9Bs87/25w – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Maßnahmenvollzugssache des A*wegen bedingter Entlassung aus einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB über die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 25. März 2025, BE*-9, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
BEGRÜNDUNG:
Der ** geborene Ägypter A* wurde mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 11. März 2024, Hv*-119, (soweit nun vollzugsrelevant) des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (A.) sowie je eines Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (C.), der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (D.) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (E.III.) zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt; gleichzeitig wurde gemäß § 21 Abs 2 StGB seine strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum angeordnet. Er hatte am 15. Mai 2023 (A.) in alkoholisiertem Zustand am Vorplatz des B* Hauptbahnhofs, wo er sich mit etwa zehn weiteren Personen aufhielt, insgesamt drei Kontrahenten, teils unter Verwendung einer Waffe schwer am Körper zu verletzen versucht, und zwar (A./I./) einen der Männer durch einen Schlag mit einer zerbrochenen Glasflasche, (A./II./) einen anderen durch zumindest einen Faustschlag ins Gesicht in Form einer Schwellung im Lippenbereich sowie (A./III./) eine dritte Person durch einen Faustschlag und einen Stich mit einer zerbrochenen Glasflasche in ihren Bauchbereich. Außerdem hatte der abermals schwer alkoholisierte Betroffene am 30. März 2023, nachdem er in seiner Asylunterkunft einen Mitbewohner mit einem Glas beworfen und ihm leichte Schnittwunden zugefügt hatte, im Verlauf des dadurch hervorgerufenen Polizeieinsatzes (C./) seine Vorführung gemäß § 9 Abs 2 UbG zu hindern versucht, indem er gezielt mit dem Fuß gegen den Oberkörper eines Polizeibeamten trat, welcher jedoch ausweichen bzw den tätlichen Angriff abwehren konnte, und (D./) hatte er diesen dadurch vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht. Schließlich war der Betroffene (E./III./) am 22. Juni 2023 am B* Bahnhof alkoholisiert erneut mit einem anderen in Konflikt geraten, den er durch Gestikulieren mit einem Messer gefährlich bedrohte; als sich ein Passant – zunächst noch schlichtend – einmischte, kam es zu einer gegenseitigen Schubserei mit dem Betroffenen, der zwar aufgrund eines Faustschlags des anderen vorerst zurückwich, in der Folge jedoch aus seiner Hosentasche ein Messer hervorholte, auf diesen Dritten zueilte und ihn gefährlich mit dem Tod bedrohte, indem er mit nach vorne ragender Klinge mehrfach Stichbewegungen ausübte und ein Aufschlitzen seines Gegenübers von oben nach unten andeutete.
Die im Weg der Vikariierung bereits verbüßte Strafzeit endete mit 22. Dezember 2024 (ON 3, 1). Die (nach vorläufiger Anhaltung und Inhaftierung des Betroffenen ab 15. Mai 2023) mit Urteilsrechtskraft am 15. März 2024 eingeleitete Maßnahme wird seit 22. Mai 2024 im Forensisch-therapeutischen Zentrum (FTZ) C* vollzogen (ON 2 f; ON 3, 1; ON 6, 5 f).
Mit dem nun angefochtenen Beschluss (ON 9) stellte das Erstgericht nach Einsichtnahme (insbesondere auch) in das Bezug habende forensisch-neuropsychiatrische Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. D* vom 11. September 2023 (LG Salzburg Hv*-41.3) und in die Strafregisterauskunft (ON 5), Einholung einer forensischen Stellungnahme des Anstaltsleiters vom 9. Dezember 2024 (ON 6) und Durchführung einer Anhörung (ON 8) die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 2 StGB fest (und lehnte damit implizit seine bedingte Entlassung ab).
Dagegen wendet sich die Beschwerde des Betroffenen (ON 13), jedoch ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Vorbeugende Maßnahmen sind auf unbestimmte Zeit anzuordnen und so lange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert (§ 25 Abs 1 StGB). Die bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme ist zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht (§ 47 Abs 2 StGB).
Im Sinn dieser Kriterien ist aber mit dem Erstgericht unter Berücksichtigung aller aktuellen, schlüssigen Unterlagen die Unterbringung des Rechtsmittelwerbers angesichts der unverändert aufrechten psychiatrischen Diagnose, nämlich einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit in erster Linie emotional-instabilen und dissozialen Anteilen (F61) sowie einer psychischen und Verhaltensstörung durch Alkohol-Abhängigkeitssyndrom, derzeit unter beschützender Umgebung abstinent (F19.2; vgl ON 6, 7 f), in der Zusammenschau mit der im Erkenntnisverfahren LG Salzburg Hv* (vgl dort das plausible Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. D* vom 11. September 2023, ON 41.3, ergänzt in der Hauptverhandlung vom 11. März 2024, ON 118, 13 ff) aufgearbeiteten – und mit Blick auf die Zeit vor seiner Migration im März 2023 nach Österreich nur rudimentär enthüllten – Sozialanamnese und gesundheitlichen Biografie sowie seinem seither innerhalb relativ kurzer Zeit durch zahlreiche Aggressionshandlungen und Impulsdurchbrüche geprägten Verhalten (vgl LG Salzburg Hv*-41.3, 17) trotz mittlerweile leicht gebesserten, zumindest oberflächlich friktionsfreien Umgangs mit Justizpersonal und Mitinsassen im FTZ C* (vgl jedoch zuvor die drei Meldungen wegen Raufhandels und verbal aggressiver Auseinandersetzungen mit Mitinsassen sowie aufbrausenden, impulsiven Verhaltens gegenüber Justizwachebeamten in der JA **: ON 3, 3; ON 6, 6 und 11; Klassifizierungserlass vom 6. Mai 2024 [Auszug aus dem Personalakt]) weiterhin notwendig. Denn aus überzeugender fachlicher Sicht der für die Betreuung des Betroffenen Verantwortlichen ist aus der unabdingbaren Gesamtbewertung aller bisherigen, unbedenklichen Erkenntnisse abzuleiten, dass die angesprochene Persönlichkeitsstörung mit ihren Anteilen beim Beschwerdeführer bereits seit vielen Jahren vorliegt und mit einem Mangel an selbstregulativen Kompetenzen, einer erhöhten Kränkbarkeit sowie einer erhöhten Gewaltbereitschaft (insbesondere) unter dem enthemmenden Einfluss von Alkohol einhergeht, wobei die Neigung zur Anschuldigung anderer sowie die Rationalisierung für das eigene Verhalten besonders auffallen (ON 6, 8). Auch die Rückmeldungen der zuständigen Beamten des Ökonomiebetriebs, in welchem der Betroffene seit 11. Juni 2024 durchgehend beschäftigt ist, fallen durchwachsen aus: Er wird als bemüht, aber eigenwillig, und im Umgang mit Mitinsassen als schwierig wahrgenommen; er beschwert sich übermäßig häufig über seine persönliche Situation, was die Mituntergebrachten – nachvollziehbar – als anstrengend und nervenaufreibend empfinden (ON 6, 6). Den Sozialen Dienst des FTZ kontaktiert der Betroffene regelmäßig mit vielen Anliegen und großem Redebedarf, dabei verhält er sich höflich und kommunikativ, überschreitet aber gelegentlich die Grenzen („duzen“) und wahrt nicht immer die notwendige Distanz zu den Fachdiensten, indem er persönliche Fragen stellt und manipulativ agiert. Nach Zurechtweisungen stellt der Untergebrachte sein unangemessenes Verhalten nur kurzfristig ein (ON 6, 7). Der Betroffene ist arbeitsbereit, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen (ON 6, 10).
Wenn die Beschwerde jedoch ihrem Standpunkt vorteilhafte Testergebnisse aus einzelnen psychologischen Prognoseinstrumenten isoliert herausgreift, übergeht sie allein schon zur PCL-R, dass der Betroffene etwa in seinen psychopathischen Wesenszügen („interpersonelle und affektive Symptome“: sprachliche Gewandtheit, oberflächlicher Charme, Mangel an Reue, Schuldbewusstsein sowie Empathie, betrügerisch/manipulativ, übertriebenes Selbstwertgefühl, pathologisches Lügen), die mit ausgeprägter Ich-Synthonie in Erscheinung treten, sodass ein Erlangen an Einsicht therapeutisch nur sehr schwer zu erreichen ist, mit Höchstwerten scort (ON 6, 9 ff). Einer näheren Analyse dynamischer Risikofaktoren, welche die forensische Behandlungsrelevanz anzeigen, zufolge kann ein gewalttätiger Lebensstil des Betroffenen aufgrund des zu kurzen Überprüfungszeitraums in Österreich zwar noch nicht valide eingeschätzt werden (ON 6, 10). Fest steht jedoch, dass der Rechtsmittelwerber aktuell nach wie vor keine Deliktseinsicht oder Veränderungsmotivation besitzt, weil er kaum Verständnis für die Faktoren, die seine Gewalttätigkeit begründen, zeigt, sondern er stets argumentiert, dass er zu den Tatzeitpunkten alkoholisiert und dies hauptursächlich für sein gewalttätiges Verhalten gewesen sei. Krankheitsbedingt kann er innere Spannungen und Gefühle (unkontrollierbare Wut, Verstimmungen, Impulsdurchbrüche, Aggression) nur mangelhaft steuern, zumal er sich der Problematik auch dieses Risikofaktors nicht bewusst ist, vielmehr gänzlich bestreitet, an einer psychischen Störung zu leiden, und er auf eine therapeutische Annäherung an die Erarbeitung von Krankheitseinsicht mit Aufgebrachtheit reagiert (ON 6, 12). Ebensowenig vermochte er bislang eine ausreichende Einsicht in seinen Gewaltzyklus zu erarbeiten; er tendiert zu einer monokausalen Ursachenzuschreibung seines Verhaltens (Alkohol), ohne andere mitursächliche Faktoren einzubeziehen (ON 6, 13). Er neigt zu verzerrten Anschauungsweisen bezüglich seiner Straftaten, zu Rationalisierungen, Bagatellisierungen und Schuldzuweisungen, verkennt die Rigidität seiner Denkweise und ist für alternative Sichten unzugänglich (ON 6, 13 f). Bestehende Einschränkungen in der Emotions- sowie Impulskontrolle (im Sinn einer Unkontrolliertheit) führen aber dazu, dass er negative Emotionen rasch in Form von gewalttätigen Handlungen ausagiert; eine Veränderungsmotivation ist aktuell noch nicht ausreichend explorierbar. Festzustellen ist zudem eine bedeutende Verbindung von Waffengebrauch und Gewalt (ON 6, 11). Im Licht des (auch) bestehenden Zusammenhangs zwischen Substanzmissbrauch und Gewalt ist sich der Betroffene seines problematischen Alkoholkonsums bewusst und möchte er diesen Risikofaktor verändern; daher zeigt er besonderes Interesse an der Behandlung dieses Verhaltens (ON 6, 12).
Wie angeführt, können weder die Hervorhebung der Ergebnisse einzelner, auf statistischen Methoden fußender Tests, die bei zutreffender Sicht nur einen Mosaikstein aus dem gesamthaft relevanten Entscheidungssubstrat bilden können, noch die Behauptung, die Stellungnahme des FTZ C* sei „widersprüchlich“, wiewohl dort insoweit bloß unterschiedliche Aspekte des Vollzugsverhaltens und der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen beschrieben werden, die plausiblen, im Kern konsistenten und derzeit auch noch ohne das Erfordernis der Beiziehung eines externen Experten (vgl Pieberin WK² StVG § 162 Rz 18 mwN) hinreichend aktuellen, aus dem konkreten Zuschnitt der Anlasstaten, aus der von den Betreuungsverantwortlichen und dem forensisch-neuropsychiatrischen (Einweisungs-)Gutachten dargelegten gesundheitlichen Entwicklung des Betroffenen sowie dem persönlichen Eindruck in der Anhörung abgeleiteten erstrichterlichen Einschätzungen erschüttern. Dem gegenwärtigen Behandlungsplan zufolge soll dem (nach seinen eigenen Angaben ohnehin äußerst polyglotten) Betroffenen der medizinisch unerlässliche Zugang zu einer strukturierten und intensiven Therapie (LG Salzburg Hv*-41.3, 19) durch Verbesserung seiner Sprachkenntnisse, namentlich den regelmäßigen Besuch eines Deutschkurses seit 23. Oktober 2024, eröffnet werden, wobei zunächst eine Anbindung an die Alkoholgruppe projektiert ist (ON 6, 14). Derzeit sind freilich noch keine ausreichenden Behandlungsfortschritte evident, um schon eine Abnahme der einweisungsrelevanten Gefährlichkeit erschließen zu können (ON 6, 15).
Diese individuellen Erkenntnisse zur Person des Betroffenen entfalten fraglos ein Gewicht, das allein durch das Ergebnis des statistischen Prognoseinstruments keinesfalls aufgewogen werden kann. Insgesamt ist aufgrund der Verfahrensergebnisse jedenfalls derzeit noch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Betroffene ohne Anstaltsunterbringung in absehbarer Zeit erneut eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen in Gestalt vorsätzlicher, nicht zuletzt durch Einsatz von Waffen, wie etwa Messern oder abgebrochenen gläsernen Gegenständen begleitete Attacken gegen die körperliche Integrität anderer begehen werde. Diese spezifische Gefährlichkeit extramural hintanzuhalten, kommt aktuell mangels eines geeigneten sozialen Empfangsraums – kann doch der Beschwerde zuwider von einer soliden Lebens- und Einkommenssituation des zuletzt arbeits- und obdachlosen Betroffenen mit negativem Asylstatus nicht mit Fug die Rede sein – sowie mangels tragfähiger Ansätze für seine ausreichende Paktfähigkeit nicht in Betracht, zumal er bislang die Gespräche mit den Fachdiensten eher nicht für eine konstruktive Zusammenarbeit, sondern tendenziell dazu nützte, um das Case-Management-Team von seiner psychischen Gesundheit zu überzeugen und über seine Lebensgeschichte und seine Frau zu erzählen (ON 6, 14), er also keine adäquaten Strategien entwickelt hat, um seine Risikofaktoren autonom in einer Hochrisikosituation zu vermeiden oder zu umgehen. Speziell die Verfügbarkeit von Alkohol in Verbindung mit einer hohen Konfliktbereitschaft sowie der aberkannte Asylstatus in Österreich (ON 6, 7) tragen negativ dazu bei, dass eine authentische Auseinandersetzung mit diesem Risikofaktor stattfände (ON 6, 13).
Alles in allem ist deshalb anzunehmen, dass bei A* weiterhin eine Gefährlichkeit in jener qualifizierten Ausprägung besteht, wie sie das Gesetz für die Aufrechterhaltung der Maßnahme im stationären Bereich verlangt.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht kein weiteres Rechtsmittel zu.