JudikaturOLG Linz

3R70/25x – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Rekursgericht durch Senatspräsident Mag. Hans Peter Frixeder als Vorsitzenden sowie Mag. Carina Habringer-Koller und Dr. Gert Schernthanner in der Rechtssache der Kläger 1. Mag. A*, LL.M. , Rechtsanwalt, 2. Mag. Dr. B*, Rechtsanwältin, beide **, **, 3. Mag. C*, Rechtsanwältin und 4. Mag. D*, Rechtsanwalt, beide **straße **, **, gegen die Beklagte E* , kfm. Angestellte, **, **, vertreten durch die Auer Bodingbauer Leitner Stöglehner Rechtsanwälte OG in Linz, wegen EUR 8.548,20 s.A., hier wegen Befangenheit der Richterin Dr. in F* G*, über den Rekurs der Richterin des Landesgerichtes Ried im Innkreis Dr. in F* G* gegen den Beschluss des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 7. Mai 2025, Nc*-4, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er wie folgt lautet:

„Die Richterin Dr. in F* G* ist im Verfahren R* des Landesgerichtes Ried im Innkreis befangen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Begründung:

Die Kläger begehren in einem zu C* des Bezirksgerichtes Schärding anhängigen Verfahren die Zahlung von EUR 8.548,20 an offenem Rechtsanwaltshonorar aufgrund der anwaltlichen Vertretung der Beklagten durch den Erstkläger in den verbundenen Verfahren Cg1* und Cg2* des Landesgerichtes Ried im Innkreis.

Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, dass die anwaltliche Vertretung mangelhaft und wertlos gewesen sei. In der am 19. Jänner 2023 beim Landesgericht Ried im Innkreis zu Cg1* durchgeführten mündlichen Verhandlung habe der Erstkläger die Beklagte dazu gedrängt, einen Vergleich abzuschließen. Die Beklagte sei damit überhaupt nicht einverstanden gewesen. Der Erstkläger habe sie trotzdem zum Vergleichsabschluss überredet. Wäre die Beklagte vom Erstkläger korrekt beraten und vertreten worden, hätte sie den bedingten Vergleich niemals abgeschlossen bzw diesen widerrufen. In weiterer Folge hätte sie im Verfahren obsiegt und ihre Kosten wären von der Gegenseite zu tragen gewesen. Die Beklagte mache daher auch die von ihr anteilig bezahlte Pauschalgebühr von EUR 415,80 als Gegenforderung geltend.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Schärding vom 30. Jänner 2025 wurde die Klagsforderung als zu Recht bestehend, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend festgestellt und die Beklagte zur Zahlung des Klagsbetrags und zum Prozesskostenersatz an die Kläger verpflichtet (lediglich ein Zinsenmehrbegehren wurde abgewiesen).

Gegen dieses Urteil erhob die Beklagte Berufung an das Landesgericht Ried im Innkreis wegen unrichtiger Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung einschließlich sekundärer Feststellungsmängel. Sie beantragt, das Urteil in eine Klagsabweisung abzuändern.

Die zur Bearbeitung der Berufung zuständige Berichterstatterin des Berufungssenates Dr. in F* G* zeigte ihre Befangenheit an und führte dazu aus, dass die Honorarforderung die verbundenen Verfahren Cg1* und Cg2* des Landesgerichtes Ried im Innkreis betreffe, die von ihr als zuständige Richterin geführt worden seien. Das von der Klägerin erstattete Prozessvorbringen zum Zustandekommen des Vergleichs anlässlich der Tagsatzung vom 19. Jänner 2024 korreliere nicht mit der von Dr. in G* noch sehr präsenten Erinnerung an die Umstände, wie es in der genannten Tagsatzung zur Abschluss des Vergleiches gekommen sei, zumal sie sich aktiv in die Vergleichsgespräche eingebracht habe und eingehend die Sach- und Rechtslage erörtert worden sei. Die Einschätzung der Beklagten, sie hätte im Verfahren obsiegt, sei nach dem damaligen Verfahrensstand nicht faktenbasiert gewesen, sondern möge eher einem Wunschdenken entsprechen. Aufgrund ihrer persönlichen Wahrnehmungen, wie es zum Vergleichsabschluss gekommen sei, könne Dr. in G* angesichts des Prozessvorbringens der Beklagten dazu deren Berufung nicht unbefangen bearbeiten, zumal die Beklagte in der umfangreichen Beweis- und Tatsachenrüge die von ihr ersatzweise angestrebten Feststellungen jeweils auf ihre eigene Parteieneinvernahme und damit ihre Glaubwürdigkeit stütze. Hinzu komme, dass Dr. in G* im erstinstanzlichen Verfahren des Bezirksgerichtes Schärding von der Klägerin als Zeugin beantragt worden sei, sodass auch der äußere Anschein der Befangenheit (aufgrund ihres Wissensstandes durch die Verfahrensführung der beiden Prozesse vor dem Landesgericht Ried im Innkreis) vorliege.

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde ausgesprochen, dass die Richterin des Landesgerichtes Ried im Innkreis Dr. in F* G* nicht befangen sei.

Unter Zitierung zahlreicher Judikaturfundstellen kam das Erstgericht zum Ergebnis, dass ein Richter nicht befangen sei, der sich bereits eine Meinung gebildet habe, sondern nur derjenige, der nicht bereit sei, davon abzugehen. Eine Äußerung (oder Beurteilung) des Richters in einem bestimmten Stadium des Verfahrens über dessen Stand bilde daher keinen Befangenheitsgrund. Dass Richter in Verfahren entscheiden, die einen inhaltlichen Zusammenhang aufweisen, entspreche dem Gerichtsalltag; die Tätigkeit in einem Parallelverfahren könne für sich allein keinen Zweifel an der Unbefangenheit des Richters begründen. Soweit die zuständige Richterin auf ihre persönlichen Wahrnehmungen, wie es zum Abschluss des Vergleichs gekommen sei, abstelle und anführe, angesichts des Prozessvorbringens der Beklagten dazu deren Berufung nicht unbefangen bearbeiten zu können, sei nicht klar, ob damit ein objektiv äußerer Anschein der Befangenheit oder eine subjektive Befangenheit releviert werde. Aus dem Umstand, dass die zuständige Richterin in ihrer Befangenheitsanzeige angebe, diese „pflichtgemäß“ zu erstatten, sei eher zu schließen, dass sie sich selbst subjektiv nicht für befangen erachte. Hinzu komme, dass eine Parteieneinvernahme der Beklagten durch die zuständige Richterin, insbesondere zum relevanten Beweisthema des Ablaufs des Beratungsgesprächs zwischen dem Erstkläger und der Beklagten während der Verhandlungspause in der Tagsatzung vom 19. Jänner 2024 im Verfahren Cg1* des Landesgerichtes Ried im Innkreis gerade nicht durchgeführt worden sei und auch ansonsten eigene Wahrnehmungen der zuständigen Richterin dazu allseits nicht behauptet worden seien. Auch die Feststellungsrüge in der Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Schärding würde keine persönlichen Wahrnehmungen der zuständigen Richterin betreffen. Dass die zuständige Richterin unter diesen Umständen nicht bereit wäre, ihren (allgemein) im Verfahren Cg2* des LG Ried im Innkreis gewonnenen Eindruck von der Beklagten (insbesondere anhand der vorgetragenen Berufungsargumente) selbstkritisch zu überprüfen, lasse sich ihrer Befangenheitsanzeige nicht entnehmen. Dies sei aber sowohl betreffend eines (objektiven) äußeren Anscheins als auch für das Vorliegen einer subjektiven Befangenheit entscheidend. Somit seien die von der zuständigen Richterin angegebenen Umstände schon ihrer Natur nach nicht geeignet, eine Befangenheit zu begründen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Richterin Dr. in F* G* aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, ihrer Befangenheitsanzeige stattzugeben.

Der Rekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist der Rekurswerberin darin Recht zu geben, dass sie in ihrer Befangenheitsanzeige klar und unmissverständlich nicht nur auf einen möglicherweise vorliegenden objektiven Anschein der Befangenheit hingewiesen hat, sondern sich ausdrücklich subjektiv für befangen erachtet. Anders kann der Satz „aufgrund meiner persönlichen Wahrnehmungen, wie es zum Abschluss des Vergleiches kam, kann ich angesichts des Prozessvorbringens der Beklagten dazu deren Berufung nicht unbefangen bearbeiten…“ nicht verstanden werden. Die vom Erstgericht aus der Verwendung des Wortes „pflichtgemäß“ abgeleiteten Zweifel daran, ob die zuständige Richterin tatsächlich eine subjektive Befangenheit „releviert“, sind für das Rekursgericht nicht nachvollziehbar.

Das Abstellen darauf, dass sich ein Punkt der Tatsachenrüge auf einen Sachverhalt bezieht, zu dem die zuständige Richterin (als damalige Verhandlungsrichterin) keine persönlichen Wahrnehmungen hat (das Gespräch zwischen dem nunmehrigen Erstkläger und der Beklagten in der Verhandlungspause), ist ein formalistischer Zugang, der vom Rekursgericht nicht geteilt wird, ist doch das Zustandekommen des Vergleichsabschlusses als Gesamtkomplex zu betrachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Dr. inG* in ihrer Befangenheitsanzeige auf noch sehr präsente Erinnerungen an die Umstände, wie es in der Tagsatzung zum Abschluss des Vergleiches kam, verwiesen hat und ebenso darauf, dass sie sich aktiv in die Vergleichsgespräche einbrachte und eingehend die Sach- und Rechtslage erörtert wurde. Es geht im vorliegenden Fall also gar nicht darum, dass von einer Richterin verlangt wird, Bereitschaft zu zeigen, von einer einmal gebildeten Meinung abzugehen (etwa von einer Rechtsmeinung oder von beweiswürdigenden Überlegungen); vielmehr ginge es darum, dass die Richterin sich mit ihrer eigenen Erinnerung an Tatsachenwahrnehmungen, sich sozusagen mit „alternativen Fakten“ auseinandersetzen müsste. Dies ist von einem Richter, hier einer Richterin, auch unter Zugrundlegung der umfangreichen veröffentlichten Judikatur zu § 19 JN nicht zu verlangen.

So hat auch der Oberste Gerichtshof schon wiederholt eine Befangenheit auch dann bejaht, wenn eine besondere „Nahebeziehung zur Rechtssache“ besteht; maßgeblich war jeweils der Umstand, dass sich ein Richter aufgrund seiner vorigen Verfahrensbeteiligung schon eine konkrete Meinung zu jenem Verfahrensgegenstand gebildet hat, der später auch Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof war (2 Nc 13/25x unter Hinweis auf 8 Nc 22/17b und 2 Nc 7/25i). Im vorliegenden Fall hat die Richterin Dr. in G* sich nicht nur eine konkrete Meinung zum Verfahrensgegenstand gebildet, sondern hat überdies eigene Tatsachenwahrnehmungen zum verfahrensrelevanten Umstand, ob die nunmehrige Beklagte zu einem Vergleichsabschluss gedrängt oder überredet wurde.

Es entspricht überdies ständiger Rechtsprechung, dass es für die Annahme des Vorliegens von Befangenheit genügt, dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein entstehen könnte, der Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkte leiten (RS0046052, RS0045975, RS0046024 ua). Die Befangenheit ist im Allgemeinen dann zu bejahen, wenn der Richter diese selbst anzeigt (RS0046053). Lediglich eine überhaupt nicht begründete Befangenheitserklärung eines Richters ist untauglich (RS0046053). Bei der Entscheidung über die Anträge der Selbstablehnung handelt es sich nicht um die Wahrnehmung von Parteieninteressen, sondern um das öffentliche Interesse an der Objektivität der Rechtsprechung. Niemand vermag zu dieser Voraussetzung mehr beizutragen als der Richter selbst (RS0045943). Der Anschein, der Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten, soll jedenfalls vermieden werden (RS0046052).

Die Richterin Dr. in G* hat ihre Befangenheit angezeigt und nachvollziehbar erklärt, warum sie sich befangen fühlt, sodass der angefochtene Beschluss in Stattgebung ihres Rekurses abzuändern war.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 24 Abs 2 JN. Dabei handelt es sich um eine Sonderreglung über die Anfechtbarkeit von Entscheidungen über die Ablehnung von Richtern, die jede allgemeine Regel über die Anfechtbarkeit von Beschlüssen verdrängt (RS0046010 ua).