster Satz SMG). Demgegenüber wird jedoch ein wiederholter Wechsel („Therapie-Shopping“) regelmäßig Zweifel an der Therapiewilligkeit nahe legen und zum Widerruf des Strafaufschubs führen (ErläutRV 110 BlgNR 20. GP 58; Oshidari aaO Rz 48; Matzka/Zeder/Rüdisser aaO Rz 34; Schwaighofer aaO Rz 42).

Inzwischen (vgl zur Berücksichtigung von Umständen, die [erst] nach Fassung des angefochtenen Beschlusses eingetreten sind: Tipold in WK-StPO § 89 Rz 8; Mühlbacher in Schmölzer/Mühlbacher, StPO Band 1² § 89 Rz 2; Strickerin LiK-StPO § 89 Rz 22, 15 Os 42/20w) haben sich jedoch die für die Beurteilung der Widerrufsfrage relevanten Parameter geändert.

Nunmehr befindet sich der Beschwerdeführer nämlich (bereits) seit 23. Mai 2025 erneut in einer Einrichtung der C* gemeinnützige GmbH in stationärer Therapie, was angesichts der zuletzt nur äußert kurzen Aufenthalte eine gewisse (für seine Verhältnisse allerdings beachtliche) Kontinuität darstellt. Hoffnung auf eine nun doch nachhaltige Therapiemotivation macht dabei der in den Berichten des Bewährungshelfers dokumentierte Verlauf seit Februar dieses Jahres, beginnend mit dem zweiwöchigen stationären Aufenthalt im R* und der dort erfolgten Einstellung auf das Arzneimittel ** ® , welches allem Anschein nach eine stabilisierende Wirkung auf den Beschwerdeführer hat und dessen Einnahme auch Bedingung für eine weitere Aufnahme bei der C* gemeinnützige GmbH war (vgl ON 80)

Betrachtet man diese (rezente) Entwicklung vor dem Hintergrund der beim Beschwerdeführer bestehenden Grunderkrankungen (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung und Mikrodeletionssyndrom [vgl ON 93, 1]) lässt sich eine – die Einleitung des Vollzugs der Freiheitsstrafe erfordernde – beharrliche Therapieverweigerung derzeit nicht feststellen.

Damit liegen die Voraussetzungen für den Widerruf des Strafaufschubs nach § 39 Abs 4 Z 1 SMG aktuell nicht (mehr) vor, weshalb der Beschwerde Folge zu geben und in Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses der darauf abzielende Antrag der Staatsanwaltschaft abzuweisen ist.

Bleibt anzumerken, dass gegen den Beschwerdeführer derzeit anhängige Verfahren im gegebenen Zusammenhang – nicht zuletzt aufgrund der Unschuldsvermutung (§ 8 StPO; vgl Grabenwarter in WK-StPO § 8 Rz 9) – außer Betracht zu bleiben haben (vgl auch den auf eine rechtskräftige [ OshidariaaO Rz 49] Verurteilung abstellenden § 39 Abs 4 Z 2 SMG).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).