JudikaturJustizBsw19255/92

Bsw19255/92 – AUSL EKMR Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 1995

Kopf

Europäische Kommission für Menschenrechte, Plenum, Beschwerdesache Gerhard Oberschlick gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidungen vom 16.5.1995, Bsw. 19255/92, 21655/93, 23727/94 und 23728/94.

Spruch

Art. 10 EMRK, Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK, Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK, Art. 53 EMRK - Innerstaatliche Umsetzung von Urteilen des EGMR.

Unzulässigkeit der Beschwerden 19255/92, 21655/92 und 23727/94 (mehrheitlich).

Unzulässigkeit der Beschwerden 23728/94 (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. ist Journalist und Herausgeber der Zeitschrift "Forum" und seit 1986 deren Eigentümer und Verleger. Im Jahr 1983 bezichtigte er den freiheitlichen Politiker Grabher-Meyer der nationalsozialistischen Wiederbetätigung und reproduzierte eine entsprechende Strafanzeige (wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz) in seiner Zeitschrift. Er wurde hierauf wegen übler Nachrede (§ 111 StGB) rechtskräftig verurteilt, weiters wurde die Einziehung der betreffenden Ausgabe der Zeitschrift angeordnet. Mit seiner Beschwerde in Straßburg war er jedoch erfolgreich: Österreich wurde vom EGMR am 23.5.1991 wegen Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 10 EMRK) verurteilt (A/204); außerdem wurde eine Verletzung des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren (Art. 6 (1) EMRK) festgestellt.

Im Gefolge des Straßburger Urteils erhob der Generalprokurator Wahrungsbeschwerde (Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes) gegen die strafgerichtliche Verurteilung des Bf. Dieser war jedoch kein Erfolg beschieden, da der OGH der Auffassung des Straßburger Gerichtshofs im Fall nicht folgen wollte. Die Verurteilung sei im damaligen Zeitpunkt rechtskräftig erfolgt. Die Wahrungsbeschwerde sei kein geeignetes Mittel, um eine Anpassung an spätere Gesetze oder Wertungsänderungen herbeizuführen. Es wurde weder dem Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens noch dem auf Veröffentlichung einer Mitteilung über den Ausgang des Strafverfahrens, deren Kosten vom Bund getragen werden (§ 39 (2) Mediengesetz MedG), stattgegeben. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos.t zu hinterfragen wären) und die konkrete Beurteilung den nationalen Gerichten überließ.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

In den vorliegenden vier Beschwerden (19255/92, 21655/93, 23727/94 und 23728/94) behauptet der Bf. insb. folgende Konventionsverletzungen:

Österreich habe seine Verpflichtungen aus dem Urteil des GH vom 23.5.1991 (A/204) nicht erfüllt (Art. 53 EMRK): Weder die Verurteilung noch die Einziehung wurden aufgehoben (Bsw. 19255/92 und 21655/93), ebenso wenig wurde dem Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens stattgegeben (Bsw. 23727/94).

Die Kms. weist darauf hin, dass gemäß Art. 54 EMRK allein das Ministerkomitee zur Überwachung der Durchführung der Urteile zuständig ist (vgl. EKMR, Bsw. 10243/83, Entsch. v. 6.3.85, DR 41, 129; EKMR, Bsw. 19438/92, Entsch. v. 29.3.93). Somit liegt für diesen Beschwerdepunkt Unvereinbarkeit ratione materiae mit den Bestimmungen der Konvention vor (Art. 27 (2) EMRK).

Zur Verletzung von Art. 10 EMRK (Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung): Der Bf. behauptet eine erneute Verletzung seiner Meinungsäußerungsfreiheit, da der OGH die Verurteilung wegen übler Nachrede aufrecht erhalten hat, obwohl der GH dies als konventionswidrig erklärte hatte.

Die Kms. stellt fest, die Rechtsstellung des Bf. sei durch die Entscheidung des OGH nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt worden, das zu einem erneuten Eingriff in das von Art. 10 EMRK geschützte Recht führen könnte. Dieser Teil der Beschwerde ist somit unbegründet iSv. Art. 27 (2) EMRK.

Zur Verletzung von Art. 1 1.ZP EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums):

a) Der Bf. behauptet eine Verletzung seines Rechts auf Achtung des Eigentums, da der OGH die Aufhebung der Einziehung der betreffenden Ausgabe der Zeitschrift verweigert hat, obwohl diese seit dem Urteil des GH nicht mehr gerechtfertigt gewesen sei (Bsw. 192555/92 und 21655/93).

Die Kms. stellt fest, die Einziehung erfolgte im Jahr 1984, der Bf. ist jedoch erst seit 1986 Eigentümer dieser Zeitschrift - ein Eingriff in sein Recht auf Achtung des Eigentums liegt daher nicht vor, der Beschwerdepunkt ist somit unbegründet iSv. Art. 27 (2) EMRK.

b) Seinem Antrag auf Veröffentlichung einer Mitteilung über den Ausgang des Strafverfahrens (§ 39 (2) MedG) auf Kosten des Bundes wurde nicht stattgegeben, der Bf. hätte die Kosten somit selber tragen müssen - darauf stützt der Bf. seine behauptete Verletzung (Beschw. 23728/94).

Die Kms. verneint einen Eingriff in das von Art. 1 1.ZP EMRK geschützte Recht, der Beschwerdepunkt ist wegen Unvereinbarkeit ratione materiae mit dem Bestimmungen der Konvention zurückzuweisen (Art. 27 (2) EMRK).

Zur Verletzung von Art. 6 (1), (3) (b) und (c) EMRK (Recht auf ein faires Verfahren):

a) Der Bf. behauptet, das Verfahren vor dem OGH betreffend die Wahrungsbeschwerde sei in vielfacher Hinsicht unfair gewesen (Beschw. 19255/92 und 21655/93).

Die Kms. wiederholt, dass Art. 6 EMRK auf die Wiedereröffnung eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens nicht anwendbar ist, da ein solches keine strafrechtliche Anklage iSd. Konvention zum Gegenstand hat (vgl. EKMR, Bsw. 7761/77, Entsch. v. 8.5.1978, DR 14, 171). Dies trifft für den ggst. Fall zu, somit findet Art. 6 EMRK keine Anwendung. Auch dieser Teil der Bsw. ist wegen Unvereinbarkeit ratione materiae mit den Bestimmungen der Konvention zurückzuweisen (Art. 27 (2) EMRK).

b) Der Bf. rügt weiters die Dauer des Strafverfahrens: Es sei insofern noch nicht abgeschlossen, als noch keine Entscheidung eines richtig zusammengesetzten Berufungsgerichtes vorliege (Bsw. 19255/92 und 21655/93).

Nach Ansicht der Kms. ist das Strafverfahren wegen übler Nachrede seit der Entscheidung des Berufungsgerichts im Jahr 1984 beendet, die Beschwerdefrist gemäß Art. 26 EMRK überschritten und die Beschwerde gemäß Art. 27 (3) EMRK zurückzuweisen.

c) Der Bf. rügt weiters, die Entscheidung über seinen Wiederaufnahmeantrag wäre nicht in angemessener Zeit erfolgt (Bsw. 23727/94). Dieses Verfahren beinhaltet keine strafrechtlichen Anklagen gegen den Bf., Art. 6 EMRK ist nicht anzuwenden, der Beschwerdepunkt gemäß Art. 27 (2) EMRK zurückzuweisen.

d) Ferner rügt er das Verfahren betreffend den Antrag gemäß § 39 (2) MedG (Veröffentlichung des Ergebnisses aus dem Strafverfahren) (Bsw. 23728/94).

Die Kms. stellt fest, auch hier liege keine strafrechtliche Anklage vor. Zu prüfen ist, ob das Verfahren Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen betrifft. Art. 6 EMRK ist nur auf Streitfälle über Ansprüche und Verpflichtungen anwendbar, die von der nationalen Rechtsordnung in irgendeiner Weise anerkannt werden. Angelegenheiten, die Anlass für gerichtliche Entscheidungen sind, müssen authentisch und schwerwiegend sein (vgl. Urteil Benthem/NL, A/97 § 32). Dem Bf. gelang es im ggst. Fall nicht, vor den Konventionsorganen vertretbare Argumente für seinen Antrag auf Veröffentlichung darzulegen. Die Streitsache betrifft keinen Anspruch iSv. Art. 6 (1) EMRK, dieser Teil der Beschwerde muss somit wegen Unvereinbarkeit ratione materiae mit den Bestimmungen der Konvention zurückgewiesen werden (Art. 27 (2) EMRK).

Zusammenfassung:

Die Beschwerden 19255/92 und 21655/92 wurden gemeinsam behandelt und - ebenso wie die Beschwerde 23727/94 mehrheitlich für unzulässig erklärt, die Beschwerde 23728/94 wurde einstimmig für unzulässig erklärt.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidungen der EKMR vom 16.5.1995, Bsw. 19255/92, 21655/93, 23727/94 und 23728/94 entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1995,141) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidungen im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/95_4/Oberschlick v A_ZE.pdf

www.menschenrechte.ac.at/orig/95_4/Oberschlick_b_v A_ZE.pdf

www.menschenrechte.ac.at/orig/95_4/Oberschlick_c_v A_ZE.pdf

Die Originale der Zulässigkeitsentscheidungen sind auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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