10Ob51/25k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, die Hofräte Dr. Annerl und Dr. Vollmaier sowie die Hofrätin Dr. Wallner Friedl in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. I*, 2. D* sowie 3. I*, alle vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Rechtsvertretung Bezirke 3, 11), 1030 Wien, Karl Borromäus Platz 3, wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 24. Juni 2025, GZ 45 R 323/25w, 45 R 324/25t, 45 R 330/25z 34, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 17. April 2025, GZ 8 Pu 33/22d 22, 23 und 24, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Minderjährigen stammen aus Tschetschenien und sind Staatsangehörige der Russischen Föderation. Ihr gewöhnlicher Aufenthalt ist in Österreich, sie werden im Haushalt der Mutter betreut. Der Vater ist aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 2. 11. 2022 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von je 100 EUR für I* und D* sowie aufgrund der Vereinbarung mit dem Kinder und Jugendhilfeträger vom 14. 2. 2023 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 127 EUR für I* verpflichtet.
[2] Allen drei Kindern sowie deren Mutter wurde mit Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17. 1. 2019 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die damit verbundenen befristeten Aufenthaltsberechtigungen wurden mehrfach, zuletzt mit Bescheiden des BFA vom 4. 1. 2024, für weitere zwei Jahre verlängert. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde bisher keinem der Kinder wieder aberkannt.
[3] Am 11. 4. 2025 beantragten die drei Minderjährigendie Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Titelhöhe nach §§ 3, 4 Z 1 UVG.
[4] Mit Beschlüssen vom 17. 4. 2025 bewilligte das Erstgericht den Kindern antragsgemäß Unterhaltsvorschüsse, und zwar für I* monatlich 100 EUR vom 1. 4. 2025 bis 31. 8. 2027, für D* monatlich 100 EUR vom 1. 4. 2025 bis 31. 1. 2030 und für I* monatlich 127 EUR vom 1. 4. 2025 bis 31. 3. 2030.
[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Das Vorliegen von Schutzgründen sei nicht (mehr) als Vorfrage zu prüfen, solange der Schutzstatus aufrecht sei. Fraglich sei jedoch, in welchem Umfang bei der gebotenen richtlinienkonformen Interpretation die nach der Status RL vorgesehenen Sozialleistungen den subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren seien. Nach Art 29 Abs 2 Status RL sei eine Einschränkung der Sozialhilfe auf Kernleistungen durch nationales Recht möglich. Da eine Einschränkung der Anspruchsgrundlage für Unterhaltsvorschüsse durch den nationalen Gesetzgeber bisher nicht erfolgt sei, sei davon auszugehen, dass nach innerstaatlichem Recht dieselbe Regelung für subsidiär Schutzberechtigte gelte wie nach der bisherigen Rechtsprechung. Da es sich bei der Frage, ob es sich bei Unterhaltsvorschüssen um Kernleistungen iSd Art 29 Abs 2 StatusRL handle oder insofern eine Einschränkung bei subsidiär Schutzberechtigten bestehe, um eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG handle, sei der ordentliche Revisionsrekurs zulässig.
[6] Dagegen richtet sich der – von den Minderjährigen beantwortete – Revisionsrekurs des Bundes, mit dem er die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Revisionsrekurs ist mangels einer im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel vorliegenden erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
[8]1. Das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112921; RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn diese im Zeitpunkt der Entscheidung durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde. Dies ist hier der Fall:
[9] 2. Dieim Revisionsrekurs als erheblich iSd § 62 Abs 1 AußStrG bezeichnete Rechtsfrage hat der Senat bereits in seiner kurz zuvor ergangenen Entscheidung zu 10 Ob 63/25z geklärt.
[10] 2.1. Der erkennende Senat kam mit ausführlicher Begründung zu dem Ergebnis, dass auch Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde, grundsätzlich nach Art 29 Abs 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 13. 12. 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Status-RL) die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats zu erhalten haben.
[11] 2.2. Weiters sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass der Unterhaltsvorschuss als Kernleistung gemäß Art 29 Abs 2 Status-RL einzustufen ist, die nach dieser Bestimmung im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zu gewähren ist. Dem Umstand, dass der EuGH den Unterhaltsvorschuss (auch) als Familienleistung nach der VO 1408/71 qualifiziert, weil er die finanzielle Belastung des sorgeberechtigten Elternteils lindert (EuGH C 85/99, Offermanns, Rn 45), kommt in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung zu. Die (nach Art 1 lit z VO 883/2004 ausgeschlossene) Qualifikation als Familienleistung schließt eine Qualifikation derselben Leistung als Kernleistung iSd Art 29 Abs 2 Status-RL nämlich nicht aus. Die unionsrechtlichen Vorgaben, ein Mindestniveau von Leistungen zu bieten und ohne Diskriminierung angemessene Unterstützung zu gewähren, gebieten es somit, § 2 Abs 1 UVG dahin richtlinienkonform auszulegen, dass Personen, denen internationaler Schutz (sei dies die Flüchtlingseigenschaft, sei dies der subsidiäre Schutzstatus) rechtskräftig zuerkannt wurde, österreichischen Staatsbürgern (wie Flüchtlingen) gleichzustellen. Auch wenn der Unterhaltsvorschuss nicht (ausschließlich) Fürsorgecharakter hat und er daher nach innerstaatlichem (Kompetenz-)Recht nicht als Sozial (hilfe)leistung des Staats anzusehen ist, so ist auch zu berücksichtigen, dass das UVG aus sozialpolitischen Erwägungen geschaffen wurde und es sich letztlich um eine sozialpolitische Maßnahme handelt (RS0076023).
[12] 3. Den Minderjährigen, deren Status als subsidiär Schutzberechtigte weiterhin aufrecht ist, ist daher, wie die Vorinstanzen zu Recht aussprachen, wie österreichischen Staatsbürgern Unterhaltsvorschuss zu gewähren. Es bedarf keiner Prüfung, ob sich die Gleichstellung der Minderjährigen im vorliegenden Fall daraus ergibt, dass die Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus (mit Fluchtgründen im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention) vergleichbar schwerwiegenden Gründen (weiterhin) abgebrochen sind oder sie als Familienangehörige (Art 2 lit j Status-RL) von Konventionsflüchtlingen die notwendige Sozialhilfe gemäß Art 29 Abs 1 iVm Art 23 Abs 2 Status-RL zu erhalten hätten.
[13] 4. Mangels Aufzeigens sonstiger erheblicher Rechtsfragen war der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.