JudikaturOGH

1Ob52/25s – OGH Entscheidung

Entscheidung
Finanzierungsrecht
31. Juli 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Steger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Parzmayr, Dr. Vollmaier und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei im führenden Verfahren AZ * Dr. G*, und der klagenden Partei im verbundenen Verfahren AZ * Mag. P*, beide vertreten durch MMag. Florian Horn, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei L* GmbH, *, vertreten durch die hba Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 133.751,29 EUR sA und 66.677,87 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. Februar 2025, GZ 2 R 26/24v 54, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger – beide Rechtsanwälte – erwarben im Dezember 2005 je eine Veranlagung der Beklagten betreffend ein Freizeit-Resort-Projekt. Die Vermögensveranlagung hatte die Beteiligung der Anleger an zwei Gesellschaften zum Inhalt.

[2] Die Kläger begehren – soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz – infolge Rücktritts nach § 5 KMG (BGBl 1991/625) die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung der Veranlagungsverträge.

[3] Die Beklagte wandte insbesondere ein, die Veranlagung sei nicht prospektpflichtig gewesen.

[4] Die Vorinstanzen wiesen die Klagebegehren übereinstimmend ab. Mangels eines öffentlichen Angebots im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 KMG bestehe keine Prospektpflicht nach § 2 Abs 1 KMG.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die außerordentliche Revision der Klägerist mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[6]1. Mit 21. 7. 2019 ist das KMG 2019 anstelle des „alten“ KMG, BGBl 1991/625 in der hier anwendbaren Fassung der KMGNovelle 2005, BGBl I 2005/78, (kurz: KMG alt) getreten (§ 30 Abs 1 und Abs 2 KMG 2019). Eine maßgebliche Änderung der Rechtslage war damit, soweit in diesem Fall von Interesse, nicht verbunden (vgl Zivny/Mock , EU ProspektVO/KMG 2019 3 § 1 KMG Rz 1 [Stand 1. 11. 2021, rdb.at]).

[7]Nach § 5 Abs 1 KMG alt (nunmehr § 21 Abs 1 KMG 2019) können Verbraucher iSd § 1 Abs 1 Z 2 KSchG von ihrem Angebot oder vom Vertrag zurücktreten, wenn ein prospektpflichtiges Angebot ohne vorgehende Veröffentlichung eines Prospekts oder der Angaben nach § 6 KMG alt (Nachtrag zum Prospekt) erfolgt. Solange kein Prospekt veröffentlicht wurde, steht dem Anleger, der Verbraucher ist, das jederzeitige Rücktrittsrecht, und zwar unbefristet, zu (1 Ob 85/11y [Pkt 5.1.] mwN).

[8] Auch § 2 KMG alt knüpfte die Prospektpflicht an das öffentliche Angebotvon Wertpapieren oder Veranlagungen im Inland an. Nach der Legaldefinition in § 1 Abs 1 Z 1 KMG alt (nunmehr § 1 Abs 1 Z 1 KMG 2019) ist ein „öffentliches Angebot“ im Wesentlichen eine Mitteilung an das Publikum, das ausreichende Informationen über die Bedingungen eines Angebots enthält.

[9]Von einem öffentlichen Angebot im Sinne des KMG ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich dann auszugehen, wenn es – direkt oder indirekt – an die Allgemeinheit erfolgte, also der intendierte Adressatenkreis prinzipiell unbeschränkt war bzw an einen nur nach gewissen abstrakten Kriterien beschränkten Kreis von Adressaten gerichtet wurde und allen Personen, die diese Kriterien erfüllten, Zugang gewährte bzw gewähren sollte. Liegt dagegen ein Ausnahmefall nach § 3 KMG vor oder werden die Adressaten namentlich bzw persönlich so ausgewählt, dass eine der Prospektinformation gleichwertige Anlegerinformation in jedem Einzelfall gewährleistet werden kann, und wird an andere Interessenten nicht verkauft, ist von einem öffentlichen Angebot nicht auszugehen (RS0125643). Treten Finanzintermediäre persönlich an Anleger, ausschließlich im Rahmen von individuellen Beratungs- und Verkaufsgesprächen, heran, liegt kein öffentliches Angebot vor, da die Anleger individuell informiert wurden und es somit keiner standardisierten Information durch das Prospekt bedarf. Der unbestimmte Personenkreis kann durch eine persönliche Kontaktaufnahme ausgeschlossen werden. Maßgeblich sind die Elemente der Vielzahl und der Anonymität der angesprochenen Personen. Das von der Prospektpflicht verfolgte Ziel des Anlegerschutzes wird in jenen Fällen, in denen ein Wertpapier ohne öffentliches Angebot im Inland von einem Anleger aufgrund individueller Beratung erworben wird, durch das individuelle Beratungsgespräch erreicht (4 Ob 164/14t [Pkt 2.]).

[10]Die Anwendung dieser – vom Berufungsgericht richtig wiedergegebenen – Grundsätze zur Frage, wann ein öffentliches Angebot im Sinne des KMG vorliegt, auf den konkreten Einzelfall stellt in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage dar (vgl 2 Ob 172/11z [Pkt 1.]). Eine solche zeigt auch die Revision nicht auf.

[11]2. Der behauptete grobe Mangel der rechtlichen Beurteilung, weil das Berufungsgericht nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgegangen sei, ist nicht zu erkennen. Die Zuordnung einzelner Teile eines Urteils zu den Feststellungen hängt nach ständiger Rechtsprechung (RS0043110) nicht vom Aufbau eines Urteils ab, sodass auch in der Beweiswürdigung oder der rechtlichen Beurteilung enthaltene, aber eindeutig dem Tatsachenbereich zuzuordnende Ausführungen als Tatsachenfeststellungen zu behandeln sind (RS0043110 [T2, T3]). Die Auslegung von Urteilsfeststellungen im Einzelfall wirft regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0118891); dies gilt auch für die Frage, ob eine einzelne Ausführung in einem Urteil eine Tatsachenfeststellung ist, oder nicht (RS0118891 [T8]). Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich bei außerhalb der Feststellungen vorzufindenden Urteilsausführungen um Tatsachenfeststellungen handelt, kommt es im konkreten Einzelfall auf die Qualität der Aussage in den Entscheidungsgründen eines Urteils an (RS0118891 [T9]).

[12]Mit dem bloßen Hinweis, es erscheine „problematisch“, Ausführungen in der Beweiswürdigung zur Projektgestaltung heranzuziehen, wonach nur Personen angesprochen werden konnten, die über das notwendige Einkommen verfügten und denen es möglich war, etwaige Verluste zu tragen oder steuerlich zu verwerten, zeigen die Revisionswerber keine auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung auf. Nicht zuletzt kritisiert die Revision nicht, dass das Berufungsgericht ja auch die Erwägungen in der rechtlichen Beurteilung zu dem – persönlich – anzusprechenden Personenenkreis (Seite 15 des Ersturteils) aufgrund ihres Feststellungscharakters dem Sachverhalt zugeordnet hat. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die in tatsächlicher Hinsicht zulässigerweise (vgl RS0118191) aus dem Gesamtkontext dieser als Feststellungen zu wertenden Ausführungen gezogene Schlussfolgerung, der Vertrieb sei von vornherein so gestaltet worden, dass er sich nur an einen sehr beschränkten Personenkreis an handverlesenen, einem bestimmten Profil entsprechenden Anlegern richtete, der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt hat.

[13] 3. Aus den (überwiegend dislozierten) Feststellungen ist hervorzuheben, dass die Positionierung des Projekts am Markt durch die dahinterstehenden Initiatoren und ausgewählte Steuerberater erfolgte. Die Steuerberater traten im Rahmen von Beratungsgesprächen an ausgewählte finanzkräftige Mandanten heran und unterbreiteten diesen die Veranlagung der Beklagten. Die Anleger – wie auch die Kläger – wurden im Rahmen von Einzelgesprächen über das zugrunde liegende Projekt der Beklagten persönlich informiert. Zusätzlich wurde ihnen eine Projektunterlage, die die wesentlichen Informationen über die Projektidee, die dahinterstehenden Personen sowie damit einhergehende steuerliche und wirtschaftliche Aspekte zusammenfasste, ausgehändigt. Die Informationsweitergabe durch die Steuerberater erfolgte nicht uneingeschränkt gegenüber deren gesamten Mandantenstock, sondern wurden bestimmte, von diesen als projektgeeignet empfundene Mandanten explizit ausgewählt und im Rahmen steuerrechtlicher Beratungsgespräche angesprochen.

[14] 4. Auch wenn man den ex ante bestenfalls nach abstrakten Kriterien eingegrenzten, zahlenmäßig auf etwa 100 Personen eingeschränkten Adressatenkreis als zu unbestimmt erachtet, um ein Angebot an die Allgemeinheit zu verneinen, ist den Klägern nicht geholfen. Entscheidend ist, dass das Berufungsgericht ein öffentliches Angebot hier deshalb ausgeschlossen hat, weil durch die festgestellte Vertriebsstrategie, und zwar die Ansprache der Anleger nur im Wege einer persönlichen Kontaktaufnahme durch fachkundige Steuerberater, eine individuelle Beratung der Anleger sichergestellt war, die der Information durch einen Prospekt gleichzuhalten ist. Damit ist ein (über das im Einzelfall gewährleistete Beratungsgespräch hinausgehendes) Schutzbedürfnis der Angebotsadressaten nach einer standardisierten Information in Form eines Prospekts nicht ersichtlich.

5. Daran wecken auch die Revisionsausführungen keine Zweifel:

[15]Die Frage, ob (im Nachhinein betrachtet) auch der eine oder andere ungeeignete Anleger angesprochen wurde, kann dahingestellt bleiben, weil eine Änderung der „Vertriebsstrategie“ im Sinn der Entscheidung 2 Ob 172/11z (Pkt 1.2.) weder feststeht noch behauptet wurde.

[16] Der Vorwurf der Kläger, die Beklagte habe die Anleger nicht laut Anlage C zu § 7 KMG alt aufgeklärt, wurde erstmals in der Revision erhoben. Er steht zudem im Widerspruch zu der Feststellung, dass die Anleger – so auch die Kläger – ausreichend über die Veranlagung informiert wurden.

[17] Der behaupteten Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wegen Nicht-Erledigung der Beweisrüge fehlt es schon deshalb an der Relevanz, weil – wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat – unerheblich ist, ob vier oder letztlich acht Steuerberater bei Platzierung des Produkts in der festgestellten Art und Weise tätig waren.