JudikaturJustizBsw15346/89

Bsw15346/89 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
28. September 1995

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer, Beschwerdesache Masson und van Zon gegen die Niederlande, Urteil vom 28.9.1995, Bsw. 15346/89 und 15379/89.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK - Abweisung von Anträgen auf Haftentschädigung nach nichtöffentlicher Verhandlung.

Art. 6 Abs. 1 nicht anwendbar (8:1 Stimmen)

Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. Masson, Investment Manager des Pensionsfonds ABP, und der Bf. Van Zon, ein Immobilienspekulant, standen unter Verdacht, sich gemeinsam zum Schaden von ABP unrechtmäßig bereichert zu haben. Die beiden waren von Mai 1984 bis Jänner bzw. Februar 1985 in Untersuchungshaft. Nachdem die Bf. in der Berufungsinstanz in allen ihnen zur Last gelegten Anklagepunkten freigesprochen worden waren, beantragten sie Entschädigung nach der niederländischen Strafprozessordnung für den ihnen durch die Untersuchungshaft entstandenen Schaden sowie Ersatz der Anwalts- und anderer Verfahrenskosten. Das Berufungsgericht wies die Entschädigungsforderungen ab, der begehrte Kostenersatz wurde vom Präsidenten des Berufungsgerichts teilweise gewährt. Beide Entscheidungen wurden in nichtöffentlicher Verhandlung gefällt.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die beiden Bf. behaupten eine Verletzung des durch Art. 6 (1) EMRK gewährleisteten Rechts auf Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche durch ein unparteiisches Gericht in öffentlicher Verhandlung.

Zunächst ist festzustellen, dass die EMRK im Falle einer rechtmäßig verhängten Untersuchungshaft einem später freigesprochenen Angeklagten weder den Ersatz der Kosten für seine Verteidigung noch eine Haftentschädigung gewährt. Ob hier ein allfälliger zivilrechtlicher Anspruch besteht ist daher ausschließlich unter Heranziehung des innerstaatlichen Rechts zu beantworten. Dabei ist der Wortlaut der relevanten Bestimmungen sowie ihre Auslegung durch die nationalen Gerichte zu berücksichtigen. Die nl. StPO legt fest, dass bestimmte Ausgaben dem früheren Angeklagten jedenfalls zu ersetzen sind. Für die im ggst. Fall erhobenen Forderungen gilt, dass eine Entschädigung gewährt werden kann, wobei sich das Gericht vom Vorliegen billiger Gründe ("reasons in equity") leiten lassen soll. Das Oberste Gericht der Niederlande hat in zwei jüngeren Entscheidungen festgehalten, dass ein vor den Zivilgerichten durchsetzbares Recht auf volle Entschädigung nur im Falle einer unrechtmäßigen Untersuchungshaft besteht und dass ein Freispruch eine Untersuchungshaft nicht per se rechtswidrig macht. Deshalb stellen die Forderungen der Bf. nach nl. Recht keine zivilrechtlichen Ansprüche dar. Art. 6 (1) EMRK ist somit nicht anwendbar (8:1 Stimmen) und wurde daher auch nicht verletzt (einstimmig).

Anm.: Die Kms. stellte in ihrem Bericht vom 4.7.1994 eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK fest (15:9 Stimmen).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 28.9.1995, Bsw. 15346/89 und 15379/89, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1995,194) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/95_5/Masson und van Zon v NL.pdf

Das Original der Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.