JudikaturOLG Innsbruck

6Bs179/25m – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
06. August 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Friedrich als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Klammer und den Richter Mag. Melichar als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Feldkirch gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 15.06.2025, GZ **-26, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Beschwerde wird n i c h t Folge gegeben.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).

Text

Begründung:

Mit Strafantrag vom 24.3.2025 legt die Staatsanwaltschaft Feldkirch dem Beschuldigten A*, geb am **, das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 und Abs 3 Z 1 StGB, das Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB sowie das Vergehen der Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1 StGB zur Last.

Demnach habe er am 28.01.2025 in **

1) im Linienbus des B* im Zuge der Fahrscheinkontrolle den Fahrkartenkontrolleur C*, sohin eine Person, die mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut ist, während oder wegen der Ausübung ihrer Tätigkeit vorsätzlich am Körper verletzt und dadurch wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung bei ihm herbeigeführt, indem er ihm mehrfach Stöße gegen den Oberkörper- und Armbereich versetzte, ihn mit den Händen am Kragen packte und ihm den Ellenbogen ins Gesicht schlug, wodurch C* eine Reruptur der distalen Bizepssehne mit deutlicher Sehnenretraktion (ca. 10 cm) sowie eine blutende Verletzung an der Nase, sohin eine an sich schwere Körperverletzung, die mit einer länger als vierundzwanzig Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbunden war, erlitt;

2) den C* mit Gewalt zu einer Unterlassung, nämlich den Umstand, dass A* ohne gültige Fahrkarte im Bus mitgefahren war, nicht zu dokumentieren sowie A* nicht mehr am Verlassen des Busses zu hindern, zu nötigen versucht, indem er durch die unter Punkt 1) geschilderten Handlungen versuchte zu verhindern, dass dieser seine Personaldaten erfasst, den Fall dokumentiert und A* den Bus verlässt.

Mit dem angefochtenen Beschluss stellte der Einzelrichter des Landesgerichtes Feldkirch gestützt auf § 7 Abs 3 JGG iVm 19 Abs 2 JGG und § 7 Abs 1 Z 2 JGG iVm § 201 Abs 1 StPO und § 202 Abs 1 StPO das Strafverfahren gegen den Angeklagten zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen im Ausmaß von 60 Stunden innerhalb von vier Monaten und zur Zahlung eines Teilschmerzengeldbetrages von EUR 300,-- an den Privatbeteiligten C* binnen vier Monaten (§ 201 Abs 3 StPO iVm § 8 Abs 3 JGG und § 19 Abs 2 JGG) vorläufig ein.

Im Rahmen der hier auszugsweise wörtlich wiedergegebenen Begründung führte der Einzelrichter aus:

In der Hauptverhandlung am 22.05.2025 wurde der Angeklagte […] einvernommen und das Tatvideo, das den gesamten Vorfall dokumentiert, vorgespielt. Daraus ergibt sich ein hinreichend geklärter Sachverhalt iSd Anklage mit der Maßgabe, dass aufgrund des gezeigten Gesamtverhaltens des Angeklagten davon auszugehen ist, dass dem Angeklagten kein Verletzungsvorsatz, sondern lediglich ein Misshandlungsvorsatz nachzuweisen ist, sodass Faktum 1. des Strafantrags als das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 und 3 Z 1 StGB und das Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB zu qualifizieren ist. Diesbezüglich zeigte sich der Angeklagte geständig. […]

Im Hinblick darauf wurde dem Angeklagten in der Hauptverhandlung eine Diversion in Form der Erbringung gemeinnütziger Leistungen von 60 Stunden innerhalb von vier Monaten zuzüglich der Zahlung von EUR 300,00 an den Privatbeteiligten C* zahlbar binnen vier Monaten bei Absehen eines Pauschalkostenbeitrags angeboten.

Der Angeklagte nahm das Diversionsangebot nach Rücksprache mit seinem Verteidiger an. Die öffentliche Anklägerin stimmte der Diversion nicht zu. […]

Bei einem (wie hier) bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmen signalisiert die Tatbestandsverwirklichung in der Regel ein durchschnittliches Maß an krimineller Energie sowie einen durchschnittlichen sozialen Störwert und damit einen durchschnittlichen Unrechtsgehalt. Davon ausgehend und aufgrund des Umstands, dass der Angeklagte bisher einen ordentlichen Lebenswandel führte (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), ein reumütiges Geständnis in der Hauptverhandlung (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) abgab und die Nötigung beim Versuch blieb (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB) kann fallbezogen trotz der Begehung mehrerer strafbarer Handlungen derselben und verschiedener Art (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) noch von keiner schweren Schuld gesprochen werden.

Das beim Bezirksgericht Bregenz zu ** wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG anhängige Verfahren steht dem diversionellen Vorgehen spezialpräventiv nicht entgegen, weil das Bezirksgericht Bregenz die obligatorische Bestimmung des § 37 SMG iVm § 35 Abs 1 SMG iSd Grundsatzes „Therapie statt Strafe“ (vgl. Matzda/Zeder/Rüdisser, SMG 3 (2017) § 35 Rz 1 ff; Schwaighofer in Höpfel/Ratz, WK 2SMG § 35 Rz 1 ff) anzuwenden haben wird.

Generalpräventive Aspekte sind bei Taten eines Jugendlichen oder eines jungen Erwachsenen nicht zu berücksichtigen (Schroll/Oshidari in Höpfel/Ratz, WK 2JGG § 7 Rz 19).

Da sämtliche Voraussetzungen für ein diversionelles Vorgehen vorliegen und keine Gründe gegeben sind, die gegen eine solche Vorgehensweise sprechen, war das Strafverfahren vorläufig einzustellen.

Dagegen richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde der Staatsanwaltschaft Feldkirch, in welcher beantragt wird, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Fortführung des Strafverfahrens gegen A* aufzutragen (ON 27). Dem Angeklagten sei aufgrund seiner Tathandlung ein Verletzungsvorsatz und nicht lediglich ein Misshandlungsvorsatz zu unterstellen, weshalb von einer schweren Schuld des Angeklagten auszugehen sei. Aus spezialpräventiver Sicht sei eine Verurteilung des Angeklagten notwendig, um ihm die Konsequenzen seines Handelns vor Augen zu führen. Insgesamt bleibe daher kein Raum für ein diversionelles Vorgehen.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde, zu der die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck keine Stellungnahme abgab, kommt keine Berechtigung zu.

Eine Äußerung zur Beschwerde durch den Beschuldigten erfolgte innerhalb der ihm dazu eingeräumten Frist nicht.

Voraussetzungen einer diversionellen Erledigung im Sinne der §§ 198, 199 StPO (hier iVm § 7 JGG und § 19 Abs 2 JGG) sind unter anderem ein hinreichend geklärter Sachverhalt, eine nicht schwere Schuld des Angeklagten sowie das Fehlen spezialpräventiver Bedenken.

Das Erstgericht setzte sich ausführlich mit dem Akteninhalt auseinander und legte seiner Entscheidung einen von der Anklage abweichenden Sachverhalt zugrunde. Die Subsumierung des hinreichend geklärten Sachverhalts unter den Tatbestand nach § 84 Abs 1 StGB ist nicht zu bemängeln. Aus dem vorliegenden Tatvideo, in welchem die Tathandlungen des Angeklagten vollständig und klar erkennbar sind, lässt sich die dem Angeklagten im Strafantrag vorgeworfene Tatbegehung mit Verletzungsvorsatz iSd § 84 Abs 4 StGB nicht zwingend ableiten. Insbesonders sind keine gezielten Stöße des Angeklagten mit dem Ellbogen in Richtung des Gesichts des Fahrkartenkontrolleurs zu sehen. Weiters ist auch zu beachten, dass die an sich schwere Körperverletzung des C*, die mit einer länger als vierundzwanzig Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbunden war, in einer Reruptur der distalen Bizepssehne mit deutlicher Sehnenretraktion (ca. 10 cm) besteht. Bereits in der Vernehmung vor der Polizei gab C* an, eine Vorverletzung der Bizepssehne nur wenige Monate zuvor erlitten zu haben, die zum Tatzeitpunkt noch nicht austherapiert war (ON 2.10 Seite 7). Die bestehende Vorverletzung erklärt, dass die schwere Verletzung auch ohne große Gewalteinwirkung von Seiten des Angeklagten zustande gekommen sein kann. Gegenteiliges lässt sich aus dem Tatvideo nicht ableiten.

Ob die Schuld als „schwer“ anzusehen ist und daher eine Diversion ausschließt, orientiert sich am Schuldbegriff der Strafzumessung. Der in der Strafzumessung zum Ausdruck kommende Vorwurf umfasst das vom Beschuldigten verwirklichte Handlungsunrecht, die eigentliche, vielfach als Gesinnungswert bezeichnete täterspezifische Schuld und darüber hinausgehend alle für die Bestimmung der Strafe sonst noch bedeutsamen Umstände iSd §§ 32 ff StGB ( Schroll/Kert in Fuchs/Ratz, WK StPO § 198 Rz 14).

Nach der Judikatur orientiert sich die Schuldabwägung zunächst an der gesetzlichen Strafdrohung, in welcher der Gesetzgeber eine generelle Vorbewertung des Unrechts- und Schuldgehalts des betreffenden Deliktstypus zum Ausdruck bringt. Obgleich bei Straftaten junger Erwachsener der Diversion keine abstrakten Strafrahmengrenzen entgegenstehen (§ 7 Abs 2, § 19 Abs 2 JGG), legen aber jedenfalls hohe Strafobergrenzen einer strafbaren Handlung das Vorliegen eines schweren Verschuldens nahe ( Schroll/Kert,aaO Rz 28 mwN). Bei der Beurteilung, ob bereits ein diversionsausschließendes schweres Verschulden (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO) vorliegt, darf kein allzu strenger Maßstab angelegt werden, will man nicht die Gesetzesintentionen unterlaufen ( Schroll/Kert, aaO § 198 Rz 27).

Der hier im Falle eines Schuldspruchs anzuwendende Strafrahmen des § 84 Abs 1 StGB reicht ohne Untergrenze bis zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, indiziert also für sich allein betrachtet noch keine schwere Schuld.

Im Falle eines Schuldspruches wären darüber hinaus voraussichtlich die besonderen Milderungsgründe der Begehung der Tat vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres, des bisher ordentlichen Lebenswandels, des reumütigen Geständnisses sowie der Umstand, dass die Nötigung beim Versuch blieb, zu berücksichtigen (§ 34 Abs 1 Z 1, 2, 13 und 17 StGB).

Insgesamt geht daher auch das Beschwerdegericht noch nicht von einer schweren, die Diversion ausschließenden Schuld aus.

Die spezialpräventiven Anwendungsgrenzen orientieren sich an der Erwartung, dass im Fall der Erfüllung einer vom Beschuldigten freiwillig übernommenen Verpflichtung eine zusätzliche justizielle Einwirkung auf den Beschuldigten nicht (mehr) nötig ist, um ihn künftig von strafbaren Handlungen abzuhalten ( Schroll/Kert aaO, § 198 Rz 35 mwN). Spezialpräventiv erforderlich ist eine gewisse – nicht unbedingt einem Geständnis zum Anklagevorwurf entsprechende – Unrechtseinsicht oder eine partielle Übernahme der Verantwortung für das Bewirken der eine strafrechtliche Haftung begründenden Tatsachen ( Schroll/Kert aaO, § 198 Rz 36/1). Gerade die intervenierende Diversion wirkt wegen der individuell auf die Tat und den Beschuldigten eingehenden, aber auch auf die Aussöhnung mit dem Opfer – hier in Form einer Schmerzengeldzahlung - abstellenden Reaktionen im Besonderen spezialpräventiv ( Schroll/Kert aaO, § 198 Rz 35).

Spezialpräventive Bedenken liegen im Hinblick auf die Unbescholtenheit des Angeklagten, sein reumütiges Geständnis (ON 21 Seite 3) und seine dokumentierte Bereitschaft zur diversionellen Vorgangsweise samt Zahlung von Schadenersatz an das Opfer, jedenfalls nicht vor.

Auch das Beschwerdegericht bejaht das Vorliegen der Diversionsvoraussetzungen, weshalb der Beschwerde ein Erfolg zu versagen war.