9Bs206/25z – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Kohlroser als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Scherr, LL.M., BA und Mag. Obmann, LL.M. in der Strafvollzugssache des A*wegen vorläufigen Absehens vom Strafvollzug wegen Einreiseverbots oder Aufenthaltsverbots nach § 133a StVG über die Beschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Vollzugsgericht vom 14. August 2025, GZ **-7, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 17 Abs 3 StVG iVm § 89 Abs 6 StPO).
Text
begründung:
Der am ** geborene polnische Staatsangehörige A* verbüßt in der Justizanstalt Leoben eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwanzig Monaten resultierend aus dem Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 17. Dezember 2024, AZ **, wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB.
Das Strafende fällt auf den 26. Juni 2026, die Hälfte der Freiheitsstrafe ist seit 28. August 2025 verbüßt, zwei Drittel der Freiheitsstrafe werden am 8. Dezember 2025 vollzogen sein (ON 5).
Mit Beschluss vom 1. Juli 2025, AZ **, lehnte das Landesgericht Leoben als Vollzugsgericht die bedingte Entlassung des Strafgefangenen nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe ab. Der dagegen vom Strafgefangenen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 28. Juli 2025, AZ 8 Bs 208/25m (ON 3), nicht Folge.
Das Bundesland für Fremdenwesen und Asyl erließ gegen den Strafgefangenen mit (rechtskräftigem) Bescheid vom 16. Jänner 2025, GZ ** (ON 2.4), ein für die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
In der Beschwerde (ON 2.2) gegen den Beschluss, mit dem das Landesgericht Leoben als Vollzugsgericht die bedingte Entlassung des Strafgefangenen nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe ablehnte, beantragte er, dass gemäß § 133a StVG wegen dieses Aufenthaltsverbots vorläufig vom weiteren Strafvollzug abgesehen werde und erklärte, nach der Entlassung in die Schweiz auszureisen, dort Wohnsitz zu nehmen und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Staatsanwaltschaft Graz trat dem vorläufigen Absehen vom Strafvollzug nach § 133a StVG mangels Vorliegens eines Reisedokuments des Strafgefangenen entgegen (ON 1.5). Der Leiter der Justizanstalt teilte mit, dass die Kosten für die Heimreise zur Gänze gedeckt seien, jedoch kein Reisedokument vorhanden sei (ON 4.2).
Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 7) wies das Vollzugsgericht den Antrag mit der Begründung ab, dass mangels Vorliegens eines Reisedokuments des Strafgefangenen sowie mangels seiner Bereitschaft, seiner Ausreiseverpflichtung in den Herkunftsstaat unverzüglich nachzukommen, die Voraussetzungen für ein vorläufiges Absehen vom Strafvollzug nach § 133a StVG nicht erfüllt seien.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde des Strafgefangenen (ON 8) ist nicht berechtigt.
Das Erstgericht legte die rechtlichen Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 133a StVG in der angefochtenen Entscheidung zutreffend dar, sodass darauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
Fallbezogen sind die zeitlichen Voraussetzungen nach § 133a Abs 1 StVG seit 28. August 2025 erfüllt. Da im Beschwerdeverfahren kein Neuerungsverbot besteht, sondern gemäß § 89 Abs 2b StPO gegebenenfalls auch Umstände zu berücksichtigen sind, die nach dem bekämpften Beschluss eingetreten oder bekannt geworden sind, ist zunächst festzuhalten, dass der Strafgefangene in seiner Beschwerde eine Kopie eines bis 21. April 2033 gültigen polnischen Personalausweis vorgelegt hat (ON 8.3, 2), sodass die Voraussetzungen des § 133a Abs 1 Z 3 StVG nunmehr insoweit erfüllt sind. Allerdings hat sich der Strafgefangene nicht bereit erklärt, seiner Ausreiseverpflichtung in den Herkunftsstaat unverzüglich nachzukommen. „Herkunftsstaat“ ist nach der Definition des § 2 Abs 1 Z 17 Asylgesetz, auf welche die Bestimmung nach § 133a Abs 1 Z 2 StVG verweist, jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, nur im (hier nicht vorliegenden) Fall der Staatenlosigkeit der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthalts. Der Herkunftsstaat des Strafgefangenen ist somit Polen, wohingegen die vom Strafgefangenen erklärte Bereitschaft, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen, sich unmissverständlich auf die Schweiz bezog.
Darüber hinaus bedarf es jedoch aufgrund der Schwere der in der Anlassverurteilung abgeurteilten Tat ausnahmsweise des weiteren Vollzugs, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (§ 133 Abs 2 StVG). Die Wortfolge „Schwere der Tat“ im Sinn des § 133 Abs 2 StVG stellt auf den sozialen Störwert (die kriminelle Bedeutung) einer Tat ab (RIS-Justiz RS0091863), der durch den Handlungs- und Erfolgsunwert determiniert wird. Für die Annahme einer Tatschwere nach § 133a Abs 2 StVG müssen – als Ausnahmesatz – gewichtige Gründe vorliegen, die sich aus Sicht der Allgemeinheit von den regelmäßig auftretenden Begleiterscheinungen strafbaren Verhaltens auffallend abheben ( Pieber in WK 2StVG § 133a Rz 18, Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 46 Rz 16), wobei nicht nur der Abschreckungseffekt bei potentiellen Tätern, sondern vor allem auch das Interesse an der Festigung genereller Normtreue in der Bevölkerung zu beachten ist (vgl Jerabek/Ropper , aaO § 43 Rz 18).
Dem gegenständlichen Strafvollzug liegt eine Verurteilung wegen des Verbrechens der vorsätzlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB zugrunde. Nach dem Schuldspruch der Anlassverurteilung hat der Strafgefangene am 28. Oktober 2024 in ** B* vorsätzlich am Körper verletzt und dadurch vorsätzlich eine schwere Körperverletzung des B* herbeizuführen versucht, indem er diesem einen gezielten Tritt mit dem beschuhten Fuß in dessen Gesicht versetzte, wodurch B* ein periorbitales Weichteilhämatom links sowie eine Rissquetschwunde an der linken Augenbraue erlitt.
Bereits die im Strafrahmen des § 84 Abs 4 StGB, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren androht, zum Ausdruck kommende gesetzliche Vorbewertung bringt den erhöhten sozialen Störwert der vom Strafgefangenen zu vertretenden und der mittelschweren Kriminalität zuzuordnenden Delinquenz zum Ausdruck. Fallbezogen ergibt sich die Tatschwere aus der Art der Tatbegehung, nämlich der gezielten Trittführung mit einem beschuhten Fuß gegen eine besonders empfindliche Körperregion, sodass darin eine besonders hohe Gewaltbereitschaft zum Ausdruck kommt. Gerade diese konkreten Aspekte der Tathandlung stellen jene Begleitumstände dar, die sich aus Sicht der Allgemeinheit selbst von regelmäßig vorkommenden, weniger brutal durchgeführten Tätlichkeiten auffallend abheben, womit jedenfalls der nach § 133a Abs 2 StVG geforderte Schweregrad erreicht ist. Mit Blick auf die Notwendigkeit massiver Gewaltbereitschaft aus nichtigem Anlass entschieden entgegenzutreten, bedarf es des konsequenten und im vorliegenden Fall über die Hälfte der Strafzeit hinausgehenden Vollzugs der Sanktion, um potentielle Nachahmungstäter aus dem Verkehrskreis des Strafgefangenen von der Begehung derartiger Straftaten abzuhalten und die generelle Normtreue zu festigen. Ein zu stark verkürzter Strafvollzug würde dazu führen, die Hemmschwelle für derartige Taten (weiter) zu senken.
Der Beschwerde, die dem nichts Stichhältiges entgegenzusetzen hat, war daher ein Erfolg zu versagen.