11Bs192/25k – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Dampf als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. a Hagen und Mag. a Obwieser als weitere Mitglieder des Senats in der Strafsache gegen A*wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 14.07.2025, GZ **-8, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Der Beschwerde wird F o l g e gegeben, der angefochtene Beschluss a u f g e h o b e n und dem Landesgericht Innsbruck die Anordnung der Hauptverhandlung a u f g e t r a g e n .
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
Text
BEGRÜNDUNG:
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck legt A* mit Strafantrag vom 10.07.2025 eine als das Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB subsumierte Tat zur Last (ON 7).
Danach habe A*
„ am 6.4.2025 in ** den B* vorsätzlich schwer am Körper zu verletzen versucht, indem er diesen mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von ca. 8 cm in die linke Schulter stach, wodurch B* eine ca. 3 cm tiefe Stichwunde erlitt, die operativ versorgt werden musste “.
Im Zuge amtswegiger Prüfung dieses Strafantrages sprach das Landesgericht Innsbruck mit dem nunmehr bekämpften Beschluss aus, dass nach § 485 Abs 1 Z 1 iVm § 450 StPO die Einzelrichterin des Landesgerichts Innsbruck für die Entscheidung in der gegenständlichen Strafsache sachlich unzuständig sei. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass sich aus den Angaben des Opfers in Verbindung mit den Lichtbildern sowie der Art des Vorgehens – nämlich dem von oben nach unten geführten Stich mit einem Klappmesser mit einer acht Zentimeter langen Klinge – ein Tatbild ergebe, das sich auch im vorliegenden Verletzungsbild (3 cm lange Stichverletzung mit breitem Einstichkanal an der linken Schulter und mit Beteiligung des Muskels, was eine operative Versorgung nach sich gezogen habe) widerspiegle und auf eine besondere Brutalität gegenüber dem Opfer schließen lasse. Damit liege jedenfalls ein hinreichender Tatverdacht nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB vor.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck mit dem zusammengefassten Vorbringen, dass im vorliegenden Fall keine Absicht des Angeklagten erkennbar sei, seinem Opfer durch den Messerstich eine schwere Körperverletzung zuzufügen. Dies ergebe sich selbst dann, wenn ausschließlich den Schilderungen des Opfers zum Hergang des Messerstichs gefolgt werde. Besonders deutlich werde dies jedoch aus den weitgehend übereinstimmenden Angaben des Opfers mit dem Angeklagten über dessen Nachtatverhalten. Die Auseinandersetzung sei ursprünglich vom Opfer ausgegangen, das den Angeklagten zuhause aufgesucht habe, um einen Streit zu provozieren. Nachdem der Stich bemerkt worden sei, habe der Angeklagte dem Opfer geholfen, die Wunde zu versorgen. Selbst das Opfer habe die Tat als Affekthandlung beschrieben, während der Angeklagte überhaupt von einem Versehen gesprochen habe.
Der Angeklagte äußerte sich innerhalb offenstehender Frist zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde, zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft einer Stellungnahme enthielt, ist berechtigt.
Nach § 485 Abs 1 Z 1 StPO hat das Gericht den Strafantrag vor Anordnung der Hauptverhandlung zu prüfen und im Fall seiner örtlichen oder sachlichen Unzuständigkeit gemäß § 450 StPO (beschlussförmiger Ausspruch der Unzuständigkeit) vorzugehen.
Bezugspunkte für die Prüfung der (auch sachlichen) Zuständigkeit durch ein über die Rechtswirksamkeit einer Anklage entscheidendes Gericht ist der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand. Bei dieser Prüfung hat das Gericht die rechtliche Beurteilung des angeklagten Sachverhalts selbstständig anhand der Verdachtslage (im Sinne eines Anschuldigungsbeweises) vorzunehmen, wie sie sich aus dem Strafakt ergibt. Eine Bindung an die Subsumtion in der Anklage besteht nicht ( Bauer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 450 Rz 2 mwN).
Für den Ausspruch der (sachlichen) Unzuständigkeit genügt jedenfalls die Verdachtsdichte, die den Ankläger zur Erhebung einer Anklage berechtigt (Anschuldigungsbeweis). Ein dringender Verdacht, wie er für die Untersuchungshaft verlangt wird, ist nicht erforderlich. Es reicht, wenn sich aus dem Anklagevorbringen in Verbindung mit dem Akteninhalt ein Verdacht ergibt, der inkriminierte Sachverhalt wäre im Fall eines Schuldspruchs als ein in die Zuständigkeit eines höheren Gerichts fallende strafbare Handlung zu beurteilen (RISJustiz RS0124012).
Von einem Anschuldigungsbeweis kann erst gesprochen werden, wenn Verfahrensergebnisse bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabs die Annahme der Erfüllung aller Merkmale eines bestimmten Straftatbestandes als naheliegend erkennen lassen. Ob eine angeklagte Tat nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB oder nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB zu beurteilen ist, hängt allein von der inneren Tatseite des Täters ab. Wenn die äußeren Begleitumstände einen Tatentschluss in Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung zulassen, liegen nach dem Gesagten die Voraussetzungen für eine Unzuständigkeitsentscheidung vor (RISJustiz RS0107021 [T1]).
Der Angeklagte schilderte, dass B* um rund 02:00 Uhr in der Nacht lautstark an seiner Terrassentür geklopft habe. Er sei aufgestanden, habe das Klappmesser in seine rechte Hand genommen und die Klinge am Weg zur Tür aufgeklappt. Zunächst habe er die Tür nicht geöffnet, allerdings habe B* weiterhin gegen diese geklopft und ihn zum Öffnen der Tür aufgefordert. Diese habe er anschließend nur geöffnet, um ein Aufwachen der Nachbarn zu vermeiden. B* habe ihn nach dem Öffnen der Tür angeschrien, woraufhin der Angeklagte ihn aufgefordert habe, zu gehen. Er habe aber die Wohnung betreten wollen, allerdings habe der Angeklagte das nicht gewollt, weshalb er ihn mit seinen Händen auf Abstand gehalten habe. Daraufhin habe sich ein Handgemenge entwickelt, wobei sich die beiden gegenseitig an den Händen gehalten, gezerrt und gedrängt hätten. Sie hätten sich aber nicht geschlagen. Während des Handgemenges habe er das ausgeklappte Messer immer noch in seiner rechten Hand gehalten. Im Zuge des Herumreißens habe er B* mit dem Messer „getroffen“. Dieser habe durch den Messerstich aufgehört zu zerren, woraufhin der Angeklagte einen Schritt zurück in die Wohnung gegangen sei und die Terrassentür verschlossen habe. In weiterer Folge habe B* geschrien, dass er die Tür wieder öffnen soll, da er blute. Er sei dann in die Wohnung gekommen und habe gesagt, dass ihn der Angeklagte mit dem Messer erwischt habe. Da habe auch er gesehen, dass B* eine blutende Wunde am linken Oberarm habe. Er habe sodann ein Badetuch geholt und auf die Wunde gepresst, wobei es rasch aufgehört habe zu bluten. Daraufhin habe ihm B* versichert, dass alles in Ordnung sei und sei zu seinem Kumpel gegangen. Er habe nie vorgehabt, B* zu verletzen und habe sich mehrfach bei diesem entschuldigt (ON 5.8).
Demgegenüber gab B* an, er habe gegen 02:00 Uhr in der Nacht gegen die Terrassentür des Angeklagten geklopft und ihn aufgefordert, die Tür zu öffnen. Dieser habe daraufhin die Tür geöffnet, sei einen Schritt aus der Wohnung getreten und habe ihn mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Daraufhin habe er den Angeklagten mit beiden Händen an den Handgelenken erfasst, woraufhin sich ein Gerangel ergeben habe. Allerdings habe sich der Angeklagte schnell losgerissen, plötzlich ein Klappmesser in der Hand gehalten und auf ihn eingestochen. Er habe nicht gesehen, wo dieses hergekommen sei, jedoch glaube er, dass der Angeklagte es aus seiner Hosentasche geholt habe, da er durchgehend ein Klappmesser bei sich trage. Der Angeklagte habe das Messer aufgeklappt, wobei die Klinge in seine Richtung gezeigt habe und es anschließend auf ihn gerichtet. Die Stichbewegung sei von oben nach unten ausgeführt worden. Der Angeklagte habe nach dem Angriff die Türe zugemacht. Nachdem er bemerkt habe, dass er blute und verstanden habe, dass ihn der Angeklagte mit dem Messer gestochen habe, habe er lautstark gegen die Terrassentüre geklopft und geschrien, dass er die Tür aufmachen und ihm helfen solle (ON 2.5, S 5ff).
Das weitere Geschehen schilderte B* im Wesentlichen in Übereinstimmung zum Angeklagten. Er führte aus, dass ihm der Angeklagte die Tür geöffnet und ihn in die Wohnung gelassen habe. Dieser habe gesagt, es sei eine Affekthandlung gewesen und habe sich entschuldigt. Gemeinsam hätten sie sich die Wunde angeschaut und das Blut mit einem Geschirrtuch oder Ähnlichem abgewischt. Nach kurzer Zeit sei er dann zu seinem Kumpel C* gegangen (ON 2.5, S 6).
Der vernommene Zeuge C* konnte lediglich angeben, dass das Opfer gegen 02:30 Uhr an seine Zimmertür geklopft habe. Dabei habe er bemerkt, dass an dessen Schulter Blut gewesen sei (ON 2.4).
Auf den im Akt befindlichen Lichtbildern ist die Verletzung an der Schulter des B* zu erkennen (ON 2.7), wobei sich aus dem Arztbrief des Landeskrankenhauses D* ergibt, dass sich ein 3 cm langer Einstich an der linken Schulter mit breitem Einstichkanal zeige und weiters „In der Wundexploration Beteiligung des Muskels“ (ON 2.6). Bei der verwendeten Tatwaffe handelt es sich um ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von ca 8 cm (ON 5.10; Lichtbildbeilage ON 5.15, S 2f).
Soweit das Erstgericht aus den Angaben des Opfers in Verbindung mit der Vorgehensweise des Angeklagten eine besondere Brutalität des Angeklagten gegenüber dem Opfer ableitet, ist dem entgegenzuhalten, dass sich aus den bisherigen Verfahrensergebnissen keine Anhaltspunkte dafür ergeben. Vielmehr geht aus den Angaben des B* hervor, dass er selbst mitten in der Nacht den Angeklagten aufgesucht habe und es zu einem Gerangel gekommen sei. Zwar berichtete er weiters, der Angeklagte habe sich im Verlauf des Geschehens von ihm gelöst und ihn plötzlich mit einem Klappmesser in die Schulter gestochen. Daraus lässt sich jedoch nicht das vom Erstgericht unterstellte hohe Ausmaß an Gewalt ableiten. Laut Abschlussbericht des LKA Tirol habe auch zu keinem Zeitpunkt Lebensgefahr bestanden. Hinweise auf die Intensität der ausgeführten Stichhandlung oder mehrfache Stichbewegungen gezielt in Richtung Hals oder Oberkörper ergeben sich aus dem Akt nicht. Auch das Opfer selbst konnte keine konkreten Angaben machen und führte aus, dass er erst nachdem er einen Schmerz wahrgenommen habe, verstanden habe, dass ihn der Angeklagte mit dem Messer „getroffen“ habe. Insbesondere spricht auch das übereinstimmend geschilderte Nachtatverhalten des Angeklagten – wonach der Angeklagte dem Opfer bei der Versorgung der Wunde geholfen und sich mehrfach entschuldigt habe – gegen die Annahme, der Angeklagte habe mit der Absicht gehandelt, das Opfer schwer zu verletzen. Die bloße Tatsache des Einstechens mit Messer in die Schulter begründet noch keinen zwingenden Schluss auf das nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB spezifische Vorsatzerfordernis der Absichtlichkeit.
Die sich aus dem Strafantrag in Verbindung mit dem Inhalt der Ermittlungsakten ergebende Verdachtslage legt daher bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabes die Annahme, es sei dem Angeklagten gerade darauf angekommen, seinem Opfer eine schwere Körperverletzung zuzufügen (Absichtlichkeit im Sinn des § 5 Abs 2 StGB), und damit eines Tatentschlusses in Richtung des in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fallenden Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB, nicht nahe. Es fehlt daher aufgrund der derzeitigen Verfahrenslage eine die sachliche Unzuständigkeit der Einzelrichterin des Landesgerichts Innsbruck rechtfertigende Verdachtsdichte im Sinne eines Anschuldigungsbeweises.
Die Voraussetzungen nach § 485 Abs 1 Z 1 (§ 450) StPO liegen somit nicht vor, weshalb die angefochtene Entscheidung aufgrund der berechtigten Beschwerde aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen war.