6Ob170/24d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* G*, geboren am *, vertreten durch Zacherl Schallaböck Proksch Manak Kraft Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei I* G*, geboren am *, vertreten durch Raffling Tenschert Lassl Griesbacher Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Auflösung einer Gesellschaft, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Juli 2024, GZ 1 R 39/24y 21, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger und der Beklagte sind zu je 50 % Gesellschafter einer GmbH mit Sitz in Wien. Der Gesellschaftsvertrag enthält keine Regelungen zur Auflösung der Gesellschaft.
[2] Der Kläger begehrt die Auflösung der Gesellschaft, in eventu die Zustimmung des Beklagten zur Auflösung. Es sei für ihn aufgrund des Verhaltens des Beklagten unzumutbar, mit diesem weiterhin zusammenzuarbeiten. Die rechtsgestaltende Auflösung der Gesellschaft durch das Gericht sei die einzige Möglichkeit, die langjährigen, destruktiven Auseinandersetzungen der Gesellschafter zu beenden.
[3] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab . Ein Auflösungsgrund des § 84 GmbHG liege nicht vor. Mangels planwidriger Gesetzeslücke könne die Gesellschaft nicht aus wichtigem Grund aufgelöst werden.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
[5] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[6] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass – entgegen verbreiteter Lehrmeinungen – eine Auflösungsklage der Gesellschafter unzulässig ist, wenn der Gesellschaftsvertrag keine diesbezüglichen Regelungen enthält (3 Ob 57/00d; vgl 4 Ob 216/01w; 1 Ob 600/53). M angels Vorliegens einer planwidrigen Gesetzeslücke kommt weder eine analoge Anwendung der Bestimmung des § 133 UGB über die Auflösung der Gesellschaft durch gerichtliche Entscheidung aus wichtigem Grund noch jene des § 140 UGB über den zwangsweisen Ausschluss eines Gesellschafters oder eine Rechtsanalogie durch Einordnung der GmbH in die jederzeit aus wichtigen Gründen lösbaren Dauerschuldverhältnisse in Betracht (vgl 6 Ob 80/11z [ErwGr 1.]; 1 Ob 135/06v; 4 Ob 216/01w; 3 Ob 57/00d; 6 Ob 657/95; RS0114677).
[7] 2.2. D er Gesetzgeber hat die nach deutschem Recht (§ 61 dGmbHG) zulässige Möglichkeit, auf Auflösung der Gesellschaft zu klagen, bewusst nicht übernommen (3 Ob 57/00d; 1 Ob 600/53). D ie Möglichkeit der Auflösung der Gesellschaft durch einfachen Mehrheitsbeschluss und jene, eine im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Zustimmung der Gesellschaft zur Abtretung der Anteile unter den Voraussetzungen des § 77 GmbHG durch das Gericht zu ersetzen, wurden als ausreichend erachtet (3 Ob 57/00d; vgl 236 BlgHH 17. Session 91; 272 BlgHH 17. Session 14). Das Gesetz tendiert dazu, den Bestand der von den Gesellschaftern unabhängig und selbständig vorhandenen Gesellschaft zu erhalten (1 Ob 600/53; vgl 3 Ob 57/00d).
[8] 2.3. Die Auffassung des Berufungsgerichts, eine Auflösung der GmbH aus wichtigem Grund durch den Kläger sei im vorliegenden Fall nicht möglich, entspricht dieser Rechtsprechung.
[9] 2.4. Die außerordentliche Revision zeigt keine Argumente auf, die nicht bereits Eingang in die erörterte Judikatur gefunden hätten. Es wurde bereits ausgesprochen, dass die personalistische Struktur der betroffenen GmbH (vgl 4 Ob 216/01w) oder Judikaturlinien des Obersten Gerichtshofs zu anderen Rechtsfragen (vgl 1 Ob 135/06v) keinen Anlass f ür eine „rechtsfortbildende Etablierung“ einer entsprechenden Klagsmöglichkeit geben. Auch dem mittlerweile entwickelten Rechtsgrundsatz der Auflösbarkeit von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund wurde im Hinblick auf die GmbH bereits vom (historischen) Gesetzgeber Rechnung getragen. Danach steht die „juristische Unfreiheit[,] durch einen unübersehbaren Zeitraum hindurch [an die Gesellschaft gebunden zu sein], […] nicht in Einklange mit dem Geiste des österreichischen bürgerlichen Gesetzbuches (§ 832, § 1208 [aF]) und widerspricht geradezu [...] den Bestimmungen des Handelsgesetzbuches Artikel 123, 124, wonach sogar eine ausdrücklich auf Lebenszeit eingegangene Gesellschaft sechs Monate vor Ablauf des Geschäftsjahres gekündigt werden kann […].“ Daher sei „dem Gesellschafter [...] die Möglichkeit zu geben, aus wichtigen Gründen auch ohne die nach dem Gesellschaftsvertrage notwendige Zustimmung der Gesellschaft seinen Geschäftsanteil zu übertragen und sich und seine Erben aus der dauernden juristischen Gebundenheit zu befreien, so daß für ihn der Zwang, Gesellschafter zu bleiben, aufhört, ohne daß auch für die anderen die Gesellschaft selbst aufgelöst zu werden braucht. Der neue § 77 [GmbHG] gestattet demnach, dass die sonst notwendige Zustimmung der Gesellschaft […] durch den Ausspruch des Richters ersetzt werden kann […].“ (272 BlgHH 17. Session 14).
[10] 3. Das Berufungsgericht hat im Zusammenhang mit dem Eventualbegehren den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung als nicht gesetzmäßig ausgeführt erachtet. Dies wurde in der Revision nicht als Mangelhaftigkeit bekämpft, weshalb dem Obersten Gerichtshof die sachrechtliche Überprüfung verwehrt ist (RS0043231). Das gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht – wie hier – zunächst zwar ausführt, dass die Berufung keine dem Gesetz gemäß ausgeführte Rechtsrüge enthalte, darüber hinaus aber noch ohne nähere Begründung die im Urteil des Erstgerichts enthaltene rechtliche Beurteilung billigt (RS0043231 [T8, vgl auch T2, T5]).
[11] Ob im vorliegenden Fall als Grundlage für das in eventu erhobene Zustimmungsbegehren die Treuepflicht unter den Gesellschaftern einer GmbH (vgl RS0026106) fruchtbar gemacht werden kann (vgl dazu die durchaus beachtlichen Argumente etwa bei Gelter in Gruber/Harrer , GmbHG² § 84 Rz 46a) , ist daher nicht zu beantworten.