JudikaturJustizBsw37328/97

Bsw37328/97 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 2002

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer II, Beschwerdesache A. B. gegen die Niederlande, Urteil vom 29.1.2002, Bsw. 37328/97.

Spruch

Art. 8 EMRK, Art. 13 EMRK - Haftbedingungen auf den niederländischen Antillen.

Verletzung von Art. 8 EMRK hinsichtlich der Beschränkungen des Briefverkehrs zwischen dem Bf. und der EKMR bzw. seinem Rechtsvertreter (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK hinsichtlich der Beschränkungen des Brief- und Telefonverkehrs mit sonstigen Personen (einstimmig). Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: EUR 3.500,- für immateriellen Schaden (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. ist brit. Staatsangehöriger. Er wurde von den Justizbehörden der niederländ. Antillen wegen Veruntreuung und Urkundenfälschung gesucht und schließlich am 8.5.1996 in New York festgenommen. Er wurde am 30.5.1996 an die niederländ. Antillen ausgeliefert und in das Gefangenenhaus Pointe Blanche auf der Insel St. Maarten überstellt. Am 7.10.1997 wurde er schließlich vom Gemeinsamen Gerichtshof für die niederländ. Antillen und Aruba in letzter Instanz zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Der Bf. rügt die Haftbedingungen in Pointe Blanche: Er behauptet, dass Haftinsassen 21 Stunden am Tag ohne irgendeine Beschäftigung in ihrer Zelle eingesperrt waren, und dass es erst nach zehn Tagen Haft möglich war, für den darauffolgenden Samstag höchstens vier Blatt Papier und vier Umschläge zu beantragen. Darüber hinaus gab es keine Möglichkeit zu telefonieren, außer bereits im Vorhinein angekündigte von außen kommende Telefonate, die nicht länger als 15 Minuten dauern durften. Außerdem beklagt er, dass seine Korrespondenz ua. mit seinen Rechtsvertretern (darunter ein ehemaliger Insasse von Pointe Blanche, Herr Gebhardt) und der EKMR von der Gefängnisverwaltung geöffnet und gelesen wurde und es ihm wegen der sehr restriktiven Bestimmungen hinsichtlich der Kommunikation unmöglich war, seine Beziehungen zur Außenwelt aufrechtzuerhalten.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Briefverkehrs) und von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK:

a.) Eingriff in den Briefverkehr des Bf. mit der EKMR:

Unbestritten ist, dass ein Eingriff stattfand und dieser auch gesetzlich vorgesehen war. Hinsichtlich des legitimen Zwecks bzw. der Notwendigkeit des Eingriffs konnten jedoch keine Gründe vorgebracht werden, die die Kontrolle des Briefverkehrs mit einem Konventionsorgan gerechtfertigt hätten. Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

b.) Eingriff in den Briefverkehr des Bf. mit Herrn Gebhardt:

Ebenfalls unbestritten ist der Eingriff in den Briefverkehr mit Herrn Gebhardt. Herr Gebhardt war ein früherer Gefängnisinsasse in Point Blanche und daher den Behörden bekannt. Es steht auch außer Frage, das dieser kein zugelassener Rechtsanwalt war und dass gemäß den einschlägigen Bestimmungen Häftlinge nicht mit früheren Insassen korrespondieren durften.

Weder die EMRK noch die Verfahrensordnung der damaligen EKMR verlangten, dass die Vertreter der Bf. unbedingt praktizierende Anwälte zu sein hätten. Außerdem legte die Reg. keine Erklärungen vor, warum ein generelles Kontaktverbot zwischen ehemaligen und momentanen Haftinsassen nach Art. 8 (2) EMRK gerechtfertigt sein soll. Obwohl es notwendig sein kann, solche Post zu überprüfen, können für ein völliges Verbot keine Gründe nach Art. 8 (2) EMRK gefunden werden. Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig). c.) Eingriff in den Briefverkehr des Bf. mit anderen Personen:

Diese Eingriffe konnten nicht nachgewiesen werden. Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

d.) Kommunikationseinrichtungen im Gefangenenhaus:

Hinsichtlich der beschränkten Kommunikationsmöglichkeiten mit Personen außerhalb des Gefangenenhauses wird vom GH die Wichtigkeit berücksichtigt, den Kontakt mit der Familie und Freunden aufrechtzuerhalten. Gemäß der damals in Kraft gewesenen Gefangenenhausordnung waren die Insassen berechtigt, zwei oder drei Briefe pro Woche abzusenden, jedoch jederzeit Briefe zu empfangen. Die Kosten des Schreibmaterials und Postversands wurden von der Gefängnisverwaltung getragen. Unter diesen Umständen kann der GH keine willkürliche oder unsachliche Beschränkung der Möglichkeiten des Bf. erkennen, den brieflichen Kontakt mit der Außenwelt aufrecht zu erhalten.

Was die telefonischen Einrichtungen betrifft, wird festgehalten, dass Art. 8 EMRK Häftlingen kein Recht auf Telefonate garantiert, va. dann, wenn Möglichkeiten des brieflichen Kontakts verfügbar und adäquat sind. Wenn, wie im vorliegenden Fall, von der Gefängnisverwaltung telefonische Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, können diese legitimen Beschränkungen unterworfen werden. Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK:

Der Bf. hatte eine begründete Bsw. hinsichtlich seiner aus Art. 8 EMRK erfließenden Rechte. Darüber hinaus sind auch noch die allgemeinen Haftbedingungen auf den niederländ. Antillen, deren Verbesserung schon in einigen offiziellen Berichten (ua. CPT) eingemahnt wurde, im Hinblick auf seine Rechte nach Art. 3 EMRK zu berücksichtigen.

Wegen der mangelnden adäquaten Befolgung gerichtlicher Anordnungen durch die Behörden, die inakzeptablen Mängel der Hafteinrichtungen zu beheben, sowie der fehlenden Implementierung der Empfehlungen des CPT, stellt der GH fest, dass dem Bf. kein wirksames Rechtsmittel vor einer nationalen Instanz zur Verfügung stand. Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:

EUR 3.500,-- für immateriellen Schaden (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Peers/GR v. 19.4.2001 (= NL 2001, 108).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 29.1.2002, Bsw. 37328/97, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2002, 17) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/02_1/A.B..pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.