10ObS47/25x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Dr. Annerl als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Vollmaier sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Mutz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch HAIDER I OBEREDER I PILZ Rechtsanwält:innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. März 2025, GZ 7 Rs 9/25k 69, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die 1968 geborene Klägerin war als diplomierte Gesundheits und Krankenpflegerin vom 1. 10. 2008 bis 31. 3. 2022 in einer von der Allgemeinen Unfallversicherung (AUVA) betriebenen Rehabilitationsklinik beschäftigt.
[2] Die Klägerin arbeitete auf der Abteilung für Querschnittsgelähmte, auf der Patienten mit Querschnittsverletzungen rehabilitiert werden, und auf der Polytraumastation, wo Personen mit mehrfachen Verletzungen im Rahmen einer Rehabilitationsbehandlung betreut werden.
[3] Die große Mehrheit ihrer Patienten musste bei zahlreichen der in § 1 und § 2 der Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz genannten Tätigkeiten nicht unterstützt werden. Insbesondere nicht bei folgenden Verrichtungen: An und Auskleiden; Einnehmen von Medikamenten; Verrichtung der Notdurft, inkl Säuberung; Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Bedarfsgütern des täglichen Lebens; Anus praeter , Kanülen- oder Sondenpflege; Verabreichung von Einläufen; Verwendung eines Leibstuhls. Die überwiegende Anzahl der Patienten war nicht inkontinent und erreichte sukzessive während des Aufenthalts auch die Fähigkeit, wieder selbständig mobil zu sein. Die Mehrheit wurde im Zuge des Klinikaufenthalts wieder fähig, die tägliche Körperpflege selbständig auszuführen. Am Ende des Aufenthalts in der Klinik konnte die überwiegende Mehrheit der Patienten die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände sowie der Leib und Bettwäsche selbständig vornehmen und Mahlzeiten selbständig zubereiten. Etwa die Hälfte der Patienten konnte sich bereits zu Beginn des Aufenthalts in der Klinik Mahlzeiten selbst zubereiten.
[4]Nur 12 % bis 15 % der von der Klägerin betreuten Patienten hatten einen Pflegebedarf nach dem BPGG von im Durchschnitt mindestens 180 Stunden. Die von der Klägerin ausgeübte Pflegetätigkeit entfiel in zeitlicher Hinsicht zu nicht mehr als 16 % auf diese Patienten. Im zeitlich überwiegenden Ausmaß widmete sich dieKlägerin der Allgemeinpflege der Patienten, bei denen weder psychiatrische Nebendiagnosen vorlagen noch ein Pflegebedarf bestanden hat, der die Kriterien für ein Pflegegeld der Stufe 5 nach dem BPGG erfüllen würde. Auch Patienten mit Palliativ oder Hospizpflegebedarf waren nicht zu betreuen; Patienten mit Demenzerkrankungen nur vereinzelt.
[5] Die Tätigkeit auf einer Palliativ /Hospiz Station ist für das Pflegepersonal psychisch deutlich belastender als in einer Rehabilitationsklinik.
[6] Die Klägerin richtet sich mit ihrer Klage gegen den abweisenden Bescheid der Beklagten und begehrt, die gesamte Zeit ihrer Tätigkeit in der Rehabilitationsklinik als Schwerarbeitszeiten festzustellen.
[7] Das Erstgericht stellte (mit Blick auf geleistete Nachtdienste) für zehn Monate des eingangs angeführten Zeitraums mit (in diesem Umfang rechtskräftigem) Urteil fest, dass es sich bei den erworbenen Versicherungsmonaten der Klägerin umSchwerarbeitszeiten iSd § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV (iVm § 607 Abs 14 ASVG) handelt.
[8] Hinsichtlich der restlichen Versicherungsmonate im angeführten Zeitraum wiesen die Vorinstanzen die Klage ab.
[9] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob es sich bezüglich der restlichen erworbenen Versicherungsmonate der Klägerin um Schwerarbeitszeiten iSd § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV handelt.
Rechtliche Beurteilung
[10] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung i Sd§ 502 Abs 1 ZPO auf.
[11] 1.1 Der Oberste Gerichtshof hat schon wiederholt betont, dass Schwerarbeit nur dann anerkannt werden kann, wenn der Versicherte einer besonders belastenden Schwerarbeit auch tatsächlich ausgesetzt war (vgl 10 ObS 98/20i Rz 19; 10 ObS 85/20b Rz 14; 10 ObS 117/24i, Rz 4 ua). Dabei wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass nicht jede Art von schwerer Arbeit schlechthin, mag sie auch psychisch belastend sein, sondern nur bestimmte Formen von besonders belastender Schwerarbeit zu berücksichtigen sind (10 ObS 149/12b ErwGr 7; 10 ObS 36/19w ErwGr 2.2; 10 ObS 122/19t ErwGr 1.3 mwN).
[12] 1.2 Die hier relevante Bestimmung des § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV stellt auf die Pflege von erkrankten oder behinderten Menschen mit besonderem Behandlungs oder Pflegebedarf ab. Die Rechtsprechung geht – unter Bezugnahme auf die Erläuternden Bemerkungen zur SchwerarbeitsV (abgedruckt bei Pöltner/Pacic, ASVG [96. Erg Lfg], Anhang SchwerarbeitsV Anm 10) – davon aus, dass dieser besondere Behandlungsund Pflegebedarf dann verwirklicht wird, wenn die gepflegte Person die Voraussetzungen für den Anspruch zumindest auf Pflegegeld der Stufe 5 nach § 4 Abs 2 BPGG erfüllt (10 ObS 149/12b ErwGr 7; 10 ObS 30/19p ErwGr 4.1; 10 ObS 36/19w ErwGr 2.3; RS0131699; RS0132681 [T2]) oder Pflegetätigkeiten an Schwerstkranken in der Hospiz oder Palliativmedizin vorliegen bzw Tätigkeiten, die dem gleichzuhalten sind ( 10 ObS 149/12b , ErwGr 7; 10 ObS 116/17g , ErwGr 3; 10 ObS 122/19t ErwGr 2.3).
[13] 1.3 Werden Personen mit unterschiedlichem Pflegebedarf gepflegt, reicht es nach der Judikatur nicht, dass auch bzw unter anderem Personen mit einem – Schwerarbeit iSd § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV erst begründenden – besonderen Behandlungs oder Pflegebedarf gepflegt werden. Schwerarbeit liegt vielmehr erst und nur dann vor, wenn entweder die Pflege der Personen mit besonderem Pflegebedarf zeitlich gesehen überwiegend erbracht wird oder sich das Überwiegen der iSd § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV qualifizierten berufsbedingten Pflege aus der Anzahl der zu pflegenden Personen mit besonderem Behandlungsund Pflegebedarf ergibt (10 ObS 122/19t ErwGr 4.; 10 ObS 36/19w ErwGr 5.2.; 10 ObS 117/24i Rz 4; RS0131699 [T1]; RS0132681 [T1] ). Der zweiten Alternative liegt die Überlegung zugrunde, das auch die Pflege einzelner Personen mit besonderem Pflegebedarf so zeitintensiv sein kann, dass sie trotz gleichzeitiger Betreuung und Pflege mehrerer anderer Personen zeitlich überwiegt. In diesem Fall liegt ebenso wie bei der Pflege einer Mehrzahl von Personen mit erhöhtem Pflegebedarf eine „regelmäßige“ Pflege von Personen iSd § 1 Abs 1 Z 5 SchwerarbeitsV und damit Schwerarbeit vor (10 ObS 117/24i Rz 4).
[14] 2.1 Im Anlassfall ist aufgrund der Feststellungen auszuschließen, dass die Klägerin im relevanten Zeitraum im Sinne des ersten Alternative überwiegend Personen gepflegt hat, für die besonderer Behandlungs oder Pflegebedarf bestand, insbesondere weil sie zumindest Pflegegeld der Stufe 5 oder höher bezogen haben. Ebensowenig steht fest, dass die Pflege der Personen mit besonderem Pflegebedarf im Sinne des zweiten Alternative zeitlich gesehen überwiegend erbracht wurde. Das Berufungsgericht knüpfte an die Feststellungen an, dass die Tätigkeit der Klägerin im zeitlich überwiegenden Ausmaß auf Pflege der Patienten mit geringerem Pflegeaufwand (wie eingangs beschrieben) entfallen sei.
[15] 2.2 Wenn die Vorinstanzen aufgrund dieser Feststellungen die Schwerarbeit für die in dritter Instanz noch relevanten Zeiträume nicht anerkannten, hält sich das im Rahmen der aufgezeigten Rechtsprechung. Es ist jedenfalls mangels ausreichender Pflegegeldeinstufung als wichtiges Indiz für die psychische Belastungen (vgl 10 ObS 36/19w ErwGr 2.5; 10 ObS 122/19t ErwGr 3) im Anlassfall vertretbar, das Vorliegen von Schwerarbeitszeiten zu verneinen. Ebenfalls sind die Vorinstanzen wegen der im Anlassfall getroffenen Feststellungen zum konkreten Pflegebedarf der von der Klägerin betreuten Personen auch vertretbar davon ausgegangen, dass die verfahrensgegenständliche Tätigkeit der Klägerin (Betreuungs und Pflegeaufwand in einer stationären Rehabilitationsklinik) rechtlich nicht mit der Pflegetätigkeit an Schwerst und Todkranken in der Hospiz oder Palliativmedizin gleichzuhalten ist.
[16] 2.3 Zudem lässt sich sowohl die Anzahl (bzw der Anteil) von Personen mit besonderem Pflegebedarf als auch die damit verbundene zeitliche Belastung einer Pflegeperson nur aus den Umständen des Einzelfalls ableiten, sodass die diesbezügliche Beurteilung der Vorinstanzen die Zulässigkeit der Revision grundsätzlich nur bei einer krassen Fehlbeurteilung stützten könnte. Derartiges wird im Rechtsmittel aber nicht aufgezeigt.
[17] 3. Auch der Vorwurf, dass das Berufungsgericht von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei, kann die Zulässigkeit der Revision nicht stützen. Das Rechtsmittel wirft dem Berufungsgericht insoweit ein Abweichen von der zuletzt in 10 ObS 117/24i vom Obersten Gerichtshof vertretenen Rechtsansicht vor, weil es nur auf das bloße Überwiegen der Anzahl von Patienten mit besonderem Betreuungsbedarf abgestellt (erste Alternative), das zeitliche Überwiegen der Pflege mit solchen Personen aber ausgeblendet haben soll (zweite Alternative). Mit diesem aktenwidrigen Vorwurf kann bereits im Ansatz keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgeworfen werden, weil auch das Berufungsgericht (wie das Erstgericht) das Vorliegen der zweiten Alternative geprüft und verneint hat (vgl „und deren Pflege auch in zeitlicher Hinsicht nicht überwog“).