10Bs100/25i – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Henhofer als Vorsitzende und Mag. Höpfl sowie den Richter Mag. Graf in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Beschwerde der B* gegen den Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 7. April 2025, Hv*-83, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Mit Urteil des Landesgerichtes Linz als Geschworenengericht vom 18. Jänner 2023 zu Hv* (ON 51) wurde A* rechtskräftig (AS 30 in ON 50) des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB für schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Jahren sowie gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung von EUR 10.000,00 an Teilschadenersatz für die erlittenen körperlichen Schmerzen und für die erlittene Verunstaltung an B* verurteilt.
Nach dem Wahrspruch der Geschworenen hat A* am 23. Mai 2022 in ** seine Ehefrau B* vorsätzlich zu töten versucht, indem er sie mehrfach schlug, wodurch sie zu Boden stürzte, und ihr mit einem Stanleymesser mehrmals in den Bereich des Halses und des Kopfes stach und schnitt, wobei ein Stich am Kehlkopf abgelenkt wurde, an Speiseröhre und Luftröhre vorbeiging und beinahe bis zur Wirbelsäule führte und auch mit den Fäusten auf sie einschlug, sodass B* dadurch auf eine Weise, mit der Lebensgefahr verbunden ist, in Form mehrerer Stich- und Schnittverletzungen an der Halsregion, der rechten Wangenregion und der rechten Schläfenregion, einer traumatischen Eröffnung des Mund-Rachenraums durch Halsstichverletzung, einer Luftansammlung (Emphysem) in den Halsweichteilen sowie einer Prellung des linken Ellbogens mit begleitender Abschürfung verletzt wurde (Faktum I. [ON 51]).
Mit Eingabe vom 27. März 2025 (ON 81) begehrte B* die Einsicht in das im (bereits rechtskräftig abgeschlossenen) Strafverfahren eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten (ON 44) betreffend den Verurteilten. Begründend führte die Antragstellerin aus, dass sie bzw ihre mj Kinder insofern ein rechtliches Interesse an der Gewährung der Akteneinsicht hätten, als ihnen im Strafverfahren Opferstatus zugekommen sei. Die Antragstellerin und ihre mj Kinder würden die Straftat aktuell mit psychologischer Unterstützung verarbeiten und es stehe nun die Frage im Raum, ob die mj Kinder ihren verurteilten Vater besuchen bzw den Kontakt mit diesem halten sollen, weshalb es dafür insbesondere der Einsicht in das psychiatrische Sachverständigengutachten bedürfe (ON 82).
Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 83) wurde der Antrag auf Akteneinsicht abgewiesen. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, die Antragstellerin mache mit ihren Ausführungen kein begründetes rechtliches Interesse iSd § 77 Abs 1 StPO glaubhaft.
Die dagegen von der Antragstellerin erhobene Beschwerde (ON 84) ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 68 Abs 1 StPO sind Privatbeteiligte (und Privatankläger), darüber hinaus nach Abs 2 leg cit auch alle Opfer, zur Akteneinsicht berechtigt, soweit ihre Interessen betroffen sind. Die Gewährung von Akteneinsicht hat nach dieser Bestimmung jedoch grundsätzlich nur im Erkenntnisverfahren bis zur Rechtskraft eines Urteils zu erfolgen, während im Gegensatz dazu nach § 77 StPO auch in rechtskräftig erledigte Akten Einsicht genommen werden kann. Letztere Bestimmung eröffnet einen größeren Anwendungsbereich als die anderenorts in der StPO geregelten Fälle der Akteneinsicht, denn sie gilt für jedes Verfahrensstadium und nach Rechtskraft der Verfahrensbeendigung sowie auch für nicht am Verfahren beteiligte Personen, die ein besonderes rechtliches Interesse an den Ergebnissen des Verfahrens haben (RIS-Justiz RL0000094; OLG Linz 10 Bs 348/18z; Oshidari in Fuchs/Ratz , WK-StPO § 77 Rz 1).
Gemäß § 77 Abs 1 StPO haben Staatsanwaltschaften und Gerichte im Falle begründeten rechtlichen Interesses auch außer den in diesem Gesetz besonders bezeichneten Fällen Einsicht in die ihnen vorliegenden Ergebnisse eines Ermittlungs- oder Hauptverfahrens zu gewähren, soweit dem nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen. Wann ein begründetes rechtliches Interesse iSd § 77 Abs 1 StPO vorliegt, kann nicht pauschal beantwortet werden. Jedenfalls muss es sich um ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse handeln, das über bloß wirtschaftliches bzw politisches Interesse oder über Interessen privater oder öffentlicher (medialer) Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht ( Brandstetter/Zeinhofer in Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/Wess , LiK-StPO § 77 Rz 5 mwN; Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO I 2§ 77 Rz 4 ff; RIS-Justiz RS0079198). Mit dem “rechtlichen Interesse” sind “eigene Interessen” jedoch nicht gleichzusetzen (OLG Wien 17 Bs 203/22k). Vielmehr muss die Kenntnis vom Akteninhalt dabei geeignet sein, die Position des Antragstellers in einem – wenngleich noch nicht anhängigen – (Verwaltungs-, Zivil- oder Straf-)Verfahren zu fördern oder die Gefahr von Beeinträchtigungen seiner Rechtsspähre zu minimieren oder zu beseitigen ( Oshidari , aaO § 77 Rz 2). Das begründete rechtliche Interesse ist vom Antragsteller glaubwürdig darzutun und unterliegt einer strengen Prüfung ( Brandstetter/Zeinhofer , aaO § 77 Rz 4 f). Es ist stets abzuwägen, inwieweit einem solchen nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen. Weiters ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Akteneinsicht (gänzlich oder teilweise) notwendig ist. Bezieht sich das rechtliche Interesse des Antragstellers lediglich auf einzelne Aktenteile, ist die Akteneinsicht entsprechend einzuschränken ( Oshidari , aaO § 77 Rz 2 f).
Ein diesen Voraussetzungen entsprechendes Vorbringen der – allein in ihrem eigenen Namen einschreitenden – Antragstellerin, aus welchem sich ein konkretes, in der Folge gegen mögliche öffentliche oder private Interessen des Verurteilten abzuwägendes rechtliches Interesse iSd § 77 Abs 1 StPO ableiten ließe, findet sich fallgegenständlich nicht. Ihre Ausführungen, wonach die Einsicht in das psychiatrische Sachverständigengutachten zur psychologischen Aufarbeitung der Straftat sowie zur Prüfung der Eignung einer Kontaktaufnahme bzw -aufrechterhaltung zwischen dem Verurteilten und seinen mj Kindern benötigt werde, genügen den oben dargelegten, strengen Anforderungen nicht, zumal auch der Hinweis auf die Stellung als Opfer im Hauptverfahren noch kein begründetes rechtliches Interesse iSd § 77 Abs 1 StPO darstellt (vgl OLG Linz 25.2.2021, 10 Bs 30/21). Vielmehr läuft das Akteneinsichtsbegehren der Antragstellerin – die in ihrer Beschwerde angibt, ohnehin jeweils durch ihre Privatbeteiligtenvertreterin Akteneinsicht gehabt (ON 32), Kenntnis vom Gutachten erlangt zu haben und auch bei dessen Erörterung dabei gewesen zu sein (ON 50) – auf ein bloßes Informationsbegehren rein privater Natur hinaus, welchem jedoch nicht mit der Gewährung von Akteneinsicht nach § 77 Abs 1 StPO Rechnung getragen werden kann.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht kein weiteres Rechtsmittel zu.