JudikaturOGH

3Ob211/24m – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. November 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I* H*, geboren am *, vertreten durch MMag. Alexander Koller, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch Nomos Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, *, vertreten durch Rudeck - Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, und den Nebenintervenienten Z*, vertreten durch MMag. Christina Toth, Rechtsanwältin in Wien, wegen Vorlage eines Vertragsangebots, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Oktober 2024, GZ 15 R 94/24i 37, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Das Berufungsgericht erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen ein annahmefähiges Angebot über den käuflichen Erwerb einer (näher bezeichneten) Kleingartenparzelle in einer bestimmten Kleingartenanlage in Wien gegen Zahlung eines nach den Bestimmungen konkret bezeichneter Beschlüssen des Wiener Gemeinderats zu bemessenden Kaufpreises vorzulegen.

[2] Mit der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Zum verpflichtenden Charakter der Ausnahme- und Übergangsregelungen:

Rechtliche Beurteilung

[3] 1.1 Nach der Wiener Stadtverfassung wird die Gemeinde vom Bürgermeister oder von den nach der Geschäftseinteilung oder der Unternehmensorganisation zuständigen leitenden Bediensteten nach außen vertreten (§ 90 Abs 3 WStV). Urkunden über Rechtsgeschäfte sind vom Bürgermeister oder von einem amtsführenden Stadtrat oder von den nach der Geschäftseinteilung oder der Unternehmensorganisation zuständigen leitenden Bediensteten zu unterfertigen (§ 9 Abs 1 WStV).

[4]Besonders wichtige Angelegenheiten sind dem Gemeinderat vorbehalten und erfordern dessen Beschlussfassung. So bedarf unter anderem die Veräußerung von unbeweglichem Vermögen in bestimmten Fällen – hier unstrittig die Veräußerung von Kleingartenparzellen in der hier betroffenen Kleingartenanlage – der Bewilligung durch den Gemeinderat (§ 88 Abs 1 lit e WStV). Der Zweck eines solchen Genehmigungsvorbehalts besteht darin, die Gemeinde vor unüberlegten rechtsgeschäftlichen Erklärungen zu schützen und das Wirksamwerden rechtsgeschäftlicher Erklärungen der Gemeindeorgane im Außenverhältnis zu erschweren (RS0014667; RS0014717; RS0033421 [T3]; vgl auch 3 Ob 67/24k).

[5] 1.2 Mit den vom Erstgericht festgestellten Gemeinderatsbeschlüssen zwischen 1993 und 2003 wurde die grundsätzliche Genehmigung zum Verkauf bestimmter Kleingartenparzellen an die jeweiligen Unterpächter erteilt. Diese Gemeinderatsbeschlüsse wurden nach dem Vorbringen der Beklagten deshalb gefasst, damit die nach der Stadtverfassung erforderliche Zustimmung des Gemeinderats nicht in jedem Einzelfall erteilt werden musste. Daraus folgt, dass die Gemeinderatsbeschlüsse als Vorab-Zustimmung zum Ankauf von Kleingartenparzellen gedacht und auf den Abschluss von Rechtsgeschäften ausgerichtet waren.

[6] 1.3 Den Vorinstanzen ist darin zuzustimmen, das allein aus einer allgemeinen Vorab-Zustimmung des Gemeinderats zum Verkauf von Grundstücken einem potentiellen Kaufinteressenten noch kein Recht zum Grundstückserwerb erwächst, weil es dazu einer konkreten Willenseinigung zwischen der veräußernden Gemeinde und dem Käufer über den Ankauf einer bestimmten Parzelle zu einem vereinbarten Preis bedarf.

[7] 1.4 Entgegen der Ansicht der Beklagten handelte es sich beim Widerruf der grundsätzlichen Genehmigung zum Verkauf bestimmter Kleingartenparzellen durch den Gemeinderatsbeschluss vom 25. 2. 2021 („Verkaufsstopp“ mit Ablauf des 31. 1. 2021) aber nicht lediglich um einen contrarius actus zu den ursprünglichen Gemeinderatsbeschlüssen, weil die Beklagte zusätzlich zum Widerruf konkrete Ausnahme- und Übergangsregelungen statuierte, mit denen sie Ausnahmen vom Verkaufsstopp normierte und die sie samt ergänzenden Informationen auf ihrer Website veröffentlichte.

[8] 1.5In diesen Regelungen wird festgehalten, dass bei Erfüllung einer der beiden darin detailliert festgelegten (alternativen) Bedingungen innerhalb der Übergangsfrist bis 31. 12. 2021 noch ein Antrag auf Ankauf des jeweiligen Kleingartens gestellt werden kann. In den dazu erteilten ergänzenden Informationen wird ausgeführt, dass der jeweilige Unterpächter den Kleingarten entsprechend den Ausnahme- und Übergangsregelungen kaufen kann, wenn die allgemeinen (schon vor der Veröffentlichung der Ausnahme- und Übergangsregelungen geltenden) Voraussetzungen (Widmung des Kleingartens; erhöhter Kündigungsschutz aufgrund eines erhöhten Bestandzinses) eingehalten sind, was vom Berufungsgericht hinsichtlich der Klägerin unbeanstandet bejaht wurde. Dadurch wird den bisherigen Unterpächtern somit die Möglichkeit eröffnet, trotz des beschlossenen Verkaufsstopps noch bis zum Ablauf der Übergangsfrist am 31. 12. 2021 den Ankauf ihrer Kleingartenparzelle zu beantragen und diese (durch Zusendung der Vertragsbedingungen sowie – nach deren Unterzeichnung und fristgerechter Zahlung des Kaufpreises samt Nebenkosten – der Kaufvertragsurkunde) käuflich zu erwerben. Dem Charakter nach handelt es sich dabei um selbstbindende rechtsgeschäftliche Erklärungen der Beklagten im Hinblick auf den Verkauf von Kleingartenparzellen. Solche selbstbindenden Normen liegen im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung dann vor, wenn sie einen Katalog von Verhaltenspflichten für die öffentliche Hand aufstellen, von denen im Fall der öffentlichen Bekanntgabe oder allgemeinen Zugänglichkeit jedermann weiß, dass die Verwaltungsorgane diese Verpflichtungen einzuhalten haben (RS0110159). Dass solche Regelungen auch mittels Gemeinderatsbeschlusses aufgestellt werden können und rechtsgeschäftlichen Charakter haben können, bestreitet die Beklagte nicht.

[9] 1.6 Wenn das Berufungsgericht ausgehend von diesen Grundsätzen den veröffentlichten Ausnahme- und Übergangsregelungen selbstbindenden Charakter beimisst und zum Ergebnis gelangt, dass diese Regelungen bei Vorliegen der allgemeinen, hinsichtlich der Klägerin erfüllten Voraussetzungen weiterhin den Verkauf der jeweiligen Kleingartenparzelle ermöglichten und die Beklagte mit diesen Regelungen bei den Unterpächtern einen Vertrauenstatbestand in Richtung einer Verkaufsbereitschaft geschaffen habe, so ist dies keine Verkennung der Rechtslage.

2. Zur Erfüllung der ersten Bedingung durch die Klägerin:

[10] 2.1 Nach der ersten Bedingung in den veröffentlichten Ausnahme- und Übergangsregelungen besteht die Erwerbsmöglichkeit des jeweiligen Unterpächters dann, wenn im Vertrauen auf die bisherige Ankaufsmöglichkeit bis zum Stichtag 31. 1. 2021 Auslagen im Zusammenhang mit dem Kleingartenkauf (zB durch Rechnung belegte Ausgaben für Vermessung) getätigt wurden.

[11] 2.2 Die Frage, ob die Klägerin diese Anwendungsvoraussetzungen erfüllt, ist durch Auslegung im Einzelfall zu klären.

[12] Mit seiner Beurteilung, dass nach der hier maßgebenden ersten Bedingung in den Ausnahme- und Übergangsregelungen bei Vornahme der Kostenaufwendungen noch kein fester Kaufentschluss bestehen musste, sondern ein Kaufinteresse genügte, es zudem nicht erforderlich war, dass die Auslagen ausschließlich im Hinblick auf einen angedachten Kauf erfolgten, sondern nur ein Kausalitätsverhältnis zwischen dem Ankauf und der Vornahme der Ausgaben bestehen musste, und es sich – entgegen der Ansicht der Beklagten – auch nicht um notwendige Ausgaben für den Liegenschaftskauf handeln musste, weshalb jedenfalls die Kosten für das Schätzgutachten als typische Ausgaben „im Zusammenhang“ mit einem Liegenschaftskauf von der Klägerin „im Vertrauen“ auf die bisherige Regelung aufgewendet wurden, ist das Berufungsgericht von den Auslegungsgrundsätzen nicht abgewichen.

[13] 2.3 Darüber hinaus ist auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die verlängerte Kaufoption nach der ersten Bedingung in den Ausnahme- und Übergangsregelungen jedenfalls auch für die Klägerin gegolten habe, zumal sie die Unterpachtrechte ihrer Großmutter übernommen (vgl § 14 KlGG) und sich die Beklagte in ihren beiden Ablehnungsschreiben auch gar nicht darauf berufen habe, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Vornahme der Kostenaufwendungen noch nicht Unterpächterin gewesen sei, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

3. Zur Fiskalgeltung der Grundrechte:

[14]Nach den veröffentlichten Ausnahme- und Übergangsregelungen und den ergänzenden Informationen wurde den jeweiligen Kleingärtnern die Möglichkeit eröffnet, trotz des beschlossenen Verkaufsstopps mit Ablauf des 31. 1. 2021 noch bis zum Ablauf der Übergangsfrist am 31. 12. 2021 den Ankauf der jeweiligen Kleingartenparzelle zu beantragen und diese zu erwerben. Diese verlängerte Ankaufsmöglichkeit im Sinn einer verlängerten Kaufoption und damit eines inhaltlich bestimmten Kaufrechts bestand schon unmittelbar nach den Ausnahme- und Übergangsregelungen, weshalb auf das zufolge der Fiskalgeltung der Grundrechte auch im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung geltende Gleichbehandlungs- und Sachlichkeitsgebot (vgl RS0117458; RS0058455; 4 Ob 207/19y; 5 Ob 184/22b) nicht mehr zurückgegriffen werden muss.

4. Ergebnis:

[15] Insgesamt gelingt es der Beklagten mit ihren Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Da die Übergangsfrist bereits Ende 2021 abgelaufen ist, ist auch nicht davon auszugehen, dass die Ausnahme- und Übergangsregelungen für eine Vielzahl von weiteren Parallelfällen relevant sind. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.