JudikaturJustizRS0122521

RS0122521 – AUSL EGMR, OGH Rechtssatz

Rechtssatz
31. Mai 2011

Art 5 Abs 4 MRK verlangt nicht als allgemeine Regel eine öffentliche Verhandlung. Auf dem Gebiet der strafrechtlichen Anklagen besteht ein enger Zusammenhang zwischen Art 5 Abs 4 und Art 6 Abs 1 MRK. Art 6 MRK ist teilweise im Vorverfahren anzuwenden, und zwar in Bezug auf Verfahrensgarantien, die im Falle ihrer Missachtung im Vorverfahren die Fairness des gesamten Verfahrens beeinträchtigen würden. Es gibt jedoch keine Hinweise dafür, dass die Abhaltung nicht öffentlicher Haftverhandlungen eine solche Beeinträchtigung mit sich bringt, wenn nicht besondere Umstände eine öffentliche Verhandlung erforderlich machen. Überdies ist zu bedenken, dass Art 5 Abs 4 und Art 6 Abs 1 MRK verschiedene Zwecke verfolgen. Art 5 Abs 4 MRK zielt auf den Schutz vor willkürlicher Freiheitsentziehung, indem er eine rasche Prüfung der Rechtmäßigkeit jeder Haft garantiert. Art 6 MRK behandelt die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage und zielt darauf ab zu gewährleisten, dass über die Frage, ob der Angeklagte der ihm vorgeworfenen Taten schuldig ist, in einem fairen Verfahren öffentlich verhandelt wird. Diese unterschiedlichen Ziele erklären, warum Art 5 Abs 4 MRK flexiblere verfahrensrechtliche Garantien enthält, als Art 6 MRK hingegen sehr viel strengere Anforderungen an die Zügigkeit des Verfahrens stellt. (Reinprecht gegen Österreich)

Entscheidungen
5