10Bs110/25i – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr. Sutter (Vorsitz), Mag. a Haas und Mag. Wieland in der Strafsache des A*wegen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach § 39 EU-JZG über die Beschwerde des A* gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 23. Februar 2025, GZ **-22, in nichtöffentlicher Sitzung den
BESCHLUSS
gefasst:
Spruch
Aus Anlass der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss ersatzlos aufgehoben und der Betroffene mit seiner Beschwerde darauf verwiesen.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.
BEGRÜNDUNG:
Text
Mit dem vom Bundesministerium für Justiz, GZ: **, an das Landesgericht Klagenfurt weitergeleiteten (ON 2,1) Schreiben des am ** geborenen, lettischen Staatsangehörigen, A* vom 14. November 2024 beantragt dieser die „Übertragung des Strafvollzugs von Lettland nach Österreich“ (ON 2,3), mit der wesentlichen Begründung, dass er zuvor 7 ½ Jahre seinen Hauptwohnsitz in ** gehabt habe, er eine „soziale Bindung“ auf Grund seiner Verwandten und Freunde zur Republik Österreich aufweise und „humanitäre und soziale“ Gründe, wie etwa sein sich verschlechternder Gesundheitszustand, für eine Übernahme der Strafvollstreckung sprechen würden.
Nachdem die Staatsanwaltschaft Einsicht in den Antrag nahm und eine inhaltliche Entscheidung anregte (ON 3.1), ordnete das Erstgericht am 22. Dezember 2024 Erhebungen bei der Kriminalpolizei (ON 4) an und stellte am 9. Jänner 2025 ein Rechtshilfeersuchen (ON 9) sowie eine Europäische Ermittlungsanordnung (ON 8) an die lettischen Behörden, mit dem Ziel sämtliche Urteils- und Vollzugsdaten des Antragstellers zu erhalten.
Mit E-Mail vom 28. Jänner 2025 (ON 13.1,1) teilten die lettischen Behörden (unübersetzt) mit, dass die Europäische Ermittlungsanordnung eingegangen und an das zuständige Gericht weitergeleitet worden sei. Zugleich wiesen die lettischen Behörden (aber) darauf hin, dass ihrerseits bereits das Konsultationsverfahren (§ 41a Abs 3 EU-JZG, siehe auch Wirth/Hinterhofer in WK 2EU-JZG § 41a Rz 21ff) eingeleitet worden sei und offenbar zwei verschiedene Gerichte in Österreich („ I see this case is viewed in two different courts. “ [ON 13.1,1]) in derselben Strafsache involviert seien. Sie legten ein Antwortschreiben des Landesgerichts für Strafsachen Wien, AZ **, ihrem Schreiben bei, das im Zuge des eingeleiteten Konsultationsverfahren mitteilt, dass die Voraussetzungen nach Artikel 4 Abs 1 lit c des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI nicht vorliegen, ein Ersuchen um Übernahme der Strafvollstreckung abzulehnen sei und einer Übermittlung des Urteils und der Bescheinigung nicht zugestimmt werde.
In Reaktion auf das lettische Schreiben teilte das Erstgericht lediglich mit (ON 14), dass Erhebungen über den Antrag des A* eingeleitet worden seien und im Bedarfsfall um weitere Informationen aus Lettland angefragt werde.
Nachdem die Erhebungen der Kriminalpolizei (ON 20) abgeschlossen und die begehrten Unterlagen aus Lettland (ON 15 bis ON 17) eingelangt waren, wobei die lettischen Behörden (ON 16,1) nochmals auf das eingeleitete Verfahren zur möglichen Überstellung von A* an die Republik Österreich gemäß Artikel 1 lit c und Artikel 4 Abs 3 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI hingewiesen und die Staatsanwaltschaft (ON 21.1) eine negative Äußerung zum Antrag erstattet hatten, wies der Einzelrichter des Landesgerichts Klagenfurt mit dem angefochtenem Beschluss (ON 22) den „Antrag des A* auf Übernahme der Vollstreckung der vom Pardaugava Gericht der Stadt Riga zu Strafsache Nr. **, Archiv.-Nr. ** am 24. Mai 2022 verhängten, am 07. Juni 2022 rechtskräftig vollstreckbaren Strafe, nämlich einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 13 (Jahren) mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen“ ab. Begründend führte das Erstgericht – teils unter verfehlter Zitierung des nicht zur Anwendung (siehe § 1 Abs 1 Z 3 EU-JZG) gelangenden § 64 ARHG – (zusammengefasst) aus, dass – offenbar in Bezug auf § 39 Abs 1 Z 2 EU-JZG – weder die „zeitlichen Voraussetzungen“, noch – offenbar in Bezug auf § 39 Abs 1 Z 3 EU-JZG – die „faktischen Voraussetzungen (keine soziale Bindung zu Österreich)“ vorliegen würden. Weder die nach § 41a Abs 1 Z 2 EU-JZG zwingend ( Wirth/Hinterhofer, aaO§ 41a Rz 5ff und Rz 19; siehe auch OLG Innsbruck, 11 Bs 207/18f) vorausgesetzte Bescheinigung, noch die nach § 41a Abs 1 Z 3 EU-JZG vorgesehene Stellungnahme des Verurteilten zur Übermittlung der in Z 1 und 2 leg. cit. angeführten Unterlagen bzw das mit dem Betroffenen aufgenommene Protokoll lagen im Zeitpunkt der Entscheidung vor.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des A* mit dem er unter Verweis auf seinen ununterbrochenem Aufenthalt in Österreich von rund 7 ½ Jahren eine Verletzung von § 39 Abs 1 Z 2 EU-JZG reklamiert und (offenkundig in Bezug auf § 39 Abs 1 Z 3 EU-JZG) seine „soziale Bindung zu Österreich“, teils unter Verweis auf beim Erstgericht eingelangten Petitionen (ON 31), hervorhebt, wobei eine Bewilligung der Übernahme der Strafvollstreckung, in eventu eine Kassation des angefochtenen Beschlusses angestrebt wird.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Nach § 40a Abs 2 EU-JZG richtet sich die örtliche Zuständigkeit des sachlich zuständigen Landesgerichts nach dem Ort, in dem die verurteilte Person ihren Wohnsitz oder Aufenthalt hat; befindet sie sich in gerichtlicher Haft im Inland, so ist der Haftort maßgebend. Ist nach diesen Bestimmungen die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts nicht feststellbar, so ist das Landesgericht für Strafsachen Wien zuständig. Demnach ist - im Gegensatz zum ARHG - nach § 40a Abs 2 EU-JZG nur ein im Entscheidungszeitpunkt bestehender Wohnsitz, Aufenthalt oder Haftort im Inland Anknüpfungskriterium für die örtliche Zuständigkeit (RIS-Justiz RS0131223). Liegt ein solches nicht vor, ist das Landesgericht für Strafsachen Wien zuständig. Für die Annahme einer (planwidrigen) Lücke und daraus folgend eine sinngemäße Anwendung des § 67 Abs 1 erster Satz ARHG, wonach auch ein Wohnsitz oder Aufenthalt zuständigkeitsbegründend sei, den eine betroffene Person „zuletzt hatte“ ( Wirth/Hinterhofer in WK 2EU-JZG § 40a Rz 6; Martetschläger in Göth-Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 40a EU-JZG Rz 3) besteht demnach kein Raum (siehe auch OLG Wien, 22 Bs 337/24f).
Im konkreten Fall ist es unstrittig, dass der Antragsteller seine Haftstrafe derzeit in der Justizanstalt in ** (Lettland) verbüßt (ON 17,1; siehe auch ON 33.1,3). Aus der zitierten höchstrichterlichen Judikatur folgt daraus, dass die örtliche Zuständigkeit zur Entscheidung beim Landesgerichts für Strafsachen Wien gemäß § 40a Abs 2 letzter Satz EU-JZG liegt. Mit der erfolgten Beschlussfassung hat das Erstgericht daher eine ihm nicht zukommende Entscheidungskompetenz in Anspruch genommen, weshalb der Beschluss - ohne Bindung an ein Beschwerdevorbringen (RIS-Justiz RS0089977) - gemäß § 89 Abs 2a Z 1 StPO bereits aus diesem Grund aufzuheben war. Das Erstgericht wird daher das Verfahren (den Antrag) zur Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien als örtlich zuständiges Gericht zu überweisen haben (vgl Oshidari, WK-StPO § 38 Rz 2 ff).
Der Ausschluss eines weiteren Rechtszuges ergibt sich aus § 1 Abs 2 EU-JZG, § 9 Abs 1 ARHG und § 89 Abs 6 StPO.