7R49/25t – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kraschowetz-Kandolf als Vorsitzende, sowie die Richter Mag. Russegger und Mag. Reautschnig als weitere Senatsmitglieder in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei B* AG , Deutschland, **, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen (zuletzt) EUR 13.110,00 s.A.,über den Kostenrekurs der klagenden Partei (Rekursinteresse: EUR 20.785,48; § 11 RATG), gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 5. Juni 2025, GZ **-65, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.123,00 (darin enthalten EUR 179,30 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Gegenstand des Kostenrekursverfahrens ist ausschließlich die Anwendbarkeit des § 43 Abs 2 ZPO.
Der Kläger begehrte mit der am 17. Mai 2021 eingebrachten Klage zunächst den Zuspruch von EUR 13.110,00 samt 4 % Zinsen seit 29. März 2011 sowie die mit EUR 2.000,00 bewertete Feststellung der Haftung der Beklagten für Schäden, die dem Kläger aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im vom ihm erworbenen Fahrzeug künftig entstehen würden (ON 1). Infolge der Klageeinschränkung mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2023 begehrt der Kläger (nur noch) Zuspruch von EUR 13.110,00 samt 4 % Zinsen seit 29. März 2011.
Die Beklagte bestritt und beantragte, die Klage abzuweisen.
Das Erstgerichtverpflichtete die Beklagte mit Urteil vom 12. Juni 2024 zur Zahlung von EUR 2.185,00 samt 4 % Zinsen seit 10. Juli 2021, wies das Klagemehrbegehren, weitere EUR 10.925,00 zu zahlen, ab und behielt sich die Kostenentscheidung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache gemäß § 52 Abs 1 und Abs 2 ZPO vor.
Gegen das Urteil richtete sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, wobei auch sekundäre Feststellungsmängel geltend gemacht wurden. Der Kläger beantragte, das Urteil abzuändern und der Klage im Umfang weiterer EUR 4.370,00 stattzugeben und stellte hilfsweise einen Aufhebungsantrag. Das Oberlandesgericht Graz gab der Berufung nicht Folge gegeben.
Das Erstgerichtverpflichtet mit dem nun angefochtenen Beschluss den Kläger, der Beklagten Prozesskosten von EUR 9.515,14 zu ersetzen. Es folgert rechtlich, die zweite Tatbestandsvariante des § 43 Abs 2 ZPO erfasse Fälle, in welchen es dem Kläger objektiv gesehen von vornherein kaum möglich sei, jedenfalls aber unzumutbar erscheine, die Höhe der bestehenden Forderung einigermaßen exakt festzustellen. Das treffe insbesondere bei teilweisem Unterliegen infolge der Festsetzung des Forderungsbetrags durch richterliches Ermessen oder durch Sachverständige zu. Das Kostenprivileg komme aber bei einem offenbaren Überklagen nicht zur Anwendung, welche (im Sinn eines Richtwerts) etwa dann vorliege, wenn mehr als doppelt so viel eingeklagt wie zugesprochen werde. Da der Kläger im ersten Verfahrensabschnitt (lediglich) mit 14 % bzw. im zweiten Verfahrensabschnitt mit 16 % seiner Klageforderung durchdrang (siehe Ausführungen unten), er also deutlich mehr als doppelt so viel eingeklagt habe wie zugesprochen worden sei, sei das Kostenprivileg gemäß § 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO nicht anwendbar. Die Kostenentscheidung sei daher im Hinblick auf den ersten und den zweiten Verfahrensabschnitt auf § 43 Abs 1 ZPO zu stützen.
Dem Kläger seien letztlich EUR 2.185,00 zugesprochen worden. Im ersten Verfahrensabschnitt - bis zur Klagseinschränkung am 4. Dezember 2023 - habe der Streitwert insgesamt EUR 15.110,00 (Leistungsbegehren und Feststellungsbegehren in der Höhe von EUR 2.000,00) betragen. Der Kläger habe der Beklagten daher im ersten Verfahrensabschnitt 72 % der Prozesskosten und 86 % der Barauslagen zu ersetzen. Die Beklagte habe hingegen 14 % der Barauslagen zu ersetzen. Im zweiten Verfahrensabschnitt - bis zum Ende des Verfahrens in erster Instanz - habe der Streitwert EUR 13.110,00 (nur mehr Leistungsbegehren) betragen. Der Kläger habe daher der Beklagten im zweiten Verfahrensabschnitt 66 % der Prozesskosten und 83 % der Barauslagen zu ersetzen. Die Beklagte habe 17 % der Barauslagen zu ersetzen. Im Berufungsverfahren (dritter Verfahrensabschnitt) stütze sich die Kostenentscheidung auf §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO. Die Kosten seien daher unter Berücksichtigung der berechtigten Einwendungen des Klägers gegen das Kostenverzeichnis der Beklagten mit EUR 9.515,14 (darin EUR 1.209,73 Umsatzsteuer und EUR 1.938,42 Barauslagen) zu bestimmen.
Gegen den Beschluss richtet sich der Kostenrekurs des Klägers aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Er beantragt, die Kostenentscheidung dahin abzuändern, dass die Beklagte verpflichtet werde, ihm insgesamt EUR 11.270,34 (EUR 811,56 USt und EUR 6.401,00 Barauslagen) zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung , dem Kostenrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Kostenrekurs ist nicht berechtigt.
Der Kläger macht mit Rechtsrügenur geltend, das Kostenprivileg des § 43 Abs 2 ZPO sei anzuwenden. Wenn - wie hier - der Nachweis einer unzulässigen Abschalteinrichtung gelinge, sei § 43 Abs 2 ZPO im Lichte des Unionsrechts großzügig auszulegen, sodass auch eine Überklagung von mehr als 50 % (und sei es, dass wie hier nur 5% bei eingeklagten 30% zugesprochen würden) nicht schade. Zentral werde damit dem Effektivitätsgebot des europäischen Rechtssystems Rechnung getragen. Dieses Effektivitätsgebot habe nicht nur Auswirkungen auf den Schadenersatzanspruch selbst, sondern auch auf die dadurch entstandenen Anwaltshonorare, sofern der Anspruch im Recht der europäischen Union fuße. Das Effektivitätsgebot sei daher auch bei der Entscheidung über Prozesskosten in Abgasfällen zu berücksichtigen. Den Klägern seien daher, wenn der Nachweis einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 Abs 2 der Verordnung Nr 715/2007 gelinge, die Prozesskosten auf Basis des obsiegten Betrages zu ersetzen, auch wenn eine höhere Forderung eingeklagt worden sei. Hier sei die Schadenshöhe auf Basis der Ausführungen des Sachverständigen festgesetzt worden. Der Kostenzuspruch auf Basis des Ersiegten bedeute eine Anpassung der streitwertabhängigen Kosten. Die Sachverständigenkosten seien streitwertunabhängig und stünden daher in voller Höhe zu.
Das Rekursgericht hat dazu erwogen:
1. Ein Vorabentscheidungsersuchen ist nicht erforderlich. Die Kostenentscheidung orientiert sich am nationalen Verfahrensrecht, das Bestimmungen enthält, die den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Effektivitätsgrundsatz sichern. Die §§ 43 Abs 2 iVm 273 Abs 1 ZPO nehmen dem Kläger das Kostenrisiko weitgehend ab. Der Effektivitätsgrundsatz kann nicht soweit führen, dass ein Kläger, der das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nachweist, ohne jedes Prozessrisiko auch deutlich überklagen kann, wenn ihm das erkennbar ist (vgl OLG Linz 1 R 29/25b).
2.Das Berufungsgericht hält die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts für zutreffend, die Rechtsmittelausführungen dazu hingegen aus folgenden Gründen für nicht stichhältig (§§ 526 Abs 3, 500a ZPO):
2.1.Der Kritik ist zu erwidern, dass § 43 Abs 2 ZPO keine Anwendung findet, wenn dem Kläger eine offenbareÜberklagung zur Last fällt, also wenn er mehr als doppelt so viel einklagt als zugesprochen wird. Als grobe Faustregel gilt, dass der Kläger zumindest mit 50% seiner Forderung durchgedrungen sein muss (RS0035993 [T2]; Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 43 Rz 11 mwN; OLG Linz 1 R 29/25b; Schindler/Schmoliner in Kodek/Oberhammer,ZPO-ON § 43 ZPO Rz 25 (Stand 9.10.2023, rdb.at)). Das war hier in allen Verfahrensabschnitten - worauf schon das Erstgericht zutreffend hinweist - deutlichder Fall. § 43 Abs 2 Fall 2 ZPO ist zudem als Ausnahmebestimmung zum Erfolgsprinzip konzipiert und dient nicht dazu, dem Kläger das Risiko auch im Zusammenhang mit dem Grund des Anspruchs (Feststellungsbegehren) abzunehmen ( Schindler/ Schmoliner in Kodek/Oberhammer,ZPO-ON § 43 ZPO Rz 23 (Stand 9.10.2023, rdb.at)). Das Erstgericht hat daher die Kosten in den ersten beiden Abschnitten zutreffend nach § 43 Abs 1 ZPO bemessen.
2.2.Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass der Oberste Gerichtshof das Kostenprivileg des § 43 Abs 2 ZPO angewendet habe (10Ob46/23x), trifft davon zu, dass das (überwiegende) Unterliegen für die dortige Klägerin erst aufgrund der nach Einbringung der Revision veröffentlichten Rechtsprechung bekannt sein konnte und die Überklagung noch nichtals erkennbare und offenbare Überforderung außerhalb jeder vernünftigen Überlegung qualifiziert werden musste. Das ist hier aber nicht der Fall, weil dem Kläger die seit September 2023 (10 Ob 27/23b) existierende "Bandbreitenjudikatur“ des Obersten Gerichtshofs noch vor Schluss der Verhandlung erster Instanz bekannt war, er darauf im Berufungsverfahren eingegangen ist, er darauf aber nicht ausreichend reagierte. Der ursprünglich vom Sachverständigen angenommene Rahmen des Minderwertes wurde anlässlich der Gutachtenserörterung (ON 51.2) wie festgestellt (5 – 15 %) korrigiert. Das Wissen der Klagevertretung umfasste schon lange zumindest eine Bandbreite der Wertminderung von 10 % bis 15 % (vgl S 3 der ON 40), sodass die mögliche Überklagung schon daraus absehbar war. Im Ergebnis konnte der Kläger die bis zuletzt behauptete 30%ige Wertminderung nicht nachweisen und liegt nur eine 5%ige Wertminderung vor. Sein Obsiegen (14 % und 17 %) nähert sich somit vielmehr einem Fall des „verhältnismäßig geringfügigen Unterliegens“ (§ 43 Abs 2 1. Fall ZPO) an. Der Kläger ist auch mit dem Feststellungsbegehren überhaupt zur Gänze unterlegen. Damit liegt aber eindeutig ein Fall des Überklagens vor, der das Kostenprivileg des § 43 Abs 2 ZPO ausschließt (vgl auch 2Ob3/24s, wo der Oberste Gerichtshof in einem von den Vorinstanzen kurz nach Veröffentlichung der "Bandbreitenjudikatur“ entschiedenen Fall die Anwendung des § 43 Abs 2 ZPO ausschloss, vgl OLG Linz 1R29/25b). Auch nach Erörterung des Sachverständigengutachtens (ON 51.2) ist keine Einschränkung des Klagebegehrens erfolgt ( Schindler/Schmoliner in Kodek/Oberhammer,ZPO-ON § 43 ZPO Rz 23 (Stand 9.10.2023, rdb.at).
2.3.Warum der Kläger im dritten Verfahrensabschnitt (Berufungsverfahren) Anspruch auf Kostenersatz nach § 43 Abs 2 ZPO haben sollte, stellt er im Kostenrekurs nicht dar.
Der Kostenrekurs bleibt daher erfolglos.
3.Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens stützt sich auf die §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO und § 11 RATG.
4.Der Revisionsrekurs ist nach § 528 Abs 2 Z 3 ZPO jedenfalls unzulässig.