JudikaturOGH

14Os69/25s – OGH Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
04. September 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. September 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Ebner in der Strafsache gegen *D* wegen Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Geschworenengericht vom 17. März 2025, GZ 58 Hv 39/24m 80, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht Innsbruck zu.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant wurde mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil * D*zweier Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (I./1./ und 2./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 27. Jänner 2024 in L* nachgenannte Personen mit einer Pistole (Kaliber 9 mm) vorsätzlich zu töten versucht, und zwar

I./1./ * K*, indem er drei Schüsse auf ihn abfeuerte, wodurch dieser einen Durchschuss im rechten Unterarm erlitt;

I./2./ * J*, indem er zwei Schüsse auf ihn abfeuerte, wodurch dieser einen Durchschuss im linken Unterschenkel mit Bruch des Schienbeins und einen Querbruch des Wadenbeins erlitt.

[3]Die Geschworenen haben die anklagekonform gestellten Hauptfragen I) und II) jeweils nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGBbejaht und die jeweils nach den Verbrechen einerseits der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB sowie andererseits der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB gestellten Eventualfragen unbeantwortet gelassen .

Rechtliche Beurteilung

[4]Die auf § 345 Abs 1 Z 6 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel .

[5] Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert das Unterbleiben der Stellung jeweils einer (alternativ zu fassenden [RISJustiz RS0102740 {T1}]) Zusatzfrage zu den beiden Hauptfragen (§ 313 StPO) nach Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB), Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs 2 StGB), Putativnotwehr (§ 8 StGB) und Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (analog § 3 Abs 2 StGB) sowie jeweils von Eventualfragen nach dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung (§ 88 StGB).

[6] Sie verweist dabei zunächst auf die Aussage des Angeklagten (ON 79.1, 5 ff) und behauptet, dieser habe sich „durchgängig dahingehend verantwortet, dass für ihn eine Situation vorlag, in der er einen Angriff ihm gegenüber befürchtete bzw ein Angriff gegen ihn bereits vorlag“, und er seine Handlungen gesetzt habe, um die beiden Opfer „auf Abstand zu halten“.

[7] Da die für die vermisste Fragestellung ins Treffen geführten Verfahrensergebnisse (hier: die Verantwortung des Angeklagten) in ihrer Gesamtheit in den Blick zu nehmen sind (RISJustiz RS0120766), darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Angeklagte neben seinen Aussagen, „sich bedroht gefühlt“ und mit einer „Gefahr“ durch K* und J* „gerechnet“ zu haben, zumal diese „ständig Waffen bei sich führen“, und K* ihn in einem vorangegangenen Streitgespräch zum Kampf „eins gegen eins“ aufgefordert habe, auch angab, dass er vor dem Lokal die Waffe gezogen habe, weil er gedacht habe, dass die beiden Opfer „Furcht bekommen und weggehen“, wenn sie die Waffe sehen, und er sie so – nachdem sie auf ihn „zugekommen“ seien – auf Abstand habe halten wollen. Er habe insgesamt fünf Schüsse abgegeben und sei dabei gleichzeitig zurückgegangen, weil sie auf ihn zugegangen seien und er Abstand habe wahren wollen.

[8] Unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Verantwortung des Angeklagten zeigt die Rüge somit kein Verfahrensergebnis auf, welches das Vorliegen einer Notwehrsituation zum Tatzeitpunkt, nämlich das Bestehen eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriffs (oder die irrige Annahme eines solchen) auf ein notwehrfähiges Rechtsgut des Angeklagten (vgl dazu Lewisch in WK 2StGB § 3 Rz 9 ff, 58 ff) – und damit die begehrte Zusatzfragestellung – nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizieren würde (RISJustiz RS0100860 [T1], RS0132634; vgl zu unzulässiger „Präventivnotwehr“ Lewisch in WK 2 § 3 Rz 69 f).

[9] Gleiches gilt für die – im Wesentlichen eine verbale Auseinandersetzung im Vorfeld der Tat einräumenden – Passagen der Aussagen der Zeugen K* und J* (ON 79.1, 11 f und 14 f), die – K* einen „gefährlichen“ Ruf zuschreibenden – Bekundungen des Zeugen * K* (ON 79.1, 19), die – Befürchtungen vor Repressalien durch Türken oder Tschetschenen zum Ausdruck bringende – Aussage des Zeugen * F* (ON 50.21 iVm ON 79.1, 22), sowie die – eine nach unten gerichtete Waffenhaltung bekundenden – Angaben der Zeugen * Ö* und * C* (ON 50.11, 6 und ON 50.7, 15 jeweils iVm ON 79.1, 22), welche das Vorliegen eines (vermeintlich) aktuellen Angriffs im Tatzeitpunkt nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ebenfalls nicht ernsthaft indizieren.

[10] Inwiefern sich aus dem Zugeständnis des Zeugen K*, am Vorfallstag Alkohol und Kokain konsumiert und nach der Tat Personen zum Stillschweigen gegenüber der Polizei aufgefordert zu haben (ON 50.46, 27 iVm ON 79.1, 22 und ON 79.1, 14), Indizien für die gewünschten Fragestellungen ableiten lassen sollten, bleibt unklar.

[11] Dies gilt auch, soweit die Beschwerde – unter Verweis auf in der Hauptverhandlung vorgeführte Videoaufnahmen (ON 79.1, 10 iVm ON 50.56 und ON 73) – vor der Tat liegende Ereignisse ins Treffen führt.

[12] Die weitere Beschwerde unterzieht den Tathergang anhand einzelner Lichtbilder von in der Hauptverhandlung vorgeführten Videosequenzen (ON 72.3 und ON 73 jeweils iVm ON 79.1, 10) bloß einer eigenständigen Würdigung und versucht, einen für den Nichtigkeitswerber (vermeintlich) günstigen Geschehensablauf plausibel zu machen, wonach K* auf den Angeklagten „zugestürmt“, J* ihm gefolgt, ebenfalls auf den Angeklagten zugekommen und erst zu diesem Zeitpunkt der erste Schuss gefallen sei, und wonach der Angeklagte seine Waffe bei der Zielausrichtung „fast durchgehend“ nach unten gehalten habe. Konkrete Anhaltspunkte, die ein Tatsachensubstrat für das Vorliegen einer (Putativ )Notwehrsituation (und damit die begehrte Fragestellung) nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizieren könnten, werden dadurch nicht aufgezeigt. Damit geht auch die auf (Putativ )Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (samt allenfalls fahrlässiger Körperverletzung) abzielende Beschwerdeargumentation ins Leere.

[13] Der in diesem Zusammenhang geäußerte Wunsch, der Oberste Gerichtshof möge sich ein Bild von den in der Hauptverhandlung vorgekommenen Videoaufzeichnungen machen, orientiert sich von vornherein nicht an den Kriterien der Fragenrüge (RISJustiz RS0100396).

[14]Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1, § 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i, § 344 StPO).

[15]Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.