JudikaturJustizBsw72287/10

Bsw72287/10 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
07. Juli 2015

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer IV, Beschwerdesache Rutkowski u.a. gg. Polen, Urteil vom 7.7.2015, Bsw. 72287/10, 13927/11, 46187/11 und 591 weitere Beschwerden.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 13 EMRK - Piloturteilsverfahren wegen überlanger Verfahrensdauer und fehlender ausreichender Entschädigung.

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Art. 13 EMRK (einstimmig).

Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: € 9.200,– abzüglich PLN 2.000,– (circa € 500,–) an den ErstBf., € 8.800,– an den ZweitBf. und € 10.000,– an die DrittBf. für immateriellen Schaden; jeweils € 750,– an den Erst- und den ZweitBf. sowie € 180,– an die DrittBf. für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

In Umsetzung des am 26.10.2000 ergangenen Urteils des EGMR im Fall Kudla/PL (GK) (Anm: Darin hatte der EGMR eine Verletzung von Art. 13 EMRK wegen fehlender Möglichkeit der Geltendmachung des von Art. 6 Abs. 1 EMRK geschützten Rechts auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist vor den nationalen Gerichten festgestellt.) erließ der polnische Staat das »Gesetz vom 17.6.2004 betreffend Beschwerden über eine Verletzung des Rechts auf Prüfung eines vor den Gerichten anhängigen Falls ohne unangemessene Verzögerung« (»Gesetz 2004«) (Anm: Das Gesetz trat am 17.9.2004 in Kraft. Es wurde 2009 vom »Gesetz vom 20.2.2009 ...« (der Gesetzestitel ist weitgehend ident mit demjenigen des »Gesetzes 2004«) abgelöst.). Der EGMR sprach in drei Grundsatzentscheidungen (Anm: EGMR 1.3.2005, Charzynski/PL, 15.212/03 (ZE); 31.5.2005, Ratajczyk/PL, 11.215/02 (ZE); 14.6.2005, Krasuski/PL, 61.444/00.)aus, dass die mit dem »Gesetz 2004« eingeführten Rechtsbehelfe effektiv iSv. Art. 35 Abs. 1 und 13 EMRK wären. Dies hatte zur Folge, dass im Jahr 2005 über 600 Beschwerden von polnischen Bf., die sich über eine exzessive Verfahrensdauer beklagten, von Drei-Richter-Ausschüssen gemäß dem ehemaligen Art. 28 EMRK wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs zurückgewiesen wurden. In den Jahren danach langten allerdings beim EGMR jeweils rund 100 auf den ersten Blick wohlbegründete Beschwerden ein, in denen eine Verletzung des Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer von Personen gerügt wurde, welche die vom Gesetz 2004 zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe ergriffen hatten.

Der Fall des ErstBf. betrifft ein gegen ihn geführtes Strafverfahren unter anderem wegen des Verdachts der Teilnahme an einer organisierten kriminellen Vereinigung. Im September 2002 erfolgte die Anklage, im Juli 2010 der Freispruch. Einer der Gründe für die übermäßige Verfahrensdauer war ein Verfahrensfehler seitens der Strafgerichte, welche verabsäumt hatten, dem ErstBf. die Anklageschrift fristgerecht zuzustellen. Letzterer brachte beim LG Warschau eine Beschwerde unter dem »Gesetz 2004« ein und verlangte eine Entschädigung von umgerechnet € 5.000,– für exzessive Verfahrensdauer. Mit Beschluss vom 1.6.2010 hielt dieses fest, dass die Verfahrensdauer zwischen 17.9.2004 und 18.11.2005 exzessiv gewesen sei und sprach ihm PLN 2.000,– (ca. € 500,–) als Entschädigung zu. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer berücksichtigte das LG lediglich die mit 17.9.2004 (dem Inkrafttreten von »Gesetz 2004«) beginnende Zeitspanne, (Anm: Der polnische Oberste Gerichtshof nahm mehrere Male zur Auslegung von »Gesetz 2004« Stellung. Lange Zeit folgte er einem restriktiven Ansatz, indem er die Kompetenz der Gerichte, über Beschwerden nach dem »Gesetz 2004« zu entscheiden, auf die Zeit nach seinem Inkrafttreten und auf eine Prüfung des aktuellen Verfahrensstands vor der Unterinstanz, bei der der Fall gerade anhängig war, beschränkte. Das bei den vorherigen Instanzen geführte Verfahren wurde nicht berücksichtigt – und zwar auch dann nicht, wenn gegen meritorische Entscheidungen berufen worden war oder diese zur Gänze oder teilweise aufgehoben worden waren. Dieser Ansatz führte zu einer Abtrennung des Verfahrens (in der polnischen Rechtspraxis »Fragmentierung« genannt), was zur Folge hatte, dass die über Verfahrensdauerbeschwerden entscheidenden Gerichte nicht die gesamte Dauer des Verfahrens in Betracht zogen. 2013 revidierte der Oberste Gerichtshof seinen Ansatz. Bezugnehmend unter anderem auf das Urteil des EGMR im Fall Majewski/PL hielt er fest, dass in Verfahren betreffend Beschwerden über eine Verletzung des Rechts auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist der Verlauf des Verfahrens von seinem Beginn bis zu seinem Ende geprüft werden solle, wobei es keine Rolle spiele, auf welcher Verfahrensstufe Beschwerde unter dem »Gesetz 2004« eingelegt worden war.) hinsichtlich jener nach dem 18.11.2005 vertrat es die Meinung, dass das Verfahren ungeachtet gewisser vermeidbarer Verzögerungen noch mit angemessener Sorgfalt geführt worden wäre, folglich habe der ErstBf. kein Anrecht auf volle Entschädigung gehabt.

Im Fall des ZweitBf. ging es um eine Klage gegen seinen Vermieter wegen Nichtrückerstattung von Aufwendungen. Das Verfahren, das mehrere Male an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, dauerte mehr als elfeinhalb Jahre. Sein auf das »Gesetz 2004« gestützter Entschädigungsantrag wurde jedoch von den Gerichten mit dem Hinweis abgewiesen, der Fall sei überaus komplex gewesen und hätte die Beiholung von Expertengutachten aus drei unterschiedlichen Sachgebieten notwendig gemacht. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zogen die Gerichte lediglich die mit 28.3.2006 – dem Datum, an dem das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichts teilweise aufgehoben hatte – beginnende Zeitspanne heran.

Die DrittBf. hatte sich 2000 einem Zivilverfahren angeschlossen, bei dem es um die Frage ging, ob ein gewisser A. T. von ihr geerbte Vermögenswerte rechtmäßig ersessen hatte. Das Verfahren endete im Juni 2013 durch rechtskräftige Entscheidung des LG Danzig zu ihren Ungunsten. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zogen die Gerichte die Zeitspanne vor dem 17.9.2004 ebenfalls nicht heran. Der Antrag der DrittBf. auf Entschädigung unter dem »Gesetz 2004« wurde mit der Begründung abgewiesen, das Verfahren sei mit Rücksicht auf die nach diesem Datum verbleibende Zeitspanne nicht übermäßig lang gewesen, habe man doch die Teilnahme und rechtliche Vertretung von allen interessierten Parteien gewährleisten müssen.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten Verletzungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer) und von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz).

Verbindung der Beschwerden

(124) Der GH entscheidet, die vorliegenden Beschwerden [...] zu verbinden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK

Die Bf. beklagen sich darüber, dass die Dauer ihres Verfahrens unangemessen gewesen sei.

Zur Zulässigkeit

(131, 143, 153) Der vorliegende Beschwerdepunkt ist weder offensichtlich unbegründet [...] noch aus einem anderen Grund unzulässig. Er muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

In der Sache

(132) Die relevante Zeitspanne [im Hinblick auf den ErstBf.] begann am 18.9.2002 (Verhaftung des ErstBf.) und endete am 21.7.2010, dem Tag des Freispruchs. Sie betrug somit sieben Jahre und rund zehn Monate auf einer Gerichtsebene.

(137) Zwar war der Fall des ErstBf. angesichts der Vielzahl von angeklagten Personen überdurchschnittlich komplex [...], was jedoch die Gesamtlänge des Verfahrens nicht zu rechtfertigen vermag. [...]

(138) Von Dezember 2002 bis November 2005 war das BG Warschau praktisch untätig. [...] Ein Verhandlungsdatum wurde nicht fixiert [...], da den Angeklagten bis dahin eine Kopie der Anklageschrift nicht zugestellt worden war. Die Versäumnisse und Unzulänglichkeiten in der Vorbereitungsphase des Verfahrens dauerten an, nachdem der Fall einem anderen BG übertragen worden war. [...] Erst vier Jahre nach Erhebung der Anklage begann die Hauptverhandlung.

(139) Obwohl das Verfahren zwischen September 2006 und Juli 2007 langsam Fahrt aufnahm [...], wurden diese Erfolge nachfolgend [...] durch längere Verzögerungen etwa bei der Aktenübermittlung verspielt. [...] Wegen der langen Verzögerungen musste mit der Verhandlung im Juni 2008 von vorn begonnen werden. [...] Die im Verlauf der nächsten beiden Jahre durchgeführten 28 Verhandlungen [...] konnten jedoch die vorherigen Verzögerungen nicht mehr wettmachen.

(140) Der GH kommt daher zu dem Schluss, dass das Verfahren nicht mit der notwendigen Zügigkeit [...] geführt wurde. Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

(144) Die relevante Zeitspanne [im Hinblick auf den ZweitBf.] begann am 4.3.1999, als der ZweitBf. seine Schadenersatzklage einbrachte, und endete am 19.11.2010 – dem Tag, an dem das Gericht zweiter Instanz rechtskräftig über seine Sache absprach. Sie betrug somit elf Jahre und etwa achteinhalb Monate auf zwei Gerichtsebenen.

(147) Der GH akzeptiert das Vorbringen des ZweitBf., wonach sein Fall keine komplexen Sach- und Rechtsfragen aufwarf, auch wenn Beweiserhebungen in Form der Beauftragung von Experten aus drei unterschiedlichen Gebieten notwendig waren, um den Wert der von ihm gemachten Aufwendungen erfassen zu können. [...]

(150) Unter diesen Umständen vermag der GH keine ausreichende Rechtfertigung für die Verzögerungen [...] zu erkennen. Folglich hat eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK stattgefunden (einstimmig).

(154) Die relevante Zeitspanne [im Hinblick auf die DrittBf.] begann am 12.4.2000, als die DrittBf. erklärte, sich dem von A. T. angestrengten Zivilverfahren anschließen zu wollen, und endete am 18.6.2013 mit rechtskräftigem Urteil des LG Danzig als Gericht zweiter Instanz. Sie betrug somit dreizehn Jahre und rund zwei Monate auf zwei Gerichtsebenen.

(158) Der [...] Fall war nicht besonders komplex, unbeschadet der Tatsache, dass das Erstgericht neue Parteien vorladen musste, um sich dem Verfahren anschließen zu können. [...] Expertengutachten wurde keines in Auftrag gegeben. Es scheint auch nicht, dass Zeugen einvernommen worden wären.

(159) Unter diesen Umständen findet der GH keine plausible Erklärung für die Verzögerungen [...], vielmehr sind diese auf fehlende Sorgfalt seitens der nationalen Gerichte zurückzuführen. [...].

(160) Die Verzögerungen bei der Prüfung des Falls der DrittBf. sind daher dem belangten Staat anzulasten. Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK

Die Bf. beschweren sich über die mangelhafte Anwendung von »Gesetz 2004« auf ihre Fälle, da die Gerichte sich geweigert hätten, die exzessive Verfahrensdauer anzuerkennen und ihnen eine angemessene und ausreichend gerechte Entschädigung im Einklang mit den einschlägigen Standards des EGMR zu gewähren.

(163) Der GH ist der Meinung, dass sich das Vorbringen der Regierung, der vom »Gesetz 2004« vorgesehene Rechtsbehelf sei effektiv iSv. Art. 13 EMRK gewesen, direkt auf den Inhalt der Sache bezieht und auch in diesem Rahmen zu behandeln ist. Die Beschwerden sind weder offensichtlich unbegründet [...] noch aus einem anderen Grund unzulässig. Sie sind daher für zulässig zu erklären (einstimmig).

(176) Der GH hat bereits festgehalten, dass das von Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierte Recht der Bf. auf Verhandlung ihrer Sache innerhalb einer angemessener Frist nicht respektiert wurde. Es besteht somit kein Zweifel, dass ihre Beschwerden »vertretbar« iSv. Art. 13 EMRK sind und sie Anspruch auf ein Rechtsmittel hatten, welches ihnen angemessene Abhilfe für Konventionsverstöße durch die nationalen Behörden einschließlich einer immateriellen Entschädigung für die in ihren Fällen eingetretenen Verzögerungen verschaffen hätte müssen.

(177) [...] Nach Ansicht der Regierung hätten die vom »Gesetz 2004« zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe angemessene und ausreichende Abhilfe geboten. In diesem Zusammenhang verweist sie auf frühere in polnischen Fällen ergangene Urteile des GH, in denen dieser die Möglichkeit der Erhebung einer Verfahrensdauerbeschwerde hinsichtlich anhängiger Gerichtsverfahren sowie der Einbringung einer Zivilklage auf Entschädigung nach Abschluss des Verfahrens als »effektive Rechtsbehelfe« eingestuft habe. [...]

(178) Der GH hat die im »Gesetz 2004« vorgesehenen Rechtsbehelfe kurz nach dessen Einführung untersucht und sie als »effektiv« iSv. Art. 13 und Art. 35 Abs. 1 EMRK angesehen. [...] Ihm war zwar durchaus bewusst, dass sich zu diesem Zeitpunkt noch keine langanhaltende Praxis der innerstaatlichen Gerichte bezüglich der Anwendung dieses Gesetzes herausbilden konnte. Angesichts der besonderen Merkmale der relevanten Rechtsmittel, insbesondere der Tatsache, dass eine Verfahrensdauerbeschwerde auf die Beschleunigung des Verfahrens ausgerichtet und eine Entschädigung für bereits eingetretene zeitliche Verzögerungen vorgesehen war, hielt er es jedoch für gerechtfertigt, eine Beurteilung vor einer sich erst ergebenden Praxis vorzunehmen. Ein weiterer Faktor war der Beschluss des Obersten Gerichtshofs aus 2005 [...], wonach die Bestimmungen von »Gesetz 2004« rückwirkend auf zeitliche Verzögerungen vor seinem Inkrafttreten angewendet werden sollten, sofern diese noch anhalten würden.

(179) Im Lichte allerdings der Umstände des vorliegenden Falles und der Entwicklungen in der Praxis der polnischen Gerichte (einschließlich der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung von »Gesetz 2004«), die nach den obigen Grundsatzentscheidungen aus 2005 folgten, bestehen für den GH gute Gründe, seine damalige Position zur Effektivität von Beschwerden unter dem »Gesetz 2004«, was den kompensatorischen Aspekt betrifft, zu überdenken.

(180) Wie sich nämlich in den Fällen der Bf. zeigt, wurden beträchtliche zeitliche Verzögerungen, die für die Beurteilung eines von ihnen behaupteten Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK relevant waren, von den ihre Beschwerden behandelnden Gerichten nicht berücksichtigt. Im Widerspruch zur gefestigten Praxis des GH, was die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer angeht, prüften die nationalen Gerichte nicht die Gesamtlänge des Verfahrens, sondern nur ausgewählte Teile von ihnen. In den Fällen des Erst- und der DrittBf. ließen sie Zeiträume vor dem Inkrafttreten von »Gesetz 2004« außer Acht und untersuchten die Verfahrensdauer nur im Hinblick auf das Verfahren vor der aktuellen Gerichtsinstanz. Beim ZweitBf. beschränkte sich das Gericht zweiter Instanz auf dasjenige Gericht, vor dem das Hauptverfahren gerade anhängig war.

(181) Der von den polnischen Gerichten bei den Fällen der Bf. gewählte Ansatz scheint aber nicht, wie die Regierung vorgeben möchte, aus ihren speziellen Umständen zu resultieren. Es dürfte sich auch nicht um [...] bloße Einzelfallentscheidungen bei der Anwendung von »Gesetz 2004« handeln. Vielmehr spiegeln die umstrittenen Entscheidungen das vom Obersten Gerichtshof zwischen 2005 und 2012 angewendete Prinzip der »Fragmentierung des Verfahrens« wider. Letzterer legte die in § 5 Abs. 1 des »Gesetzes 2004« enthaltene Wendung »im Verlauf des Verfahrens in einem Fall« derart aus, dass die Prüfung einer Verfahrensdauerbeschwerde auf die Periode nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (außer vor diesem Datum eingetretene zeitliche Verzögerungen dauerten noch an) und auf jene Instanz beschränkt wurde, die sich mit dem Fall gerade auseinander setzte, unbeschadet dessen, dass dieser bereits vor früheren Gerichtsinstanzen anhängig gewesen war. Dies dauerte bis zum Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 20.3.2013 an, in dem er [...] Rückgriff auf eine neue Auslegung dieses Gesetzes im Einklang mit dem einschlägigen Fallrecht des EGMR [...] nahm. Die »Fragmentierung des Verfahrens« musste daher unweigerlich entscheidende Auswirkungen auf das Ergebnis der vor den Gerichten geltend gemachten Entschädigungsansprüchen der Bf. haben, die entweder zur Gänze als ungerechtfertigt zurückgewiesen wurden oder denen – wie im Fall des ErstBf. – nur teilweise stattgegeben wurde.

(182) [...] Gemäß den im Fall Scordino/I (Nr. 1) entwickelten Standards betreffend eine angemessene und ausreichende Abhilfe für die Verletzung des Rechts auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist [...] kann ein Staat, der wie Polen einen Rechtsbelf oder Rechtsbehelfe eingeführt hat, mit denen sowohl eine Verfahrensbeschleunigung erreicht als auch eine Entschädigung gewährt werden soll, geringere Beträge als die vom GH zugesprochenen festsetzen, vorausgesetzt sie sind nicht unverhältnismäßig niedrig im Vergleich zu von ihm in ähnlichen Fällen gewährten Entschädigungen. In dieser Hinsicht hat der GH akzeptiert, dass es ungeachtet der Tatsache, dass üblicherweise eine starke – wenngleich widerlegbare – Vermutung zugunsten eines eingetretenen immateriellen Schadens im Fall von exzessiver Verfahrensdauer existiert, Situationen geben kann, in denen kein solcher Schaden oder nur ein geringer Schaden festgemacht werden kann – beispielsweise, wenn das Verhalten des Bf. vollständig oder teilweise zur Verschleppung des Verfahrens geführt hat oder wenn die zeitlichen Verzögerungen von Umständen herbeigeführt wurden, die außerhalb der Verantwortung der Behörden lagen.

(183) Im vorliegenden Fall vermag der GH keinerlei Anzeichen ausfindig zu machen, wonach die Bf. zu den zeitlichen Verzögerungen grob fahrlässig oder »schuldhaft« beigetragen hätten. Vielmehr liegt die Verantwortung für die exzessiven Verfahrenslängen ausschließlich bei den nationalen Behörden. Die Klagen des Zweit- und der DrittBf. auf Gewährung einer Entschädigung wurden von den Gerichten als ungerechtfertigt abgewiesen, obwohl das Verfahren in beiden Fällen bereits jeweils rund elf Jahre gedauert hatte. Im Einklang mit seinem einschlägigen Fallrecht [...] hätten derart beträchtliche Verzögerungen von den polnischen Gerichten mit dem Zuspruch von immateriellem Schaden in der Höhe von jeweils PLN 11.000,– (ca. € 2.598,–) vergolten werden müssen. Dem ErstBf. wurde die gesetzliche Mindestentschädigung von PLN 2.000,– zugesprochen, was 5,5?% von dem entspricht, was der GH wegen Nichtexistenz eines innerstaatlichen Rechtsbehelfs zugesprochen hätte. Dieser Betrag ist lediglich ein Bruchteil der Summe von PLN 12.300,– (ca. € 2.905,–), die dem ErstBf. zum damaligen Zeitpunkt von Seiten der nationalen Gerichte gewährt hätte werden müssen. [...] Angesichts des Vorgesagten findet der GH, dass eine Beschwerde unter dem »Gesetz 2004« den Bf. keine angemessene und ausreichende Abhilfe verschaffte, was eine adäquate Entschädigung für exzessive Verfahrensdauer [im Lichte der Scordino-Kriterien] in ihren Fällen anbelangt.

(185) Der GH möchte noch das von der Regierung vorgebrachte Argument behandeln, nämlich dass die Bf. nach Beendigung ihrer Verfahren noch eine zusätzliche Entschädigung im Wege der Einbringung einer separaten Schadenersatzklage gegen den Staat (§§ 15 und 16 »Gesetz 2004«) beanspruchen hätten können. Er hält dieses Vorbringen jedoch nicht für überzeugend. Wie die Bf. hervorgehoben haben, beschränkt sich der Hauptangriffspunkt ihrer Beschwerden auf die Ineffektivität des grundlegenden kompensatorischen Rechtsbehelfs unter dem »Gesetz 2004«, der einer Verfahrenspartei nicht nur die Beschleunigung des Verfahrens, sondern ihr auch Ersatz für immateriellen Schaden aufgrund der exzessiven Verfahrensdauer verschaffen soll. [...] Von betroffenen Individuen zu erwarten, dass sie Rückgriff auf einen anderen Rechtsbehelf zwecks Erhalt einer Entschädigung für immateriellen Schaden nehmen, falls sich der Hauptrechtsbehelf als mangelhaft erwiesen hat, würde Opfern von unangemessenen Verzögerungen eine ungerechtfertigte und exzessive Last aufbürden. Erwähnenswert ist, dass die von der Regierung angeführte Klage vom GH zwar als effektiv eingestuft worden ist (vgl. Krasuski/PL), jedoch handelte es sich hierbei um eine völlig andere faktische und rechtliche Situation, in der eine Beschwerde unter dem »Gesetz 2004« für den Bf. nicht verfügbar war. Die Verfügbarkeit eines anderen ex post facto-Rechtsbehelfs zu einem späteren Zeitpunkt vermag daher an der Schlussfolgerung des GH nichts zu ändern, wonach es der polnische Staat verabsäumt hat, im vorliegenden Fall ein ausreichendes Entschädigungsniveau für immateriellen Schaden wegen unangemessener Verfahrensdauer zu gewährleisten.

(186) Folglich hat eine Verletzung von Art. 13 EMRK stattgefunden (einstimmig).

Zur Anwendung von Art. 46 EMRK

Ist das Piloturteilsverfahren auf den vorliegenden Fall anwendbar?

(203) [...] Nun verhält es sich beim gegenständlichen Fall so, dass der polnische Staat bereits allgemeine Maßnahmen gegen die exzessive Dauer von Gerichtsverfahren in Umsetzung des Urteils Kudla/PL eingeführt hat. Der danach einsetzende Strom an Beschwerden in Straßburg wegen Verletzung des Rechts auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist hat jedoch Mängel in der Handhabung dieses Rechtsbehelfs offengelegt.

(204) Seit der Einführung von »Gesetz 2004« in Polen hat der GH 280 Urteile wegen Missachtung des Gebots einer angemessenen Verfahrensdauer in Fällen gefällt, in denen die Bf. erfolglos versucht hatten, eine gerichtliche Anerkennung einer Verletzung und eine immaterielle Entschädigung dafür zu erlangen. In 358 ähnlichen Fällen wurde besagter Verstoß ausdrücklich oder dem Wesen nach von der polnischen Regierung anerkannt [...].

Zum Umsetzungsstand ist zu sagen, dass gegenwärtig, also beinahe elf Jahre nach Inkrafttreten von »Gesetz 2004«, über 300 polnische Verfahrensdauerfälle vor dem Ministerkomitee anhängig sind. [...]

Seit dem Inkrafttreten obigen Gesetzes [...] zeigte sich ein wachsender und konstanter Zustrom von polnischen Verfahrensdauerfällen auf der Beschwerdeliste des GH, 2014 wurden allein 144 Fälle registriert. Zum Zeitpunkt der Fällung des vorliegenden Urteils waren 650 Beschwerden [...] über die übermäßige Dauer von Zivil- und Strafverfahren anhängig.

(205) Ein ähnlicher Trend scheint sich beim belangten Staat entwickelt zu haben. Das von den Parteien übermittelte statistische Material bestätigt einen kontinuierlichen Anstieg, was die Zahl der zwischen 2006 und 2012 eingebrachten Beschwerden unter dem »Gesetz 2004« anbelangt: im Jahr 2006 waren es mehr als 2.600, im Jahr 2012 waren es über 8.600, allein 12.532 waren es im Jahr 2013. [...]

(206) In vorherigen Urteilen hat der GH bereits die positiven Auswirkungen der Verabschiedung von »Gesetz 2004« anerkannt. Er nimmt auch zur Kenntnis, dass die Gesetzesänderungen aus 2009 gewisse Mängel bei der Anwendung von »Gesetz 2004« beseitigt haben. Mit Rücksicht auf das Problem der exzessiven Dauer von Gerichtsverfahren in Polen im beschriebenen Ausmaß [...] findet der GH jedoch, dass die beanstandete Situation als mit der Konvention unvereinbare Praxis eingestuft werden muss. Er hält es daher für gerechtfertigt, wegen Vorliegens eines »systemischen Problems [...]« (vgl. § 61 Abs. 1 VerfO) das Piloturteilsverfahren anzuwenden.

Zur mit der EMRK unvereinbaren Praxis: welche Maßnahmen sollten ergriffen werden?

Betreffend Art. 6 Abs. 1 EMRK

(207) In seinen einschlägigen Urteilen hat der GH betont, dass die unangemessene Verfahrenslänge in einem Staat ein Problem mit vielen Facetten ist, welches durch eine Reihe von rechtlichen, administrativen oder logistischen Faktoren verursacht werden kann. Bei diesen Faktoren handelt es sich häufig um eine ungenügende Zahl von Richtern oder Verwaltungskörpern, schlecht ausgestattete Gerichtsgebäude, allzu komplexe oder beschwerliche Gerichtsverfahren, prozessuale Schlupflöcher, welche ungerechtfertigte Vertagungen ermöglichen, [...] oder – wie sich bei den Fakten im vorliegenden Fall zeigt – verspätete Übermittlung von Gutachten durch Sachverständige, Unzulänglichkeiten beim Sammeln von Sachverständigenbeweisen, schlechtes »Fallmanagement« und inadäquate Organisation des Verfahrens, wie etwa mangelhafter Prozessbetrieb, lange Abstände zwischen den Verhandlungen und wiederholte Zurückverweisung von Fällen an das Erstgericht. Die Komplexität des Problems, dass oft auch noch durch »nationale Umstände« wie Budgetzwänge verstärkt wird, gestattet nicht die Vorschreibung einer oder sogar mehrerer spezifischer Notmaßnahmen. Folglich erfordert das im vorliegenden Fall identifizierte systemische Problem vom belangten Staat die Umsetzung umfassender gesetzgeberischer und administrativer Maßnahmen in großem Rahmen und auf mehreren Behördenebenen. Der GH möchte jedoch von der Anzeige von zu ergreifenden detaillierten Maßnahmen zur Überwindung dieses Problems Abstand nehmen. Das Ministerkomitee ist nämlich im Verlauf der anstehenden Umsetzung des vorliegenden Urteils in einer besseren Lage bzw. besser ausgerüstet, um die von Polen in dieser Hinsicht umzusetzenden Maßnahmen zu überwachen.

(208) In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass [...] der polnische Staat die Notwendigkeit der Ergreifung von Maßnahmen zur Beschleunigung und Modernisierung von nationalen Gerichtsverfahren anerkannt hat. Wie das Ministerkomitee in seiner Bewertung des von der polnischen Regierung ins Leben gerufenen Aktionsplans 2013 hervorhebt, haben diese Maßnahmen folgende drei Hauptziele: erstens die Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren, zweitens die Übertragung von manchen Richteraufgaben auf gerichtliche Beamte (die nicht Richter sind) und drittens Einschränkung der Gerichtszuständigkeit im Wege der Verweisung gewisser gewöhnlich von Gerichten behandelter Fälle an andere Rechtsberufe, zum Beispiel öffentliche Notare (wenn sich eine solche Vorgangsweise als geeignet erweisen sollte). Die getroffenen Organisationsmaßnahmen sind unter anderem folgende: Überwachung der administrativen Tätigkeiten der Gerichte durch das Justizministerium, anhaltende Computerisierung und Anhebung des Richterpersonals sowie des Gerichtsbudgets.

(209) Der GH begrüßt diese Entwicklungen. Wie die Fakten des vorliegenden Falls jedoch zeigen, muss Polen angesichts des Ausmaßes und der Komplexität des Problems exzessiver Verfahrensdauerverfahren weiterhin kontinuierliche und längerfristige Anstrengungen unternehmen, damit die nationalen Gerichte dem Erfordernis der in Art. 6 Abs. 1 EMRK festgelegten angemessenen Verfahrensdauer Rechnung tragen können.

Betreffend Art. 13 EMRK

(213) Die von den polnischen Gerichten gehandhabte Praxis der »Fragmentierung des Verfahrens« wurde vom GH [...] bereits in einer frühen Phase der Ausführung von

»Gesetz 2004« als mit Art. 6 Abs. 1 EMRK unvereinbar erachtet (vgl. Majewski/PL). [...] Im Lichte dieses Urteils musste es den innerstaatlichen Behörden somit bewusst sein, dass ein mit einer Beschwerde unter dem »Gesetz 2004« befasstes Gericht die Gesamtheit des Verfahrens auf all seinen Ebenen in Betracht hätte ziehen müssen.

(215) Nach Ansicht des GH war diese Praxis eine der Hauptursachen für die mangelhafte Handhabung von Beschwerden unter dem »Gesetz 2004« in den folgenden Jahren. [...]

(216) Es nahm dann noch rund zehn Jahre in Anspruch, bevor der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 28.3.2013 entschied, dass das Prinzip der »Fragmentierung des Verfahrens« im Lichte der in der Konvention niedergelegten Standards keine Basis mehr habe. [...] Die Schlussfolgerungen des Obersten Gerichtshofs stimmen mit jenen des GH im vorliegenden Fall im Hinblick auf eine Verletzung von Art. 13 EMRK gemachten überein. [...]

(217) [...] Hauptziel der vorliegenden Beschwerden und weiterer 650 vergleichbarer Fälle ist das Erlangen einer gerechten Entschädigung durch den GH wegen Verletzung des Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer, da die Bf. eine solche von den nationalen Gerichten nicht erlangen konnten. Unmittelbare Ursache für diese Situation ist die unzureichende Entschädigung für unangemessene Verfahrensverzögerungen auf nationaler Ebene. [...] Der vorliegende Fall und zahlreiche im Anhang zu diesem Urteil aufgelisteten Fälle zeigen auf, dass die Höhe der von den polnischen Behörden zugesprochenen Entschädigung weit unter der Bemessungsgrundlage liegt, die der GH in seinem Scordino-Urteil für Opfer festgelegt hat. [...]

(219) Dies hat zur Folge, dass der GH – ungeachtet der Einführung eines innerstaatlichen Rechtsbehelfs durch Polen, mit der eine »angemessene gerechte Entschädigung« für die unangemessene Dauer von Gerichtsverfahren gewährt werden sollte – nach wie vor gezwungen ist, stellvertretend für die nationalen Gerichte einzuspringen und sich mit hunderten Wiederholungsfällen abmühen muss, wobei seine einzige Aufgabe darin besteht, Entschädigungen zuzusprechen, die bereits auf innerstaatlicher Ebene unter Zuhilfenahme eines Rechtsbehelfs erlangt hätten werden können. Diese in Polen bereits mehrere Jahre anhaltende Situation ist nicht nur mit Art. 13 EMRK unvereinbar, sondern hat die vom GH und den nationalen Gerichten im Konventionssystem zu spielende Rolle praktisch umgekehrt. [...]

(220) Hauptsorge des polnischen Staates bei der Umsetzung dieses Urteils wird es daher sein, dafür Sorge zu tragen, dass eine Beschwerde unter dem »Gesetz 2004« unter seinem kompensatorischen Aspekt nicht nur gesetzlich verfügbar, sondern auch in der Praxis voll effektiv sein wird. Die Regierung beharrt darauf, dass dieses Ziel mit der behördlichen Identifizierung von Mängeln bei der Anwendung von »Gesetz 2004« durch die Gerichte und dem anstehenden Umsetzungsprozess von verschiedenen rechtlichen Reformen und anderen Maßnahmen bereits erreicht worden wäre. In diesem Zusammenhang verweist sie auf die Bedeutung des obigen Beschlusses des Obersten Gerichtshofs, womit dieser der ehemals konventionswidrigen Praxis [...] ein Ende gesetzt habe. [...]

Der GH akzeptiert, dass der Beschluss aus 2013 als wichtige Maßnahme zur Korrektur der mangelhaften gerichtlichen Praxis und zur Befolgung der relevanten Konventionsstandards durch die polnischen Gerichte angesehen werden kann. Er kann jedoch als solcher nicht genügen, um der hier identifizierten systemischen Situation ein Ende zu bereiten, ist doch keineswegs erwiesen, dass ihn die Unterinstanzen in die Praxis umgesetzt haben. Ganz im Gegenteil zeigen die Entwicklungen in der Arbeitslast des GH der Jahre 2013 und 2014 einen erhöhten Anstieg von Wiederholungsfällen betreffend Verfahrensdauer und ungenügende gerechte Entschädigung auf nationaler Ebene auf. Ferner vermag obiger Beschluss auch nicht die Probleme der Vergangenheit zu bewältigen, wie sie in hunderten vor dem GH anhängigen Fällen aufgeworfen wurden.

(221) Angesichts des Vorgesagten sollte der belangte Staat daher zuerst einmal im Wege geeigneter allgemeiner Maßnahmen die effektive Umsetzung des Beschlusses aus 2013 durch mit Beschwerden unter dem »Gesetz 2004« befasste Gerichte gewährleisten und dafür sorgen, dass den Konventionsstandards bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einschließlich des Zuspruchs einer angemessenen und ausreichenden Wiedergutmachung für Opfer einer Verletzung des Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer Rechnung getragen wird.

(222) [...] Der nationale Umsetzungsprozess [...] erfordert eine Reihe von zu ergreifenden Schritten und wirft Probleme auf, welche die in Art. 19 EMRK festgelegten Funktionen des GH überschreiten. Er wird sich daher der Anzeige von spezifischen Maßnahmen durch den polnischen Staat und der Festsetzung einer Frist für deren Ausführung enthalten und diese Angelegenheit dem hierfür besser ausgestatteten Ministerkomitee [...] überlassen.

Wie soll bei ähnlichen Fällen vorgegangen werden?

(223) Dem vorliegenden Urteil ist eine Liste von weiteren 591 ähnlichen Beschwerden beigefügt [...].

(226) [...] Eingedenk der Tatsache, dass eines der wesentlichen Merkmale des Piloturteilsverfahrens seine Flexibilität ist [...], ist der GH der Ansicht, dass im vorliegenden Fall die effizienteste verfahrensrechtliche Lösung jene ist, die Regierung über alle bei ihm anhängigen neuen Beschwerden, welche die überlange Dauer von Gerichtsverfahren zum Gegenstand haben, im Rahmen des gegenständlichen Piloturteilsverfahrens zu unterrichten. Die signifikante Zahl derartiger anhängiger Fälle [...] und ihr stetiger Anstieg erfordert eine globale und schnelle Reaktion. [...] Der GH entscheidet daher, dass die im Anhang dieses Urteils aufgelisteten Urteile der polnischen Regierung gemäß Art. 54 Abs. 2 lit. b VerfO unverzüglich übermittelt werden sollen.

(227) [...] Der GH hält es für notwendig, der belangten Regierung eine Frist von zwei Jahren einzuräumen, innerhalb der die übermittelten Beschwerden bearbeitet werden sollen und allen Opfern, welche Beschwerde beim GH vor der Fällung des vorliegenden Urteils eingelegt haben, Wiedergutmachung geleistet werden soll. Eine solche könnte durch ad hoc-Lösungen wie etwa eine gütliche Einigung [...] erreicht werden.

(228) Bis zur Umsetzung von Wiedergutmachungsmaßnahmen wird der GH das Beschwerdeverfahren in all solchen Fällen für zwei Jahre aussetzen, beginnend mit dem Datum, an dem dieses Urteil in Rechtskraft erwächst. [...]

(229) Was die Einbringung zukünftiger Fälle nach Erlass des vorliegenden Urteils angeht, beschließt der GH die Aussetzung des Beschwerdeverfahrens für die Dauer von einem Jahr, gerechnet ab sofort. Nach Ablauf dieser Frist wird er über die weitere Vorgehensweise im Lichte der nachfolgenden Entwicklungen und der von Polen in Umsetzung dieses Urteils getroffenen Maßnahmen und Lösungen [...] (vgl. Rn. 227-228) entscheiden.

Entschädigung nach Art. 41 EMRK

€ 9.200,– abzüglich PLN 2.000,– (circa € 500,–) an den ErstBf., € 8.800,– an den ZweitBf. und € 10.000,– an die DrittBf. für immateriellen Schaden; jeweils € 750,– an den Erst- und den ZweitBf. sowie € 180,– an die DrittBf. für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Kudla/PL v. 26.10.2000 (GK) = NL 2000, 219 = ÖJZ 2001, 908 = EuGRZ 2004, 484

Krasuski/PL v. 14.6.2005

Majewski/PL v. 11.10.2005

Scordino/I (Nr. 1) v. 29.3.2006 (GK) = NL 2006, 83 = ÖJZ 2007, 382

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 7.7.2015, Bsw. 72287/10, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2015, 350) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/15_4/Rutkowski.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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