JudikaturOGH

10ObS68/25k – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. September 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Korn Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Korridorpension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 21. Mai 2025, GZ 12 Rs 38/25g 14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom 17. Jänner 2025, GZ 19 Cgs 212/24b 9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]Der Kläger war zuletzt bei einer eingetragenen Genossenschaft beschäftigt. Er vollendete im Februar 2024 das 62. Lebensjahr und erfüllte aufgrund der vorliegenden Anzahl von Versicherungsmonaten die Anspruchsvoraussetzungen für die Korridorpension nach § 4 Abs 2 Z 1 APG zum 1. 3. 2024.

[2] Im Jahr 2023 strebte er an, die Korridorpension mit 1. 3. 2024 anzutreten. Auf seine Initiative vereinbarte er daher im November 2023 mit seinem Dienstgeber die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses zum 31. 12. 2023. Im Jänner und Februar 2024 war der Kläger beim AMS gemeldet und bezog Arbeitslosengeld.

[3] Mit Bescheid vom 10. 7. 2024 anerkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf eine Korridorpension gemäß § 4 Abs 2 und 5 APG ab 1. 3. 2024 in einer Höhe von 3.452,85 EUR brutto (inkl Frühstarterbonus, aber ohneErhöhungsbetrags nach § 34 APG).

[4]Es ist unstrittig, dass der Kläger bis zum 31. 12. 2023 keinen Anspruch auf Korridorpension gehabt hat, weil er erst im Jahr 2024 das erforderliche Anfallsalter erreichte. Die Voraussetzungen nach § 34 Abs 1 Z 2 APG sind daher nicht erfüllt. In dritter Instanz ist nur noch strittig, ob sich der Kläger auf § 34 Abs 1 Z 3 APG berufen kann.

[5] Der Klägerbegehrt die Gewährung des Erhöhungsbetrags nach § 34 APG. Sein Dienstverhältnis habe auf seinen Wunsch am 31. 12. 2023 geendet. Mit Erfüllung der Voraussetzungen für die Korridorpension zum 1. 3. 2024 habe er nach § 22 AlVG keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr gehabt, weshalb ihm bei gebotener verfassungskonformer Interpretation der Erhöhungsbetrag zustehe.

[6] Die Beklagtewandte ein, dass beim Kläger die Bestimmung des § 34 Abs 1 Z 3 APG nicht erfüllt sei.

[7] Das Erstgerichterkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger ab 1. 3. 2024 die Korridorpension inklusive des Erhöhungsbetrags nach § 34 APG zu gewähren. Unabhängig von der Auslegung des § 34 APG falle der Kläger jedenfalls unter diese Bestimmung. Das Dienstverhältnis des Klägers sei auf sein Betreiben hin beendet worden. Daher habe er keinen nach § 22 AlVG über den Zeitpunkt der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Korridorpension hinausgehenden Anspruch auf Arbeitslosengeld. Mit Blick auf den Gesetzeswortlaut sei es irrelevant, dass Arbeitslosen der Erhöhungsbetrag auch dann zustehe, wenn ihr letztes Beschäftigungsverhältnis aufgrund eigenen Betreibens beendet worden sei.

[8] Das Berufungsgerichtänderte das Ersturteil im klagsabweisenden Sinn ab. Die hier fragliche Norm des § 34 Abs 1 Z 3 APG knüpfe an § 22 AlVG an, wonach Arbeitslose, die die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters erfüllten, keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hätten. Die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Korridorpension nach § 4 Abs 2 APG stehe dem Arbeitslosengeldanspruch nicht entgegen, wenn das letzte Beschäftigungsverhältnis aus einem Grund beendet worden sei, der dem Dienstnehmer nicht vorwerfbar sei. Der Kläger gehe selbst davon aus, dass er diese Voraussetzung nicht erfülle, sei doch die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses auf seine Initiative und seinen Wunsch erfolgt.

[9]Die vom Kläger geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 34 Abs 1 Z 3 APG habe der Verfassungsgerichtshof bereits verneint. Personen, die ihre Erwerbstätigkeit aufgeben, alleine um den Erhöhungsbetrag zu erwirken, stehe nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs kein Arbeitslosengeldanspruch und– als Folge dessen – kein Erhöhungsbetrag gemäß § 34 Abs 1 Z 3 APG zu.

[10]Daran sei auch für den hier vorliegenden Fall anzuknüpfen. Der Kläger habe sein Dienstverhältnis nur im Zusammenhang mit dem Erhöhungsbetrag nach § 34 APG aufgelöst, sodass er von Anfang keinen Arbeitslosengeldanspruch gehabt habe. Grundsätzlich wären damit auch die Voraussetzungen für einen Widerruf des Arbeitslosengelds nach § 24 Abs 2 AlVG gegeben. Es könne nicht den Intentionen des Gesetzgebers entsprechen, wenn Versicherte, die erst im Jahr 2024 die Anspruchsvoraussetzungen für eine Korridorpension erfüllten und sich bewusst in die Arbeitslosigkeit begeben hätten, um unter die Bestimmung des § 34 Abs 1 Z 3 APG zu fallen, besser gestellt wären als jene, die direkt aus dem Arbeitsverhältnis die Korridorpension antreten würden („Direktübertritte“).

[11] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nicht zu, weil die Rechtslage wegen des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofs klar sei.

[12] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[13] Die Beklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[14] Das Rechtsmittel ist zulässig und auch berechtigt.

[15]1.1 Gemäß § 34 Abs 1 Z 3 APG ist das Ausmaß von Korridorpensionen nach § 4 Abs 2 APG, die (ua)infolge der Beendigung des Arbeitslosengeldanspruchs nach § 22 AlVG im Kalenderjahr 2024 angetreten werden , zu erhöhen, wenn ihr Stichtag in das Kalenderjahr 2024 fällt. Es ist unstrittig, dass der Kläger erst ab 1. 3. 2024 Anspruch auf Korridorpension hatte.

[16]1.2 Die mit BGBl I Nr 2023/133 eingeführte sogenannte „Schutzklausel“ (vgl Parlamentskorrespondenz NR 1075 vom 18. 10. 2023) des § 34 Abs 1 APG bezieht sich auf die hohe Inflation der Jahre 2021 bis 2023 und den Umstand, dass nach der bisherigen Rechtslage die Inflation (nach der Valorisierungsbestimmung des § 12 Abs 3 Z 2 APG iVm § 108a ASVG) erst mit einer Verzögerung von zwei Jahren Eingang in die Aufwertungszahl findet, „ sodass sich Nachteile für Versicherte ergeben, deren Stichtag in das Kalenderjahr 2024 fällt“ (AB 2241 BlgNR XXVII. GP 2). Daher sollen mit § 34 APG Pensionen „ zum Ausgleich des erwähnten inflationsbedingten Nachteils erhöht werden, wenn ihr Stichtag in das Jahr 2024 fällt. “ (AB 2241 BlgNR XXVII. GP 2; dazu ausführlich, Pasz/Zhang, Wen schützt die Schutzklausel? Hintergrund und Wirkung des neuen § 34 APG, DRdA infas 2024, 63).

[17]1.3 Die hier maßgebliche Textpassage des § 34 Abs 1 Z 3 APG wird von den Gesetzesmaterialien (AB 2241 BlgNR XXVII. GP 2; idS auch 11313 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Bundesrates) wie folgt erklärt:

Gleiches (Anm: nämlich die Erhöhung der Pension)gilt für Korridorpensionen, die aufgrund des Erlöschens des Arbeitslosengeld- oder Notstandshilfeanspruchs nach § 22 AlVG (und § 38 AlVG) mit Stichtag im Jahr 2024 angetreten werden. Zu sonstigen Korridorpensionen mit Stichtag im Jahr 2024 gebührt der Erhöhungsbetrag hingegen nur dann, wenn die Anspruchsvoraussetzungen (mit Ausnahme der Aufgabe der Erwerbstätigkeit bzw des Fehlens eines die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Erwerbseinkommens) bereits am 31. Dezember 2023 vorliegen. Nicht umfasst sind somit Korridorpensionen des Zugangsjahres 2024 ohne vorangehende Arbeitslosigkeit (und ohne Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen schon 2023), da in diesen Fällen der Zeitpunkt des Pensionsantritts durchaus in der Disposition der Versicherten liegt.

[18]2.1 § 34 APG knüpft an § 22 AlVG an. § 22 AlVG schließt Arbeitslosengeld bei einem (sozialversicherungsrechtlichen) Anspruch auf eine Alterspension aus. Ziel dieser Bestimmung ist es, eine Doppelversorgung aus dem öffentlichen System der sozialen Sicherheit zu vermeiden, wobei die Pension als Dauerleistung hier vorrangig gegenüber der kurzfristigen Absicherung durch Arbeitslosengeld gesehen wird (vgl Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz [23. Lfg 2024] § 22 AlVG Rz 483).

[19] 2.2 Von dem Grundsatz, dass bei Anspruch auf eine Pensionsleistung kein Arbeitslosengeld mehr bezogen werden kann, gibt es hinsichtlich der Korridorpension eine Ausnahme ( Pasz/Zhang , DRdAinfas 2024, 63). Abhängig von der Beendigung des Dienstverhältnisses steht die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Korridorpension gemäß § 4 Abs 2 APG dem Anspruch auf Leistungen nach dem AlVG für den Zeitraum von einem Jahr (längstens bis zur Erreichung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer) nicht entgegen.

[20]Im Anlassfall ist es unstrittig, dass hier keiner der in § 22 Abs 1 AlVG genannten „privilegierten“ Beendigungsgründe in Betracht kommt. Damit war der Kläger durch den Pensionsantritt vom Arbeitslosengeld ausgeschlossen.

[21]3.1 Ungeachtet des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld für die Monate Jänner und Februar 2024 ist daher davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls ab 1. 3. 2024 nicht (mehr) berechtigt war, Ansprüche nach dem AlVG zu beziehen. Der Kläger wechselte damit nahtlos von der Arbeitslosigkeit in die Korridorpension; im Zeitpunkt der Beendigung seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld befand sich der Kläger damit genau in jener Situation, die § 34 Abs 1 Z 3 APG vor Augen hat: Er trat die Korridorpension im März 2024 „infolge der Beendigung des Arbeitslosengeldanspruchs nach § 22 AlVG “ an (vgl auch AB 2241 BlgNR XXVII. GP 2: „ Nicht umfasst sind somit Korridorpensionen des Zugangsjahres 2024 ohne vorangehende Arbeitslosigkeit“). Damit ist der hier entscheidende Tatbestand des § 34 Abs 1 Z 3 APG erfüllt.

[22]3.2 Dass der Kläger im Jänner und Februar 2024 nicht arbeitswillig gewesen bzw der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden wäre (vgl § 7 AlVG), steht weder fest noch wurde das behauptet. Die vom Berufungsgericht herangezogenen Überlegungen des Verfassungsgerichtshofs, dass gar kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe, wenn die Person gar nicht arbeitswillig wäre (zB G 29/2025), können im Anlassfall daher dem Klagsanspruch nicht entgegengehalten werden. Ebenfalls wurde auch nicht ansatzweise behauptet, dass der Kläger in missbräuchlicher Weise in die Arbeitslosigkeit wechselte.

[23]4. Zusammengefasst steht dem Kläger damit der in § 34 APG vorgesehene Erhöhungsbetrag zu, der bei der Berechnung der ihm ab 1. 3. 2024 gebührenden Pension zu berücksichtigen ist.

[24]5. Es war im Verfahren nie strittig, dass dem Kläger eine Korridorpension dem Grunde nach zusteht, sodass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Grundurteils nach § 89 Abs 2 ASGG nicht vorliegen. Vielmehr ist die dem Kläger gebührende Pensionsleistung in ziffernmäßig bestimmter Höhe zuzusprechen (RS0111070). Die Grundlagen zur Ermittlung der Pensionshöhe sind den Feststellungen nicht zu entnehmen, weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und an das Erstgericht zurückzuverweisen ist.

[25]6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.